Türchen 13: Entscheidungsfeinheiten und Sechserraumbesetzung in Kombinationen

Sehr gute Ballbesitzansätze können an Kleinigkeiten scheitern – und unvorsichtiges Aufgeben des Sechserraums trägt dazu bei und zugleich zu Kontergefahr.

Dass es bei einem Champions-League-Spiel nach einer halben Stunde schon 4:0 für eine Mannschaft steht, kommt selten vor. Eine der Ausnahmen war kürzlich Arsenals Kantersieg gegen RC Lens, welches man gegen die wiedererstarkten „Gunners“ von Mikel Arteta schnell als chancenlosen Außenseiter einordnen könnte – aber damit daneben läge.

So deutlich wie der Endstand von 6:0 vermuten ließ, stellte sich die Partie nicht dar. Gleichzeitig kam die Höhe des Sieges doch nicht ganz unberechtigt daher, da sich die Gäste aus Frankreich bei ihrer guten und sehenswerten Spielanlage in Ballbesitz für suboptimale Absicherung und einige Makel im Detail abstrafen lassen mussten.

Einige Minuten nach dem 4:0 für Arsenal hatte Lens seinen nächsten vielversprechenden, aber letztlich in Feinheiten unvollendeten Angriffsversuch. Aus einer situativen 3-1-3-3-Struktur mit Dreifachzehn wechselte die Mannschaft dynamisch in das häufigere 3-2-2-3 durch einen Rückstoß: Der mittige der drei „Zehner“ fiel bei Andribbeln eines Halbverteidigers von außerhalb des Sichtfeldes des ballnahen gegnerischen Achters flach zurück und konnte so einen Klatschball auf Sechser Mendy anbringen.

Gegen das Rückwärtspressing von Gabriel Jesus sicherte dieser den Ball nach hinten und stand damit, wie in der Graphik dargestellt, knapp vor der ersten Defensivreihe des Gegners.

Da Mendy in dieser Konstellation Arsenals Angreifer kurz in seiner Nähe binden konnte, hatte der rechte Halbverteidiger mehr Raum. Der Sechser verhielt sich passend dazu: Er spielte den Halbverteidiger mit gutem Timing an und startete vor allem selbst nach vorne nach, um nicht unnötige Präsenz außerhalb der gegnerischen Formation zu verschwenden.

Für Gabriel Jesus war es gegen die drei Verteidiger plus den Sechser schwer, in der Horizontalen zu verteidigen und (Über-)Dribbeln des Halbverteidigers zu verhindern. Das lag auch an der Position des (quasi effektiv fehlenden) Flügelstürmers des 4-3-3 auf der Seite: Martinelli hatte den gegnerischen Außenspieler, der als hoher Breitengeber agierte, bis in die letzte Linie verfolgt. Dazu wiederum trug die interessante Position von Lens‘ einzigem Stürmer Wahi bei: Er hielt sich konstant außen neben der Kette auf und band dort Außenverteidiger Zinchenko (statt einen oder beide Innenverteidiger). Es entstand eine schiefe Fünferabwehr bei Arsenal mit viel Raum davor auf der Außenbahn.

Dorthin wich mit Sotoca der ballnahe Zehner aus, um sich Raum von Havertz zu verschaffen. Für diesen wiederum wurde es schwieriger, Halbraum und Zentrum zu verdichten. Der ballferne Zehner Fulgini blieb in seiner eben ballentfernteren Position nicht passiv, sondern schaltete sich ein und startete diagonal, um zwischen Havertz und Rice anspielbar zu werden. Einer von beiden Passwegen würde aufgehen, auf Fulgini oder auf Sotoca (grau). Bevor Gabriel Jesus Druck auf den Halbverteidiger machen konnte, griff dieser zum Pass gegen Arsenals Verschieberichtung auf Fulgini.

Dieser wiederum ließ sofort auf den nachgestarteten Mendy klatschen – bis dahin ein guter Spielzug und zugleich eine vielversprechende Ausgangssituation zur Fortsetzung. Doch es ging nicht so weiter, sondern es folgte der erste Knackpunkt im Angriffsverlauf. Statt zu sondieren, ob man das Spiel im rechten Halbraum, wo Lens mit den beiden sogar sehr weit verschobenen Zehnern plus dem Stürmer viele Möglichkeiten hatte und auch der Halbverteidiger noch höher stand, würde fortsetzen können, entschied sich Mendy schnell und voreilig für die nächste Verlagerung auf die vermeintlich offenere linke Seite. Durch Arsenals asymmetrische Fünferabwehr und die höheren Positionen von Ödegaard und Saka war das aber effektiv gar nicht so klar der Fall bzw. so gut nutzbar, wie von ihm wahrscheinlich erwartet. Der Reflex einer Verlagerung aus kurzen Abständen mit vielen Spielern heraus – zu stark mit vermeintlichem Druck assoziiert – ist oftmals sehr stark.

Medina als linker Halbverteidiger hatte keine wirkliche Möglichkeit, das Spiel von seiner Position nach vorne zu tragen. Daher spielte er den Ball schnell wieder auf Mendy zurück, während Arsenal als Kollektiv zurückwich. Somit war Lens aus der vorigen Aktion letztlich zumindest nichts Gravierendes passiert.

Im nächsten Moment folgte ein weiterer Knackpunkt im Verhalten des Teams: Gerade als Mendy den Ball von Medina zurückerhielt, entschied sich der für Fulginis Herüberschieben linksseitig aufgerückte Samed als zweiter Zentrumsspieler, dort breiter zurückzufallen – quasi wie eine Art Herauskippen, um doch eine Verlagerungsoption herzustellen. Im Kontext der Gesamtsituation machte er das allerdings zu spät und so war die Chance nicht besonders aussichtsreich, tatsächlich dort eingebunden zu werden.

Vielmehr lief der Ball von Mendy bereits wieder nach halbrechts, diesmal auf den weiterhin breit positionierten Sotoca, der vor Martinelli und neben Havertz viel Platz hatte. Diesen nutzte er auch, um zunächst anzudribbeln. Gleichzeitig erkannte Samed, dass er aus seiner flacheren Position nichts mehr machen konnte, und schob wieder hoch – aber auf der Breite, auf der er sich hatte zurückfallen lassen, und damit sehr weit außen im ballfernen Halbraum.

Sotoca spielte nach seinem Andribbeln zunächst einen kurzen Klatschball mit dem entgegenkommenden Wahi, den Zinchenko verfolgte. Während Zinchenko sich daraufhin wieder nach hinten zurückfallen ließ, um einen möglichen gegenläufigen Tiefensprint des Stürmers zu verhindern, blieb dieser einfach stehen. Er war erneut als kurze Anspielstation in den Fuß da.

Mittlerweile wurde Sotoca endgültig vom herausschiebenden Havertz angelaufen (während Martinelli im 1gegen1 gegen den Breitengeber in der letzten Linie blieb). Er musste also das Abspiel suchen und hatte Wahi als kurze Option dafür. Nach dem Zuspiel startete Sotoca sofort innen von Havertz für den Doppelpass nach.

Der Winkel war aber schwierig und so kam für Wahi eher eine andere Folgeaktion in Frage. Mit Fulgini gab es in unmittelbarer Ballnähe noch eine weitere Option und auch Mendy schaltete sich aus der Tiefe engagiert ein. Aus den umfangreichen Kombinationsmöglichkeiten konnte Lens am Ende aber keine erfolgreiche Kombination machen.

Es war eine Sache der Details, die von den einzelnen Spielern sauberer hätten gelesen werden müssen, um zu einer funktionierenden Abstimmung zu gelangen: Fulginis Position war relativ hoch zwischen Zinchenko und Rice. In dieser Form eignete sie sich vor allem, um die beiden zu binden, insbesondere den Sechser. Um als Verbindungsspieler für die Weiterleitung auf einen der nachstartenden Kollegen in Frage zu kommen, hätte er etwas flacher stehen sollen.

Angesichts dieser Feinheiten bot sich für Wahi entweder ein verzögerndes Dribbling an, wahrscheinlich diagonal nach hinten, wo Sotoca gegen Havertz den Raum frei machte, oder als direkte Fortsetzung nur ein Pass per Innenseite auf Mendy. Stattdessen versuchte Wahi aber das diagonale Anspiel nach vorne auf Fulgini.

Unabhängig davon, dass dieses überhaupt nur mit dem Außenrist möglich war, hatte er nur einen kleinen Passkanal, an welchen Zinchenko deutlich wahrscheinlicher herankommen konnte als an ein Zuspiel auf Mendy. Das passierte am Ende auch: Zinchenko antizipierte die Außenristbewegung und fing den Ball ab.

Im anschließenden Umschaltmoment hätte man Lens durch die eigenen Abstände (und die flache, torentfernte Position Martinellis) gute Chancen zum Gegenpressing und zur Verhinderung des Konters gegeben. Doch die Wechselwirkung zwischen Mendy und Samed machte sich bemerkbar: Zunächst war der eine ballfern breit ausgewichen, während der andere das Spiel auf die andere Seite getragen hatte. Dann war der eine ballfern wieder hochgeschoben und der andere hatte sich ballnah offensiv eingeschaltet – von beiden etwas unbedacht, ohne klar auf den jeweils anderen zu achten. Sofern es keine festen systematischen Vorgaben dazu gab, wäre es ein Wahrnehmungs- und Kommunikationsthema gewesen.

Die Folge ergab sich aber klar: Der Sechserraum bei Lens war nicht mehr besetzt. Das passierte im Laufe der Partie häufiger und schwächte das Team und die eigenen Ansätze erheblich. Zum einen erschwerte es in genau solchen Situationen, wie in dieser Szene für Wahi und Sotoca, die Möglichkeit, nach dem Abbrechen und/oder Verzögern sauber den Ball über die Sechserposition neu zu spielen – also Situationen noch kontrollierter gestalten zu können, die stattdessen letztlich in Ballverlusten endeten.

Zum anderen war die fehlende Sechserbesetzung genauso nach dem Entstehen jener Ballverluste ein großes Problem in der Absicherung. In dieser Szene konnten Havertz und Ödegaard im Bereich vor der gegnerischen Dreierabwehr entspannt den Gegenzug einleiten. Auch das 5:0 durch Saka einige Minuten später fiel vor allem deshalb, weil Lens bei einer Hereingabe den Rückraum hatte gänzlich verwaisen lassen.

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