Türchen 11: Jens Toornstra
In diesem Türchen findet sich einer der unbekanntesten Spieler des Adventskalenders 2021: Jens Toornstra war einer der Dauerbrenner in der niederländischen Eredivisie des vergangenen Jahrzehnts und beim wankelmütigen Traditionsklub Feyenoord eine stete Konstante.
Über fast das gesamte letzte Jahrzehnt hinweg war es fast immer die gleiche Geschichte: Feyenoord holte in der niederländischen Eredivisie eine gute Punkteausbeute, war ein Team für die Top3, aber mehr dann auch nicht. Nur einmal gelang doch der große Wurf, in der Spielzeit 2016/17, mit der ersten Meisterschaft des neuen Jahrtausends. Obwohl sich das personelle Gesicht des Kaders über diesen Zeitraum hinweg stark veränderte, blieb seine Leistungsstärke häufig ähnlich. Viele Spieler kamen und gingen, die große Fanschar hatte eine enorm wankelmütige Beziehung zu ihren Profis, es gab nur wenige Konstanten. Eine dieser Figuren ist Mittelfeldallrounder Jens Toornstra, der 2014 von Utrecht nach Rotterdam wechselte: In welch – stets emotional enorm aufgeladenen – Höhen und Tiefen der Verein sich auch befinden mochte, fast immer spielte Toornstra irgendwo. Meistens agierte er als Dauerbrenner im Mittelfeldzentrum und wenn nicht, dann fand man ihn als nominellen Außenspieler.
Bewegung ins (Offensiv-)System bringen
Was machte den umtriebigen, disziplinierten, abschlussstarken Allrounder aus oder was machte ihn so besonders, dass er Saison für Saison in einem bewegten Umfeld so häufig spielte? In den letzten Jahren wurde Toornstra zwischenzeitlich zum Kapitän und er genoss grundsätzlich hohen Kredit, aber er galt nie als wirklicher Star und für kaum jemanden als das unumstrittene, zentrale Aushängeschild. So unterschiedlich die Trainer auch hießen, ob lange Zeit Giovanni van Bronckhorst oder zuletzt dann Dick Advocaat: Meistens gab es bei Feyenoord ein gleichförmiges, recht komplettes und tendenziell flügellastiges und vertikales 4-3-3 oder 4-2-3-1. Von Saison zu Saison und je nach Besetzung entwickelten sich feine Unterschiede im Detail, aber das Grundsystem war jeweils ähnlich und relativ bewährter Standard
Insgesamt entwickelte diese Spielweise vor allem durch Umschaltmomente, direkte Übergänge und Verlagerungen entscheidende Gefahr. Es drohten allerdings Schwierigkeiten damit, Kreativität aus dem Aufbauspiel zu entfachen. Toornstras Wert für Feyenoord über die letzten Jahre bestand häufig darin, dass er in ein solide und ausgeglichen organisiertes Positionsspiel im 4-3-3 oder vor allem im 4-2-3-1 – dann als Zehner – fast im Alleingang viel Bewegung schaffen konnte.
Er unternimmt sehr viele Freilaufaktionen und bietet seinem Team dadurch eine enorme Erhöhung an Optionen. Gab es bei Feyenoord zu wenige Läufe im Spiel oder fehlte in einer spezifischen Situation die Bewegung, mit der ein wichtiger Raum besetzt und ein Passweg möglich würde, dann konnte man die Hoffnung haben, dass Toornstra den Weg noch machte und diese lieferte. Durch seine umtriebige, aktive Art trägt er genau die erwähnte Dynamik in einer überdurchschnittlich hohen Quantität und über unterschiedliche Spielphasen hinweg ins System.
Unterstützungsspieler und Anschlussläufer
Toornstra ist ein hervorragender Unterstützungsspieler. Er findet passende Laufwege, wenn es darum geht, 1gegen1-Situationen zu ergänzen und in 2gegen1-Konstellationen zu verwandeln. In Folgeaktionen blieb er aktiv und sorgte für Bewegungen in die Schnittstellen. Vor allem solche sofortigen Übergänge in die Anschlusssituation – ohne Pause und fast automatisiert – machen ihn aus. Manchmal ist er in seinen Bewegungen als Zehner (oder auch als Achter) zwischenzeitlich zu sehr auf Wege in den vordersten Bereichen, also unmittelbar um die letzte Linie herum, orientiert. Selbst dort erzeugen seine Läufe aber typischerweise überdurchschnittliche Effektivität, weil er sich gut orientiert und vor allem weil er stets aggressive Auftaktbewegungen in jenen hohen Zonen nutzt.
Geht es ins letzte Drittel, kommt dort Toornstras vielseitige Passtechnik besonders gut zur Geltung. Vor allem die Schärfe seiner Zuspiele kann er enorm stark variieren. Manchmal wechselt er kurz vor dem finalen Abspielkontakt überraschend auf die Innenseite des Fußes, wenn der Bewegungsablauf eigentlich für eine Aktion mit dem Innenrist spricht, oder auch mal umgekehrt. Zudem spielt er immer mal mit kleinen Verzögerungen vor einem Zuspiel.
Der mögliche Überraschungseffekt solcher Aktionen kommt gerade dadurch besonders zum Tragen, dass Toornstra bei der koordinativen Ausführung der entsprechenden technischen Abläufe mitunter eher unsauber agiert: Das reduziert häufig die Effektivität, aber nicht immer, sondern manchmal erhöht es sie ungewollt vielmehr. Am saubersten ist bei Toornstra vergleichsweise sein erster Kontakt. Das nutzt er nicht immer optimal: Er neigt dazu, zu attackierend und/oder zu weiträumig direkt mit One-Touch-Pässen zu spielen.
Mit Aufrückbewegungen das Pressing prägen
Als Feyenoord zum Ende der Dekade hin mehrheitlich eine 4-2-3-1- denn eine 4-3-3-Grundordnung praktizierte, wurde Toornstra auch gegen den Ball endgültig zum Schlüsselfaktor. Er hatte immer wieder die Möglichkeit, aus der zweiten in die ersten Linie in ein 4-4-2 aufzurücken und so den Druck dort zu erhöhen. Dieser simple Mechanismus war zwischen den zahlreichen sonstigen Mannorientierungen eine enorm wertvolle Ergänzung. Auch aus anderen „Fußballkulturen“ mit vielen solcher 1gegen1-Zuordnungen gibt es große Parallelen dazu. Ein ähnliches Beispiel stellte in den letzten Jahren oftmals das baskische Derby zwischen Athletic Bilbao und Real Sociedad dar.
Im Falle Feyenoords war Toornstra der Protagonist, der das Pressing seines Teams initiierte. Da er seinen Deckungsschatten geschickt nutzt, um diagonale Passoptionen während seines Aufrückens zu versperren, und da er sich vor allem im Zuge der Bewegung oft mehrmals nach hinten orientiert, konnte er diese Rolle zudem so überdurchschnittlich gut ausfüllen. Als Pressingspieler entwickelte Toornstra im Eredivisie-Vergleich eine enorme Wirkung.
Toornstra ist ein Beispiel dafür, wie auch ein individuell guter, aber nicht herausragender Individualist sich zum Systemträger seines mannschaftlichen Konstrukts aufschwingen kann. Nach dem spektakulären 0:4-Auswärtssieg der Rotterdamer bei der PSV wurde im September diesen Jahres mal wieder die sporadisch auftretende Diskussion geführt, ob Toornstra nicht in die Nationalelf berufen werden sollte. Bisher stehen für den über Jahre hinweg in der Liga so konstant agierenden Mittelfeldmann immerhin vier kürzere Einsätze für die Elftal zu Buche. Die beiden letzten Partien datieren aus dem Jahr 2017, als die Meisterschaft Feyenoords auch Toornstra nochmals etwas stärker ins Blickfeld des allgemeinen Interesses rückte als sonst.
Seine zwei ersten Auftritte für Oranje bestritt er im Sommer 2013 gegen Indonesien und China auf einer Asientour. Der damalige Bondscoach zeichnet auch jetzt wieder für die Nationalelf verantwortlich, Louis van Gaal – eigentlich auch jemand, der Toornstra von dessen Profil her besonders mögen sollte. Allerdings kann er in der jetzigen Zeit aus einer Vielzahl individuell sehr starker (und im Vergleich zu Toornstra stärkerer) Kicker wählen.
Fazit
Jenseits seines Bewegungsspiels hat Toornstra einige nicht unerhebliche Schwächen. Besonders für ein Team wie Feyenoord sind diese zu verschmerzen, da die zentrale Charakteristik des umtriebigen Mittelfeldmannes einen ungemein hohen Mehrwert bringt. Wie sich exemplarisch beim Passspiel verdeutlicht, wird seine Entscheidungsfindung tendenziell schnell mal überambitioniert und hektisch. Gerade wenn er in tieferer Einbindung, etwa als Sechser oder Achter, mehr Präsenz in den Aufbau- und Übergangszonen erhält, kommt das vor. In diesen Fällen kann es auch passieren, dass Toornstra schon bei der Gestaltung seiner eigenen Einbindung keine gute Balance findet: Ballfordernde Aktionen nehmen überhand und/oder passieren zu frühzeitig, so dass sie dann vorige Entwicklungsmöglichkeiten der Ballbesitzpassage blockieren.
Dann gibt es aber doch eine Disziplin, in der Toornstra mehr mitbringt als viele andere: Sein Nachrückverhalten und Gespür für wertvolle Räume im bzw. rund um den Sechzehner sind hervorragend. Er orientiert sich nicht nur simpel zum Tor hin, sondern stets auch zum Rückraum, aus dem er immer wieder gefährlich wird, und er wahrt clever passende Abstände zu Gegenspielern. Zumindest diesbezüglich erreicht Toornstra auch im internationalen Vergleich schon ein sehr hohes und besonderes Level.
4 Kommentare Alle anzeigen
Dr Ball 11. Dezember 2021 um 11:54
Warum kann man Tor 9 nicht öffnen ? Welcher Arsenal Spieler war dahinter ?
tobit 11. Dezember 2021 um 12:51
Ist wahrscheinlich noch nicht fertig. War ja am Anfang noch ein Wales-Türchen.
Gibt es eigentlich jedes Jahr, dass ein zwei Türchen nicht pünktlich kommen.
Fußballnobelpreis 11. Dezember 2021 um 19:47
Aaron Ramsey?
tobit 12. Dezember 2021 um 14:38
Wenn es noch um den/die selbe Spieler:in ginge, wäre das Türchen ja nicht neu markiert worden. Der ursprünglich geplante Artikel dürfte einfach nicht fertig geworden sein, und der Ersatz dann leider auch nicht.