Müheloser Arbeitssieg der Wölfe beim HSV
Der HSV stellt im Abstiegskampf – zumindest personell – um und Wolfsburg versucht den Bayern zumindest theoretisch noch auf den Fersen zu bleiben.
Knäbel lässt Worten Taten folgen, aber…
Nach der Niederlage in der vergangenen Woche sprach HSV-Trainer Peter Knäbel davon, dass er nun erkannt habe, auf welche Spieler er sich verlassen könne und auf welche nicht. Die Wirkung einer solchen Aussage in Öffentlichkeit mal dahingestellt, war diese Aussage insofern interessant, weil sie einige Veränderungen am Spielermaterial und somit auch an der taktisch-strategischen Ausrichtung bedeuten sollte. Einigen Berichten zufolge sollen die Hamburger gar im Training mit einer Raute trainiert haben, doch im Spiel blieb es beim 4-4-1-1.
Marcelo Diaz kam nach seiner Verletzungspause wieder in die Mannschaft. Diaz und Behrami spielten als Doppelsechs, wobei die Aufteilung etwas überraschend war. Nicht der spielstarke und herausragend aufbauende Diaz ließ sich zurückfallen und bot sich als erste Anspielstation für die Innenverteidiger an, sondern Behrami bewegte sich immer wieder zurück und orientierte sich gar etwas nach halblinks oder kippte auch zwischen die Innenverteidiger ab.
Einen wirklichen Effekt hatte dies allerdings nicht. Vermutlich wollte man damit einerseits Ostrzolek auf dem linken Flügel weiter nach vorne aufrücken lassen und die Absicherung für ihn erhöhen und andererseits mit drei Spielern in der ersten Aufbaulinie das Pressing Wolfsburgs etwas besser umspielen. Diaz‘ spielte womöglich höher, um in den engeren Zonen im Mittelfeld seine technische Stärke zu nutzen, wo Behrami vermutlich eher überfordert gewesen wäre.
Diese Idee ging aber nicht auf. Der HSV hatte zwar mehr vom Ball und baute ruhig mit mehr Kurzpässen das Spiel auf, spätestens im letzten Spielfelddrittel endeten ihre Angriffe jedoch. Die Besetzung der vordersten Zonen, die Bewegung darin und die Dynamik waren schlichtweg nicht gefährlich. Selten fand man in Strafraumnähe noch die Möglichkeit zum Kombinieren, das Herausspielen qualitativ hochwertiger Chancen war dadurch schlichtweg nicht möglich.
Van der Vaart und Holtby drifteten in der Mitte und suchten nach einem ruhigen Aufbau in die Spitze, Zielspieler Lasogga wirkte im Kombinationsspiel wie ein Fremdkörper und Olic auf links hatte eine sehr tororientierte Rolle, während die Außenverteidiger selten adäquat in ihren Vorstößen eingebunden werden konnten. Der HSV konnte darum im letzten Drittel entweder a) aus der Distanz abschließen oder b) den Ball verlieren.
Die Zusammenstellung der Spielertypen, die Rollenverteilung und die Staffelung waren schlichtweg unpassend und ineffektiv. Auch gegen den Ball offenbarten sich Probleme. Weder van der Vaart noch Holtby brachten die nötige Dynamik im Pressing mit, insgesamt war die Kompaktheit als dürftig zu bewerten. Immer wieder gab es Löcher und besonders im defensiven Umschaltmoment taten sich die Hamburger schwer.
Wolfsburg wiederum nutzte das hervorragend aus.
Heckings Wölfe dominieren ohne Spektakel
Hamburgs Probleme blieben den Wolfsburgern nicht verborgen. Sie ließen den HSV zuerst in Ruhe aufbauen, wohlwissend, dass dadurch kaum Gefahr ausging. Ihr 4-4-1-1-Pressing mit den üblichen Mannorientierungen formierten die Gäste knapp vor der Mittellinie und starteten immer wieder situative Pressingaktionen in höheren Zonen, vorwiegend nach Pässen auf die Flügel durch die Innenverteidiger. Das abermals starke ballorientierte Verschieben Wolfsburgs und die gute Kompaktheit schlossen die wichtigen Räume ab, lenkten Hamburg nach außen und neutralisierten auch das Zurückfallen Behramis (und situativ Diaz‘ oder sogar Van der Vaarts, obgleich der im Sechserraum Halt machte).
Beim 1:0 sah man das ganz gut, als Hamburg mit den drei Spielern in der ersten Aufbaulinie relativ breit stand und dann Halbverteidiger Cleber aggressiver gepresst wurde. De Bruyne eroberte den Ball und spielte in die Mitte auf den freien Dost, der auf den vorstoßenden Guilavogui spielte. Aus einer eigentlich ungefährlichen Situation wurde nach einer Balleroberung, einem Fehler Clebers und zwei Pässen eine Hundertprozentige kreiert.
Der Führungstreffer war in gewisser Weise aus strategischer Sicht spielentscheidend. Wolfsburg konnte sich nun noch stärker auf das Konterspiel und die Defensive konzentrieren, nutzte weniger Spieler vorne, hatte aber gleichzeitig mehr Raum um ihre Stärken im Umschaltmoment auszuspielen.
Neben den offenen Räumen nach Balleroberungen nutzten sie auch die mangelhafte Kompaktheit des HSV, um den Ball zirkulieren zu lassen, und die schwache Flügelverteidigung, um zu Flanken zu kommen. Mithilfe von De Bruynes wie üblich intelligenter und verbindungsgebender Bewegung entlang der Horizontale, den diagonalen Läufen der Flügelstürmer und dem Aufrücken der Außenverteidiger und Sechser kontrollierten sie die Partie problemlos.
Eine Statistik nach gut einer Stunde, welche einen netten Einblick in die Partie gewährt, war die Zahl der Schüsse und die Quote, wie viele davon aufs Tor gingen. Der HSV kam zwar auf 5 Abschlüsse, doch kein einziger musste von Benaglio gehalten werden; bei Wolfsburg war es 5 aufs Tor bei 9 Abschlüssen.
Nach der Halbzeit begannen die Wölfe auch den Ball geduldiger laufen zu lassen, den Hamburgern weniger Angriffsmöglichkeiten zu geben und Räume zu öffnen. Der HSV sollte sich davon nicht erholen. Trotz der Einwechslung Nicolai Müllers für van der Vaart und der Suche nach mehr Dynamik gelange es ihnen nicht diese konstant zu erzeugen und Wolfsburg vor Probleme zu stellen. Mit dem 0:2 war das Spiel endgültig gelaufen; ein langer Ball auf dem Flügel, ein gewonnener zweiter Ball und eine Kombination vom Flügel in die Mitte standen sinnbildlich für die Hamburger Probleme.
Fazit
Der HSV hatte über 90 Minuten hinweg eigentlich kaum eine Chance. Sie taten sich gegen den Ball schwer, sie waren schwach im Umschaltspiel und sie hatten kaum Möglichkeiten sich ernstzunehmende Chancen herauszuspielen. Es mangelte an individueller Qualität, an ergänzenden Spielertypen oder einem gleichen Rhythmus, an einer Struktur und an vielen strategischen Punkten. Wolfsburg lieferte keine Glanzleistung, dominierte die Partie aber nach der Führung äußerst souverän und gewann verdient.
44 Kommentare Alle anzeigen
em es 14. April 2015 um 11:54
bin gespannt was der vfl in dieser saison noch erreichen kann.
HK 14. April 2015 um 12:33
Eine gewagte Prognose: Vizemeister und Pokalfinalist??
Für mich die spannende Frage: Reißen sie was in der EL? Da hier die BL-Teams in den letzten Jahren sehr übersichtlich abgeschnitten haben, ist das doch eine schöne Herausforderung
Lenn 13. April 2015 um 18:33
http://www.spiegel.de/sport/fussball/hamburger-sv-und-thomas-tuchel-wieso-der-wechsel-scheitern-kann-a-1028262.html
Dass sich solche Leute hier Experten schimpfen dürfen ist so dermaßen traurig.
„Spielerisch ist die Mannschaft die schlechteste der Liga. Trotzdem versucht sie, mit schönem Fußball aus der Krise zu kommen, statt zu kämpfen. Clébers Fehler vor dem 0:1 gegen Wolfsburg ist ein gutes Beispiel. Statt den Ball nach vorne zu hauen, ging er in der eigenen Hälfte ins Dribbling. Das ist naiv. Kick and Rush statt Schönspielerei, das braucht der HSV.“
– Didi Hamann
Felix 14. April 2015 um 08:02
Zumindest dass das Dribbling Quatsch war, hat er erkannt! 🙂
Lenn 13. April 2015 um 01:22
Ach was, die laufen einfach nicht genug und sind viel zu zurückhaltend in den Zweikämpfen. 😉
Lenn 13. April 2015 um 01:22
Ups, Antwort @vanGaalsNase
Partizan 12. April 2015 um 23:02
Was ich mich frage, warum hatte der HSV diesem extremen Links Fokus?, 54% aller Angriffe kamen über Links, war das von Wolfsburg so gewollt?
Den Wolfsburg eroberte dort 16 mal den Ball, was auch zum 1:0 führte, und wenn man mal über Links über die Mittellinien kam wurden man sehr schnell von den Wolfsburgern isoliert. Hätte hier nicht Knäbel reagieren müssen?
Koom 13. April 2015 um 10:51
Naja, schaut man die Aufstellung von Hamburg an, ist der Linksfokus logisch: Die offensive Dreierreihe bestand aus Linksfüßern. Olic außen (der zudem von da ins Zentrum zog), Van der Vaart zentral, Holtby ist sowieso kein Aussenbahnspieler.
AYounes 12. April 2015 um 08:33
Sehr gute Analyse.
Ich hab mir das Spiel extra nochmal angeguckt um „Fortschritte“ beim HSV zu finden.
An spielverlagerung : ist eine Analyse von BMG- BVB geplant? Die Halbzeit- Umstellung von Klopp wurde ich gerne mal von euch lesen, fand diese sehr interessant gegen „meine“ gladbacher.
Vielen Dank vorab für eine Ruckinformation.
Benny 12. April 2015 um 15:26
Da gibt es langsam nichts mehr zu analysieren. Wenn das in der zweiten HZ ein 3-4-3 sein sollte mit (Laut Klopp) Flügelüberlastungen dann hat er seine Meinung exklusiv! Ist auch egal – Überspitzt gesagt spielt Favre seit er gebohren wurde mit seinen Mannschaften 4-4-2. Und das macht er gut! Er hat auch erkannt das man das Rad nicht neu erfinden muss im Leben – es reicht einfach das Rad ordentlich zu drehen. Wenn man jetzt mal die BVB Spiele gegen Mannschaften im 4-4-2 anschaut ist das Ergebnis eigentlich ne sichere Wette im Vorfeld gewesen. Und das finde ich so traurig, dass hochintelligente Leute wie Klopp und Krawietz den Spielern keine Lösungen dafür geben können.
Eins noch zum Abschluss – Jürgen Klopp hat seinen Mut verloren! Und das macht ihn und den BVB schwach. Bewusst eine schwache rechte Seite mit Sokratis in Kauf zu nehmen, nur weil er sich nicht traut den jungen Dudziak zu bringen, ist in meinen Augen sehr schade. Wenn Jürgen Klopp seinen Mut nicht wieder finden, dann werden wir Borussia Dortmund auch nicht mehr oben finden.
Sorry für Rechtschreibfehler – Der Beitrag ist mit Wut im Bauch geschrieben 🙁
blub 12. April 2015 um 16:45
Guck auf die englische version. Da hat CE ne Analyse geschrieben.
Und hör nich auf den Dreck den der Spinner hier von sich gibt.
Benj 12. April 2015 um 18:20
Nicht nötig, jemanden persönlich zu beleidigen
karl-ton 12. April 2015 um 19:09
Wo findet man denn die englische Version? Und wäre es nicht sinnvoll die englischen Artikel hier auch einfach erscheinen zu lassen? Man sollte ja meinen heutzutage kann jeder Deutsche genug Englisch um so einen Artikel zu verstehen, aber nicht jeder der Englisch kann, versteht genug Deutsch.
Lenn 12. April 2015 um 19:24
https://spielverlagerung.com
Benj 12. April 2015 um 19:32
Die Parallelseite lautet spielverlagerung.com, http://bit.ly/1I5396b ist der direkte Link zum Artikel
DAF 13. April 2015 um 00:02
Würde nicht sagen, dass jeder Deutsche genügend Englisch kann um eine SV-Analyse zu verstehen. Hier gehts schließlich nicht um eine Kaffebestellung und auch nicht um einen Spielbericht auf Bild-Niveau, sondern das ist ja doch relativ komplex und komplexe Zusammenhänge sind in einer Fremdsprache schwierig zu verstehen. Und das .de durch ein .com zu ersetzen sollte dann doch jeder hinbekommen
HK 13. April 2015 um 13:23
Warum erscheinen eigentlich Berichte über einzelne BL-Spiele nur in englisch?
Bei allem denkbarem Interesse von englischen Muttersprachlern sollte die innerdeutsche Nachfrage doch größer sein?
50Brot 12. April 2015 um 01:34
An ein 4-4-2, wie Slomka es, wenn ich mich nicht irre, bei 96 öfter hat spielen lassen, hätte ich jetzt zuerst gedacht.
Zwei eher defensive Mittelfeldspieler, zwei Außen, die einrücken können und zwei Stürmer, von denen sich mindestens einer (Olic) zurückfallen lassen kann. Immerhin hat der HSV eine ziemliche Menge an prinzipiell gar nicht schlechten offensiven Außenspielern im Kader (Stieber, Guaida, Ilicevic, Beister, Müller, Green). Defensiv sind Diaz, Behrami und Jiracek (was ist eigentlich aus Kacar geworden?) auch eigentlich gute Leute und mindestens Diaz ist auch recht spielstark.
Keine Ahnung, ob das funktionieren würde, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass der HSV ständig nach der einen zentralen, rettenden Figur im Mittelfeld sucht. Als Bremer kann ich da aus leidvoller Erfahrung sagen: Manchmal hat man die einfach nicht mehr und dann ist es ganz gut, wenn man sich diese Idee abschminkt.
Defensiv stand der HSV ja häufig gut. Wenn man dann auf ein System mit schnellem Umschalten umstellen würde, dass ja praktisch schon dadurch Bewegung erzwingt, dass immer einer den zentralen offensiven Raum hinter den Stürmern besetzen muss, wodurch auch Räume für die Außenverteidiger frei werden können, könnte das ja vielleicht helfen…
Persönlich hoffe ich ja, dass irgendwann der HSV wieder ein Verein wird, der es mir wieder erlaubt, meinen Snobismus bezüglich Fanrivalitäten auszuleben, indem ich wie früher sagen kann, dass ich eigentlich nichts gegen den HSV habe. Denn im Moment macht es einem eure Vereinsführung wirklich nicht leicht 😉
50Brot 12. April 2015 um 01:37
Verdammt, das sollte unter den Kommentar von Andi…
Andi 12. April 2015 um 09:43
Danke für die Kommentare.
Wem sagst du das? Selbst als ewigem HSV-Fan fällt es mir mit der Vereinsführung sehr schwer … Obwohl ich immer noch von DB und dem Nachwuchskonzept von BP überzeugt bin. Welche Alternativen haben wir denn sonst auch? Wir müssen mehr „Spieler selber machen“ und weniger kaufen.
Ich glaube, dass es derzeit wohl kein Trainer – auch nicht Guardiola, Klopp, Favre, Schmidt usw. – schaffen würde, diese Spieleransammlung auf Kurs zu bringen.
Finde den Ansatz deiner Spieltaktik gut. Leider glaube ich aber auch, dass die Spieler total verunsichert sind und nach dem ersten großen Problem auf dem Platz (Bsp. erstes Gegentor) in sich zusammenfallen. Dann kommt in jedem nächsten Spiel das Muster, dass es zwei, drei Neue richten sollen. Z. B. Cleber, Lasogga, Stieber, Díaz. Da das Mannschaftsgefüge nicht passt, gehen diese Spieler mit unter, und es wird wieder gewechselt. Folge: weitere Verunsicherung und Instabilität.
Die „Führungsspieler“ wie RvdV, HW4 oder Djourou haben mit sich selbst genug zu tun. Auch das Auslaufen von Verträgen und das daraus entstehende Schaulaufen für andere Vereine hat keinerlei Effekt. Nichts wirkt.
Ich fühle mich ohnmächtig und sehe wie Benj auch schon die glatte 18 am dunklen Horizont …
Ach ja, @ RM: mich würde dein „Rettungsansatz“ sehr interessieren. Welche Taktik, welchen Gameplan, mit welchen Spielern siehst du eine Chance auf die Mission „Klassenerhalt „? Vielen Dank vorab für deine Mühe und dein Statement – vielleicht liest unser Multifunktionstrainer ja mit 🙂
Andi 12. April 2015 um 00:41
Lob an RM: wie immer sehr präzise und auf den Punkt. Auch wenn es leider gegen meinen Verein geht … Aber ja: die Situation ist für mich ausweglos. Hätte nicht gedacht, dass es nach der letzten Saison noch eine weitere Steigerung im Negativen geben kann. Kein Zusammenhang zwischen den Mannschaftsteilen, kein Teamgeist, negative Körpersprache, ein Trainer / Spodi, der keine Ausstrahlung und kein Feuer hat und dem man seine rhetorischen Mittel („ich weiß jetzt, auf wen ich mich verlassen kann“, um dann mit dem selben Taktikschema und nicht nach dem Leistungsprinzip zu handeln) schon jetzt nicht mehr abnimmt usw. Die Liste ließe sich leider noch länger fortsetzen.
Ich sehe keine Mannschaft in Liga Eins, die weniger Leben in sich hat. Selbst meine Hoffnungen, die ich in Díaz und Lasogga setze, werden bis Sommer wohl nicht reichen. Okay, vielleicht ist es gut so, dass dann endlich das Traditionsdenken mit Gründungsmitglied, Dino, 1983, schlafendem Riesen, Weltstadt etc. pp aufhört. Hat etwas von Erlösung. Ob dann Tuchel mit 3 Mio. plus x DIE Lösung ist, weiß ich wirklich nicht. Bin schon zu oft (Slomka, van Maarwijk) enttäuscht worden. Joe Z wäre der richtige Mann gewesen. Unverbraucht, brennt, motiviert, steht für einen Neuanfang. Schade, aber der Buchhalter macht es lieber selber. Warum nicht Horst Hrubesch ab Sommer, und dann mit einer Achse, die aus vier, fünf derzeitigen Spielern besteht plus der jungen Wilden (intern: Gouaida und Co., extern Tah und Co.) plus hungrigen Spielern, denen Ihr Social Media – Auftritt oder ihre Frisur nicht wichtiger sind als ihre sportlichen Leistungen für ihren Arbeitgeber und dessen treue und leidensfähige Fans?
Aber es geht ja jetzt um sechs „Endspiele“.
Bin ratlos. Wer hat den Plan für die klassenerhaltende Taktik für das vorhandene Spielermaterial? Ein tiefes 4-4-2? Wenn ja, wer passt zueinander? Hilfe ! BITTE !!!
Benj 12. April 2015 um 01:27
Ich hatte vor einer Woche geschrieben: „(…) Es gab überhaupt keinen Willen, von niemandem, diesen letzten Schritt zu machen, da stimmt es im Kopf nicht nicht mehr, warum auch immer. Aus Erfahrung weiß ich, nur eine Mannschaft, die sich selbst aufgegeben hat, (…) .“
Du hast es noch kürzer präzise auf den Punkt gebracht: „Ich sehe keine Mannschaft in Liga Eins, die weniger Leben in sich hat.“
Klassenerhaltende Taktik für das vorhandene Spielermaterial? Gibt’s nicht! Nicht einmal Harry Houdini kann da noch helfen. Was hilft die Taktik, wenn die Spieler nicht mitspielen? Es wird die glatte 18.
PS: Ernst Happel hätte wahrscheinlich gesagt: „Jetzt spü ma Hollywood“ und hätte die Mannschaft … was weiß ich schon, und er (RIP) ist ja auch nicht mehr da …
Felix 12. April 2015 um 21:31
Bezeichnend, dass sowohl im Verein als auch im Umfeld nur noch von Kämpfen, Körpersprache und Mannsein zu hören ist. Hat Favre die Borussia mit so einem Scheiß gerettet? Führt Weinzierl einen 10 mal billigeren Kader mit so einem Gerede an die Europapokalränge heran?
vanGaalsNase 13. April 2015 um 00:49
Absolut Felix! Ich kann diesen Unsinn von „Mutlosigkeit“ und „Kein Leben“ auch nicht mehr hören. Und eine „klassenerhaltende Taktik“ gibt es auch nicht. Was soll das sein? Der heilige Gral?
Der HSV hat seit Jahren weder in der Vereinsführung, dem Management, noch auf dem Trainerstuhl ein stabiles Konzept. Wie sollen da die Spieler stabile Leistungen abrufen können? Die Hamburger Spieler wissen in den simpelsten Situationen nicht, wie sie sich verhalten sollen. Doch anstatt auf diese Mängel inhaltlich ranzugehen, wird gleich wieder die Typen-Diskussion gestartet. Und Knäbel marschiert vorweg.
Vor dem Ballverlust von Cleber (der zum ersten Gegentor führte) hatte dieser nur eine einzige Passoption (Ostrzolek?). Und die wäre auch noch ohne Verbindung auf der Seitenauslinie gewesen. Ein Ballverlust war schon da beinahe unumgänglich. Und das lag nicht am Pressing der Wolfsburger. Cleber bewegt sich mit dem Ball nach vorne, beraubt sich dadurch selbst möglicher Passoptionen, aber es bietet sich auch keiner mehr an: Ostrzolek bleibt an der Auslinie, Olic läuft in Erwartung eines langen Balls nach vorne und Diaz bewegt sich in de Bruynes Deckungsschatten. Nur van der Vaart orientiert sich zum Ball, kann aber nicht mehr angespielt werden, weil de Bruyne zu eng an Cleber dran ist.
Nach dem Ballverlust standen noch genügend Hamburger hinter dem Ball, die den Konter hätten abwehren können. So hätte Behrami bspw. früher zu Bas Dost schieben müssen, der die einzige Passoption für de Bruyne im vorderen Zentrum war. Gegnerische Passoptionen (zumal es hier die einzige war) früh zu erkennen und vorweg zu nehmen nennt sich Antizipation und kann bestimmt nicht mit deutschen Tugenden vermittelt werden. Stattdessen bleibt Dost ohne Gegnerdruck frei und de Bruyne kann den nun einfachen Pass spielen. Van der Vaart läuft nach de Bruynes Balleroberung ebendiesen an, anstatt den durchstartenden Guilavogui zu verfolgen. Der Rest ist Geschichte.
Wenn man solche Fehler macht, braucht man Niemanden, der einem sagt, dass das scheiße war. Das wissen die Spieler selber. Und ihnen zu sagen, sie sollen sich beim nächsten Mal mehr anstrengen, wird ihnen in ähnlichen Situationen auch keine Lösung bieten. Die Spieler brauchen spielerische Mittel: Wie bietet man dem Ballführer Passoptionen an. Wie bringen wir die Spieler dazu, solche Optionen schneller wahrzunehmen und schnell gute Entscheidungen zu treffen? Wie staffeln wir uns bei eigenem Ballbesitz, damit wir im Falle eines Ballverlustes (den es immer mal geben kann) die Räume schnell zustellen können? Wie passen wir uns an, wenn der Innenverteidiger nach vorne dribbelt? Das sind Dinge, die man im Profifußball einfach beherrschen muss.
Man könnte sowas z.B. mit Spielformen vermitteln: Über-/Unterzahlspiele, Positionsspiele, Kleingruppenspiele in allen Formen und Variationen. Dadurch werden die Spieler in unzählige Situationen gebracht, müssen immer wieder Entscheidungen treffen, sich anpassen, neue Staffelungen erzeugen usw. Dann kann man schon im Training sehen, wo die Spieler Defizite haben und merkt das nicht erst im Wettkampf. Nur dann kann man rechtzeitig an solchen Mängeln arbeiten.
Es gibt das schöne Wort „Selbstwirksamkeitserwartung“ (SWE). Das bedeutet, dass man ein solches Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten hat, dass man davon überzeugt ist, wertvoll für die eigene Mannschaft zu sein. Man glaubt, etwas bewirken und positiven Einfluss auf den Ausgang eines Spiels nehmen zu können. Die Hamburger Spieler können doch wohl unmöglich ein solches Selbstvertrauen haben. Vor allem dann nicht, wenn ihr Trainer sie in aller Öffentlichkeit so vorführt.
Vor diesem Hintergrund kann man auch keine Erfolge durch die pure Motivation verlangen. Dazu ein passendes Zitat von Hans Eberspächer: „Motivation und Stabilität sind dann gegeben, wenn der Athlet vor der (…) Anforderung selbstbewusst und sicher sagen kann: Ich bin überzeugt, dass ich die gestellte Anforderung schaffen kann, wenn ich mich jetzt anstrenge!“ – Diese Überzeugung fehlt beim HSV und Knäbel wird sie mit seinen hohlen Phrasen auch nicht herbeireden. Der erste Schritt zur SWE ist die Beherrschung erfolgsstabiler Abläufe. Diese erlernt man im Training.
Gh 13. April 2015 um 13:38
„Motivation und Stabilität sind dann gegeben, wenn der Athlet vor der (…) Anforderung selbstbewusst und sicher sagen kann: Ich bin überzeugt, dass ich die gestellte Anforderung schaffen kann, wenn ich mich jetzt anstrenge!“ … lol, that’s when giving a definition goes terribly wrong! ich würde den Satz mal so übersetzen: ein intrapsychischer Zustand x ist dann gegeben, wenn der intrapsychische Zustand x gegeben ist + wenn ich mich jetzt ganz doll anstrenge.
vanGaalsNase 13. April 2015 um 14:21
Falsch übersetzt. Der intrapsychische Zustand x (Motivation) ist dann gegeben, „wenn ich mich jetzt anstrenge“ + „ich bin überzeugt, dass meine Anstrengung von Erfolg gekrönt sein wird“. Beides zusammen bildet die Motivation.
Eine andere Definition mit quasi demselben Inhalt: „Leistungsmotivation ist das Bestreben, eine Aufgabe zu meistern und dabei einen Gütemaßstab zu erreichen oder zu übertreffen, Hindernisse zu überwinden, Ausdauer auch bei Misserfolg zu zeigen und sich selbst für das Leistungsergebnis verantwortlich zu fühlen.“ (Alfermann/Stoll 2012, Sportpsychologie, S. 118)
Um motiviert zu sein, muss ich nicht nur die Bereitschaft zeigen, etwas zu wollen, sondern auch die Überzeugung haben, es zu schaffen („sich selbst für das Leistungsergebnis verantwortlich zu fühlen“).
Du würdest Motivation einfach nur als Anstrengung definieren. Nach dieser Auffassung hättest du mit deiner „Übersetzung“ Recht.
Gh 13. April 2015 um 15:04
Ich kann aus ungefähr 100 verschiedenen Antrieben heraus Kaffee kochen, und es kommt das gleiche dabei heraus. Es sei denn ich koch ihn für die Schwiegermutter.
vanGaalsNase 13. April 2015 um 15:28
Schön und gut, aber wir reden hier über Leistungsmotivation im Spitzensport. Und du kriegst den Kaffee nur hin, wenn du tatsächlich auch die Fähigkeiten hast, ihn zu kochen. Wer nicht weiß, wie viel Löffel oder wie viel Wasser er braucht, wird auch mit aller größter Motivation keinen ordentlichen Kaffee hinbekommen (außer vielleicht durch Zufall).
Du brauchst die Gewissheit (und Überzeugung), dass du der angestrebten Aufgabe auch gewachsen bist. Auf den HSV übertragen heißt das: Von den Spielern wird Motivation eingefordert, aus der heraus der Klassenerhalt geschafft werden soll. Sie haben aber gar nicht die spielerischen Mittel, um erfolgreich zu sein. Wo sollen sie denn da die Überzeugung hernehmen, die für eine gewinnbringende Leistungsmotivation notwendig ist?
Gh 13. April 2015 um 17:02
Genau so ist es. Die meistens die was können rufen das regelmäßig auch ab, wenn sie keinen Bock haben. Deswegen halte ich das Thema Motivation im Moment des Handelns für na ja, nebensächlich auch nicht, aber halt auch nicht hauptsächlich. Beim Einüben einer Sache ist das was anderes, aber dann müssten die HSVler ja schon in der Vorbereitung keinen Bock gehabt haben… was anderes sind destruktive Dynamiken, die können natürlich schon dazu führen, dass ich plötzlich was nicht mehr kann.
vanGaalsNase 13. April 2015 um 17:13
Damit wir uns richtig verstehen: Für mich ist Motivation (genau wie die sonstigen dt. Tugenden) ebenfalls nicht hauptsächlich. Ich wollte lediglich zeigen, wie unsinnig es ist, Motivation als Heilsbringer einzufordern, wenn die Spieler kaum spielerische Mittel haben.
Koom 13. April 2015 um 18:25
Es hilft halt nichts, viel zu laufen, wenn man die falschen Wege (im falschen Tempo) geht. Der HSV hat momentan keinerlei grundsätzlichen Leitfaden, was man wann wo wie tun sollte. Nicht mal rudimentäre Angaben. Die Spieler greifen auf das zurück, was sie jeder individuell erlernt haben – das das im Mannschaftssport Fußball (zumindest 2015) nicht mehr reicht, sollte eigentlich jeder wissen. Aber wenn man hört und sieht, wie sogenannte Experten in ARD, ZDF oder Doppelpaß rumlabern und immer noch auf Heldenfußballniveau sind (und dafür viel Geld kassieren), dann verwundert das nicht.
SM 13. April 2015 um 12:29
Ich denke der Zug ist abgefahren. Was ich nicht verstehe ist weshalb der HSV nicht konsequent auf seine Staerken (gute Defensive, schnelle Spitzen) gesetzt hat anstatt immer wieder zu versuchen mitzuspielen nur um dann abgeschossen zu werden.
IMHO haette man nachdem Kacar gezeigt hat das er es noch kann auf ihn setzen muessen. Er ist defensiv staerker als Diaz und spielerisch staerker als Behrami, wuerde also ganz gut in die Rolle als zurueckfallender zentraler DM passen. Diaz als letzter 6er traue ich nicht weil er koerperlich nicht stark genug oder schnell genug ist, das ginge nur in einer gut funktionierenden spielerisch starken Abwehr.
Daneben/davor Jiracek rechts, (Diaz wenn er fit ist) und Holtby links als 6er/8er, und vorne dann einfach auf pure Schnelligkeit setzen: Stieber/Olic links, Rudnevs/Olic Sturm, Mueller/Beister rechts. Kein Lasogga, kein vdV, kein Behrami, vielleicht ein Gouaida.
In der Defensive mit 2 Viererketten und Kacar dazwischen um etwaige Luecke zu stopfen, das Pressing auf den jeweiligen Gegner/die jeweilige Situation abstimmen.
Ggfs. koennte man das auch mit einem Wechsel bzw einer Umstellung auf eine Mittelfeldraute aendern um so mehr Spielanteile zu bekommen/mehr Druck zufzubauen.
Also:
———-Kacar———-
—JIracek—–Holtby—
Mueller————–Stieber
———–Olic
Bzw:
———-Kacar———-
—JIracek—–Holtby—
———-Stieber
—–Mueller—-Olic—
Defensive Stabilitaet, schnelle Konter, nur eine Umstellung wenn man im Rueckstand ist und was anderes versuchen muss (keine bloeden Wechsel Stuermer fuer Abwehr/Mittelfeldspieler noetig). Ist das so abwegig?
Andi 13. April 2015 um 21:57
Nein, SM, das ist nicht abwegig.
Finde deinen Ansatz gut gelungen. Dafür hätten wir das Spielermaterial. Leider wird uns nun Díaz ein- bis zwei Mal fehlen; und leider glaube ich nicht daran, dass man Kacar noch eine Chance geben wird. Ich habe das Gefühl, dass das System (sic!) nicht mehr geändert wird.
Auch Gouaida scheint mir raus zu sein. Ist mir auch unverständlich, da er in seinen Auftritten frische Ideen einbringen konnte.
Schön mitspielen können wir nicht. Sehe wie du auch die Variante der starken Defensive mit überfallartigen Angriffen, notfalls auch mal lange Bälle und mehr Abzielen auf Standards. Wir haben große bzw. kopfballstarke Leute wie Cleber, HW4, Kacar, Lasogga und machen viel zu wenig daraus. Motto in Abwandlung einer alten Fußballerweisheit: “ drei Ecken, ein Tor“. Das wäre es doch 🙂
Felix 14. April 2015 um 08:05
Klingt nach Slomka-Fußball. Wieso hat er das nicht hinbekommen?
Koom 14. April 2015 um 09:53
Spekulation. Ich denke, dass Slomka die Leidenschaft verloren gegangen ist, die Detailarbeit so vorzunehmen, wie es notwendig wäre/ist. Das Warum ist dabei immer schwer zu deuten, aber die Unruhen im Verein spielen sicher eine Rolle. Wenn Peters zudem immer den Trainerüberwacher spielt, untergräbt das natürlich auch schön die Autorität.
Und was auch sein kann: Schlichtweg einfach die „Lust“ verloren. Es wird schon einen Grund haben, warum es mittlerweile sich verbreitet, ein Jahr Pause vom Trainerjob zu machen (anstatt sich bis zum Crash dran zu klammern). Guardiola, Tuchel – vielleicht hätte es Klopp auch gut getan, der brennt ja auch mittlerweile seit fast 15 Jahren (!) nonstop im Trainerjob – erst bei Mainz, dann bei Dortmund. Beides zudem Klubs, die mehr als nur ein Job für ihn sind. Das kann auslaugen. Das gleiche gilt ja auch für seinen Co-Trainer Buvac.
Aber b2t: Von außen immer schwer zu beurteilen. Und auch von innen. Am HSV ist jetzt schon ein Berg Trainer gescheitert, da war auch so ziemlich alles dabei. Das ist ein Geklüngel, wo selbst der frühere FC Köln und FC Hollywood mit dem Kopf schütteln. Mit Beiersdorfer und der Umstrukturierung gibt es dort eine Grundlage für Besserung, aber das erfordert viel Arbeit. Vor allem auch der unangenehmen Art, weil man ein paar Köpfe abrasieren muss, die zu mediennah sind.
SM 14. April 2015 um 15:31
Die Aehnlichkeit sehe ich nicht unbedingt, ist ja kein 4-4-2.
Warum Slomka gescheitert ist? Weil Slomka nicht wie Slomka gespielt hat. 4-2-3-1, versucht das Spiel zu machen und abgeschossen worden (0-3 zu Hause gegen Paderborn!). Gefeuert wurde er dann weil es wohl zwischen ihm und der Mannschaft nicht mehr stimmte.
C.H. 13. April 2015 um 15:29
Ein Abstieg ist für den HSV vermutlich die bessere Option – wär’s m.E. schon letztes Jahr gewesen …
Koom 13. April 2015 um 15:41
Jaein. Das wird immer gern gesagt, ist aber kein automatisches Heilmittel. Bei einem Abstieg wird meist gerne die Mannschaft ausgetauscht und man lässt auch oben mal andere Impulse zu. Das kann die Chance bringen, den Verein zu gesunden, andererseits wird diese Gesundungschance immer mehr verringert. Der Etatverlust ist extrem, die 2. Liga mittlerweile sehr schwierig zu bespielen, weil jedes Jahr eigentlich 50% aufsteigen wollen und zum Teil dementsprechend investieren.
Wunschzustand für den HSV wäre vermutlich Klassenerhalt (irgendwie!), dann Tuchel. Und Tuchel alle Kompetenzen und Freiheiten geben, durchaus aber mit dem Auftrag, auch Strukturen zu schaffen, die ihn als Trainer „irgendwann“ dann etwas weniger wichtig machen. Es krankt beim HSV an zu vielen Entscheidern und Mitrednern, zuviel Bloßstellen des Trainers und nach wie vor eine dramatische Heldenverehrung bei den Fußballern.
Tuchel kann das Sportliche reparieren und in gesunde Bahnen lenken. Aber nicht, indem man ihn per Video überwacht und analysiert und intern ständig hinterfragt. Als Sportvorstand/direktor/zuständiger muss dann jemand rein, der ein vernünftiges Casting aufbaut, der Spieler verpflichtet, die zur angestrebten Spielweise (die Tuchel erstmalig implementiert) passen. Da darf man dann keinen Bolzer wie Lasogga für Unsummen holen, nur weil er medienwirksam mal nen Ball netzt, der aber als Spielertyp vor 10 Jahren schon ausgedient hat.
Btw: Toll mal wieder Reif (Kommentatoren sind keine Experten btw): „Vorsicht HSV, Tuchel ist kein Guardiola!“ Joah, und Guardiola kann man auch schwer einschätzen, wenn in dessen Vita mit Barca und den Bayern ja nur 2 der weltbesten Teams in der Vita stehen und mit der ganz großen Geldbörse eingekauft wurde. Tuchel hat da wesentlich normalere Referenzen.
HK 13. April 2015 um 15:59
Tuchel hat vielleicht normalere Referenzen, dafür aber nur eine einzige. Bei aller Wertschätzung wäre ich da bei der allgemeinen Einschätzung als Wundermann etwas vorsichtig.
Die Kombination Tuchel-HSV ist für beide Parteien riskant. Vor allem aber für Tuchel. Was effektiveres um seinen Namen kaputt zu machen als den HSV findet man wohl nicht so schnell wieder.
Der Abstiegswunsch, der so gern von verzweifelten Fans von Traditionsvereinen geäußert wird, ist zwar menschlich fast schon verständlich, sachlich aber kaum nachzuvollziehen.
Wir blicken jetzt auf 50 jahre BL zurück und wo sind denn da langfristig betrachtet Positivbeispiele für das Abstiegsszenario?
Dagegen könnten wir ja wohl alle Negativfälle nach Dutzenden anführen, von Vereinen die verschwunden sind, oder bestenfalls zur Fahrstuhlmannschaft mutiert sind.
kolle 13. April 2015 um 16:21
Erstmal gebe ich dir Recht das ein Abstieg garantiert mehr Nachteile als Vorteile hat. Wieso manche Leute glauben, ein Abstieg sei „heilsam“ ist rational im Angesicht der finanziellen Einbußen nicht wirklich erklärbar.
Ich würde dir aber widersprechen darin, dass es keine Vereine gibt die für Tuchel „riskanter“ sind. Im Gegenteil m.E. kann er beim HSV im Grunde genommen nur gewinnen. Ich gehe jetzt einfach mal davon aus dass man nächstes Jahr noch in Liga 1 spielt, da ich nicht glaube das Tuchel auch für Liga 2 unterschreibt. Hierbei wird er eine saisonvorbereitung haben und kann eine neue Mannschaft formen. Die Erwartungshaltung ist nach den letzten Jahren sicherlich auf einem Nullpunkt. Außerdem werden ja einige Spieler ( Van der Vaart, Jansen, Westermann, Ilicevic, Rajkovic und Kacar) den Verein verlassen, die bislang ganz gut verdient haben. Außerdem wird wohl noch der ein oder andere zusätzliche Spieler abgegeben (ich hoffe ja das ‚mein‘ FcK den Demirbay behalten darf, aber das ist wohl Tagträumerei). Falls der HSV dann keine neuen „großen“ Namen kauft, sondern vielversprechende Talente bleiben die Erwartungen auch eher niedrig (Platz 12 wäre wohl jeder zufrieden).
Tja und wenn er keinen Erfolg haben wird? .. wird ihm das m.E. besser bekommen als wenn er bei einem Verein Misserfolg hat, der für Seriösität eher steht als der Hsv der vergangenen Jahre..
HK 13. April 2015 um 17:12
Du beschreibst da ein rational nachvollziehbares Szenario. Mag sein, dass Tuchel sich ebenso von diesen Gedanken leiten lässt.
Allerdings ist das Fußballgeschäft, vor allem in seiner medialen Ausprägung nunmal zutiefst irrational.
Und nichts ist so wahr und so gnadenlos wie der Spruch vom Fußball als Tagesgeschäft. Alles was du in Jahren erreichst und aufgebaut hast, zählt nach drei Niederlagen hintereinander gar nichts mehr.
Das kann gerade für einen Trainer der erst eine wirkliche Referenz vorweisen kann, extrem gefährlich werden. Gerade und vor allem wenn dir ein sog. Wundermann-Image vorauseilt. Fallhöhen zu konstruieren und auszunutzen = eine Kernkompetenz der Medienlandschaft.
Klar das Trainergeschäft ist immer riskant, aber m.E. würde sich für Tuchel was besseres finden. Und wenn man ggf. noch über die Saison hinaus etwas warten müsste.
C.H. 13. April 2015 um 16:49
Ich bin kein HSV-Fan. Ich seh‘ das völlig emotionsfrei. Ich seh‘ nach all den Jahren Erstligasiechtum nicht, dass man in der Lage war/ist/sein wird sich ohne echten äußeren Zwang zu reorganisieren.
Tuchel ist nur der nächste in einer langen Reihe Heilande ( Sammer ! Beiersdorfer ! van der Vaart ! Chelsea-Perspektivspieler ! Lasogga ! Uns Uwe spricht ! Aber Kühne mag lieber, dass …)
Früher oder später wird der HSV absteigen. Je später, desto verseuchter wird die Marke HSV sein, sodass sie weder für Fans, Sponsoren, kompetentes Personal noch Nachwuchsspieler noch interessant ist. (Man ist ja jetzt schon auf dem besten Weg …)
Das Eintrachtmodell hat funktioniert. Ausschlaggebend ist ja nicht die 2.Liga als Wundergesundbrunnen, sondern dass der HSV zu einer einheitlichen Zielsetzung (sofortiger Wiederaufstieg) gezwungen wird und dann konsequent und zweckmäßig seine Mittel dafür einsetzt und hoffentlich in der Lage ist, alles abzuwerfen was bremst.
Mein vollster Respekt, wenn die doch so’ne turnaround-Story wie der BVB hinkriegen.
Koom 13. April 2015 um 16:51
Als Mainzer bin ich ja durchaus auch etwas „biased“ in Bezug auf Tuchel (im Guten wie im Schlechten). Mal kurz etwas ausführlicher, was ich exakt meine:
Pro:
Tuchel ist ein fachlich erstklassiger Trainer, der mit jung und alt umgehen kann, Talente fördern kann und der Mannschaft variable Spielweisen beibringen kann. Er hat ein sehr starkes Ingame-Coaching, das sich durchaus mit den Besten messen kann. Er ist autoritär und ein harter Hund, trotzdem auch ein Motivator und Spielerversteher. Kommt man ihm quer, dann wird man aber auch gnadenlos fallen gelassen, denn das Team geht über alles. Das alles wird dem HSV extrem gut tun und schon aus dem bestehenden Kader (der so schlecht nicht ist) viel herausholen können.
Kontra:
Tuchel war in Mainz aktiv. Die Presselandschaft dort ist absolut harmlos und im Griff von Vereinsseite, da man seit Jahrzehnten eine klare, harte Linie fährt gegenüber Boulevardmedien und die Gerüchteküche auch kein kleines bißchen füttert. Und Tuchel ist kein Medienprofi. Er ist Lehrer und Fußballnerd, wird IMO gut beraten – aber er selbst ist keiner, der mit Kameras und Mikrofonen flirten kann (und jemals wird).
Mainz 05 hat seit Mitte der 90er, spätestens Anfang 2001 mit Klopp, eine Philosophie, von der nicht abgegangen wird. Heidel & Co. sichten und verpflichten Spieler, die in diese Philosophie passen und haben dafür eine Datenbank, die sensationell gut arbeitet. Es mischt sich keiner in die Trainerarbeit ein (schon gar nicht per Videoanalyse des Trainers!), trotzdem beobachtet Heidel sehr viel und versteht sehr viel. Effektiv musste Tuchel in Mainz nur Trainer sein, weil das ganze Gerüst drumherum extrem intakt war (und vermutlich auch vorbildlich für die meisten Vereine sein dürfte). Es gibt zudem einen Unterbau mit der 2. Mannschaft, die auf absolutem Topniveau arbeitet.
Fazit:
Fachlich findet er in Hamburg jetzt auch mit Peters und Beiersdorfer 2 (fachlich) gute Leute vor, wobei Ersterer allerdings seine Kompetenzen möglicherweise überschreitet. Er müsste dort vor allem anfangs sehr viel mehr sein als nur Trainer, weil er ein Konzept entwickeln muss, das kurz- und mittelfristig zum HSV passt (Peters, Knäbel & Co. scheinen das offenbar nicht hinzukriegen). Spielersichtung- und verpflichtung, Jugendarbeit, Spielvorbereitung, Videoanalyse – das alles muss er in Hamburg schaffen. Und der Verein hat aktuell kein Geld (aber möglicherweise zahlungswillige Sponsoren). Zuletzt verwendete man Anleihen für die Jugendarbeit zur Deckung aktueller Engpässe.
Dazu haben viele Verlagshäuser ihren Sitz in Hamburg, neben Bild noch die MorgenPost, die auf ähnlich unterirdischem Niveau arbeitet. Diese Medien sind nur schwer zu bändigen und schon die aktuell geleakten Vertragsinfos zeigen, dass in Hamburg sehr viel geredet wird. Fraglich, wie gut Tuchel das schmeckt.
Es ist also einerseits ein sehr reizvolles Projekt, weil Tuchel sich dort sehr verwirklichen kann. Allerdings auch eine ausgesprochen schwierige Umgebung.
Benj 13. April 2015 um 23:03
Sehe auch so:
Der Verein hat nicht nur einen großen Namen und Spieler mit dem Anspruch Bundesliga, sondern auch Manager und Verantwortliche, die das Selbstverständnis haben, HSV sei einfach ein Bundeligist. Wie diese Prozesse innerhalb der handelnden Personen ab, die die Grundlage der Restrukturierung bilden sollen, ist für mich das spannende.
Der HSV war Meistercup-Sieger, Meister, hat diverse andere Titel gewonnen und viele Starspieler und -trainer beherbergt, ist Landeshauptverein, hat ein Stadion, viele Fans, großen Namen, und spielt dann in der 2. Division: was ist das Selbstverständnis dieses Vereins und wie wirkt sich das aus? Wenn man dort meint, man müsse sofort in die 1. Liga zurück, und das kurzfristig durch einen finanziellen Kraftakt bewerkstelligen wollen, da wird der Verein morgen vielleicht über € 60 Mio Schulden haben, und dazu keine Perspektiven, wieder erstklassig zu werden. Da hilft nur ein Schnitt, um mit der Umstrukturierung es wieder eine positive Perspektive für den Verein haben zu können. Das Modell des politisch induzierten Zwangssponsorings hat dort ja offenbar nicht so funktioniert.