Türchen 22: Wie Kreativität und Geduld sich konkret darstellen können

Aston Villa liefert ein handfestes Beispiel für den möglichen Gehalt der beiden oftmals sehr allgemein erscheinenden Begrifflichkeiten.

Pep Guardiola, Mikel Arteta, Roberto de Zerbi, Xabi Alonso vielleicht bei Liverpool? Nein, das scheinen fast schon alte Hüte zu sein, denn wenn es um die Premier League geht, redet man derzeit über Unai Emery. Der Spanier ist mit Aston Villa diese (und eigentlich auch schon letzte) Saison auf einer enorm hohen Erfolgswelle unterwegs, die in die Champions League und/oder den Titelkampf tragen könnte.

Tatsächlich muss man sagen: Aston Villa spielt teilweise ziemlich fancy Fußball, individuell und mannschaftlich. Emery ließ aus seiner bekannten sauberen 4-4-2-Defensivformation oftmals im eigenen Ballbesitz interessanterweise in eine Raute umformen. Davon ausgehend gibt es viele herauskippende und ausweichende Bewegungen der zentralen Akteure.

Auch vor einigen Wochen beim ersten Tor auf dem Weg zum 3:1-Heimsieg gegen Fulham war das der Fall: Aston Villa hatte in Ballbesitz beide Außenverteidiger sehr hoch geschoben und einen der defensiven Mittelfeldakteure in seitlich herausgekippter Position, der in dieser Szene jedoch nicht angespielt wurde. Mit dem Querpass vom einen zum anderen Innenverteidiger schoss Fulhams Rechtsaußen aus einer 4-2-4-0-Formation heraus, um zu pressen.

In der aggressiven Form war das etwas überambitioniert: Durch den Überraschungseffekt bestand zumindest eine kleine Hoffnung auf einen Ballgewinn, aber ansonsten konnte nur das Ziel sein, den Gegner wiederum zum Abdrehen zu zwingen – dafür ein großer Aufwand. Für ein geschlossenes Hochschieben auf den Rückpass hatte Fulham kollektiv in der Szene nicht unbedingt die Ausgangsposition von den Abständen (oder wollte Decordova-Reid komplett auf den anderen Innenverteidiger nachsprinten?).

Die normale Fortsetzung der Szene wäre ein Rückpass von Pau Torres auf Konsa gewesen, zur einfachen Ballsicherung. Doch Pau Torres forcierte eine andere Lösung, den Weg nach vorne. Zentral stand Fulham durch die horizontal kleinen Abstände im 4-2-4-0 mit Stürmern gegen Sechser/Achter kompakt. Weil Decordova-Reid den Bogen im Anlaufen minimal größer wählte als es angesichts der so enorm hohen Position von Digne nötig gewesen wäre, gab es ein kleines Passfenster auf der Innenbahn, als Douglas Luiz sich tatsächlich aus dem Zentrum für ein Zuspiel in den linken Halbraum hinter Jiménez weglöste.

Das war eine überraschende Fortsetzung: Douglas Luiz lief sich tatsächlich zwischen Decordova-Reid und Jiménez frei – und obwohl Letzterer ein wenig dagegen einschob und das Passfenster nochmals verkleinerte, spielte Pau Torres den Ball einfach dadurch. Ein absurder Außenristpass war die einzige Möglichkeit, wie das technisch funktionieren konnte, und das versuchte er und setzte es auch entsprechend um. Die vorderste Linie Fulhams war überspielt und Douglas Luiz dribbelte diagonal.

Damit war für Aston Villa aber noch nichts gewonnen, denn die Aussichten auf die Spielfortsetzung standen dadurch keineswegs optimal. Sie verbesserten sich in einem ersten Schritt dadurch zu einem gewissen Grad, dass Digne einen Tiefenlauf antäuschte, Castagne zwang, diesen mitzugehen, und so die gegnerische Kette als Verbund nach hinten drücken sowie konkret sich selbst mehr Raum vom gegnerischen Rechtsverteidiger verschaffen konnte, indem er anschließend direkt wieder flacher entgegen kam.

Nichtsdestotrotz lautete die Gefahr, dass Douglas Luiz außen durch das Nachschieben von Decordova-Reid, Jiménez und Iwobi klar isoliert werden würde. Aston Villa brauchte eine Lösung. Emerys Mannen fanden eine gute: Watkins erkannte die Situation sehr gut und orientierte sich mit dem Dribbling des Mitspielers weiter nach innen vom Ball weg, so dass er Bassey vom Flügel wegzog. Das war entscheidend und verhinderte ein Durchschieben hinter Castagne.

Dieser verhielt sich im Angesicht der möglichen Überzahl am Flügel sehr aggressiv und lauerte auf den Sprungweg auf Digne, der einzigen wirklichen Anspielstation für Douglas Luiz in unmittelbarer Nähe. Mit diesem weiträumigen Heranschieben nahm er in Kauf, dass hinter ihm bzw. gerade im Anschluss zu Bassey Raum entstand – der aber erst einmal belaufen und bespielt werden musste, zumal wenn Watkins wegzog.

Doch Tielemans attackierte diese Zone und wurde zur entscheidenden Option für Douglas Luiz. Weder der von Watkins gebundene Bassey noch der nachschiebende Iwobi konnten ihn verteidigen bzw. Bassey erst zu spät. Douglas Luiz hatte so lange wie möglich gedribbelt und gewartet, dass sich eine Lösung ergeben konnte. Eine hektische frühere Aktion seinerseits wäre wahrscheinlich kein Erfolg geworden und hätte jene Fortsetzung nicht möglich werden lassen. Es kam also eine sehr wirksame Kombination aus Douglas Luiz‘ Geduld, Watkins Raumöffnen und Tielemans Tiefenlauf zusammen. Bassey konnte nur noch zu spät wieder herausschieben und Tielemans‘ Hereingabe nicht mehr verhindern.

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