Confed-Cup-Vorschau: Brasilien
Von Sommerpause keine Spur: Ein Jahr vor der Weltmeisterschaft in Brasilien findet der obligatorische Confederations-Cup statt. Als Einstimmung auf die WM-Generalprobe stellen wir die grundlegenden Konzepte der Teams und taktische Varianten vor.
Auch der Confed-Cup hat für die Brasilianer eine große Bedeutung und das liegt nicht allein an der Tatsache, dass das größte Land Südamerikas der Gastgeber ist. Bereits die letzte Ausgabe dieses Turniers vor vier Jahren wurde ernst genommen und dann auch gewonnen. Für das olympische Fußballturnier vor einem Jahr in London mobilisierte Brasilien ebenso alle verfügbaren Kräfte, was den Stellenwert solcher Wettbewerbe unterstreicht.
Personaldiskussionen und Defensivspiel
Nach der Entlassung von Nationaltrainer Mano Menezes hat seit Ende November wieder der bekannte Luiz Felipe Scolari das Sagen, der Brasilien vor mittlerweile 11 Jahren den bis heute letzten Weltmeistertitel beschert hat. Mit Carlos Alberto Parreira steht ihm überdies der Titelträger von 1994 in beratender Funktion zur Seite. Auf Basis einer weitgehend normalen 4-2-3-1-Grundformation haben die beiden die eine oder andere umstrittene Personalentscheidung getroffen und zum Beispiel keinen Legionär aus der ukrainischen Liga berücksichtigt.
Mit Thiago Silva, David Luiz, Dani Alves und Marcelo verfügt die Selecao in personeller Hinsicht über eine enorm starke Abwehrkette. Die große individuelle Klasse in der Verteidigung ist auch durchaus vonnöten, wenn man sich die Ausrichtung der brasilianischen Mannschaft gegen den Ball anschaut: Grundlegend wird die 4-2-3-1-Formation beibehalten und mit einem recht normalen Mittelfeldpressing inklusive Mannorientierungen auf den Außenbahnen verbunden. Wenn der Gegner die brasilianischen Linien überspielen und im Zuge dessen aufrücken kann, rückt die Offensive nicht kollektiv mit zurück, sondern es wird eine zweigeteilte Mannschaft in Kauf genommen und zwei bis vier Akteure dürfen sich ein riskantes Zocken leisten. Besonders im Testspiel gegen die Franzosen war dieses Phänomen zu erkennen. Der verbliebende Defensivblock baut dann auf eine enorm enge Stellung und die Strafraumverteidigung der starken Einzelspieler.
David Luiz als Sechser? Was wird mit Paulinho und Hernanes?
Dennoch holt die voraussichtliche Stammbesetzung der Viererkette nicht das Optimum aus dem Kader heraus, da mit Dante einer der besten Innenverteidiger der Welt nur auf der Bank Platz nehmen kann. Es wäre eine sinnvolle Überlegung, dem Bayern-Spieler eine Position in der ersten Elf zu gewähren, indem David Luiz ins defensive Mittelfeld geschoben wird.
Dieser Zug könnte mehrere positive Aspekte mit sich bringen, da nicht nur die individuelle Qualität in der Startformation erhöht werden würde, sondern auch in der Teambalance sich einige Verbesserungen erzielen ließen. Schließlich scheint David Luiz generell als Sechser besser aufgehoben, da er in der Innenverteidigung häufig zu plump auf wegziehende Läufe von gegnerischen Stürmern reagiert und damit zu große Löcher in der Verteidigung hinterlässt. Weiter vorne kann er stattdessen rigoros aufräumen, seine Ballsicherheit und Ballverteilung einbringen und gelegentlich durch die eine oder andere spektakuläre Aktion für Torgefahr sorgen.
Ohnehin hat Scolari noch nicht den passenden Mittelfeldpartner für Hernanes gefunden, auch wenn Gremios Fernando durchaus interessante Anlagen demonstrierte. Bayerns Luiz Gustavo glänzte zuletzt im Stillen, soll aber scheinbar nicht auf der halbrechten Position vor der Abwehrkette eingesetzt werden, während die Aufstellung von Paulinho neben Hernanes als zu offensiv aus dem Rennen schied. Eventuell könnte der Mann vom Weltpokalsieger Corinthians auch als zentral-offensiver Mittelfeldspieler der Dreierreihe agieren und dabei seine Vorstöße einbringen – dies hätte den Vorteil, dass Paulinho und Hernanes gleichzeitig im Team agieren würden, allerdings auch den Preis, einen Spieler aus der Offensive zu opfern.
Viele Veränderungen der genauen Offensivaufstellung
Dort wird es aber wohl auf eine Flügelbesetzung aus Lucas Moura oder Hulk (rechts) und Óscar (links) hinauszulaufen, wobei Letzter sicherlich viel mit dem als eine Art Zehner spielenden Neymar rochieren dürfte. Ganz besonders in den Testspielen gegen Italien, Russland und England wurde Barcas Neuverpflichtung in eine zentralere Rolle geschoben, wo er – ähnlich wie Pelé in seiner großen Zeit – mehr Freiheiten erhalten, aber gleichzeitig auch mehr Verbindungen knüpfen sollte. Interessant wird es werden, ob einer der Offensivspieler für eine phasenweise Pärchenbildung mit Neymar sorgen soll, wie es Hulk im Testspiel gegen England machte. Eventuell kommt Mittelstürmer Fred auch dafür infrage, der individuell nicht zu den besten Akteuren gehört, allerdings einen Mehrwert bilden kann, wenn seine Rolle auf die Offensivkollegen ausgerichtet wird. Traditionell lebt das brasilianische Spiel davon, den Topspielern Freiheiten zu erzeugen und sie in aussichtsreiche Positionen zu bringen – zuletzt war dies nicht konsequent genug der Fall, was besonders gegen die „Three Lions“ in einem Haufen ungefährlicher und geblockter Torabschlüsse aus mittelmäßigen Lagen mündete.
Möglicherweise überrascht Felipao, wie der Nationaltrainer in Brasilien genannt wird, sogar alle und zaubert eine Formation mit Dreierkette aus dem Hut – in einer variablen 3-4-2-1-Aufstellung holte er 2002 den Titel. Dabei könnte er wie damals mit aufrückendem Innenverteidiger agieren lassen, eine klassische Dreierkette aufstellen oder eine asymmetrische Variante mit unterschiedlichen Außenverteidigern wählen. Letzteres gab es in der Schlussphase des England-Testspiels im Ansatz zu sehen: Marcelo schob bei Ballbesitz viel weiter vor und bildete als Linksaußen das Pendant zu Lucas, während Dani Alves in eine spielmachende Position einrückte. Situativ verschob er sich zwischen Abwehr- und Mittelfeldlinie – dann als halbrechter Achter – und unterstützte den Aufbau, wie er es manchmal auch bei Barcelona macht.
Vielleicht macht Scolari auch noch etwas ganz anderes, denn Überraschungen und Veränderungen scheinen derzeit nie ausgeschlossen. Im letzten Test vor dem Start des Turniers, am vergangenen Sonntag gegen Frankreich, war genau dies der Fall, als die grundlegenden Mechanismen des 4-2-3-1 der vorigen Spiele über Bord geworfen wurden: Nun durfte Óscar als engagierter, antreibender und überall unterstützender Zehner agieren, während Neymar – zuletzt der Fixpunkt in der Feldmitte – in einer überraschend breiten Position halblinks aufgeboten wurde. Dort sollte er individuelle Dribblings suchen, zur Grundlinie ziehen, am zweiten Pfosten auf Flanken warten oder nach Verlagerungen freigespielt werden. Zwischendurch trieb er sich auch mal in der Mitte herum, doch meistens agierte Neymar so breit, dass der invers spielende Marcelo ihn bei Vorstößen vorderlief – auf diese zog der Mann von Real Madrid auch einen Elfmeter.
Fazit und Ausblick
So schwer vorauszusehen wie die genaue Ausrichtung, die Felipao und sein Berater Parreira letztlich wählen werden, ist eine Prognose auf das Turnier. Wie stark Brasilien einzuschätzen ist, lässt sich kaum sagen. Einerseits dürfte der Pessimismus vieler Beobachter etwas übertrieben sein, denn ganz so weit entfernt ist die Selecao von der Weltspitze nicht. Andererseits haben sie zuletzt eben keine Spiele unter Wettkampfbedingungen gehabt und nun eine ziemlich kniffelige Gruppe vor der Brust.
19 Kommentare Alle anzeigen
Christian Haslbeck 15. Juni 2013 um 12:36
Mir gefällt besonders die Variante mit Dante in der Innenverteidigung und David Luiz auf der Sechs. Einerseits hat Dante durch konstant überragende Leistungen bei den Bayern bewiesen, dass er auf absolutem Top-Nivaeu eine Abwehr stabilisieren kann. Und auf der anderen Seite kann man mit der Aufstellung Luiz‘ im DM das Problem eines fehlenden starken, auf internationalem Niveau agierenden Spielers auf dieser Position ausmerzen.
Wir können gespannt sein was Felipao (wieder etwas gelernt) aus dem Hut zaubert! Ich freu mich richtig, dass es los geht heute!
Terminus 15. Juni 2013 um 13:27
Ist David Luiz im DM wirklich stärker einzuschätzen als Gustavo? Ernst gemeinte Frage, weil ich die Premier League aus Zeitgründen nicht live verfolge und ihn eigentlich eher als IV kenne. Gustavo kenne ich von den Bayern aber als sehr souveränen Abräumer, gerade in der Saison 2011/2012 hat er da doch teilweise überragende Leistungen gebracht. Von daher frage ich mich schon, ob im Zweifel irgendwas konkretes gegen Dante neben Thiago Silva und Gustavo im DM sprechen sollte – oder ist Luiz so gut/so wichtig, dass der immer spielen muss?
Jonasx3 15. Juni 2013 um 11:36
was ist denn eigentlich mit ramires? ist der nicht im kader / wäre der nicht stärker einzuschätzen als luiz gustavo?
TR 15. Juni 2013 um 12:31
Wurde wegen Disziplinlosigkeiten nicht berücksichtigt.
WM2014-Infos 13. Juni 2013 um 16:15
Tolle Analyse und tolle Seite …die hatten wir noch gar nicht gekannt ;/
In zwei Tagen geht’s schon los mit dem ConfedCup. Wir sind gespannt und sehen uns nach vor dem Fernseher 🙂
Lino 13. Juni 2013 um 09:34
Warum in aller Welt ist eigentlich Adriano nicht dabei??? Das ist scheinbar einer der am meisten unterschätzen Außenverteidiger der Welt. Zudem ist der beidfüßig und kann bei Bedarf als Innenverteidiger oder Außenstürmer spielen. Gerade bei einem Turnier sind solche Spielertypen doch eigentlich von unschätzbarem Wert.
messanger 13. Juni 2013 um 14:27
Frag doch mal Gonzalo Castro, der müsste es wissen.
JAS 11. Juni 2013 um 20:26
Danke fuer die Darstellung, TR. Nur: ich habe in allen Spielen von Brasilien, die ich im letzten Jahr gesehen habe Neymar immer auf dem linken Fluegel gesehen. In den Spielen die ich gesehen habe, war bis zum England Spiel ne laengere Pause drin. Und da war ich ueberrascht, ihn in der Mitte zu sehen. Seit wann spielte Neymar denn in etwa zentral?
TR 13. Juni 2013 um 09:55
So circa seit Beginn des Jahres, schon bei den ersten beiden Testspielen 2013 – die waren allerdings erst Ende März – spielte er beide Male zentral.
Daniel 11. Juni 2013 um 13:38
Welche Stars aus der Ukraine nehmen die Herren denn nicht mit, die in dieser Mannschaft einen Unterschied machen könnten?
RM 11. Juni 2013 um 13:39
Fernandinho.
Daniel 11. Juni 2013 um 13:44
Kann ich nix mit anfangen, sorry 😀
RM 11. Juni 2013 um 13:54
Hier gibt es etwas zu ihm und hier gibt es etwas zu Shakhtar. Ein Leser postete im Zuge des Dortmund-Spiels auch ein nettes Lob zu Fernandinho.
Daniel 11. Juni 2013 um 14:18
Super, danke sehr. Bin ein Noob was die Fussball Lehre sowie das treten gegen den Ball angeht, kann eigentlich nix ^^Aber dieser Blog hier ist so Interessant, und gut zu lesen (selbst für absolute Anfänger)
Dazu dann noch wie gerade eben die schnelle Hilfestellung zu einzelnen Spielern.
Extrem grosses Lob an alle Beteiligten, auch an die anderen Leser, ohne dessen Intelligente Kommentare so mancher Beitrag nur halb so Interessant wäre.
Abschließende Frage:
Warum nimmt der Trainer einen so viel Versprechenden Spieler nicht mit? 🙂
sharpe 11. Juni 2013 um 14:24
da Fernandinho ja jetzt zu ManCity gewechselt ist (35 Mio), wird er auch gute Chancen auf die WM nächstes Jahr haben. Also ich sehe ihn bei der WM in der Startelf. Ein wirklich aussergewöhnlich guter Spieler.
GH 11. Juni 2013 um 14:30
Die Brasilianer haben oft ganz eigene Vorstellungen.
Pele meinte beispielsweise vor kurzem, die Nationalmannschaft sollte nur mit Legionären, besonders von Corinthians Sao Paolo, gefüllt werden.
Auch die Bayern-Brasilianer-Problematik lässt einem doch in einem verwirrten Zustand zurück. Selbst nach den Verteidigungsversuchen von Scolari.
Generell glaub, ich dass die Brasilianer im Allgemeinen nicht so viel Gutes von der ukrainischen Liga halten. Natürlich ist Shaktar ein sehr guter Markt für junge Brasilianer. Auch Russland ist ein häufiges Ziel. Aber eben nicht für die „Creme de la Creme“, wenn ich das so mal sagen darf.
Natürlich ist ein Fernandihno sehr gut. Weshalb Scolari ihn nicht mitgenommen hat, frag ich mich auch.
Ich glaube aber gleichzeitig, dass sich das nun mit dem Wechsel zu ManCity ändern dürfte. Selbst wenn Scolari der Spieler nicht gefällt, er jedoch jetzt bei ManCity eine hervorragende Saison spielt, dürfte an ihm kein Weg mehr vorbei führen.
RD 11. Juni 2013 um 08:51
Kommt eine Analyse über jeden Teilnehmer des Confed-Cups?
das wäre mega, vorallem an Japan wäre ich interessiert 😀
Bin sehr gespannt welche Formation die Brasilianer aufs Feldschicken und wie sehr Neymar gewinnen will
Beitrag wie immer sehr lesenswert 😉
TR 11. Juni 2013 um 11:35
Ja, wir werden voraussichtlich alle 8 Teams beleuchten – immer zwei pro Tag. Japan kommt dann heute so am Nachmittag. 😉
RD 11. Juni 2013 um 11:40
Hooray! 😀