Türchen 16: Orientierungen im Umschaltverhalten

Wenn man in Führung ein Kontergegentor kassiert, ist das immer eine bittere Angelegenheit. Das passiert im Allgemeinen aber nicht deshalb, weil man weiter offensiv spielt, sondern weil man das nicht genug spielt – in Bezug auf die Angriffsaktionen selber, die Absicherung derselben und/oder das Umschaltverhalten.

In dieser Saison widerfuhr die Situation dem Karlsruher SC im Heimspiel gegen Nürnberg, als die Mannschaft nach einem druckvollen und dem Gegner überlegenen Auftritt mit vielen Offensivszenen ihre Chancen zum 2:0 verpasste und plötzlich den Ausgleich kassierte – also ein besonders bitterer Fall. Aus einem Schnellangriff heraus hatte Karlsruhe verlagert, nach einer Hereingabe von Rechtsverteidiger Jung in den Rückraum durch Schleusener das Aluminium getroffen und im Gegenzug fiel das Gegentor.

Zumindest insofern zahlte der KSC einen Preis für die Systematik seiner offensiven Ausrichtung, dass gerade Wanitzek von der linken Achterposition der Raute häufig breit ballfern in den Strafraum nachrückte, quasi wie ein Flügel im Rücken des gegnerischen Außenverteidigers. Das hatte Potential, um genau diesen Gegenspieler am zweiten Pfosten zu überladen, aber barg auch Risiken. Bei solchen Mustern wäre ein noch höheres Vordecken der hinteren Spieler und/oder eine klarere Staffelung zwischen Gondorf und dem rechten Halbspieler Nebel hilfreich gewesen, um die Abstände ausgeglichener zu halten. (Generell wirkt es unter dem Eindruck dieser Partie nachvollziehbar, dass die Karlsruher im Ligavergleich viele Tore schießen und viele Tore kassieren.)

Trotzdem hätte Karlsruhe das Kontergegentor in der konkreten Situation selbst in der vorhandenen Struktur verhindern können. Zunächst sammelte Gondorf den zweiten Ball auf, verlor ihn in einer etwas unkoordinierten Folgeaktion aber wieder. Mit ihm und Nebel hatte Karlsruhe zumindest zwei Spieler direkt in Ballnähe, dahinter drei Verteidiger aus der Viererkette als weitere Restverteidigung. Das enorm schnelle Herausrücken von Nürnbergs Achter Schleimer war für die Franken ein Schlüssel, um sich aus der ersten Situation herauslösen zu können.

Interessant im Laufe der Konterverteidigung wurde das Verhalten von Nebel: Im ersten Moment orientierte er sich diagonal hinter Gondorf nach innen, um dort mehr Präsenz zu schaffen. Das lag auch am weiten Entgegenkommen Uzuns auf den Pass zu Schleimer hin. Uzun versuchte seinen Achter zu unterstützen und Nebel versuchte, dagegen Raum zu verdichten. Letztlich zog Uzun sehr weit zum Ball und nahm Schleimer diesen fast vom Fuß – so weit schob Nebel nicht hinterher.

Stattdessen orientierte er sich aber wieder eher in die Breite zurück statt zentral weiter vor die Kette zu kommen. Denn Gondorf jagte währenddessen in unmittelbarer Ballnähe gegen Uzun, der ein längeres Dribbling in die gegnerische Hälfte startete. Der Nürnberger überbrückte größeren Raum, spielte schließlich den Ball nach außen auf Goller und startete dann diagonal tief in Richtung der Schnittstelle zwischen gegnerischem Linksverteidiger und linkem Innenverteidiger.

Dorthin zog er Gondorf weg und gegebenenfalls würde sich der Linksverteidiger vorsichtiger verhalten. Dementsprechend erhielt Goller mehr Platz für die Folgeaktion. Dieser wiederum nutzte sie auch gut, indem er nicht ungeduldig sofort die Tiefe suchte, sondern gegen die Laufrichtungen der Gegenspieler diagonal nach innen andribbelte. Auch für seinen nominellen Gegenspieler Heise war es nach dem längeren Rückwärtslaufen schwierig, diese Bewegungsänderung zügig aufnehmen.

Während dies passierte, war Nebel vergleichsweise breit nach hinten gelaufen. Er verteidigte im Umschalten praktisch konstant gegen Moeller-Daehli, der als nomineller Achter seitlich mit nach vorne ging, weil der nominelle dortige Flügelstürmer Okunuki aus einer flacheren Position hatte starten müssen. Das machte Nebel auch deshalb, weil noch der Rechtsverteidiger fehlte, der im vorigen Angriff von der Grundlinie die Hereingabe gebracht hatte. So füllte er die Viererkette wieder auf.

Ein mögliches Einschieben in den zentralen Raum schien er aber nach den allerersten Momenten später zu keinem Zeitpunkt in Betracht zu ziehen. Im mittleren Teil des Konters wäre es eine erwägenswerte und vielleicht die bessere Option gewesen, da Moeller-Daehli schwierig zu erreichen war für Nürnberg und gegen einen direkten hohen Ball der ballferne Innenverteidiger hätte eingreifen können.

Das änderte sich aber, als Goller schließlich nach innen dribbeln konnte: Fortan gab es eigentlich keine Alternative für Nebel zu seiner situativen Rechtsverteidigerposition, weil die Verbindung vom Ballführenden zum breit lauernden Moeller-Daehli einfacher wurde, gleichzeitig der ballnahe Innenverteidiger gegen die Vorstöße von Schleimer und dann auch Uzun recht weit durchschieben und dessen Nebenmann einen gewissen Kontakt zu ihm halten musste (statt Kontakt zu Moeller-Daehli zu halten).

So entstand für Karlsruhe und für Nebel eine Zwickmühle: Entweder Moeller-Daehli würde geöffnet oder ein größerer Kanal zum mittigen Andribbeln. Nebel blieb außen und so konnten die Nürnberger die zweite Möglichkeit bespielen. Das mussten sie natürlich erst einmal so umsetzen – es wäre nicht jedem gelungen, aber sie machten es. Moeller-Daehli verhielt sich clever, zog mit Gollers Dribbling noch etwas weiter raus, um die Abstände weiter zu vergrößern.

Damit sendete er auch ein Signal an den in der nächsten Welle nachstartenden Okunuki, was jener zu tun hatte: Dieser wiederum interpretierte die Bewegung seines Teamkameraden korrekt und veränderte während des Nachrückens die Richtung seiner Bewegung, deutlich weiter diagonal nach innen. Er kreuzte gewissermaßen im Schatten von Moeller-Daehli ins Zentrum. Dort wurde er von Goller angespielt und konnte frei auf die Kette dribbeln. Der rechte Innenverteidiger war gezwungen, auf ihn herauszuschieben, ohne saubere Sicherung. Damit hatte Nürnberg sehr gute Voraussetzungen, die Szene auszuspielen.

In letzter Instanz taten sie das dann gar nicht mehr so gut: Wenngleich Okunuki gut und geduldig verzögerte, bot der bis dahin sehr aktive Schleimer schließlich keinen Lauf mehr an und Okunuki wurde daraufhin in der Entscheidungsfindung etwas unsicher. Er orientierte sich sehr klar auf die Optionen nach innen, wenngleich der (für ihn vielleicht zu) erwartbare Ball auf Moeller-Daehli wahrscheinlich sogar gut möglich gewesen wäre.

Letztlich kam sein Steckpass per Außenrist etwas ungenau, rutschte durch die Vielzahl an Spielern – und auch wegen der Unordnung, die ein später Lauf Gollers noch verursachte – aber irgendwie zu Uzun durch, der ganz hinten gelauert hatte und sich mit einer starken individuellen Finte schließlich in die Schussposition zum Ausgleichstreffer brachte.

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