Hoch hinaus, doch nicht genug: Tschechiens Flanken und das 1:1 gegen Georgien – LC

1:1

Im packenden EM-Duell zwischen Georgien und Tschechien zeigte sich, dass Flanken nicht nur ein Mittel zum Zweck, sondern eine Kunst für sich sind – eine Kunst, die den Tschechen trotz ihrer klaren Überlegenheit nur ein 1:1 einbrachte. In dieser Analyse werfen wir einen genauen Blick auf das beeindruckende Flankenspiel der Tschechen, mit über 50 Hereingaben und enthüllen, warum es dennoch nicht zum Sieg reichte.

Kurzbeschreibung Flankenarten

Abbildung 1: Flankenarten

Für die folgende Analyse wurden die jeweiligen Zonen am Flügel unterteilt. So können wir die tschechischen Flanken in die Bereiche Grundlinienflanken, Boxflanken sowie Halbfeldflanken gliedern. Diese Zonen gelten für Spielsituationen aus dem offenen Spiel heraus. Die tschechische Republik spielte dabei während der Partie gegen Georgien 7 Grundlinienflanken, 21 Boxflanken sowie 13 Halbfeldflanken. Des Weiteren werden Standards mit in dieser Analyse einbezogen, denn Tschechien erspielte 8 Ecken, wovon eine zum Tor führte sowie 6 Einwurfflanken. Zusätzlich zu erwähnen sind Hereingaben nach Freistößen, allerdings wurden in diesem Spiel keine weiteren aufgezeichnet.

Wuchtiges Offensivspiel der Tschechen gegen konzentriert verteidigende Georgier

Georgien agierte mit einer tiefstehenden Fünferkette vor Torhüter Mamardashvili. Ergänzt wurde diese Abwehrreihe durch eine Vierer-Pressinglinie im Mittelfeld, in der auch der Neapolitaner Kvaratskhelia spielte. Im Sturm sorgte Mikautadze für Gefahr und erzielte den einzigen Treffer für Georgien. Schon früh in der Partie wurde klar, dass die Rot-Schwarzen defensiv agieren und auf Konterchancen lauern würden. Besonders auffällig war die Positionierung von Kvaratskhelia, der im Spiel ohne Ball meist offensiver und höher stand als sein Mitspieler auf der rechten Seite. Tschechien trat dagegen in einem 3-4-2-1-System auf, wobei Jurasek und Coufal die Breite auf den Flügeln sicherstellten. Soucek spielte offensiv und suchte oft die Tiefe, zudem agierte er als Zielspieler bei Standardsituationen. Schick löste sich häufig aus seiner Position, ließ sich zwischen die Linien fallen und schuf so Überzahlsituationen im Zentrum, wodurch er Angriffe einleitete. Hlozek und Cerny besetzten während des Flügelspiels die Zwischenräume der gegnerischen Innenverteidiger und agierten als Tiefengeber. Durch ein variables Flankenspiel, eine gute Staffelung in der Restverteidigung und die Kontrolle der zweiten Bälle konnte Tschechien schnell die Oberhand über das Spielgeschehen gewinnen. Doch wie kam es zu der hohen Anzahl an Hereingaben?

Flankenparty auf Tschechisch

Während der Partie konnte die tschechische Nationalmannschaft über 50 Hereingaben verzeichnen. Doch wie kam es zu so vielen Flanken, obwohl Georgien eigentlich eine Überzahl auf den Flügeln hatte?

Die Blau-Weißen agierten während des Spiels mehrfach mit schnell ausgeführten, frühen Flanken mit wenigen Kontakten. Weder Kakabadze als linker Außenverteidiger noch Tsitaishvili auf der rechten Seite konnten die Flanken verhindern oder gar in Zweikämpfe gelangen. Jurasek und sein Gegenüber Coufal standen breit und positionierten sich geschickt zwischen den Linien, sodass weder die offensiven Flügelspieler noch die defensiven Akteure herausrücken konnten. Gebunden wurden die Außen durch hochstehende Innenverteidiger sowie einen der Stürmer.

Über 50 % der Hereingaben wurden mit einem oder zwei Kontakten gespielt, wodurch die Flügelspieler das Spiel schnell in den Strafraum verlagern konnten, ohne unter Gegnerdruck zu geraten. Ein weiteres Merkmal des tschechischen Flankenspiels war die Anspielung der Zielräume: 93 % aller Flanken erreichten den verlängerten Fünfmeterraum bis zum Strafraumrand. Genauer gesagt, drangen 55 % der Flanken in den Raum vor dem Fünfmeterraum bis zum Elfmeterpunkt vor. Diese Zielräume wurden sowohl bei Halbfeldflanken als auch bei Boxflanken bevorzugt. Das Ziel dahinter? Mamardashvili auf der Linie halten und mit Überzahl und Wucht den Strafraum besetzen.

Wie in der Abbildung unten zu sehen, setzt Coufal seinen ersten Kontakt parallel zur Seitenlinie in den freien Raum, bevor er seinen zweiten Kontakt für die anschließende Boxflanke nutzt. Tsitaishvili wird dabei von Soucek gebunden, Dvali folgte Schick in dessen Dribbling weg vom Strafraum, und Kvaratskhelia öffnete die Gasse für den Pass auf den Flügel.

Binden ballnah, Überzahl ballfern

Zum erfolgreichen Flankenspiel gehört eine angepasste Boxbesetzung. Hier zeigten sich im tschechischen Offensivspiel weitere Muster, die die Georgier während der Partie nicht unterbinden konnten.

Ziel der Blau-Weißen war es, die ballnahen Gegenspieler zu binden und die Defensivreihe auseinanderzuziehen, um anschließend ballfern zu überladen. Dies wird am Beispiel zweier Halbfeldflanken von der rechten Seite deutlich. Coufal band den gegnerischen Außenverteidiger, während ein Stürmer kurz kam oder tief ging. So wurden beide ballnahen Verteidiger der Abwehrkette gebunden und aus der Ordnung gezogen. Ballfern wurde durch den Flügelverteidiger, die beiden weiteren Stürmer und einen der beiden Achter eine Gleich- oder Überzahl hergestellt.

Auffällig war, dass der entgegenstartende Spieler oft direkt auf den ballführenden Spieler zulief, wodurch ein Offensivkopfball aufs Tor fast unmöglich wurde. Ziel war es, den Kopfball auf die ballferne Seite zu verlängern, wo die Überzahl herrschte. Dieser Automatismus war auch bei Coufals Einwurfflanken zu erkennen. Soucek positionierte sich so, dass er zwei Gegenspieler band, lief gerade auf den Einwurf zu und verlängerte oder ließ ihn auf den zweiten Pfosten durch. So entstand das nicht gegebene Tor von Hlozek, der den Ball nach einem Abpraller mit der Hand über die Linie beförderte.

Zweite Bälle und die Kontersicherung

Mit der hohen Manpower Tschechiens bei der Boxbesetzung ging ebenso ein hohes Risiko in der Kontersicherung und im Spiel auf die zweiten Bälle einher. Dabei agierte Tschechien oft in einer 3-1 oder 2-2 (asynchron) Absicherung vor der Box. Entscheidend hierfür waren die Offensivspieler der gegnerischen Mannschaft. Schon während der Angriffsbemühungen der Offensivkräfte im letzten Drittel suchte Hranac den Kontakt zu seinen Nebenmännern und der Gegenspieler.

Eine Überzahl in der letzten Linie mit einem zusätzlichen Verteidiger konnte stets hergestellt werden. Der ballferne Verteidiger der Dreierkette schob zentral und sicherte Hranac, der sich meist zu Mikautadze begab, um diesen bei einem Anspiel direkt stören zu können. Das zentrale Mittelfeldgespann sicherte sich gegenseitig ab: Ein Spieler sichert, der andere geht in die Box. Meist sicherte Holes ab und nahm Kontakt zu Kvaratskhelia auf, um auch hier direkt den Konter bei einem Anspiel unterbinden zu können.

Fazit

Die Tschechen verfolgten während der gesamten Partie einen einheitlichen, ausgeklügelten Plan. Doch in einer solchen Analyse schwer zu erläutern ist die herausragende Qualität des georgischen Torhüters. Ausschlaggebend für den Punktgewinn war die perfekte Partie von Valencias Torhüter Mamardashvili. Die Flanken vom Tor weg zu spielen und Mamardashvili nicht weiter in das Offensivspiel einzubeziehen, war ein cleverer Schachzug der Tschechen. Dennoch musste der Torhüter für einen Torerfolg überwunden werden.

Trotz des Unentschiedens sollten die Tschechen mit ihrer Leistung zufrieden sein: viele Hereingaben, eine gestaffelte Sicherung und ein klar erkennbarer Plan. Ob es für eine Überraschung in einem großen Turnier reicht, lässt sich schwer voraussagen. Bei der EM ist nach der Niederlage gegen die Türkei vorerst Schluss. Als nächstes steht für die Tschechen die Nations – League an, und siehe da, der Gegner: Georgien.

LC ist ein junger Vorzeigestudent, der während der Vorlesung lieber Spiele analysiert und Grafiken erstellt. In seiner Freizeit ist er jede Sekunde auf dem Fußballplatz.

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