Türchen 17: Achraf Hakimi
Achraf Hakimi ist der Traum und gleichzeitig der Albtraum eines Trainers. Der junge Außenverteidiger kann mit grandiosen Einzelleistungen Partien entscheiden, aber ebenso mit wilden Aktionen ein vehementer Unsicherheitsfaktor sein. Vielleicht ist es da nur folgerichtig, ihn weiter vorn einzusetzen?
Als Hakimi vor gut eineinhalb Jahren bei Borussia Dortmund unterzeichnete, wurde er ausschließlich als Außenverteidiger angesehen – von vielen sogar als reiner Rechtsverteidiger. Diese Position hatte er zuvor bei Real Madrid begleitet. Doch bei genauerem Hinsehen hätte auffallen können, dass Hakimi mehr ist als ein reiner Rechtsverteidiger. In der marokkanischen Nationalmannschaft spielte er nämlich häufig auf der linken Seite und brachte dort als Rechtsfuß eine vielversprechende Diagonalität ins Spiel.
Recht rasch wurde ersichtlich, dass Hakimi für den BVB sowohl als Links- als auch als Rechtsverteidiger auflaufen könnte. Allein dieser Fakt bescherte Lucien Favre zusätzliche taktische Optionen. Hinzu kommt der häufig unterschätzte Vorteil für den Spieler, dass dieser durch regelmäßige Seitenwechsel eingefahrene Bewegungsabläufe aufbricht und seine Agilität steigert.
Über ein grundlegendes Maß an Agilität verfügt Hakimi sowieso; über außerordentliche Schnelligkeit erst recht. Er ist einer der dynamischsten Flügelspieler im Profifußball, was Fluch und Segen ist. Segen, weil er natürlich Gegenspieler ausbeschleunigen und Lücken schnell schließen kann. Fluch, weil er sich im Klaren darüber ist, dass er Lücken so schnell schließen kann. Das spielt dem taktisch wilden Hakimi in die Karten. Hat er keinen defensivbewussten Flügelspieler wie etwa Raphaël Guerreiro vor sich, der regelmäßig die Vorstöße Hakimis absichert, dann kann der Marokkaner die restliche Abwehrkette in defensiven Umschaltsituationen zuweilen gehörig unter Druck bringen. Doch das ist Thema für einen anderen Artikel…
Premiere gegen Slavia
Ein Blick in die kurze Spielerbiografie von Hakimi offenbart nämlich noch einen weiteren interessanten Aspekt: Er schlüpfte sowohl für die Nationalmannschaft als auch vereinzelt für die zweite Mannschaft von Real Madrid in die Rolle des Flügelstürmers. Ob sich Favre dessen bewusst war, als er in dieser Saison damit begann, Hakimi verstärkt auf die offensiveren Außenpositionen einzusetzen, ist nicht überliefert.
Klammern wir einmal die Erstrundenpartie gegen den KFC Uerdingen aus, so war Hakimis erster ernsthafter Auftritt als Flügelstürmer im 4-2-3-1/4-4-2 im Auswärtsspiel gegen Slavia Praha. Also in jenem Spiel, das er mit zwei Toren für den BVB entschied. Das war ein Ausrufezeichen, auf das weitere Auftritte in dieser Rolle – ob nun auf der linken oder rechten Seite – folgten.
Dortmund befand sich in jener Saisonphase in einer zunehmenden Ergebniskrise. In der Bundesliga hagelte es Unentschieden; in der Champions League war nach der Niederlage gegen Inter das Weiterkommen in Gefahr. Wie sich im weiteren Saisonverlauf noch einmal deutlicher herausstellen sollte, neigt Favre dann dazu, mit taktischen Maßnahmen zu experimentieren.
Engen und Weiten
Eventuell bestand die Überlegung, dass Hakimi aufgrund seiner eigentlichen Rolle als Außenverteidiger mehr Defensivkompetenz auf der Position des Außenstürmers mitbringen könnte. Dortmund zeigte sich beispielsweise gegen Eintracht Frankfurt und den SC Freiburg als anfällig auf den Flügeln, weil bei Übergaben in der Deckung oder auch bei verzögerten gegnerischen Vorstößen in der zweiten Angriffswelle nicht richtig reagiert wurde. Hakimi konnte solche Fehler mit seiner Schnelligkeit gelegentlich noch ausbügeln.
Wichtiger war jedoch der offensive Impact, den der 21-Jährige mitbrachte. Interessanterweise erzeugte Hakimi vor allem mehr Präsenz am und im Zehnerraum und nicht etwa mit klassischen Durchbrüchen zur Grundlinie. Er fügte sich damit in die an sich schon vorhandene Diagonalität des Dortmunder Flügelspiels ein, denn seit langem ist das Passspiel so angelegt, dass auf mittlerer Höhe das nächste Zuspiel in den nächstgelegenen inneren Raum erfolgen soll. Die Alternative wäre ein Pass außen am Gegenspieler vorbei, wodurch der Empfänger jedoch selbst zur Seitenlinie getrieben werden würde.
Hakimi half insofern der Struktur des BVB, weil er den offensiveren Viererblock nicht unnötig auseinanderzog, sondern zur Kompaktheit beitrug. Diese Kompaktheit ist bei ruhigeren Ballbesitzphasen von einigen Borussen gewünscht, weil sie damit den Ball zunächst in eine Druckzone spielen und kurzzeitig mit einem ballsicheren Akteur sichern können, um dann den Ball entsprechend aus dem Ballungsgebiet des Gegners wieder herausmanövrieren und die nun sich geöffneten Zonen auszunutzen.
Als Außenverteidiger war Hakimi oftmals der Empfänger des übernächsten Passes. Zunächst lief der Ball aus der Druckzone, während sich Hakimi von außen in Richtung Halbraum-Schnittstelle bewegte. Als Flügelstürmer war er hingegen selbst in die vorbereitenden Pässe innerhalb und nahe dieser Zone involviert. Favre brachte ihn dazu, mehr Entscheidungsruhe zu zeigen und seine Bewegungsreichweite entsprechend anzupassen. Er setzte eben nicht zu einer großen Impulsbewegung an, mit der er sich vielleicht den Ball einige Meter vorlegte und damit auch visuell das Spielfeld auf der Außenbahn öffnete. Stattdessen hielt er den Ball nahe bei sich, achtete auf seine Passgewichtung und die Kleinteiligkeit im Zehnerraum.
Für Highlights sorgte Hakimi natürlich bei Umschaltsituationen, als er seine Tempovorteile gegen die Restverteidigung des Gegners auszunutzen wusste. Dieser Vorteil lag von Beginn an auf der Hand, kann aber nicht der Hauptgrund für die Rollenveränderung Hakimis gewesen sein. Auch wenn das erste Spiel gegen Slavia ein Paradebeispiel dafür war, wie der BVB in einer durchwachsenen Partie mit wenigen durchschlagskräftigen Aktionen die Angelegenheit für sich entschied, so waren viele Bundesligaspiele für die Dortmunder mit Hakimi als Außenstürmer immer noch von langen Ballbesitzphasen geprägt.
Interessanter an der Umstellung war schlichtweg der Einfluss, den der an sich etwas unorthodoxe Hakimi innerhalb des Passspiels nehmen konnte und wie er seine Spielweise angemessen veränderte.
Ausblick
Dass er anpassungsfähig ist, zeigte er auch in den vergangenen Wochen. Im neuen Dortmunder 3-4-3 spielt Hakimi einen geradlinigeren Flügelläufer, der seltener als noch in der Funktion des Außenverteidigers den Diagonallauf von der linken Seite suchte. Manchmal wirkt der 21-Jährige noch zu sehr wie ein Außenverteidiger, der unbedingt den Kettenkontakt halten möchte. Gleichzeitig ist ein solches System nicht unbedingt dafür gemacht, dass der Flügelläufer regelmäßig einrückt. Dafür besetzen schon der präsente Brandt und auch zuweilen Halbverteidiger Dan-Axel Zagadou den Halbraum.
Sollte Favre irgendwann zum 4-4-2 zurückkehren, dann könnte er jedoch wieder auf Hakimi in der Mittelfeldkette zählen und auf jene Rolle zurückgreifen, die der hochtalentierte Flügelallrounder in dieser Saison bereits vorzüglich ausfüllte.
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