Türchen 8: Xabi Alonso

Die weiträumige Spielweise Xabi Alonsos erfuhr bei Bayern unter Pep Guardiola eine besondere, stabilisierende und unterstützende Einbindung.

Dieser (ursprünglich auf Englisch verfasste) Artikel ist ein exklusiver Beitrag von GT, Autor bei unserem englischsprachigen Ableger spielverlagerung.com, für diesen Adventskalender. Der Text erscheint hier in deutscher Übersetzung.

Foto: Jasper Juinen/Getty Images)

Der Weltmeister und zweifache Champions-League-Sieger Xabi Alonso ist womöglich einer der über lange Distanzen besten Passspieler der Fußballgeschichte. Selbst die technisch versiertesten Mittelfeldspieler kommen nur schwer an den enormen Radius und an die Genauigkeit seiner Zuspiele heran. Im Verhältnis zu seinen Stationen bei Real Sociedad, Liverpool und Real Madrid wurden seine Fähigkeiten bei langen Diagonalpässen zum Karriereherbst in besonders ausgeprägter Weise eingesetzt, bei Bayern München unter Pep Guardiola.

Karl-Heinz Rummenigge beschrieb Alonsos Ballverteilung als beinahe wie Magie, aber es steckte natürlich mehr dahinter. Guardiolas bayerische Jahre waren die taktisch flexibelsten seiner Trainerkarriere, mit regelmäßigen Veränderungen der Aufstellung und der Gesamtstruktur in fast jedem Spiel, um sich bestmöglich auf den Gegner einzustellen. Für gewöhnlich muss ein Trainer ein Stück weit Kompromisse machen, um einen Risiko eingehenden Spieler so integrieren zu können, dass nicht die Struktur des Teams gestört wird. In Alonsos Fall allerdings ist die Art und Weise, in der Pep Raum für den Spanier ließ, um Durchbruchsdynamiken in den Flügelbereichen zu fokussieren, während er gleichzeitig einen alternden Mittelfeldspieler erfolgreich vor einer umschaltfokussierten Liga schützte, eine Betrachtung wert.

Dies wurde durch die Struktur im Positionsspiel und gegen Mannorientierungen in der Umgebung Alonsos erreicht, so dass dessen Gesamtoutput im Normalfall die Qualität des Teams erhöhte denn ihr hinderlich war.

In den Saisons 2014/2015 und teilweise 2015/2016 überlud Bayern häufig die Feldmitte mit Achtern und eingerückten Außenverteidigern. Das Ziel bestand generell nicht darin Gegebenheiten zu kreieren, in denen numerische Überlegenheit sich zum Überspielen des Gegners durch diese Bereiche nutzen ließ. Vielmehr ging es darum, Raum erstens in äußeren Bereichen, wo die Flügelstürmer so viel Platz wie möglich erhielten, um in 1gegen1-Situationen zu dribbeln, und zweitens für Alonso zu schaffen, um den Ball dorthin zu verteilen. Das Szenario war so nah am American Football wie man es im Fußball kaum näher finden wird: Die vor dem Quarterback (Alonso) befindliche Linie (Achter und eingerückte Außenverteidiger) schuf Raum für ihn, während die breiten Zielspieler (Flügelstürmer) die Gelegenheit erhielten, eine Aktion in aus dem Kontext heraus “isolierten” Situationen zu suchen. Ohne ausreichende Unterstützung jener offensiveren Linie wird es der Quarterback schwer haben, seine Aufgabe sauber und erfolgsstabil auszuführen.

Sich umfänglich in jeweils eine günstige Struktur sowohl zur Ballsicherung als auch zur Ball(rück)eroberung zu organisieren, ist für Mannschaften während des laufenden Spiels immer schwieriger als bei ruhenden Bällen, wo man mehr Zeit hat um zu antizipieren, was passieren könnte. Aber Guardiolas Bayern war eines der besten Teams jemals in Sachen eigener (Re-)Organisation, wobei eine der kollektiven Hauptaufgaben in der Unterstützung Alonsos bestand, indem man ihm Zeit und Raum schuf und dadurch die Chancen auf dessen akkurate Pässe erhöhte.

Xabi gelang es durchgängig so erfolgsstabil, die Flügelstürmer in 1gegen1-Situationen zu lotsen, dass gegnerische Trainer ihn häufig aus Bayerns Ballbesitzspiel herauszunehmen versuchten, indem sie ihn durch einen bestimmten Spieler stets eng verfolgen ließen. Selbst hier nahm Xabi eine entscheidende Rolle ein, um attackierende Offensivaktionen um ihn herum zu ermöglichen. Wenn beispielsweise ein Innenverteidiger der Bayern den Ball hatte, konnte Alonso sich horizontal aus dem vertikalen Passweg herausbewegen, zog seinen Bewacher mit und erzeugte damit eine Passmöglichkeit zu einem höheren Mittelfeldspieler oder Stürmer. Er justierte zudem geschickt seine Positionen im Laufe von Spielen in Reaktion zu seiner Umgebung. Indem er höher ins Mittelfeld schob, verhinderte er, dass der gegnerische Stürmer sowohl Alonso selbst im Deckungsschatten halten als auch gleichzeitig den ballführenden Innenverteidiger anlaufen konnte. Mit solchen Aktionen waren also raumöffnende Alternativen möglich.

Insgesamt ist dies ein gutes Beispiel für das Minimieren von Risiko in Verbindung mit der Nutzung des einzigartigen Fähigkeitenprofils eines Spielers jenseits seines Peaks. Xabi selbst sprach davon, dass er immer versuchte auf Antizipation seiner Umgebung zu setzen – genau dies ist entscheidend, um negative Ergebnisse aus dem Eingehen von Risiken zu minimieren. Antizipieren erfahrene Spieler die Erfolgsstabiltiät einer riskanten Aktion etwas besser? Sind Unterschiede hinsichtlich der Antizipationsfähigkeiten zwischen eher unerfahrenen und eher erfahrenen Spielern auf Top-Level kleiner?

Einer der Gründe für die Besonderheit jener Situation Alonsos bei Bayern ist ihre schwierige Wiederholbarkeit. Wie sollte zum Beispiel ein gegnerischer Mittelfeldspieler in Unterzahl auf Thiago Alcantara oder Xabi Alonso reagieren, wenn er mit einer engeren Deckung des einen den anderen außer Acht lassen würde? Bayern hatte einen der besten Kader des Weltfußballs, der von der vielleicht einzigen Person trainiert wurde, die das Orchester in genau jener Weise anordnen konnte. Sicherlich war Xabi ersetzbar in diesem System, aber ein sichereres Rädchen hätte nicht unbedingt das gleiche Ergebnis im Getriebe gebracht – Insbesondere insofern, dass Alonsos auf Passrisiken eingestelltes Fähigkeitenprofil so eingebunden wurde, dass es sich mit den Qualitäten der Mitspieler um ihn herum zum großtmöglichen Effekt ergänzte.

Mit einer individuell schwächeren Besetzung wäre es schwierig nachzubilden, was die Bayern von Zeit zu Zeit zu leisten vermochten, unabhängig von der Dominanz und den Titeln, die mit diesem Stil einhergingen (auch wenn es nicht unmöglich wäre). Man kann hier, nichsdestrotrotz, generell etwas lernen in Bezug darauf wie, besonders auf dem höchsten Level, Mannschaften gleichzeitig riskant und sicher agieren können, im Zuge eines feinen Balancierens, wie die eigenen Individualisten sich gegenseitig zu einem harmonischen, kollektiven System ergänzen.

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