Türchen 7: Jordan Pickford

Bei der Weltmeisterschaft 2018 gelang dem damals 24 Jahre alten Jordan Pickford im Tor der englischen Nationalmannschaft mit seiner risikobereiten und einsatzfreudigen Interpretation des Torwartspiels der internationale Durchbruch. Heutzutage zeichnet sich der Torhüter des FC Everton immer noch durch einen typisch englischen Spielstil aus – auch wenn er sich in einigen Punkten an seine Kollegen auf dem europäischen Festland angenähert hat.

Foto: Frank Augstein – Pool/Getty Images

Typisch Englisch…

In Bezug auf seine Spielweise ähnelt Pickford in vielen Aspekten seines Torwartspiels einem klassischen Reaktionstorhüter, wie es Oliver Kahn oder Iker Casillas einst waren.

So wählt er bei der Zielverteidigung in der Regel tiefere Positionen und steht beispielsweise häufig näher zum eigenen Tor als der Belgier Thibaut Courtois von Real Madrid, der zu den modernen Antizipationstorhütern zählt. Dieser Aspekt wird z.B. in direkten Duellen mit den gegnerischen Angreifern deutlich: In vielen dieser Situationen kann der 1,99 Meter große Courtois auf den Stürmer herausrücken und einen sicheren Block im passenden Abstand zum Angreifer setzen, um zum einen die effektive Trefferfläche für den Stürmer fast vollständig zu reduzieren und zum anderen nicht allzu große Gefahr zu laufen vom Angreifer ausgedribbelt zu werden. Diese Möglichkeit hat der 1,85 Meter kleine Pickford aufgrund seiner geringeren Reichweite nicht in diesem Maße: Läuft der Stürmer aus zentraler Position auf sein Tor, kann er den Gegner nicht so weit vor dem eigenen Tor stellen wie Courtois, denn um die effektive Trefferfläche des Tores vollständig abzudecken, müsste er sehr nahe an den Angreifer heranrücken und würde so riskieren einfach umspielt zu werden. Pickford wählt deshalb stattdessen wie angesprochen in der Regel tiefere Positionen in Tornähe, aus denen er dem Gegner erst kurz vor Schussabgabe entgegen geht. Er versteift sich in diesen Situationen dann häufig nicht auf das Setzen eines Blocks, sondern springt dem Gegner teilweise aktiv entgegen. Dass Pickford mit dieser Spielweise augenscheinlich erfolgreich ist, obwohl ihr Erfolg viel stärkeren Schwankungen unterworfen ist als jene von Courtois, steht mit seiner hohen Explosivität, der großen Beweglichkeit und dem guten Gespür für die Optionen seiner Gegenspieler in Tornähe in Zusammenhang, wobei alle drei Aspekte wiederum in direktem Zusammenhang mit Pickfords geringer Körpergröße stehen. Pickfords gutes Gespür für die Optionen seiner Gegenspieler versetzt ihn dabei häufig in die Lage Abschlüsse zu antizipieren, verleitet ihn aber auch immer wieder dazu auf bestimmte Aktionen der Angreifer zu spekulieren.

Der notwendigerweise starke Fokus auf explosive Bewegungen nach vorne und in den Ball bei der Abwehr von Torschüssen hilft Pickford trotz seiner tiefen Grundposition dabei, weiter entfernte Bälle zu erreichen, indem er ihnen quasi entgegenspringt, und so den Weg zum Ball verkürzt. Er führt aber auch dazu, dass Pickford einmal in der Luft, kaum noch darauf reagieren kann, wenn Bälle abgefälscht werden oder zu flattern beginnen. Torhüter, die aufgrund ihrer Größe weitere Wege in die Torecke ohne lange Flugphase zurücklegen können – hier sei beispielweise Koen Casteels genannt – besitzen hingegen die Möglichkeit immer auch auf unvorhergesehene Einflüsse nach der Schussabgabe zu reagieren. Der angesprochene Fokus auf kurze und explosive Bewegungen hat außerdem zur Konsequenz, dass Pickford viele Bälle nur noch zur Seite abwehren und nicht festhalten kann, die Weltklassetorhüter wie Manuel Neuer noch sichern können, während Pickfords schnelle und kurze Bewegungen es ihm häufig nicht möglich machen mit beiden Händen zum Ball zu gehen.

…mit modernen Elementen

Was heute im modernen Torwartspiel die Regel ist, gilt mit Abstrichen ebenfalls für Pickford. Der Engländer spielt auch außerhalb des Strafraums mit und klärt viele Bälle schon bevor sie zur Gefahr werden. Und auch bei Flanken ist Pickford präsent, wenn er es denn sein muss. Dabei ist auffällig, dass Pickford sowohl beim Mitspielen außerhalb des Strafraums als auch beim Verteidigen von Flankenbällen häufig sehr spät in die eigentlichen Aktionen kommt. In Bezug auf das Mitspielen außerhalb des Strafraums lässt sich dieser Umstand auf die zumeist tiefe Grundposition und die damit verbundenen langen Wege zum Ball zurückführen. Im Kontext der Strafraumverteidigung scheint es so, als wolle Pickford aufgrund seiner Größennachteile möglichst vermeiden mit wenig Schwung zum Ball zu steigen, sodass er stattdessen bewusst riskiert nach langem Anlauf und mit Tempo mit dem Gegner zusammenzustoßen, dafür aber sicher eine hohe Absprunghöhe erreicht.

Und auch in der Spieleröffnung zeigt Pickford moderne Elemente: Hier sei vor allem seine große Reichweite bei Flugbällen erwähnt, die er häufig im Kontext schneller Gegenangriffe spielt. Wie es sich für das klassisch englische Torwartspiel gehört, spielt Pickford diese Bälle zumeist ohne Unterschnitt, sodass sie in der Regel zwar mit viel Tempo kommen, aber gleichzeitig schwerer zu verarbeiten sind als Zuspiele mit Rotation, die zum Ende hin an Geschwindigkeit verlieren. Dabei stellt die risikofreudige Grundhaltung, mit der Pickford diese Bälle spielt – entweder sie kommen an und es wird gefährlich oder eben nicht – genauso wie die vielen anderen angesprochenen Aspekte den Grund dar, wieso es der Engländer in diesen Adventskalender geschafft hat.

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*