Türchen 12: Das breite 5-1-3-1

Im Pokalspiel zwischen Gladbach und Wolfsburg versuchten beide Teams immer wieder, über seitlich herausrückende und teilweise weit auf Sprung agierende Achter zu verteidigen.

Eine einzelne Szene kann vieles von dem zusammenfassen, was vergangene Woche im DFB-Pokal-Achtelfinale zwischen Gladbach und Wolfsburg fast über die gesamte Spielzeit hinweg passierte: Ein Duell zwischen jeweils 5-1-3-1 gegen den Ball und 3-1-5-1 mit dem Ball, häufig mit breiten Achtern.

Auf dem Papier hatten die beiden Teams zwei Stürmer, aber einer von ihnen besetzte die Zehn. Gegen den Ball nahm dieser Spieler den gegnerischen Sechser auf und mit dem Ball musste er versuchen, sich aus dessen Umfeld zu lösen.

Wenn bei der aufbauenden Mannschaft einer der Halbverteidiger das Leder hatte, war die Aufgabe des Achters, langsam gegen diesen vorzuschieben. Da die Wege mitunter lang werden konnten, mussten sie schon frühzeitig auf Sprung sein und bereiteten sich auf das Herausrücken vor, sobald ein ballführender Gegner auf der gegenüberliegenden Seite nach hinten abdrehte. Daher konnten sie ballfern nicht immer so weit zurückfallen oder zumindest nicht so kompakt den Anschluss nach innen halten, dann in flachen, breiten Positionen.

Bei beiden Teams versuchten die Achter im Herausschieben, ihr jeweiliges Pendant auf der Gegenseite im Deckungsschatten zu halten. Für den Fall der Fälle war dahinter aber der Halbverteidiger stets auf Sprung, um einen im Zwischenraum gegebenenfalls frei werdenden Achter aufzunehmen. Damit entwickelte sich die Partie endgültig in vielen 1zu1-Zuteilungen.

Wenn einer der Achter irgendwann nicht mehr rechtzeitig auf den Halbverteidiger nach vorne herausrücken konnte, eröffneten sich schließlich Möglichkeiten für die Aufbaumannschaft, wie in dieser Szene für die Gladbacher: Auch wenn Gerhardt breiter startete als Reitz, ist der Abstand zu Scally noch groß, der daraufhin andribbelt. Wegen der Nähe zu Reitz und des in diesem Fall fehlenden Anschlusses durch Zesiger in seinem Rücken zögert Gerhardt zudem noch.

Dafür war zudem die Position N’Goumous in der letzten Linie geschickt, der sich zwischen Zesiger und Maehle hielt, daher Ersteren in der Kette band und auch den Flügelverteidiger noch etwas zu sich zur Mitte zog. Später ging N’Goumou auf den Vorwärtspass wieder ein Stück nach innen, kreuzte also vor Zesiger her. Das hätte auch Sinn gemacht als Muster für solche Situationen, in denen Gladbach den Raum hinter Gerhardt hätte bespielen und den Angriff über Reitz hätte suchen wollen.

Ballfern wird ebenfalls die noch herausgerückte Position des anderen Achters Vranck deutlich, der vorher auf den anderen Halbverteidiger vorschieben musste. Wind soll sich um Weigl kümmern, Arnold um Plea, also in klaren Zuteilungen. In einer solchen Umgebung wirkt es sich sogar kontraproduktiv aus, dass Arnold so „gut“ durchschiebt und den Anschluss zu Gerhardt hält, da dadurch Plea in seinem Rücken frei wird. Vranckx muss sehr weit zurückschieben, um von oben nacharbeiten zu können.

Zur Illustration nochmals das Äquivalent bei Gladbach gegen Wolfsburger Ballbesitz in der direkt danach folgenden Szene: Von rechts wird der Ball auf Zesiger verlagert, woraufhin Reitz als ballnaher Achter herausschiebt. Plea verteidigt gegen Arnold, Weigl gegen den Zehner (in diesem Fall einmal Gerhardt, der mit Wind getauscht hatte, nachdem Gerhardt vor der Verlagerung mit nach rechts zog), Wolfsburg ist im 3-1-5-1 strukturiert.

Bei Gladbach ist Kramer hier – im Vergleich zum Durchschnitt des Spiels – ballfern enorm weit eingeschoben, mit viel Kontakt zu Weigl, hätte dann bei einer Rückverlagerung sehr aufwendig arbeiten müssen. Genau das war die Charakteristik der Achter in dieser Partie: Sie pendelten quasi immer wieder vor und zurück um ihren Zehner herum, der häufig fast den kürzeren Weg bis zum Halbverteidiger hatte als sein jeweils gerade ballferner Achter, aber sich deutlich mehr zurücknehmen durfte und einfach „nur“ passiver den Sechser zustellen musste, also dauerhaft im Zentrum mit kürzeren Wegen blieb. Gerade Kramer oder auch bei Wolfsburg Gerhardt als Achter können diese Spielweise leisten.

Zesiger hatte zunächst einmal den kurz kommenden Maehle angespielt, der so Honorat herauslocken wollte, um mit einem anschließenden Tiefenlauf direkt dahinter in den selbst geschaffenen Raum zu starten. Der Chipball wäre zumindest eine Überlegung für Zesiger gewesen – zumal angesichts des Verhaltens der zentralen Gladbacher Verteidiger, die sich stark auf ihre 1gegen1-Duelle orientiereen. Zwar schieben sie leicht durch und sind quasi in zwei Richtungen auf Sprung.

Aber sobald sie den tiefen Chipball für unwahrscheinlich hielten, tendierten sie zum Sprungweg nach vorne gegen ihren Gegenspieler. Weil Reitz so weit herausschiebt und Wind als der Achter eher hoch bleibt, geht Scally als Halbverteidiger besonders aggressiv auf Wind vor, um diesen hinter Reitz aufzunehmen. Auch Elvedi folgt dem entgegenkommenden Tiago Tomás eng. Reitz’ Deckungsschatten regelt die Szene aber, schließt den Passweg und Zesiger schießt ihn recht stumpf einfach ab.

Man muss nur nochmals eine Minute zurück springen und schon findet sich die nächste vergleichbare Situation, dann sogar eine besonders extreme bis leicht amüsante Szene: Nachdem Elvedi als zentraler Verteidiger überdribbelt hat und der Stürmer gerade nicht eingreifen kann, gerät das mannorientierte 5-1-3-1 ins Schwimmen: Gerhardt ist seltsam früh und stark auf Sprung gegen Scally, hängt dadurch aber im luftleeren Raum und öffnet Reitz, den Zesiger über das gesamte Dribbling Elvedis hinweg mit einem kleinen Sicherheitsabstand begleitet.

Die umliegenden Wolfsburger wissen nicht, wie sie auf Elvedi reagieren sollen, keiner rückt vor und versucht zu attackieren, sondern jeder bleibt an seinem Gegenspieler und läuft quasi mit diesem – im Einklang mit dem Balltreiben – mit nach hinten, ehe irgendwann Reitz angespielt wird. In diesem Fall kommt noch Plea zentral weit entgegen und Arnold muss sich davon herausziehen lassen, während gegenläufig die Gladbacher Achter aufrücken und sich leicht in die Breite absetzen können.

Ebenso wie das Andribbeln des Halbverteidigers aus der ersten Graphik findet sich darin ein weiterer Ansatz, um das breite Defensiv-5-1-3-1 bespielen zu können.

Weitere Möglichkeiten wären etwa, und wurden im Laufe der Begegnung zumindest angedeutet:

Beispielsweise Möglichkeit 1: Flachere Position und kurzes Anspielen des ballnahen Flügelverteidigers, um den Achter weiter auf ihn herauszuziehen, während der eigene Achter sich im selben Moment ballnah flach absetzt und dadurch ein kurzes 2gegen1 herstellt, welches den gegnerischen Flügelverteidiger ineffektiv hinter seinem eigenen Achter isoliert. Eigentlich ist das ein simpler Reißbrett-Move, der in der Konstellation aber funktioniert, weil Zehner und Sechser gegen den Ball unterdurchschnittlich wenig durchschoben. Bis auf Ansätze wurde in dieser Partie aber nichts Vollendetes daraus, weil entweder die Halbverteidiger nach Rückpässen ungeduldig wurden und zu schnell weg zirkulierten statt nochmals den nahen Flügelverteidiger (oder Achter) anzuspielen, oder weil der Achter zwar genau dem Move entsprechend den Ball bekam und aufdrehen konnte, danach aber er es war, der vorschnelle lange Pässe spielte statt anzudribbeln.

Alternativ Möglichkeit 2: Asymmetrie in der Dreierkette über Hochschieben eines Halbverteidigers auf die Seite und dann mehr eine Eröffnung aus dem Zweieraufbau heraus. Der Halbverteidiger bindet weiteres Personal hinten und durch die verschobene Staffelung kann man mit einem der verbleibenden Verteidiger ganz gut diagonal am Stürmer vorbeikommen. Der Gegner wird dann typischerweise endgültig gezwungen, noch klarer auf fast komplette Manndeckung umzuschalten – muss das im ersten Moment aber zunächst organisieren und die Spieler müssen untereinander kommunizieren, so dass man entstehende Abstimmungsprobleme bespielen kann. Strukturell bietet sich danach insbesondere an, den Raum hinter dem Halbverteidiger zu attackieren, da dieser dauerhafter den jeweiligen Achter verteidigen und sich dafür im nominellen Zwischenlinienraum aufhalten muss.

AG 12. Dezember 2023 um 10:44

Die ersten beiden Abbildungen scheinen vertauscht worden zu sein!

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TR 13. Dezember 2023 um 23:40

Danke, ist korrigiert!

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