Türchen 16: Asier Illarramendi

Nach seinem millionenschweren Transfer kommt Asier Illarramendi bei Real Madrid noch kaum zum Zug, zeigte bei der U21-EM 2013 aber schon seine Genialität. Das Porträt eines besonderen Balancespielers.

Bei Real Sociedad gelang Illarramendi in der Saison 2012/13 der Durchbruch in einer Spielweise, bei der er als herauskippender Sechser die Angriffe aus der fluiden 4-2-3-1-Formation der Basken heraus eröffnete oder sie – etwas häufiger – als Übergangsakteur weiter nach vorne trug. Diese Einbindung wurde dem Spanier auf ambivalente Weise gerecht – zwar kamen seine bevorzugten, seitlich herum driftenden Muster im Bewegungsspiel gut zum Tragen, doch ist er eigentlich trotz seines intelligenten, teils vorgebenden, diagonalen Passpiels kein wirklich spielmachender Akteur, der von seinem Naturell her die entscheidenden, vorgebenden, direkt antreibenden Impulse im Aufbau- und Übergangsspiel setzt.

U21 Finale Formationen

Spaniens System im U21-EM-Finale gegen Italien

In dieser etwas druckvolleren Rolle wurde er bei den Weiß-Blauen jedoch benötigt und aufgrund des taktischen Fokus auf seine intelligent raumtreibenden Aktionen, die seine unterstützenden Fähigkeiten für das Anleiten von Aufrück- und Übergangssituationen nutzte, auch verhältnismäßig gut eingebunden. Dennoch zeigte er dann vor allem bei der großartigen U21-Europameisterschaft, als das spanische Team von Julen Lopetegui äußerst überzeugend den eigenen Titel verteidigte, sein Können in einer Art Paraderolle – als balancierender, durch den Raum gleitender und anpassender Sechser. Wichtig war dafür auch das grundlegende spanische System, das neben seinem Ballbesitz- und Bewegungsfokus formativ stärker als Dreiermittelfeld strukturiert, mit Leuten wie Thiago, Isco oder später auch Koke besetzt und obendrein noch von asymmetrischer Flügelanordnung ergänzt wurde – ein Kontext, in dem eben auch mehr und extremer zu balancieren war.

Die Umsicht des Balancegebers

Als Balancespieler verhinderte Illarramendi in dieser Ausrichtung zu übertrieben wirkende, monotone oder blockierende Nebenwirkungen von Synergien. Wenn ein Mittelfeldkollege nach hinten zurückfiel, orientierte er sich nach vorne und zog im Idealfall Gegenspieler weg, um Räume zu schaffen oder aufzublocken. Zusätzlich suchte er sich schnell eine Position, aus der er angespielt werden konnte und erzeugte somit eine leicht veränderte Stellung im Mittelfeld. Immer mal wieder war er zudem in die Ballverteilung eingebunden, agierte im tiefen Halbraum zuliefernd für die Kollegen und nahm dann phasenweise auch eine Aufgabe als passiver, unterstützender Ankerpunkt ein.

Spanien-Norwegen Halbraumüberladung

Illarramendi als Teil der passsicheren spanischen Ballbesitzspielweise und ihrer Verbindungen im Halbraum

Doch seine Rolle als Balancegeber beschränkte sich nicht nur auf das Aufbauspiel, sondern war universell angelegt und konnte von Illarramendi auch in höheren Zonen praktiziert werden. Vor allem fand er dabei immer wieder die exakt richtigen Räume zum Anbieten oder zum Besetzen, so dass er strategisch je nach Situation zwischen einer Aufgabe als passiver Raumfüller und einer sicheren Anspielstation wechseln konnte, die mit kurzen Ablagen dem gegnerischen Pressing die Dynamik sowie den Rhythmus nahm und insgesamt natürlich die eigene Ballzirkulation am Laufen hielt. Mit all diesen Aspekten war und ist er auch trotz seiner etwas staksigen Art für den spanischen Spielstil und deren „nationale Philosophie“ passend geeignet. So ist Illarramendi wie ein taktisches Zahnrad, das immer wieder in neuen Bereichen die Balanceposition zwischen den anderen einnimmt (siehe auch Szenengrafik weiter unten).

Vor allem die Bedachtheit und Umsicht im Bewegungsspiel stechen beim baskischen Mittelfeldmann als krasses Merkmal heraus. In dieser Hinsicht reicht er wie nur wenige an die fast einzigartige Detaildefinition in der Positionsfindung seines Mannschaftskollegen Modric heran. Dies hilft ihm, seine leicht staksige Art und kleinere technische Unsauberkeiten auszugleichen und dennoch eine enorme Pressingresistenz zu entwickeln. Ersterer Aspekt wird manchmal gar in eine ungewöhnliche Stärke verwandelt, wenn der Spanier durch seine Elastik zu spektakulär und körperlich seltsam anmutenden Ballsicherungen ansetzt oder enge Situationen gegen mehrere Gegenspieler auf unorthodoxe, staksige Weise auflöst.

Illarramendis Defensivstärke

Auch gegen den Ball verfügt Illarramendi über herausragende Qualitäten. Vor allem seine aufmerksame Antizipationsfähigkeit sticht beim manchmal etwas verträumt wirkenden Mittelfeldmann heraus. So erkennt er gegnerische Angriffsverläufe gut und passt frühzeitig seine Positionierungen im mannschaftstaktischen Kontext an, indem er beispielsweise leicht in Richtung potentiell wichtiger oder gefährlicher Zonen schiebt. Auch in kleineren Gegebenheiten zeigt sich die hervorragende Antizipation, bei der er sich leicht versetzt lauernd hinter pressenden Gegenspielern postiert, um dann – selbst gegen intelligente Akteure – kurze diagonale Zuspiele in scheinbare Zwischenlücken überraschend abzufangen – eine seiner Spezialdisziplinen. Ein ähnlich geschicktes Vorgehen mit dem Versuch, die vorhandenen Strukturen einer Situation gewitzt zum eigenen Vorteil zu nutzen, zeigt sich auch darin, dass er manchmal gerade ausgetragene Zweikampfsituationen leicht umläuft und dann seine Pressingaktion bereits in jene Richtung beginnt, wohin der ballführende Gegner sich durch Druck seines Mitspielers in jener spezifischen Situation bewegen wird.

Selbst gegen die katalanische Kurzpassmaschinerie von Barcelona machte er hier mit Real Sociedad schon starke Partien und wusste deren Ballsicherheit einige Male ungewohnt auf die Probe zu stellen. Schließlich überzeugt in tieferen Verteidigungsphasen auch Illarramendis Bewusstsein für die Absicherung der Halbräume als Verbindungszone, in der er teilweise auch mannschaftliche Unterbesetzungen und Schwachstellen ausgleicht. Mit starker Antizipation deckt er hier größere Bereiche teilweise im Alleingang ab und kann einzelne dynamische Gegnerbewegungen in den Raum hinein dann proaktiv abfangen. Nach solchen, teils fast artistischen Ballgewinnen sichert er das Leder zuverlässig und bei Bedarf auch spektakulär, so dass er diese Qualität im Verbund mit der Pressingresistenz nicht nur balancierend im Aufbau, sondern auch im Duell mit Gegenpressingversuchen des anderen Teams einsetzen kann.

Kleinere Einschränkungen eines tollen Spielers

Als weiterspielende und die Ballzirkulation indirekt stabilisierende, sich aber stets in seinen Positionierungen anpassende Durchlaufstation sucht Illarramendi oft die sofortige Anschlussbewegung und kann damit entsprechend eine durchgehende Anspielstation darstellen. Seine manchmal etwas drucklosen und fast labbrigen, aber auf unsaubere Weise doch sehr sanften  Bewegungsabläufe – ein wenig an Igor Denisov und Kevin Großkreutz erinnernd – passen dabei gut in dieses taktische Muster. Seine helfende und balancierende Spielweise realisiert sich also auf eine ungewöhnlich gemischte undominante und indirekte Art. Bei jenem U21-Turnier sorgten diese unpräsent antreibenden diagonalen Läufe in die Halbräume hinein – Zitat MR: „da ist er gerade geil gelaufen“ – für wertvolle Unterstützung der Mittelfeldkollegen und kurbelten dabei das Spiel indirekt an. Doch brachte er diese Aktionen manchmal gar noch zu inkonstant an und hätte sich in diesem Bereich häufiger aktiv zeigen können.

akalender 2014 illarra szene

Eine Szene aus dem Gruppenspiel gegen Russland bei der U21-EM: Illarramendi spielt auf Thiago, der an den zurückfallenden Muniain weitergibt. Illarramendi erkennt die fehlenden Offensivoptionen und startet einen längeren Lauf in den von Muniain selbst gelassenen Raum (blau). Ülülü-Illarra. Dort wird er von diesem innerhalb eines Dreiecks von Gegenspielern (rot) angespielt. Mit etwas Risiko hätte er direkt wider auf den sich erneut freilaufenden Muniain spielen können (grüner Bereich), entscheidet sich jedoch zunächst zu einer Weiterführung der Zirkulation mit Pass auf Montoya. Diese Situation war ein sehr deutliches Beispiel für die balancierenden Freilaufbewegungen und Positionierungen Illarramendis in verschiedenen Räumen, um den Kollegen eine Option für das Weiterspielen zu geben.

Dies war in manchen Phasen jenes Turniers einer der wenigen Kritikpunkte Illarramendi, tritt aber damals wie auch heute noch in eher wechselhafter Form auf. Entscheidender sind – neben Details wie einer Inkonstanz beim Timing und der Ausführung gewisser langer Bälle – eher zwei andere Schwächen, die das Bild des großartigen Balancespielers trüben. Zum einen trifft er – trotz seiner eigentlichen Konstanz in den Abläufen und unterstützenden Rhythmusstärke – einige schlechte Entscheidungen und bringt dann seine Mitspieler mal mit unpassenden Zuspielen in die Bredouille. Außerdem kommt es manchmal vor, dass er angefangene Kombinationen oder Teilzirkulation, die sich stark anließen und bei weiterem Verlauf noch weitere sehr gute Aussichten gehabt hätten, willkürlich und unnötigerweise ab- oder unterbricht, indem er den Ball hält statt die initiale Aktion laufen zu lassen oder – wie RM sagte – „einfach lustige Pässe“ spielt. In diesem Zusammenhäng wäre es zudem förderlich, wenn er eine etwas bessere, sauberere und konstantere Ballverarbeitung im ersten Moment hätte, was ihn manchmal leicht aus dem Rhythmus kommen lässt und dann gelegentlich zu solchen Reaktionen beiträgt. Zudem entstehen solche Fehler, wenn er beispielsweise gar zu viel Zeit hat, doch ansonsten führt er eben seine Paraderolle als sich anbietender Balancegeber meistens zuverlässig und lobenswert aus.

Isco 16. Dezember 2014 um 14:42

Da hätte ich aber einige andere vor ihm erwartet 🙂

Sehr schöner Artikel, Illarra ist auch einer meiner Favoriten. Ich mag ihn eigentlich schon seit seinen Anfängen bei La Real, aber so richtig beeindruckt hat er mich erst, als ich ihn live im Stadion gesehen habe, er hat ja schon etwas auffallend unauffälliges an sich (weshalb er wahrscheinlich auch von der Breiten Masse unterschätzt wird..).

Eine Inkonstanz beim Timing und bei der Ausführung von langen Bällen hätte ich eigentlich noch nicht erkannt, eigentlich finde ich beides sogar sehr gut bei ihm. Lange Bälle sind kein Mittel zu dem er häufig greift, aber wenn er es doch tut, dann sehr anständig.
Generell gefällt mir sein Passspiel sehr, speziell seine Dosierung sucht seinesgleichen.

Das einzige was ich an ihm nicht gefällt ist, dass er oft zu lange braucht sich zu einem Pass durchzuringen, bis der Spieler wieder zugestellt ist und er abdrehen muss. Ich kann mir bei ihm gut vorstellen, dass das mit regelmäßigen Einsätzen und mehr Selbstbewusstsein noch einmal anders aussehen würde, aber mit Kroos-Modric hat er halt eine nicht ganz kleine Konkurrenz.

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Credo 16. Dezember 2014 um 14:20

Ich verehre Illarra, ein genialer Spieler mit herausragenden Fähigkeiten in defensiven Kontersituationen, sehr gute Antizipation und gutes Tackling.
Es ist wirklich sehr schade, dass er seit schon über einem Jahr auf der Bank sitzt und unregelmäßig spielt.

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LMey 16. Dezember 2014 um 13:47

Ich traue mich garnicht zu gucken, ob ich ihn in meinem Tipp habe, weil er mein absoluter Lieblingsspieler (ja, ich weiß, komischer Geschmack 😉 ) ist und ich werde mich wahrscheinlich eh nur schwarz ärgern.

Danke. Danke. Danke für diese Darstellung. Mich wundert jedoch etwas, dass die herrausragenden Zweikampf- und Passstatistiken, die er erreicht, nicht genutzt wurden. Auch an Background war es mir, wie schon in einigen vorherigen Türchen, etwas zu wenig.

Es ist halt manchmal ein zu „krasser“ Unterschied zwischen den einzelnen Türchen. Einige beleuchten, mit Videos und Statistiken gefüllt, eine halbe Karriere, andere beschreiben lediglich den Spielstil.

Trotzdem schafft ihr es, dass jeder noch so verrückte Blick über den Tellerand, jeder Beitrag über Trainingstheorien, Bundesligaspiele die mich eigentlich garnicht interessieren, usw. zu meiner täglichen Mittagslektüre zählen.

Großartige Arbeit! Hoffentlich bleibt ihr so wie ihr seid. Ich habe immernoch etwas Angst, dass ihr mit steigender Bekanntheit in den Mainstream rutscht. Der BVB- und Bayern-Fokus war ein erstes bedenkliches Anzeichen. Aber noch bin ich Optimist. Und ich muss an dieser Stelle auch mal danke sagen, dass eure unorthodoxe Herangehensweise mich selbst als Fußballer gezeichnet hat. So habe ich tatsächlich den klischeehaften Weg vom Winger zum 6er gemacht, und fühle mich – ganz nach eurem Credo – total Missverstanden, da die Arbeit im Raum unterklassig einfach „übersehen“ wird. Das regt mich sogar so sehr auf, dass ich jetzt mit meinem Trainerschein begonnen hab. Ein gewissen Porträt von einem ehem. Amateurtrainer der es bis in die Bundesliga gebracht hat ermutigte mich tagträumerisch wie ich bin zu dieser Entscheidung :p.

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MR 16. Dezember 2014 um 14:57

Vielen Dank für die lobenden Worte.

Den BVB- und Bayernfokus haben wir übrigens schon immer, weil wir in großen Teilen halt selber Fans der beiden Vereine sind. Bayernfokus hat sogar ziemlich nachgelassen, meine ich.

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LMey 16. Dezember 2014 um 15:37

Akzeptiert. Schätze ich ähnlich ein, das Nachlassen. Und der BVB Fokus ist ja derzeitig auch völlig berechtigt.

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Todti 16. Dezember 2014 um 13:10

Juhu, ich hatte gehofft, dass es Illarra wird. Ich fand, damals bei der U21-EM war er trotz Thiago und Isco (und Koke) der beste bzw. wichtigste Spieler der Spanier. Kann aber auch daran liegen, dass ich diesen Spielertyp so unglaublich geil finde.
Schade, dass er bei Real nicht zum Zug kommt, wenn dann spielt er meistens mit Isco und Kroos/Modric zusammen. Ich hoffe ja immer, dass man mal die Kombination Illarramendi, Kroos und Modric sehen kann. Aber das wird wohl bei Real nichts werden, oder?

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Isco 16. Dezember 2014 um 14:07

Zumindest nicht solange alle fit sind. Wenn sich bspw. Ronaldo verletzt kann ich mir theoretisch schon eine Umstellung auf ein 4-3-3 vorstellen, aber selbst da würde Carlo wohl eher Isco oder James als höhere Acht einbauen.

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Gh 16. Dezember 2014 um 08:33

„meistens zuverlässig und lobenswert“ oh, das habt ihr aus meinem Grundschulzeugnis geklaut… ich weiß, was das wirklich bedeutet!!

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SL 16. Dezember 2014 um 00:25

Mit Illarramendi hätte ich nun wirklich nicht gerechnet, aber der Artikel ist wirklich sehr lesenswert.
Ich bin gespannt, ob er es schafft, sich in Zukunft mehr Spielzeit zu erkämpfen.
Wobei mich das, speziell nach der Rückkehr Modrics doch überraschen würde.

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