Türchen 4: Der ballferne Flügelverteidiger im (mannorientierten) Pressing

Hohes Anlaufen mit direkten Zuteilungen – wie verhalten sich die ballfernen Spieler? Speziell die Flügelverteidigerposition bei Dreier-/Fünferketten ist in dem Zusammenhang interessant, und das wiederum ganz allgemein gegen den Ball.

Adi Hütter ist jetzt bei Monaco und sein Stil beim neuen Klub bereits deutlich zu erkennen. Kürzlich setzte der Österreicher für die Partie bei PSG auf eine 3-4-1-2-Defensivformation, die über weite Phasen tatsächlich eine Dreierabwehr gegen den Ball bildete. Die beiden Flügelläufer agierten bei zentralem Ballbesitz des Gegners zumeist schon aus einer erhöhten Startposition heraus, um möglichst gut gegen die Außenverteidiger von Paris auf Sprung zu sein. Ballfern ordneten sie sich manchmal in die letzte Reihe im Anschluss an den Halbverteidiger ein, wie in einer pendelnden Viererkette, aber auch dort nicht immer. Besonders Vanderson auf rechts füllte kaum nach diesem Muster auf, sondern schob eng in die Mitte hinein auf eine Art Sechser- oder Achterposition – und damit vielmehr vor seinen Halbverteidiger.

In der Entstehung der Szene hatte sich zunächst Mbappé bei PSG am Flügel sehr flach für eine druckauflösende Verlagerung angeboten. Monaco schob herüber, Mbappé spielte zurück zu den Innenverteidigern, rückte selbst zurück nach vorne und eine neue Aufbausituation begann.

Bei Monaco hatte sich Jakobs ballfern ganz nach hinten fallen lassen (wie in der ersten Graphik) und rückte dann immer höher vor, je weiter der Ball durch die Kette von PSG nach rechts lief. Zwei der drei Offensivspieler Monacos liefen die Innenverteidiger an, während Golovin dahinter als Zehner blieb und Ugarte zustellte. Letztlich spekulierte Jakobs extrem hoch auf den Pass zum Rechtsverteidiger, so dass Skriniar sich für den vertikalen Pass entschied, für den so auch der Halbraum geöffnet wurde. Effektiv musste Monaco sowohl Dembélé als ballnahen Flügelstürmer als auch den herüber rückenden Ramos auf großem Raum im 1gegen1 verteidigen. In der letzten Linie lautete das nominelle Zahlenverhältnis 3gegen3 gegen Dembélé, Ramos und Mbappé.

Interessant war die Staffelung in den ballfernen Zonen: Der ballferne Halbverteidiger Singo schob gar nicht so weit durch und hielt somit einen gewissen Kontakt zu Mbappé, weniger dagegen zu seinem Mitspieler. Gleichzeitig ordnete sich Vanderson auf der Höhe seiner Sechser ein und rückte so weit ein, dass er auf derselben Breite stand wie sein Halbverteidiger einige Meter hinter ihm. Damit ergab sich eine Position im unmittelbaren Umkreis Vitinhas. Befand sich der Ball auf dem rechten Flügel, setzte sich Vitinha als linker der drei PSG-Zentrumsspieler immer wieder leicht in den ballfernen Halbraum ab, um dort auf Verlagerungen zu lauern. Vanderson achtete aber gut darauf und mit dieser Aufteilung zwischen Halb- und Flügelverteidiger fand sich Monaco in einer günstigen Situation gegen solche Zuspiele, über die in der Folgesituation auch Mbappé hätte ins Spiel kommen können.

Das Timing in den Bewegungen von Vanderson und die Art seines Coachings lassen vermuten, dass sein Verhalten mehr der Intuition als einer gezielten Marschroute entsprungen haben könnte – wahrscheinlich auch von der Ausbildung in seiner Jugendzeit in der Heimat mitgeprägt. Dreierkettenformationen mit Flügelläufern werden (und vor allem wurden) in Brasilien deutlich häufiger als in Europa und sogar mehrheitlich genau so interpretiert, dass der ballferne Außen nicht wie ein Außenverteidiger in die letzte Linie rückt, sondern den Halbraum vor der Abwehrreihe besetzt.

Potentielles Risiko dieser Verhaltensmuster bei Monaco war die geringere Breitensicherung im direkten Duell gegen Mbappé durch die geringere numerische Besetzung der letzten Linie. Dementsprechend machte die breitere Position des Halbverteidigers als Gegenwirkung Sinn, zumal Ramos sich viel seitlich ballnah bewegen musste und PSG auch keinen Zehner hatte, um die Abstände dazwischen konstant zu belaufen. Grundsätzlich ist jenes Risiko nicht von der Hand zu weisen, wirkt aber bereits nicht mehr ganz so extrem, wenn man bedenkt, dass man bei einem Vorverteidigen des ballnahen Außenverteidigers aus einer Viererkettenformation ballfern im Vergleich auch nicht weniger Leute hat. Hütters Team musste in dieser Partie zwar fünf Gegentore hinnehmen. Aber tatsächlich wurde Monaco eher selten durch direkte Verlagerungen oder Diagonalbälle in Verlegenheit gebracht, sondern eher in den jeweils ballnahen Zonen gruppentaktisch ausgespielt.

Das deutete sich auch im Fortgang der Szene nach dem Anspiel auf Dembélé an: Dieser leitete zunächst spektakulär per Außenrist direkt auf Ramos weiter, damit jener ihm den Ball wiederum ablegte. Die gesamte Aktion scheiterte nur denkbar knapp, der zweite Ball sprang zu Fabián Ruiz im Mittelfeld von PSG, der über den Rückpass auf Hakimi abermals in die Neuzirkulation überleitete. Als der Ball anschließend von der rechten auf die linke Seite lief, schob Vanderson aus seiner engen ballfernen Position breit nach vorne, um planmäßig den gegnerischen Linksverteidiger anzulaufen. Hütters Ansatz im Angriffspressing war sehr klar: Spiegeln und Mann gegen Mann auf allen Positionen mit hoher Intensität. Gruppentaktisch fand PSG jedoch gute Bewegungen und konnte sich mehrmals lösen, indem der Außenverteidiger den ersten Ball longline auf Mbappé oder Dembélé setzte, von denen dann Direktkombinationen mit Stürmer und Achter ausgingen. Durch die Mannzuteilungen hatte Monaco auch keinen Anschluss hinter der ballnahen Spielergruppe (dafür potentiell aber wieder etwas mehr Zuordnung auf die Verlagerung).

milvn 24. Dezember 2023 um 17:11

Sehr guter Beitrag @TR. Ich persönlich finde es einfach verrückt, mit Monaco gegen PSG in der letzten Linie 3gegen3 zu spielen und so eine klasse Mannschaft (mit den brutal schnellen Flügelspielern Dembele und Mbappe) zu spiegeln.

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AG 4. Dezember 2023 um 14:54

„Potentielles Risiko dieser Verhaltensmuster bei Monaco war die geringere Breitensicherung im direkten Duell gegen Mbappé durch die geringere numerische Besetzung der letzten Linie. Dementsprechend machte die breitere Position des Halbverteidigers als Gegenwirkung Sinn, […]. Aber tatsächlich wurde Monaco eher selten durch direkte Verlagerungen oder Diagonalbälle in Verlegenheit gebracht, sondern eher in den jeweils ballnahen Zonen gruppentaktisch ausgespielt.“
Das Problem im Fußball: du kannst nicht alles gleichzeitig zumachen, irgendwo geht immer eine Lücke aus. In diesem Fall bedeutete das dann wohl, dass die Kompaktheit aufgegeben wurde, um die Breite ausreichend gegen Mbappé zu verteidigen. Interessant, ob das taktisch gewollt oder eher die „Schwerkraft“ des Weltklassespielers war, also spontan auf dem Feld entstanden.

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tobit 4. Dezember 2023 um 15:43

Klingt im Artikel so als wäre der „eigentliche Plan“ gewesen, dass Vanderson ballfern in die Abwehr rückt und da dann Mbappé aufnimmt. Dann wäre Singos Unkompaktheit wahrscheinlich einfach dessen spontane Reaktion auf die mittelfeldorientierte Positionierung seines „Nebenmannes“ gewesen.
Wenn Vanderson geplant gegen Vitinha gestellt wurde um den Mbappé-Einbinder rauszunehmen, war es wahrscheinlich auch geplant, dass Singo dahinter die Option, Mbappé per direktem Diagonalball anzuspielen, absichert.

Mit breiten Vanderson UND Singo wäre ja sonst Vitinha frei einfach auf die HV/ZV-Schnittstelle zu gehen und Mbappés Gravitation „nur“ als Raumöffner zu nutzen.

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WVQ 5. Dezember 2023 um 03:19

Die betreffende Szene sieht für mich so unkompakt eigentlich gar nicht aus. Wenn man Singo enger will, muß Vanderson unweigerlich die Breite gegen Mbappé absichern und ergo in die letzte Linie fallen, wodurch sich die (ballorientierte) Kompaktheit eher noch reduziert hätte und überdies vor Mukiele der ganze Flügel aufgegangen wäre. Und wie Du ja selbst zitierst, scheint das am Ende auch nicht das Problem gewesen zu sein, sondern (dem letzten Absatz im Artikel zufolge) eher, daß PSG die ballnahe Präsenz Monacos mehr oder weniger umspielte und Monaco mit dem Verschieben nicht mehr hinterherkam.

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tobit 4. Dezember 2023 um 14:18

Interessante kleine Info zur 3er-Kettenausbilung in Brasilien. habe mich schon lange gefragt, warum das niemand (außer Chile unter Bielsa/Sampaioli) mal so spielt.

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