1899 Hoffenheim – Bayern München 0:0

1899 Hoffenheim kann dank einer engagierten Leistung Tabellenführer Bayern München zumindest einen Punkt abluchsen. Besonders ihr mutiges Pressing setzte den müden Münchern zu.

Startformationen

Sieben Spiele, sechs Siege, erst ein Gegentor: Die Frühform der Bayern wirkt beängstigend. Auch am achten Spieltag sollte diese Serie aus Sicht der Bayern-Verantwortlichen und –Fans fortgesetzt werden. Sie trafen auf eines der taktisch interessantesten Teams der bisherigen Saison: 1899 Hoffenheim. Deren Trainer Stanislawski probierte bisher viele Formationen aus und versucht, sein Team immer auf den Gegner einzustellen. Die einzigen Konstanten im Spiel seiner Mannschaft sind ein aggressives Pressing und schnelles Kurzpassspiel. Bisher liefen sie in der Wahrnehmung ein wenig unter dem Radar der Öffentlichkeit. Das wollte der Ex-Pauli-Trainer mit einem Heimsieg gegen die übermächtig wirkenden Bayern ändern.

Hoffenheims Formation

Die Hoffenheimer wählten für dieses Vorhaben gegen Bayerns 4-2-3-1 ein asymmetrisches 4-3-3 System. In der Offensive stand Obasi  auf links etwas weiter außen und etwas tiefer als sein Pendant auf rechts, Ryan Babel. Letzterer ist kein klassischer Flügelstürmer. Dementsprechend oft lief er in die Mitte und wurde zur Anspielstation für flache und hohe Flanken. Damit glich er das Fehlen eines echten Mittelstürmers aus. Firmino agierte zentral nämlich nicht als klassischer Angreifer, sondern als ein „Spielmacher ohne Ball“: Durch seine Läufe sollte er Räume vor der gegnerischen Abwehrzentrale öffnen, in die dann andere Spieler hineinstoßen können. Dazu war er viel im Raum zwischen Badstuber, van Buyten und Tymoshchuk unterwegs. Auch ging er öfters auf rechts, um den in die Mitte ziehenden Babel zu vertreten.

Hinter den beiden Sturmspitzen agierten mit Sigurdsson und Williams im Mittelfeld zwei Akteure, die hauptsächlich für die Verbindung der einzelnen Mannschaftsteile zuständig waren. Auf der einen Seite sollten sie im Spielaufbau den Ball von der Defensive in die Offensive weiterleiten, auf der anderen Seite waren sie eingeteilt, auf den Flanken auszuhelfen, offensiv wie defensiv. Durch das laufintensive Verschieben der beiden zum Ball konnte Hoffenheim die starken Außenspieler der Bayern ständig doppeln.

Nicht nur das häufige Antreffen von Sigurdsson und Williams auf den Außen war ein Zeichen dafür, dass Hoffenheim über diese Zonen zum Erfolg kommen wollte. Auch ihr Spielaufbau war sehr auf Angriffe über die Flanken ausgerichtet. Damit die Außenverteidiger möglichst häufig mit nach vorne gehen konnten, agierte Rudy bei eigenen Ballbesitz als dritter Innenverteidiger: Er ließ sich zwischen Vorsah und Compper fallen, um aus einer tiefen Position die Ballverteilung zu übernehmen. Die Viererkette wurde demnach im eigenen Spielaufbau zu einer Dreierkette. Dies stärkte die offensive Bewegung der Außen.

Pressing die große Stärke der Hoffenheimer

Drei ganz klar offensiv ausgerichtete Stürmer sowie sich immer wieder in die Offensive einschaltenden Außenverteidiger zeigen, wie ernst es Stanislawski mit dem Sieg gegen die Bayern war – Verstecken gab es nicht. Er wollte den Tabellenführer gar nicht erst zu seinem Spiel finden lassen. Hierzu diente vor allem das aggressive Pressing: Die drei Hoffenheimer Stürmer attackierten bereits im gegnerischen Drittel die Münchener Innenverteidiger. In der ersten Halbzeit gab es selten eine Verschnaufpause für die Münchener im Spielaufbau, sofort standen ihnen mehrere Gegner auf dem Fuß. Die Idee dahinter war simpel: So lange die Bayern den Ball nicht geordnet nach vorne spielen können, kann auch ihre gefürchtete Offensive nicht ins Spiel finden. Zumal verhinderten sie so, dass die Bayern ihren gefürchteten Dominanzfußball van Gaal’scher Prägung mit vielen Kurzpässen und einem hohen Ballbesitzwert aufziehen konnten.

Die kurzfristige Verletzung Rafinhas spielte den Kraichgauern dabei in die Karten: Mit van Buyten und dem angeschlagenen Badstuber, der eigentlich geschont werden sollte, hatte Bayern zwei Innenverteidiger auf dem Platz, die unter Druck nicht immer souverän agieren. Gerade der hüftsteife van Buyten konnte im Spielaufbau keine konstruktiven Lösungen anbieten. Die Hoffenheimer konnten fast jeden Angriff der Münchener auf die Außen leiten und dort mit einer Überzahl den Ball gewinnen.

Das Pressing der Hausherren bürgte auch Gefahren: Mit einem gut gespielten vertikalen Pass hätten die Münchener hinter die erste Angriffsreihe des Gegners kommen können und viel freien Raum vorgefunden. Nur geschah dies zu selten. Van Buyten und Tymoshchuk sind in ihren Fähigkeiten im Spielaufbau zu beschränkt, um solche vertikalen Bälle zu spielen. Der angeschlagene Badstuber und der blasse Schweinsteiger (nur 75% Passgenauigkeit) hatten an diesem Tag nicht die Klasse für tolle Spieleröffnungen, mit denen man das Zentrum des Gegners hätte öffnen können. Nur ein einziges Mal in der ersten Halbzeit schafften sie einen schnellen Gegenstoß. Boatengs Schuss nach Lauf über die Außen klärte Vorsah aber auf der Linie (17.).

Müde Bayern

Die Hoffenheimer waren die gesamte erste Halbzeit die aktivere Mannschaft. Ruhepausen gönnten sie sich trotz der hohen Temperaturen selten. Nachdem die Bayern in der ersten Viertelstunde die Bälle früh zurückgewannen, mehrten sich in der Folge die Ballbesitzwerte zugunsten der Hoffenheimer. Ihre Strategie, über die Außen zum Erfolg zu kommen, war sehr vielversprechend. Beck und besonders Braafheid waren vorne Aktivposten, ohne ihre Defensivaufgaben zu vernachlässigen. Die gesamte Hoffenheimer Mannschaft überzeugte im Angriff durch präzises Kurzpassspiel (Passgenauigkeit von durchschnittlich 82,5%). Am Ende der ersten Hälfte hatten sie sich ein Chancenplus erarbeitet. Die größte Möglichkeit hatte Compper, dessen Kopfball nach Freistoßflanke Neuer parierte (22.). Auch nach der Pause ließen sie nicht locker. 60 Minuten lang jagten sie jedem Ball hinterher.

Die Bayern fanden bis dahin nicht in den Rhythmus, der sie in den letzten  Wochen auszeichnete. Ihre gesamte Performance war gekennzeichnet durch eine taktisch nicht erklärbare Lethargie: Bei den Pässen wie auch bei den Zweikämpfen fehlte die Spritzigkeit, um den Gegner zu gefährden. Ein Lichtblick war Boateng, der seine Flanke sehr sauber hielt und auch Akzente nach vorne setzte. Seine Stärke, gerade im vertikalen Passspiel, hätte seiner Mannschaft an diesem Nachmittag aber eher in der Zentrale genutzt. Aus demselben Grund kam Luiz Gustavos Einwechslung ein wenig spät: Als dieser in der 74. Minute für van Buyten das Feld betrat, hatte Stanislawski seine nach der vielen Laufarbeit müde Mannschaft auf ein defensiveres 4-1-4-1 umgestellt. Seine Stärke in der Spieleröffnung konnte er gegen den tiefer stehenden Gegner nicht mehr einbringen.

Man kann Jupp Heynckes allerdings bei seinen Einwechslungen keinen Vorwurf machen. Sein Wechselkontingent musste er nämlich für verletzungsbedingte (Ribery wie auch Gomez waren angeschlagen) statt taktische Wechsel nutzen. So konnte er selbst mit der Einwechslung Robbens (für Ribery in der Halbzeitpause) keine Akzente von der Bank setzen – der Niederländer hat nach seiner Verletzungspause noch nicht zu seiner Form gefunden. Nachdem auch Hoffenheim mit zunehmender Spielzeit in der Spätsommerhitze immer müder wirkte, wurden die Torszenen rarer. Nach einer unspektakulären Schlussphase pfiff der Schiedsrichter die Partie ab. Es blieb beim torlosem Unentschieden.

Fazit

Die Statistik nach dem Spiel war klar auf Hoffenheimer Seite: In den 90 Minuten schossen sie dreimal so oft aufs Tor wie die Bayern (18 zu 6). Warum konnten sie am Ende diese statistische Überlegenheit nicht in einen Sieg ummünzen? Jupp Heynckes konnte sich auf die individuelle Klasse ihrer Defensivkünstler verlassen. Rund 60% der  Zweikämpfe gewannen sie in der eigenen Hälfte – ein solider Wert. Zudem war Neuer bei den wirklich gefährlichen Situationen zur Stelle. Auch fehlte bei den Hoffenheimern zu oft die Zielgenauigkeit – viele Torschüsse blieben so ungefährlich. Dennoch wäre alleine schon aufgrund ihres forschen und effektiven Pressing ein Hoffenheimer Sieg nicht unverdient gewesen.

Bayerns Leistung ist schwer zu bewerten: Man hat gemerkt, dass sie an diesem Nachmittag aufgrund der Müdigkeit nach den letzten anstrengenden Wochen, inklusive dem Spiel am Dienstag gegen Manchester City, nicht zu hundert Prozent fit waren. Die zahlreichen angeschlagenen Spieler im Kader taten ihr Übriges. So traten die Münchener nicht mit ihrer besten Formation an und spielten die letzten 20 Minuten gar mit Müller als Mittelstürmer. Eventuell hätten sie mit einer anderen Defensivformation das Pressing des Gegners besser umspielen können. Ob Hoffenheim so stark oder die Bayern so schwach waren, lässt sich nicht sagen – die Wahrheit liegt wahrscheinlich dazwischen. Dass die Scouts der Bundesliga Stanislawskis Taktik gegen den Branchenprimus aus München im Hinterkopf behalten werden, davon kann man ausgehen.

vastel 2. Oktober 2011 um 18:32

Gute Analyse, danke hierfür.

Allerdings erkläre ich mir die schwachen Vorstellungen von den zentralen Mittelfeldspielern der Bayern (Kroos, Schweini, Tymo) nicht hauptsächlich wegen fehlender Frische, sondern ich finde, dass die Hoffenheimer das Zentrum ganz geschickt zugemacht haben und dadurch die bajuwarische Schaltzentrale komplett ausgeschalten haben. Schweini kam ja überhaupt nicht ins Spiel…

Wieder einmal eine taktische Meisterleistung von Stani. Er hat Jupp meiner Meinung nach bestens ausgecoacht und wie ich finde war es eher Glück (plus Manuel Neuer) und etwas fehlende Konsequenz der Hoffenheimer, dass die Bayern das Spiel nicht verloren haben, denn die Hoffenheimer waren für mich klar die bessere Mannschaft in dieser Partie.

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