Adventskalender Türchen 14: Daniel Carvajal
Er dürfte einer der Neueinkäufe sein – und mit etwas Pech ist er bald wieder weg. Daniel Carvajal kam von Real Madrid, er ist einer jener Nachwuchsspieler Reals, der sein Glück bei einem anderen Verein sucht. Aufmerksam auf den Rechtsverteidiger der „Castilla“ wurde Bayer Leverkusen, die einmal mehr ein glückliches Händchen bewiesen; Carvajal entwickelte sich zu einem der Schlüsselspieler bei den Leverkusenern.
Vor zehn Jahren wechselte Carvajal in die Jugend von Real Madrid, wo er die Nachwuchsmannschaften durchlief. 2010 erhielt der 18jährige erste Einsätze in der zweiten Mannschaft, doch auch nach 68 Partien durfte er nicht in der ersten Mannschaft debütieren. Die Konkurrenz war zwar nicht zu groß – mit Alvaro Arbeloa gibt es nur einen wirklichen Rechtsverteidiger im Team, sein Ersatz ist Stamminnenverteidiger Sergio Ramos -, das nötige Vertrauen wurde ihm dennoch nicht entgegengebracht.
Durchaus einer der wenigen Fehler, den Real Madrid nicht bereuen wird. Immerhin verfügen sie über eine Rückkaufoption bis 2015, die mit 6,5 Millionen Euro ein Spottpreis werden dürfte. Die herausragenden Leistungen Carvajals rechtfertigen nämlich weit mehr, in seiner aktuellen Form dürfte der junge Spanier wohl der beste Rechtsverteidiger der Liga sein.
Carvajal übernimmt dabei überraschenderweise eine Rolle, die auch Marcelo bei seinem Ex-Verein auf der gegenüberliegenden Seite spielt. Offensiv ist er ein freies Radikal, defensiv überzeugt er durch seine Dynamik, intelligentes Rückwärtspressing und passendes Zurückkehren auf seine Position im Defensivverbund nach seinen gefährlichen Ausflügen.
Dabei hat er – einmal mehr – einige wunderbare Parallelen zum wohl besten Linksverteidiger im Business, dem schon erwähnten Marcelo. Beide sind keine sturen Linienläufer und Flankengeber, sondern überzeugen in mehreren Aspekten, ob spielerisch oder taktisch.
Eine der großen Stärken ist das richtige Timing beim Hinterlaufen sowie das „Vorderlaufen“. Oftmals nutzt Carvajal die Asymmetrie im Offensivsystem Bayers, wo der rechte Außenstürmer etwas breiter steht, als Schürrle auf links, und schiebt in diese Löcher hinein. Das ist enorm schwierig zu verteidigen, weil bei einer positionsorientierten Raumdeckung die Schnittstellen angelaufen werden und bei einer mannorientierten Raumdeckung zusätzlich das Übergeben kommunikativ erschwert wird.
Im Endeffekt bedeutet das, dass die klassische Positionierung der jeweiligen Außenspieler bespielt wird. Die engere Viererkette in der Abwehr, wo der Außenverteidiger sich am gegnerischen Flügelstürmer und die breitere Mittelfeldkette, wo sich seitlich Carvajals Gegenspieler befindet, wird ad absurdum geführt. Der breitere Carvajal zieht diagonal nach innen und auf den Außenverteidiger zu, während der Flügelstürmer nach außen geht und den Raum öffnet. Dadurch kann diser einen relativ einfachen Linienpass spielen und Carvajal geht ins Laufduell mit dem taktisch (und oftmals spielerisch) unterlegenen Gegenspieler.
Im weiteren Angriffsverlauf kann er dann Richtung Tor ziehen, den Ball zwecks Kombinationen nach innen spielen, aus einer tornahen Position effektiver flanken oder gar präzise Pässe in den Rückraum spielen. Kein Wunder, dass Leverkusen mit klar über 40% der Angriffe über rechts kommt, wobei der Unterschied zur anderen Seite sehr groß ist – über diese Seite kommen nur knapp 30% der Angriffe.
Dass dies hauptsächlich an Carvajal liegt, zeigt auch die Schussrichtungsstatistik. Wären die Angriffe primär über rechts von einem Flügelstürmer geführt, dann müsste auch die Anzahl der Abschlüsse aus diesem Bereich relativ hoch oder zumindest über dem Durchschnitt sein. Bayer liegt aber in dieser Statistik auf dem 14. Rang in der Bundesliga, ähnlich wie auf der linken Seite – wo Schürrle seine Position oftmals verlässt und nach innen zieht, um von dort abzuschließen.
Doch nicht nur offensiv überzeugt Carvajal, auch defensiv steht er für das Auge wie für die Zahlen gut da. In seinen ersten zwölf Spielen für Leverkusen ließ sich Carvajal nur ein einziges Mal pro Partie ausspielen. Sogar gestandene offensivorientierte Außenverteidiger wie Fuchs (1,9), Fagner (1,9), Sakai (2) und Piszczek (1,2) hatten hierbei höhere Werte, als der 20jährige Neuankömmling. Er fängt auch über 3 Pässe pro Spiel ab (3,6) und hat eine beträchtliche Anzahl erfolgreicher Tacklings (3,4).
In letztem Aspekt ist er dabei der sechstbeste Akteur aller Außenverteidiger (hinter Fagner, Jantschke, Pinola, Pospech und Schmidtgal in dieser Reihenfolge) und ist mit Fagner wohl der offensivste von allen. Bei den Passunterbrechungen liegt er gar auf Platz drei, hinter Sorg und Cherundolo. Dafür ist er offensiv allen dieser Akteure (exkl. Fagner) überlegen, was sich bspw. im Dribbling (1,9 pro Spiel, knapp hinter Oczipka und Fagner) und bei den Vorlagen zeigt (vier Vorlagen, nur hinter Oczipka und Standardschützen Fuchs).
Doch weg von den Zahlen, wir haben hier keinen Statistikkurs, es geht um Fußball – und kaum jemand verkörpert den aktuellen Leverkusener Stil so wie Carvajal. Schlagwörter wie fleißig, zurückhaltend, bescheiden und ehrgeizig mögen klischeehaft, doch damit hat Carvajal die Herzen der Leverkusener Fans im Sturm bzw. in der Abwehr erobert. Bestenfalls ist er den Königlichen trotz seiner Technik nicht edel genug und bleibt den Leverkusenern über den Sommer hinaus erhalten. Der Bundesliga wäre es zu wünschen.
19 Kommentare Alle anzeigen
Pep 19. Dezember 2012 um 09:58
> Carvajal übernimmt dabei überraschenderweise eine Rolle, die auch Marcelo
> bei seinem Ex-Verein auf der gegenüberliegenden Seite spielt
Er übernimmt natürlich die Rolle, die ihm von Lewandowski vorgeschrieben wird. Das klingt hier so als spiele er so wie er es gerne hätte / wie er es am besten nach Real schafft.
> Doch weg von den Zahlen, wir haben hier keinen Statistikkurs,
> es geht um Fußball
Gehört doch zwingend dazu 😉
myfuba 14. Dezember 2012 um 20:22
Carvajal hat sicherlich bisher überzeugt, aber ihn in einem Atemzug mit Lahm oder Alaba zu nennen, halte ich für verfrüht. Mann muss halt sagen, dass er prerfekt ins Leverkusen passt, aber das heißt nicht, dass er auch in anderen Systemen funktionieren würde. Außerdem profitiert er eine Menge von Bender und Castro, die beide auf seiner Seite spielen. Bender übernimmt viel Defensivarbeit und Castro ist offensiv auch ein genialer Mitspieler.
Ich denke auch nicht, dass wir Carvajal schnell in Madrid sehen werden (außer Bayer kommt in die CL), da er einfach nicht so gut ins System passt. Er würde viel besser zum FC Barcelona passen.
Er ist zweifelohne ein genialer Kicker mit großem Potenzial, aber lasst ihm noch etwas Zeit und er wird noch besser.
GH 14. Dezember 2012 um 20:47
Wieso würde er nicht zu Real passen?
Gerade für Real wäre er prädestiniert, da man dann auf beiden Seiten 2 spielstarke Außenverteidiger hat.
Es wurde doch sogar im Artikel geschrieben, dass er als gegenüber von Marcelo passen würde.
RM 14. Dezember 2012 um 21:29
Eventuell meinte er es sogar deswegen, weil ein identisches Gegenüber zu Marcelo aus Balancegründen womöglich zu offensiv wäre?
GH 14. Dezember 2012 um 22:28
wäre eine Möglichkeit.
Doch ich würde eher davon ausgehen, dass man dann Khedira defensiver spielen lässt um so die Ausflüge abzusichern. Noch dazu wäre es sicher nicht verkehrt, 2 unerschiedliche Rechtsverteidiger zu besitzen.
myfuba 14. Dezember 2012 um 23:56
Dann würde man das Sytem aufgrund eines jungen spanischen rechtsverteidigers änder, der lediglich ein paar Profispiele gemacht hat. Das glaube ich nicht. Auch wenn Carvajals Stärke unbestritten ist.
Pep 19. Dezember 2012 um 09:57
Nur weil ein Spieler in ein System passt kann man ihm nicht seine Fähigkeiten schlecht machen. Und alle erfolgreichen Spieler profitieren von ihren Mitspielern. Aber klar, man findet immer irgendwelche Punkte. Carvajal spielt halt nunmal nur in Leverkusen und hat keine CL Erfahrung. Aber wie Löw schon sagt es zählt das Potential und nicht die Erfahrungen. Denn gerade die Erfahrungen werden auch maßgeblich wie selbst von dir genannt von Mannschaft und Mitspielern geprägt.
Boba 14. Dezember 2012 um 14:20
Carvajal ist ohne Zweifel ein toller Spiel. Aber man darf nicht vergessen, dass er erst seit dieser Saison als Stammspieler in einer der besten europäischen Ligen spielt. Ein Vergleich zu Piszczek oder gar Marcelo ist daher ziemlich abwegig. Dazu muss er einfach noch beweisen, dass er deren Konstanz erreicht. Man merkt seine Unerfahrenheit schon allein daran, dass er Schwierigkeiten hat auf aggressives Pressing oder Gegenpressing zu reagieren.
Er wird mir im Augenblick in allen Medien etwas zu hoch gejubelt. Als er sich beispielsweise letzten Wochende aufgrund eines schlechten Stellungsspiels und einer gehörigen Porition Hemdsärmeligkeit den Ball abluchsen ließ, konnte Huszti nur noch mit einem Foul im Strafraum gestoppt werden – er verwandelte zum entscheidenden 3 : 2. In der Sportschau, den Zeitungen und elektronischen Medien wurde der Gegentreffer aber nicht Carvajal sondern Reinartz angelastet, der den Elfmeter verschuldete.
Natürlich: ein toller Spieler mit wahnsinnig Potenzial. Er wird es möglicherweise auch aufs absolute Topniveau bringen. Vorausgesetzt er arbeitet an seinen Schwächen und lässt sich nicht von dem Medien- bzw. Spielverlagerungshype den Kopf verdrehen.
RM 14. Dezember 2012 um 14:23
Dass er deren Qualität nicht besitzt, dürfte klar sein – es ging hier um die taktische Spielweise, insbesondere diese diagonalen Laufwege und das „Vorderlaufen“.
Till 14. Dezember 2012 um 16:52
„… in seiner aktuellen Form dürfte der junge Spanier wohl der beste Rechtsverteidiger der Liga sein“
Das scheint mir aber schon klar zu sagen, dass er besser als Lahm oder Piszczek ist. Was ich stark anzweifle. Auch Alaba sehe ich in seinen wenigen Spielen in dieser Saison klar besser, habt ihr ihn (Alaba) nicht neulich noch als den besten Spieler seines Jahrgangs bezeichnet? Oder war das wo anders?
RM 14. Dezember 2012 um 19:43
Gut möglich, aber
a) es geht um die Form, nicht die grundlegende Qualität (und der Beitrag ist schon die ein oder andere Woche alt).
b) Alaba ist Linksverteidiger.
Piszczek und Lahm sind sicherlich die prinzipiell besten, aber rein von der Form her fand ich Carvajal insbesondere zu Saisonbeginn eigentlich am besten.
gerrit 14. Dezember 2012 um 13:54
Auf wessen Statistiken greit Ihr zu? Kann man das irgendwie nachlesen?
Jx 14. Dezember 2012 um 14:23
Entweder von http://www.bundesliga.de oder http://www.whoscored.com. Da findet man eigentlich alle wichtigen Statisiken für die Bundesliga.
MarcL 14. Dezember 2012 um 12:36
Ich habe das Gefühl Carvajal ist genau das was Leverkusen lange aus Castro machen wollte. Es wäre echt schade wenn er bald wieder weg ist, aber es scheint mir logisch das Real (Gesetz dem Fall Cafvajal bleibt auf diesem Niveau) das Rückkaufsrecht nutzt.
ZeugeYeboahs 14. Dezember 2012 um 12:10
Interessanter Artikel – vielen Dank! Carvajal ist mir in dieser Saison vor allem durch seine bärenstarke Physis und Laufbereitschaft aufgefallen. Robust, schnell, ausdauernd, zweikampfstark. Aus Neugier, wie schätzt ihr Frankfurts Sebastian Jung innerhalb eurer Statistiken als RV ein? Er wird ja durchaus sehr gelobt in einigen Artikeln seit dieser Saison…
Eine Anmerkung/Frage hätte ich noch: Seht ihr/siehst du Marcelo wirklich als so stark? Dass er quasi gleich zum besten LV der Welt gekürt wird? Ich persönlich halte ihn für zu undiszipliniert und chaotisch, um ihn (trotz seiner Physis und Dynamik) ganz weit oben zu sehen…
blub 14. Dezember 2012 um 14:05
Marcelo ist vielleicht der beste aber nur weil alle anderen schlechter sind.(die konkurrenz ist relativ bescheiden, Alaba ist imo auf dem gleichen niveau, defensiv aber klar besser)
Er profitiert davon, das Reals spiel ihm entgegen kommt und CR viel aufmerksamkeit zieht, sodass Marcelo überproportional viel platz und Zeit hat.
Defensiv sieht der egentlich immer schlecht aus wenn er auf Mannschafen und Gegenspieler ähnlicher stärke trifft.
Gegen Dortmund hätte da defensiv kaum ein unterschied zu Essien bestanden.(offensiv sehr wohl!)
DAF 14. Dezember 2012 um 16:21
Wenn Alaba auf dem gleichen Niveau, aber defensiv klar besser ist, dann ist doch Alaba der bessere, oder? 😉
Ansonsten finde ich auch dass Carvajal doch etwas zu stark gelobt wird. Er ist ein überragendes Talent, aber um bester Rechtsverteidiger der Liga vor Leuten wie Lahm und Pisczek zu sein fehlt ihm einfach der Nachweis seiner Klasse auf höchsten internationalen Niveau wie Champions League oder EM.
Stefan 14. Dezember 2012 um 11:35
Zwei kurze Anmerkungen: Umso länger Carvajal bei uns bleibt, umso höher wird seine Ablöse. 2015 sind dann schon 8,5 Mio. €.
Und noch wichtiger: Soweit _ich_ weiß, kann Real Madrid die Rückkaufoption für den Sommer 2013 gar nicht mehr ziehen. Anscheinend ist die Frist dafür Anfang Dezember abgelaufen. [Ist aber so von Vereinsseite nie direkt bestätigt worden]
Erron 14. Dezember 2012 um 11:28
6,5 Mio sind wohl tatsächlich ein Spottpreis, allerdings denkt glaube ich insbesondere Real Madrid, dass bei Dortmund noch ein weit besserer Rechtsverteidiger spielt, der meiner Meinung nach der beste in Europa die letzten zwei Jahre war.