Schwarz-gelbe Schwermut

2:2

Borussia Dortmund gelingt in dieser Saison nicht einmal ein Sieg bei Lieblingsgegner SC Freiburg. Stattdessen kreiert der selbsternannte Titelkandidat wenig aus dem Spiel heraus und verteidigt bei Führung einmal mehr passiv. Der Sport-Club bedankt sich.

In Sachen Formation überrascht keiner der beiden Trainer zu Beginn der Partie. Lucien Favre bleibt beim 4-2-3-1 – dieses Mal wieder mit Mario Götze als Sturmspitze – und Christian Streich vertraut auf das mittlerweile bewährte 3-4-2-1, wobei er Gian-Luca Waldschmidt den Vorzug gegenüber Veteran Nils Petersen gibt. Die Freiburger konnten sich in den Jahren zuvor nahezu nie gegen den BVB behaupten und blieben bei Heimspielen unter der Führung Streichs sogar bis zu diesem Samstag ohne eigenen Treffer gegen Dortmund.

Grundformationen: Dortmund offensiv, Freiburg defensiv

Dortmund beginnt mit dem Ball

Zunächst dominiert der BVB auch einmal das Geschehen. Favres Mannschaft lässt den Ball recht flüssig durch die hinteren Linien laufen und verspürt angesichts der tiefen 5-4-1-Verteidigung Freiburgs auch wenig Druck. Eigentlich stehen die Vorzeichen gut, dass Dortmund sich den Gegner nach und nach zurechtlegt und dann Lücken für Anspiele auf Götze oder auch Marco Reus findet.

Allerdings bleibt genau das aus. Die Anlaufbewegungen des BVB sind vorhersehbar und einfach zu verteidigen. In den ersten 15 Minuten der Partie zeigen vor allem Mats Hummels und Thomas Delaney auf der halblinken Seite Präsenz am Ball. Aber ihre geradlinigen Zuspiele in den davor liegenden Raum führen zu keinem nennenswerten Resultat, weil Freiburg die Angriffe nach außen ableiten kann und dann mit der Fünferkette die Flügeldribblings verteidigt.

Bedenklich erscheint allenfalls, dass die Hausherren nach erzwungenen Rückpässen oder Befreiungsschlägen nur sehr langsam herausrücken und dadurch dem BVB wieder einfachen Ballbesitz ermöglichen. Dieser fehlende Druck auf die Dortmunder ermöglicht den Gästen Aktionen am und im Strafraum Freiburgs; er ermöglicht auch Ecken wie jene zum 0:1 durch Axel Witsel, der sich im Rücken von zwei manndeckenden Freiburgern in Position bringt und per Direktabnahme abschließt.

Freiburg reagiert auf den Rückstand

Dieses Gegentor entpuppt sich als Weckruf für Freiburg. Der SCF ändert seine Grundpositionierung und attackiert die Abwehrkette der Dortmunder intensiver. Im 4-2-3-1-Pressing des BVB bleibt Reus zumeist bei Nicolas Höfler, während Amir Abrashi nach vorn schiebt. Durch Abrashis Präsenz wie auch die zentrale Positionierung von Lucas Höler und Janik Haberer wirken die vier Dortmunder Zentrumsspielern in der Defensive nicht immer fokussiert und verlieren beispielsweise Waldschmidt bei dessen Chance nach 17 Minuten aus den Augen. Freiburg versucht Unruhe und Verwirrung zu stiften, ohne dabei einem vorgezeichneten Plan zu verfolgen, sondern möchte stattdessen Offensivzonen intuitiv nutzen.

Grundformationen: Freiburg offensiv, Dortmund defensiv

Nach dem 0:1 agieren gerade Höler und Haberer forscher als zuvor, weil sie nicht aus einem tiefen 5-4-1 heraus die Wege nach vorn suchen müssen. Haberer driftet vielfach nach rechts; Höler bleibt eingerückter und hält das Angriffsdreieck bei Freiburgs Angriffen über die rechte Seite kompakt. Er tut das in dem Wissen, dass Christian Günter auf links die weiten Weg rasch zurücklegt und für etwaige Verlagerungsbälle bereit steht.

Der BVB hat seinerseits immer größere Schwierigkeiten, eigene Angriffe anzukurbeln. Freiburg verteidigt häufiger im hohen 3-4-3 und streckt dabei das Spielfeld in die Länge. Die Linien des SCF stehen bewusst weit auseinander und bringen dadurch die Abseitslinie viele Meter in die eigene Hälfte. Da Dortmund seit der Mitte der ersten Halbzeit dazu tendiert, mit vier oder fünf Spielern an der Abseitsgrenze zu stehen, zieht Freiburg die Gäste noch weiter auseinander.

Durch die größeren Abstände innerhalb der Dortmunder Mannschaft wird der Spielaufbau dribbellastiger und ist von mehr Eins-gegen-Eins-Situationen geprägt, weshalb der BVB instabiler und anfälliger für Ballverluste wirkt.

Zweite Halbzeit

Beide Teams kommen ohne nennenswerte taktische Veränderung aus den Kabinen. Freiburg bleibt die druckvollere Mannschaft mit ihren attackierenden Pässen in die offensiven Halbräume – und damit auf die wichtigen Haberer und Höler. Haberer ist es auch, der Hummels vorm Ausgleichstreffer aus der Verteidigung herauszieht und vorm Dortmunder Abwehrchef noch die Ablage spielt, die wiederum den aufgerückten Jonathan Schmid ins Spiel bringt. Dessen Querpass landet bei Torschütze Waldschmidt.

Den Freiburgern gelingt es, die Ballbesitzanteile ausgeglichen zu gestalten und den Dortmundern damit auch die letzte Sicherheit zu nehmen. Der BVB versteift sich bei eigener Führung oftmals darauf, den Ball so lange wie möglich in den eigenen Reihen und damit die Chance auf einen Gegentreffer gering zu halten. Nach einem Ausgleichstreffer ändert sich diese Einstellung allerdings wieder. So auch gegen Freiburg.

Es bedarf jedoch eines individuellen Gegenpressing-Moments, um das zweite Tor zu erzielen. Vorm 1:2 durch Hakimi kann Robin Koch den Ball am eigenen Strafraum nicht klären. Stattdessen kommt Dortmund wieder in Ballbesitz und profitiert von Jadon Sanchos guter Übersicht und dessen öffnenden Passes auf den freien Hakimi, der sich dieses Mal nicht dazu entscheidet die Flanke zu schlagen und lieber das Dribbling gegen Günter und den Abschluss sucht.

Ketzerisch könnte man sagen, dass dieser Treffer in der 67 Minute eigentlich 20 Minuten zu früh kommt. Denn im Anschluss zieht sich Dortmund im passiven 4-4-2 in die eigene Hälfte zurück und lässt allenfalls noch Götze und Reus als störende Läufer gegen Freiburgs Aufbauzentrum spielen.

Der Sport-Club macht seine Sache in dieser Phase allerdings auch nicht unbedingt perfekt, denn durch die Einwechslung von Petersen für Abrashi stellt Streich auf ein 4-2-4 um. Damit fehlt den Freiburgern nun die Präsenz zwischen den Linien, von der sie vorher so profitieren. Die insgesamt breite Staffelung und die gespiegelten Formationen verschaffen den individuell stärkeren Dortmundern einen Vorteil.

Aber der BVB hat derart wenige Ballgewinne – nur drei nach dem 1:2 – und damit auch Entlastungsangriffe, dass er regelrecht auf den Ausgleich wartet. Favre tut mit der Einwechslung von Außenverteidigung Marcel Schmelzer für Julian Brandt sein Übriges, indem er seiner Mannschaft signalisiert, dass sie das Ergebnis nur über die Zeit retten soll. Das gelingt dank eines etwas kuriosen Eigentores von Manuel Akanji am Ende aber nicht.

Fazit

Damit spielt Borussia Dortmund zum dritten Mal in Folge in der Bundesliga nur 2:2. Der Spielverlauf ähnelte den vorherigen Partien gegen Frankfurt und Bremen. Und die Erkenntnisse sind ebenso vergleichbar:

  1. Die Dortmunder verstehen es nicht, den eigenen Spielrhythmus in langen Ballbesitzphasen zu erhöhen. Es ist der immer gleiche Trott, anstatt durch eine Abfolge an schnellen Sprints und Pässen den Gegner zu überraschen und mit etwas mehr Druck nach vorn zu kommen, wenn der BVB den Gegner schon nicht geduldig auseinanderspielen kann.
  2. Um mit geduldigem Ballbesitzfußball zum Erfolg zu kommen, fehlt es Dortmund am passenden Positionsspiel. Das 4-2-3-1 wirkt arg schematisch und zeigt keinerlei Ansätze, dass der BVB gewisse Zonen situativ überlädt oder auch nur durch asymmetrische Spielweise einen Schwerpunkt bei Angriffen setzt.
  3. Durch dieses behäbige Ballbesitzspiel ist Dortmund auch zunehmend pressinganfällig, was wenig mit der Qualität der Einzelnen, aber viel mit systemischen Fehlern zu hat.
  4. Diese Behäbigkeit am Ball, das oftmalige Abbrechen von Angriffen ganz nach Favres Vorstellungen sowie die gewollte Passivität und tiefe Verteidigung bei eigener Führung zeichnen ein Bild, das dann im größeren Diskurs natürlich die klassischen Fragen nach Mentalität und Einstellung aufwerfen, aber am Ende vor allem mit der strategischen Ausrichtung der Mannschaft zu tun haben.

Zum SC Freiburg bleibt nur zu sagen, dass Streichs Mannschaft in dieser Saison einen sehr gefälligen Fußball spielt, der gerade von dem offensiven Dreieck ganz vorn sowie der unermüdlichen Flügelpräsenz eines Günters und auch Schmids lebt. Es macht ganz einfach Spaß, dieses talentierte Team zu beobachten.

mba 17. Oktober 2019 um 09:29

Ich verstehe nicht die große Kritik an Favres Ballbesitzfußball.

Unter Favre hat der BVB 100 Tore in 41 Bundesligaspielen geschossen. Ich glaube, der BVB hatte unter keinem anderen Trainer einen höheren Toreschnitt. Dabei trifft der BVB quasi gegen jeden Gegner und jede Taktik. Nur drei der 41 Spiele blieben ohne Torerfolg des BVBs.

Ein Großteil dieser offensiven Durchschlagskraft resultiert natürlich aus der individuellen Klasse der Spieler. Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, dass diese hohe Torausbeute möglich wäre, wenn Favres Ballbesitzfußball tatsächlich zu „behäbig“ ist, das „passende Positionsspiel fehlt“ und „Dortmund es nicht versteht, den Spielrhythmus zu erhöhen“ wird.

Ich denke, die Kritik an Favres Ballbesitzfußball spiegelt den Eindruck wieder, unterschlägt aber die Effektivität.
Der BVB kommt unter Favre recht selten zu Abschlüssen. Auch gibt weniger riskante Pässe in die Spitze, bei denen die Fans direkt Torgefahr wittern.
Stattdessen gibt es viel Ballgeschiebe ohne direkt erkennbaren Nutzen.
Favres Ballbesitzfußball ist alles andere als spektakulär und alle Kritik schiene mir berechtigt, wenn nicht die hohe Torausbeute wäre.

Daher wirkt die Kritik, die sich letztendlich auf das Erspielen der Torchancen bezieht, auf mich übertrieben.

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Merkur836 17. Oktober 2019 um 11:11

Um es für meinen Teil vielleicht doch nochmal zu präzisieren: Die Offensivpower ist außer Frage, im mannschaftlichen Gebilde sehe ich persönlich und ganz subjektiv auch keine strukturellen Schwächen, der Kader ist ausgewogen stark und auf sehr hohem Niveau, mit einer guten Mischung aus Alt und Jung, Erfahren und Schnell, körperlicher Robustheit und spielfreudiger Dynamik, das alles bei einer taktischen Variabilität durch verschiedenste Spielertypen mit unterschiedlichsten Skillsets (Im Sturm noch ein bulliger Typ und die Mannschaft hätte einen vollständigen Werkzeugkoffer für so ziemlich alle handelsüblichen Probleme). 100 Tore in 41 Bundesligaspielen stehen doch absolut dafür. Ich sehe auch, dass mit Spielen wie das erste gegen Bayern, das erste gegen Atletico, das vergangene gegen Leverkusen oder phasenweise gegen Barcelona Spielstärke und Kontrolle nicht das Problem sind. Das Problem sind diese „zwei Gesichter“, um es mal so zu sagen, die der BVB innerhalb eines Spiels zeigen kann. Das Problem kreist sich doch an der Stelle ein, dass der BVB gegen Ende des Spiels oft Phasen hat in dem es vom Angriffs- in das Verteidigungsspiel wechselst oder gleich das Spielen einstellt und dann 1-2 Tore kassiert und es dabei aussieht, als ob völlig hilflos nur noch auf die Gegentore gewartet wird und es auch locker mehr als nur 1-2 Gegentore werden können. Und genau hier wundere ich mich über Favre dann doch:

Warum hat der BVB solche teilweise ganz schlimmen Phasen nie z.B. zum Anfang eines Spiels oder wenn er noch nicht führt? Vielleicht, weil das In-Game-Coaching versagt? Vielleicht weil das taktische Korsett nicht so stark ist wie vermutet? Oder nicht so Variabel wie es mit diesen Spielern möglich wäre?

Wenn das Problem der zwei Gesichter zur Hinrunde vergangener Saison nicht da war und man Spiele am Ende oft eher noch zum positiven gedreht hat und vermutet wurde, Favre-Mannschaften haben einfach einen Fitness-Vorteil, warum ist das seit der RR dann nicht mehr so? Haben andere Mannschaften besser gearbeitet? Sind hier Fehler passiert? Oder ist Fitness überhaupt mal der Grund gewesen?

Warum versucht Favre, wenn das Problem seit Ende der vergangenen Hinrunde besteht, nichts Neues? Kommt die Mannschaft von selbst jedes Mal auf die Idee nach (ausreichender) Führung so passiv zu verteidigen? Hört sie, oder hört sie nicht auf den Trainer?

Und auch wenn ich es bereits paar Mal in diesem Thread schon erwähnt habe: Wenn mehrere Trainer das gleiche Ergebnis gegen den BVB produzieren und sie anschließend sagen, Favres Fußball sei erwart- und ausrechenbar, warum folgt daraus nichts? Bzw., wenn die Mannschaft nicht genügend umsetzen kann, was der Trainer von ihr verlangt – wer ist dann das Problem? Die Mannschaft oder der Trainer?

Wenn der BVB in jedem Heimspiel mindestens 2 Tore schießt, warum gewinnt man dann so viele davon nicht? Bzw. nochmal anders gedreht: Sollte es ein „Mentalitätsproblem“ sein, Führungen über die Runden zu bringen, ist Favre dann, nach dem das Problem ja nicht erst seit 4-5 Spielen da ist, noch derjenige, der es in der Mannschaft drehen kann?

Ich finde, mangelnder spektakulärer Fußball ist nicht das Problem, ich finde den Favreschen Fußball auch nicht hässlich, sondern oft auch herausragend und zudem effektiv. Mein Problemkreis dreht sich nur um das Thema „Spiel bei Führung“ – also 1. das passive Verteidigen, 2. das Vermeiden von Nadelstiche-Setzen durch Konter und 3. der ausrechenbare Mitte-lastige Fokus, der alle Zentrumsspieler blass aussehen lässt. Und meine Vermutung: das ist nichts was aus den Spielern selbst heraus so entschieden wurde, sondern entgegen des Spielerrhytmusses Teil der strategischen Ausrichtung der Mannschaft ist. Die leider ausrechenbar ist und den Gegner dazu einlädt, gegen den BVB nie aufzugeben. Wenn der BVB seine oft sehr dominant erspielten Führungen endlich öfter ausspielen würde, dann ist auch ein echtes Meisterschaftsrennen drin.

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tobit 17. Oktober 2019 um 12:28

Meine Kritik an seinem Ballbesitzfussball ist: es könnte deutlich besser sein. Strukturell wäre mehr möglich. Im Bewegungsspiel wäre mehr möglich. Es wären mehr Angriffsrouten möglich. Die Mannschaft kann mehr, Favre kann mehr, also Messe ich sie daran.
Du sagst es ja auch: Chancen und Tore entstehen hauptsächlich aus individueller Klasse. Wenn ich nur das will, kann ich auch Dieter Hecking als Trainer nehmen. Will ich aber nicht, weil es kein effektiver Mitteleinsatz ist.

100 Tore in 41 Spielen sind 2,44 Tore pro Spiel. Gleichzeitig hat man 55 (1,34/Spiel) Gegentore kassiert. Unter Tuchel hat man 154 Tore in 68 Spielen (2,26/Spiel) erzielt und 74 (1,09/Spiel) kassiert. Man hatte also eine bessere Tordifferenz bei (mindestens im zweiten Jahr) schwächeren Kader. Und spielerisch fand ich Dortmund unter Tuchel auch stärker. Bei den Punkten pro Spiel liegt Favre noch knapp vorne (2,15 vs. 2,09), hat aber in jeder Saison einen schwächeren Schnitt als Tuchel (2,24 vs. 2,29 und 1,71 vs. 1,88). Gerade die zweite Saison ist da für mich trotz schmaler Datenlage erschreckend, da man den Kader für Favre massiv verstärkt hat während Tuchel seine Achse verlor.

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Koom 17. Oktober 2019 um 12:30

Ich glaube, das Problem liegt daran, dass es 2 BVBs gibt: Einen vor dem ersten Tor, einen nach dem ersten Tor.

Die erste Halbserie unter Favre sehe ich noch so ein bisserl unter der Prämisse, dass Favres Lehren noch nicht vollständig drin waren, wodurch der Eco-Spar-Modus nach der Führung nicht so ausgeprägt war. Das gepaart mit der Ansicht, dass man sich für sehr viel stärker hält als man vielleicht ist (die erste Halbserie war ja auch teilweise glücklich bzw. sehr effizient) und schon entsteht die aktuelle Situation.

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mba 18. Oktober 2019 um 11:08

Das sehr passive Verhalten bei Führungen empfinde ich ebenfalls als eines der größten Probleme unter Favre.
Ich denke, grundsätzlich ist das nicht gewollt. Soweit ich weiß, wurde das in Interviews von allen Seiten (Favre, Zorc, Spieler) bestätigt.

In der Vergangenheit schaffte es Favre, andere Mannschaften defensiv stabil einzustellen. Wieso sollte Favre dies nicht auch beim BVB hinbekommen können?
Weil er das erste Mal eine Spitzenmannschaft trainiert?
Den Unterschied, wenn man eine Spitzenmannschaft trainiert, sehe ich vor allem darin, dass die meisten Gegner ein Defensivkonzept verfolgen. Es benötigt also vermehrt Lösungen im eigenen Ballbesitz.
Bei eigener Führung ändert sich das aber. Der Gegner verabschiedet sich von seiner Underdog-Taktik und muss mehr aufmachen. Eigentlich eine Situation, die Favre gewohnt sein müsste und in der Vergangenheit erfolgreich meisterte.

Mir scheint es so, dass Favres erprobte Mittel bei Führung öfters nicht greifen. Die teilweise extreme Passivität ist für mich regelmäßig eine Folge von ungewolltem, fehlendem Zugriff: Bekommt der Gegner zu viel Platz und kann die ersten Verteidigungslinien überspielen, zieht sich die Mannschaft automatisch zurück.
Das halte ich nicht für einen Fehler, sondern für eine normale Reaktion, wenn die ersten Verteidigungsmechanismen versagen.
Die nächsten Spiele werde ich stärker darauf achten, ob die Mannschaften sich direkt an den eigenen Strafraum zurückzieht (demnach von Favre gewollt) oder dies erst nach Raumgewinn des Gegners geschieht (das „Einigeln“ also erzwungen wird).

So oder so muss Favre aber Lösung gegen den Ball finden.

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WVQ 20. Oktober 2019 um 13:30

Mir scheint, daß diese (vermeintlichen) zwei Gesichter des BVB nur zwei Seiten derselben Medaille sind und vielmehr auf eine einzige gemeinsame Ursache zurückgehen: Favres enorme Risikoaversion. Er spielt Ballbesitzfußball nicht als Druckmittel – nicht mit einer Struktur, die die Ballbesitzphasen durch eine mehr oder weniger stabile gegnerische Verteidigung hindurch in gefährliche Abschlußzonen tragen könnte (und dort durch gezieltes Gegenpressing unterstützt und getragen würde), sondern einfach, damit der Gegner den Ball nicht hat und man mannschaftlich geschlossen langsam auf dem Spielfeld aufrücken kann, weil der Gegner sich bereitwillig zurückzieht, so daß man irgendwann einfach kollektiv nah genug am gegnerischen Sechzehner ist, um durch individuelle bzw. spontankollektive Klasse gefährlich werden zu können. (Das andere Favresche Angriffsmittel – Überladungen und Durchbrüche über die Außenbahnen, wenn der Gegner höher steht – scheint mir nicht spezifisch ein „Ballbesitzfußball“-Element zu sein und auch in den Spielen jeweils immer weniger bedeutsam zu werden, je höher man gesamtmannschaftlich auf dem Spielfeld situiert ist.)

Die Gefährlichkeit des BVB rührt doch aktuell sehr eindeutig von der enormen individuellen Abschlußstärke (bzw. Stärken für „tödliche“ Vorlagen und Dribblings in Strafraumnähe usw.) her, insbesondere von Reus, Alcácer und Sancho, aber im allgemeinen fast aller, die sich dort vorne rumtummeln. (Der einzige, den ich ironischerweise nicht dazuzählen würde, wäre der einzige Strukturgeber im Team, der noch dazu fast nur noch auf der Neun zum Einsatz kommt – Götze. Und vielleicht Delaney, aber dessen Aufgaben sind ja ohnehin andere.) Man kann Favre absolut anrechnen, daß er diese spezifischen Fähigkeiten nutzt und fördert und eine Mannschaft auf den Platz bringt, die sie immer und immer wieder abruft. (Die jüngste „Beförderung“ von Hakimi zum Außenstürmer ist ein gutes Beispiel für dieses Motiv.)

Diese grundsätzlich immer präsente Bedrohung scheint mir das zu sein, was die meisten Gegner (bis hin zum FC Barcelona – wenn auch seinerseits in arg demolierter Verfassung) dazu bewegt, gegen den BVB prinzipiell sehr vorsichtig in die Spiele zu gehen, lieber tief und kompakt zu stehen und den Ball mehr oder minder freiwillig herzugeben, damit er relativ gefahrlos zwischen Dortmunder Flügeln und Abwehrreihe zirkuliert. Dadurch „funktioniert“ der Favresche „Ballbesitzfußball“ bis zu einer Führung oft „sehr gut“: weil die Gegner sich selbst keine aktivere Spielgestaltung zutrauen, es deswegen nach Dortmunder Kontrolle aussieht und man mit der geballten Kombinations- und Abschlußkraft bei sehr hoher Positionierung auf dem Spielfeld einfach früher oder später auch tatsächlich trifft.

Das heißt aber nicht, daß da etwas wäre, was dann nach den Führungen verlorengeht, daß man dann plötzlich „umschaltet“ oder „anders herangeht“ oder die „Mentalität sich ändert“ oder dergleichen, sondern daß die Gegner in Rückstand – wie hier von anderen schon richtig angemerkt wurde – einfach gezwungen sind, aktiver zu werden, wenn sie das ganze Spiel nicht wehrlos herschenken wollen. Und dann wird einfach nurmehr allzu deutlich, was im Grunde schon in den vermeintlich dominanten Dortmunder Phasen davor sichtbar war: daß die Ballbesitzstrukturen wenig taugen, weil sie lediglich auf Ballhalten bei mangelnder Bedrängnis ausgerichtet sind und nicht darauf, bei gegnerischem Pressing zu bestehen (oder gar noch DURCH das gegnerische Pressing hindurch gefährlich werden zu können). Der Dortmunder Ballbesitzende reagiert auf strukturiertes Pressing grundsätzlich mit Zurückfallen und Rück-/Sicherheitspässen, ggf. auch gerne mal mit langen Schlägen. Er ist im Grunde schon bei der vorgesehenen Art von Ballbesitz hilflos, es fällt nur nicht allzu sehr auf, solange der Gegner sich nicht traut, ein ernsthafteres Pressing zu spielen und diese Schwäche auszunutzen.

Hat der Gegner dann aber den Druck, das Spiel selbst in die Hand nehmen zu müssen, kollabiert diese Ballbesitzstruktur so schnell, daß gar nichts anderes übrigbleibt, als zurückzufallen und „klassisch“ den eigenen Strafraum zu verteidigen. (Stabile Paßstrukturen wären ja ein wunderbares Mittel, sich aus solch einer Belagerung wieder zu lösen, aber davon sieht man tiefstehend bei steigendem Gegnerdruck genauso wenig wie bei hohem, unbedrängtem eigenem Ballbesitz.) Und wenn man dann noch hinzunimmt, daß – offensichtlich vom Trainer gewollt und hier ebenfalls schon völlig zurecht von vielen bemängelt – selbst aussichtsreichste Kontergelegenheiten regelmäßig nicht ausgespielt, sondern frühzeitig abgebrochen werden (man könnte ja sonst noch in einen Gegenkonter laufen!), ist doch vollkommen klar, daß dieses zurückgezogene Gebilde sehr bald und immer wieder und wieder Tore kassieren bzw. den Vorsprung nicht verteidigen können wird. Denn eine geschulte Mauermannschaft ist der BVB ja nun wahrlich auch nicht…

Die alte (und weitgehend wahre) Stammtisch-Weisheit, daß Angriff die beste Verteidigung ist, würde dem BVB aktuell zweifellos helfen – aber dafür fehlen genau dieselben Mittel, die von vornherein für ein strukurierteres Ballbesitzspiel fehlen. Deswegen kann Favre das auch nicht einfach als Devise ausgeben („in Führung weiter Druck machen“), weil in den meisten Spielen der „Druck“ von vornherein nur eine Mischung aus drohender Abschlußstärke und der Gegnerkonzession des unbedrängten Ballbesitzes ist. (Das Spiel gegen Union Berlin hat ja bspw. ganz wunderbar gezeigt, wie diese Erkenntnis der Schlüssel zu Siegen gegen Dortmund sein kann – vom Start weg intensiv und mit etwas mehr Risiko verteidigen, früh selbst auf Tore – und seien es „nur“ Kontertore – spekulieren, dann bricht dem BVB die für das „kontrollierte“ Angriffspiel benötige Ruhe weg und man beginnt mit jeder gegnerischen Drucksituation mehr zu schwimmen.)

Insofern würde ich tobits grundsätzlich völlig richtige Kritik am Favreschen Ballbesitzfußball, daß er einfach deutlich besser sein könnte, noch einmal erheblich steigern: Es ist einfach kein echter Ballbesitzfußball da. (Im Sinne von Strukturen zum Dominieren des Gegners UNABHÄNGIG davon, ob der selbst etwas versucht oder nicht.) Favre vertraut letztlich darauf, daß er mit sehr simplen Mitteln seine gefährlichen Einzelakteure in gute Abschlußpositionen bringen kann. Das sieht, solange der Gegner mitspielt, durchaus punktuell recht gefällig aus, aber einfache Mittel reichen nicht mehr, sobald sich der Gegner selbst etwas mehr zutraut – oder aufgrund eines Rückstands schlicht zutrauen muß. Und dazu braucht es dann eben auch kein Barcelona oder Bayern, sondern „bloß“ ein Freiburg, Bremen, Frankfurt, Union Berlin oder letztlich auch Slavia Prag, das einfach nur dran glaubt, hier selbst etwas holen zu können. (Wenn das von Dortmunder Seite dann häufig nach einem Problem in der mentalen Herangehensweise aussieht, dann deswegen, weil den Spielern eintrainierte Mittel fehlen, um mit solchen Situationen spielerisch umgehen zu können, und nicht, weil sie urplötzlich nicht mehr richtig Fußball spielen wollten – obwohl sie das teilweise sogar selbst zu glauben scheinen.)

Und übrigens ist die konsequente Risikovermeidung (oder das, was Favre darunter zu verstehen scheint – faktisch hat es ja oft gerade den gegenteiligen Effekt) auch ein Element, das es gegnerischen Trainern eben so einfach macht, Dortmund auszurechnen: Es wird nie plötzlich irgendetwas passieren, was Favre nicht vorher schon hundertmal hat spielen lassen – denn dazu müßte er ja etwas riskieren, nämlich daß es unweigerlich kaum eingespielt wäre. Und es erklärt genauso – was an anderer Stelle hier bereits thematisiert wurde – das Festhalten an einer dünnen Stammelf ohne großartige Einsatzchancen für die Ersatzbank: Die haben halt noch nicht die Erfahrung/die Form/die Eingespieltheit, deswegen bringe ich sie lieber nicht, denn ihnen könnten ja Fehler passieren. (Was natürlich nur fördert und selbst eine Ursache dafür ist, daß die „erforderliche“ Form nie kommt.)

PS: Wer im übrigen daran zweifelt, daß Favres zentrale Taktikmaxime die Risikoaversion ist, möge sich vor Augen führen, wie sein „In-game-coaching“ in der Schlußphase gegen Gladbach aussah (und da auch beileibe nicht zum ersten Mal): erst den Neuner auswechseln, um einen zusätzlichen Innenverteidiger zu bringen; dann einen Flügelstürmer auswechseln, um einen weiteren (dann drei?!) Außenverteidiger zu bringen. Am Ende also eine völlig konfuse Sechserkette. Und das wohlgemerkt bei einem Gegner, der längst aufgemacht hatte und bei dem man durchaus (immer noch bzw. erst recht!) in sehr aussichtsreiche Kontersituationen kam. So leitet man seine Mannschaft nicht, wenn man überzeugt ist, daß man eigentlich besser durch „Weiterfußballspielen“ stabil bliebe. So handelt man, wenn einem zum Stabilbleiben einfach nichts besseres einfällt.

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Merkur836 20. Oktober 2019 um 21:17

Interessante Beobachtung, die jedoch schwierige Fragen verursacht. Also, wenn der Ballbesitz-Fußball, den Favre spielen lässt, eigentlich nur „gut“ ist so lange der Gegner nicht drückt und Gas gibt, hat man richtig viele Probleme. Wenn dem ja so wäre, würde es ja dann eben sogar genau seine Risiko-Aversion sein, die zum Beispiel dazu führt, dass Kontermöglichkeiten mit Rückpässen abgebrochen werden, und der BVB sich so selbst in diese Passivität bringt und sich selbst so einschnüren würde in das Problem.

Ich sehe es eigentlich auch so. Dieses Mentalitätsproblem des BVB, was in diese zwei Gesichter resultiert, ist also der Trainer. Das Spiel gegen Gladbach wurde nur gewonnen, weil Hummels 1 ½ Elfmeter verursacht hat, die nicht gepfiffen wurden. Normalerweise hätte es 1:1, wieder in der letzten Minute, ausgehen müssen. Und wieder wäre zum Ende zuvor ein sechster Verteidiger eingewechselt worden, wie zuvor Schmelzer, dann mit Zagadou und Piszczek nur um beim Tor verteidigen wieder das Spiel zu verlieren, statt zu versuchen das Spiel zu gewinnen. Diese Risikoaversität ist das Mentalitätsproblem der Mannschaft.

Ergänzt mit dem, dass andere Bundesliga-Trainer wissen was sie bei Favre zu erwarten haben, entsteht eigentlich eine ausweglose Situation.

Passt also die Mannschaft nicht mit dem Trainer zusammen? So zum Beispiel, bräuchte diese Mannschaft also eher einen konter-und pressingfokussierten Trainer? Ich glaube nicht, dass diese Mannschaft keinen Ballbesitzfußball kann. Ich vermute nur, es zur Zeit gibt keinen anderen Trainer.

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sid 21. Oktober 2019 um 15:13

Vielen Dank für diesen umfangreichen, aufschlussreichen und einfach noch geilen Beitrag!

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Koom 21. Oktober 2019 um 17:18

Hm, die Beschreibung des Problems klingt ähnlich dem, was die Bayern für sich früher ausgenutzt haben: Ihre Gegner haben teils von vorneherein schon kapituliert, nur auf Ergebnisvermeidung gespielt und sich erst recht dadurch auf die Schlachtbank begeben, weil die Bayern darauf spezialisiert waren.

Der BVB spielt dann quasi die Softcore-Variante davon. Du beschreibst das gut: Auch da zieht man geschlossen nach vorne und erzielt quasi zwangsläufig das erste Tor – aber der Gegner wird danach mutiger und diese Struktur zerfällt in Einzelteile, weil sie nicht, wie die Bayern vor allem früher, sowas gewohnt sind, dass der Gegner zupackt.

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mba 22. Oktober 2019 um 09:58

Ich denke, es ist von Favre gar nicht das Ziel, den Ballbesitz gegen mutigere Gegner durchzudrücken. Insofern „kollabiert“ in dem Fall Favres Taktik nicht. Es ist, meiner Meinung nach, eine gewollte Anpassung.
Aussehen sollte das im Idealfall wie gegen Leverkusen. Der BVB kam in dem Spiel auf 33 % Ballbesitz und dominierte dennoch das Spiel. Ein lange Ballzirkulation war nicht das Ziel von Favre.
Auch glaube ich nicht, dass die Gegner des BVBs nur mutiger spielen müssten. Das war zwar auch für mich der Schlüssel für die ein oder andere gegnerische Aufholjagd, aber ich denke nicht, dass dies von Spielbeginn an funktionieren würde. Ansonsten hätten dies schon einige Bundesligatrainer erfolgreich getan.
Für mich waren zum Einen die schwindenden Kräfte Voraussetzung dafür, dass die mutigere Taktik aufging. Dadurch ließ der ein oder andere, ohnehin schon defensivschwache BVB Spieler ab und an einen Weg nach hinten aus bzw. fehlte die Intensität.
Zum Anderen spielt für mich die psychologische Komponente eine Rolle. Hätte der BVB gegen einen in der Endphase mutigen Gegner zurückgelegen, hätten die Spieler die selbe Taktik Favres, meiner Meinung nach, mit mehr Aggressivität und mehr drang nach vorne interpretiert.
Die Spieler schalten einen halben Gang zurück, wenn der BVB in der Endphase in Führung liegt.

Ich glaube jedenfalls nicht, dass eine mutige Taktik für den Großteil der Bundesligamannschaften grundsätzliche die beste Taktik wäre.

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Koom 22. Oktober 2019 um 10:49

„Mutig“ wäre als Taktikvorgabe aber sowieso sehr dünne, das stimmt.

Ich tue mich irgendwie schwer, die Probleme bei der „Einstellung“ zu sehen (Gang zurückschalten etc.). Sie haben eigentlich eine nette, erfahrene Achse da drin, die sowas verhindern können müsste (Hummels, Delaney/Witsel, Reus) und die ganzen Jungen drumherum im Griff haben sollten. In der Kaderzusammenzustellung kann man da wirklich keinen Vorwurf machen, das sind auch alles Charaktere.

Das lässt dann für mich schon den Umkehrschluss zu, dass die Defensivstruktur/idee nicht gut ist. Entweder erfordert sie eine zu hohe Intensität (was ich bei Favre-Teams nie groß als Feature gesehen habe), oder Konzentration.

Vielleicht passen bestimmte Spielertypen auch nicht zusammen: Wie schon in den Jahren zuvor gibt es immer irgendwie ein Loch zwischen Angriff und Abwehr. Vielleicht sind die Offensiven auch einfach zu wenig mannschaftsdienlich/strukturgebend, sondern können halt ihre eine Sache. Das würde auch erklären, warum Favre ganz gerne mal Guerreiro vorne bringt – der denkt „ganzheitlicher“. Vielleicht liegt da der Hund begraben.

Um das weiter zu erörtern: Witsel ist ja durchaus eher ein Achter, Delaney IMO auch eher wie Khedira jemand, der Box-to-Box spielt. Der Spielaufbau bleibt dann gerne mal bei Hummels und Akanji hängen – die das können, aber mit einem 6er davor hätten sie mehr Optionen. Da schreit dann eigentlich vieles nach Weigl, der mit seinem Kurzpaß-orientierten Spiel natürlich auch eine gute Ergänzung wäre für den eher weitpaßlastigeren Hummels.

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mba 22. Oktober 2019 um 15:08

Ich denke auch, dass die Defensivstruktur öfters nicht passte und Favre daran arbeiten muss.

Nur empfinde ich es nicht so, dass Favres Taktik grundsätzlich der falsche Ansatz wäre. Die Konzepte dahinter haben sich durchaus bewährt und auch beim BVB konnte man gegen diverse Gegner und Taktiken sehen, was damit mit möglich ist.

Zu oft zeigte die Mannschaft aber Schwächen und die Frage ist für mich, wo man am besten ansetzen sollte.
Einige fordern die Implementierung anderweitig erfolgreicher Konzepte, vornehmlich Ballbesitzelemente alla Guardiola. Das wäre natürlich eine Lösung, wenn man den passenden Trainer bekäme.
Mir ist das aber zu einseitig gedacht. Im Fußball führen viele Wege zum Erfolg. Was mich wieder dazu führt, wie es mit Favre bergauf gehen könnte:

Durchaus möglich, dass wenige Veränderungen am Kader Einiges verändern würden. Favre hat in der Vergangenheit gezeigt, dass er sich dem Kader anpasst und sich dementsprechend die Stärken und Schwächen der Mannschaft entwickeln.
14/15 ließ Favre bei Gladbach in fast der gleichen Grundordnung wie aktuell beim BVB spielen. Allerdings stellte Gladbach mit 26 Gegentreffern die zweitbeste Defensive nach Peps herausragenden Bayern. Damals hatte Gladbach viele Spieler, die sehr gut gegen den Ball arbeiteten. Offensiv sprang aber wenig heraus (53 Treffer).
Bei Nizza hatte Favre die passenden Spieler für ein Dreiermittelfeld beisammen. Die Folge war, dass 16/17 keine Mannschaft in Frankreich den Ball anteilig so viel durch das Zentrum spielen ließ wie Nizza (siehe whoscored).

Das sind zwei Saisons unter Favre, in denen die heutigen Schwächen des BVBs (Defensive, Spiel durch das Zentrum) zu den Stärken gehörten.
Anpassungen des Kaders könnten vermutlich viel bewirken. Vor allem wenn ein spielstarker Achter in die Stammelf rücken würde, würde ich sich das Spiel des BVBs verändern (vermutlich Abkehr von der Doppelsechs, Fokussierung auf das Zentrum im Ballbesitz).

Schwächen im wesentlichen auf den Kader zurückzuführen, ist aber sicherlich zu einfach. Favre hat Möglichkeiten, ohne Neuzugänge etwas zu verbessern.
Beispielsweise gefiel mir die Schlussphase gegen Gladbach viel besser als gegen Frankfurt. Gegen Gladbach wurden durchaus Ballgewinne erzielt und es ergaben sich Torchancen (Abseitstor, Abschlüsse von Brandt und Reus), auch war es für Gladbach nicht ganz so einfach im ersten Drittel des BVBs.
Frankfurt ließ man hingegen quasi bis zum eigenen Strafraum gewähren und nach vorne ging nichts mehr.

Gegen Frankfurt spielten in der Schlussphase Hakimi/Guerreiro als AVs und Brandt (für Sancho eingewechselt) als RA.
Gegen Gladbach spielte Hakimi als RA und Akanji/Schulz liefen als AVs auf.
Ich denke, das hatte geholfen, um etwas besser über die Zeit zu kommen. Damit meine ich nicht das Ergebnis, bei dem der BVB Glück hatte, sondern das Kräfteverhältnis, das sich im Frankfurt-Spiel in der Schlussphase deutlich zu Ungunsten des BVBs änderte. Gegen Gladbach hatte sich weniger am Kräfteverhältnis geändert.

Meiner Meinung nach, kann Favre auch noch alleine durch Personalentscheidungen etwas bewirken. Beispielsweise würde ich Sancho gerne mal zentral in der Rolle von Brandt (wie gegen Gladbach) sehen, wenn der Gegner den BVB zu weit zurückdrängt. Auf Sanchos Positions wäre mir dann ein Spieler lieber, der den AV besser unterstützt und Sancho könnte bei Kontergelegenheiten im Zentrum Gold wert sein.

tobit 24. Oktober 2019 um 13:35

Die Defensivstrukturen sind ehrlich gesagt nicht mein Problem. Die sind oft ziemlich ordentlich. Könnte alles noch etwas kompakter und vor allem intensiver sein, aber das ist nichts, was ich Favre nicht zutraue. Wo ich echt immer wieder das Grausen bekomme, sind die Strukturen bei längerem Ballbesitz und die mangelnde Bewegung in diesen. Es ist so ein bisschen wie wenn beim American Football der QB den Ball zu lange festhält und die Receiver am Ende ihrer Route nicht wissen, was jetzt.

Die grundlegende Idee von Favres Spielkonzept finde ich auch weiterhin sehr cool – nur hapert es beim BVB zuletzt doch massiv an der Umsetzung. Obwohl Favre so viele explizit für ihn verpflichtete Spieler im Kader hat wie zuletzt Jürgen Klopp (nachdem man davor alles verkauft hatte, was irgendwie einen Preis erzielt hat), springt der Funke nicht über.
Ich halte als Topteam (das man in Dortmund ja sein will) ein starkes Spiel bei eigenem Ballbesitz für absolut unersetzlich. Vor allem wenn man gleichzeitig nicht die absurde Intensität Pressing-Qualität einer Klopp- oder Simeone-Mannschaft zu bieten hat. Das muss nicht Guardiolas Niveau an Finesse und Effektivität haben, aber der aktuelle Stand des BVB in dieser Hinsicht ist angesichts des Kaders eine absolute Schande.

WVQ 24. Oktober 2019 um 21:50

> Die grundlegende Idee von Favres Spielkonzept finde ich auch weiterhin sehr cool

Wie lautet diese Idee Deiner Meinung nach bzw. was findest Du daran cool? Falls Du das kurz ausführen könntest – mir ist nämlich seit Favres Ankunft in Dortmund nie klar geworden, worin sein Ansatz – abgesehen von ein paar Grundelementen von der fußballerischen Stange – eigentlich bestehen und inwieweit da eine eklatant bessere Umsetzung überhaupt möglich sein soll (was also sozusagen der Favresche Idealzustand wäre, von dem man offenkundig immer noch sehr weit entfernt ist).

tobit 25. Oktober 2019 um 09:57

Schnelles und flaches Spiel mit vielen Ablagen und Läufen in die Tiefe. Aber nicht auf Teufel komm raus vertikal, sondern erstmal sehr geduldig zirkulieren und auf eine Lücke warten. Am Strafraum dann nicht einfach aus allen Lagen draufbolzen sondern wieder nach der Lücke für einen möglichst freien Abschluss aus kurzer Distanz suchen.

Defensiv Fokus auf Kompaktheit und nicht überspielt werden. Zentrum dichtmachen um den Gegner nach außen zu zwingen. Wenn man einen Gegner im Zentrum vor dem Strafraum am Ball hat, lieber den Weitschuss zulassen als durch aggressives Spiel auf den Ballgewinn eine Lücke für einen hochqualitativen Abschluss zu öffnen.

Von diesen Ideen, die er sowohl in Gladbach als auch in Nizza sehr schnell umgesetzt hat, ist Dortmund tatsächlich sehr weit entfernt. Offensiv fehlt z.B. oft die Bewegung um Mal eine Lücke zu finden. Defensiv könnte die Kompaktheit besser sein.

WVQ 25. Oktober 2019 um 20:46

Danke. Ja, diese beiden Elemente sehe ich durchaus auch, und leider aber halt ebenso, daß sie bisher nur ganz selten wirklich überzeugend auf den Platz gebracht werden (und auch mit der Zeit nicht besser zu werden scheinen). Offensiv fehlen, wie Du sagst, fast immer passende Kollektivbewegungen, die überhaupt eine entsprechende Lücke reißen würden (weswegen man dann eben einfach – furchtbares Angriffsprinzip – auf Lücken WARTEN muß); auch die technische Umsetzung ist oft fehlerhaft, ebenso die Entscheidungsfindung, und dann sieht im Mißerfolgsfall das Gegenpressing noch dazu äußerst mau aus.

Defensiv sehe ich das Problem zum einen auch in der suboptimalen Kompaktheit (die sicherlich auch zu den nicht über die Zeit geretteten Vorsprüngen in der letzten Zeit beigetragen hat), zum anderen aber noch fundamentaler in der Tatsache, daß man mit einem solchen Defensivansatz zwangsläufig sehr schnell sehr weit zurückfallen muß, sobald der Gegner Druck ausübt. Aus einem hochkompakten 4-4-Block heraus kann man kein nennenswertes Pressing spielen und je höher er steht, desto leichter ist er durch lange Bälle zu überspielen. Weswegen Dortmund derzeit eben auch so leicht in den eigenen Sechzehner zurückgedrängt werden kann bzw. bereitwillig von selbst dorthin zurückfällt. (Und von dort fehlen dann auch völlig Mechanismen zur Befreiung – nicht mal Konter will man ja spielen.)

Das Problem ist halt, daß Dortmund nicht Gladbach oder Nizza ist, sondern in den meisten Spielen die nominell überlegene oder zumindest nicht unterlegene Mannschaft. Da scheint mir ein Defensivansatz, der primär eine gute Verteidigung des Strafraums ermöglicht, einfach der falsche Denkansatz zu sein. Dortmund braucht Defensivmechanismen, die schon hoch auf dem Feld greifen. (Ebenso wie es Offensivmechanismen braucht, die schon tief in der eigenen Hälfte greifen.) Ansonsten läßt man den überlegenen Kader wie einen unterlegenen spielen – das kann nicht funktionieren. Und genau das macht Favre aber. Und deswegen bezweifle ich auch, daß mit diesem Ansatz – bei dieser Mannschaft – überhaupt noch größere Verbesserungen möglich sind.


Lavington 7. Oktober 2019 um 10:02

Mich irritiert, wie wenig Neues die Neuen hinzugeben können/taktisch gesollt dürfen(???) und wie sehr das Spiel/die Spielweise mich daher an vorige Rückrunde erinnert. Sicher auch, weil Formation und System dem so sehr ähneln… Und wenn ich die Sache mit der „Mentalitätsscheiße“;-) zwar auch völlig fehlgegangen sehe
https://fussballlinguistik.de/2019/09/mentalitaetsscheisse/
, irritiert weitergehend: wo sind die Witsels&Delaneys der vorigen Hinrunde hin, wo insb. diese beiden und um sie herum letztlich das ganze Team selbstüberzeugt bis in die letzte Minute hinein auftrat und Spiele noch (so glücklich Oo) drehen konnte. Diese (Selbst)Sicherheit scheint weg und das nicht erst, wenn passiv verteidigend eine Führung SCHON FÜNFMAL IN DEN LETZTEN DREI SPIELEN(!!!) verdaddelt wird.
Ist es denn so klar, dass Favre genau so eine passive Herangehensweise will oder wird die Verteidigung nur derart passiv und letztlich viel zu zugriffslos ausgeführt?
Und wie ist das systemisch zu deuten, dass ein Akanji auch/selbst an der Seite von Hummels so überhaupt gar nicht an Sicherheit gewinnt, vielmehr schon mehrere Fehler gemacht hat, bevor ihm das „krönende“ Eigentor misslingt? Bloß individuell schlechte Phase oder gruppentaktisch manches fehleingestellt?
Überhaupt diese extreme Missbalance zwischen vorne nicht überragend vielen, aber an und für sich mehr als ausreichenden Toren, die aber von übermäßig vielen Gegentoren Lügen gestraft werden.
Habe die Werte nicht zur Hand, aber wie steht es denn um die zuvor so berühmte und nunmehr gefühlt nur noch berüchtigte so präzise Chancenverwertung von Favre-Teams? So sauber rausgespielt scheinen mir die Chancen nicht, die rein quantitativ dennoch zu mehr reichen könnten, wenn der Abschluss sauberer/ruhiger/besser erfolgte. Zuletzt auch auffallend viel über die Außen ermöglicht/erzwungen, mehrfach über vom Rasenfunk-Max gefürchtete Flanken. Wo ist das kreative Zentrum?

Antworten

Merkur836 7. Oktober 2019 um 23:58

Bei Akanji kann ich mir schon vorstellen, dass die dominante Rolle von Hummels einer der Faktoren ist. Ich kann ja nur vermuten, aber man stelle sich mal vor, Akanji hege den gleichen Anspruch wie Hummels den auch schon in seinen jungen Jahren hatte. Und dann würde nem jungen Hummels einfach jemand vorgesetzt. Prinzipiell finde ich die Bewegungen von Hummels auch heute noch sehr gut, mit wenigen Bewegungen kann er stets viele Probleme bei hohem Pressing des Gegners auflösen und somit Mitspieler wie Sokratis oder Subotic besser aussehen lassen. Vielleicht treffen hier einfach zwei dominante Spielertypen aufeinander, ein alter erfahrer Weltmeister und ein junger Aufstrebender, und wo die Rollen noch verteilt werden müssen. Was aber auch Kaffeesatzlesen ist.

Das mit dem von Favre geforderten präzisen Ausspielen der Chancen könnte ein Grund für das Abbrechen der Konter sein. Besonders auffällig ist das bei Spielen gegen große Gegner, da werden Konter, wo der Ausbruch über die Außen erfolgte (oder vielleicht sogar vom Gegner einkalkuliert wurde) ständig abgebrochen. Spekulativ vielleicht weil solche Chancen wegen geringer Erfolgswahrscheinlichkeit garnicht erst ausgespielt werden sollen. Dann würde es jedoch gegen den BVB reichen, einfach das Zentrum zu schließen und sich mit Überzahl um die Offensivreihe des BVB zu kümmern. Aber auch nur eine Vermutung.

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tobit 8. Oktober 2019 um 18:56

Hummels ist für mich definitiv ein Grund für Akanjis schwächere Leistungen. Letztes Jahr war er noch klarer Abwehrchef und Teil des Mannschaftsrats. Jetzt holt man im Sommer Hummels, der ihm das alles „wegnimmt“ und dazu noch eine eher auf ihn reagierende Spielweise der restlichen Abwehr „erzwingt“ um seine (Hochrisiko)-Weltklasse-Aktionen durchzudrücken. Dazu dann noch das recht kalte Loswerden von Diallo, der mit seiner Beweglichkeit und Schnelligkeit ein sehr guter Partner für Akanji war, zur Gegenfinanzierung des (Achtung Polemik) Vorstands-Lieblings. Da kann man als sehr ehrgeiziger junger Spieler schonmal ins Grübeln kommen.
Ein weiterer Punkt ist sicherlich die mangelnde Eingespieltheit der gesamten Abwehrreihe durch Transfers und Verletzungen. Abgesehen vom weitgehend ausgemusterten Schmelzer sind als klare Abwehrspieler nur Piszczek (der jetzt schon wieder ausfällt) und der auch eher verschmähte Zagadou länger im Team als er. Da ist die Fluktuation in den letzten drei Jahren viel zu hoch. Seine eigenen Verletzungen (gehäuft an der Hüfte) haben seiner Beweglichkeit (die es neben Hummels viel mehr braucht als neben Weigl oder Diallo) auch nicht gerade gut getan.

Favre geht es ja noch nichtmal unbedingt um präzises Ausspielen von Chancen, sondern um das Priorisieren guter Chancen. Und Durchbrüche über den Flügel bei gleichzeitiger Unterzahl sind einfach nicht vielversprechend, nichtmal mit Spielern wie Sancho. Also bricht man ab und hofft auf einen Weg in die Mitte, der aber dank der sehr stark ausweichenden (oder selbst gerade am Ball befindlichen) Doppelsechs und dem zu unpräsenten Reus nicht aufgeht. Die selben Probleme hat man auch aus dem geordneten Ballbesitz, wo man aber eher bereit ist, über den Flügel durchzubrechen und die dann durchaus ordentliche Strafraumbesetzung anzuspielen.

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Merkur836 9. Oktober 2019 um 17:21

Diallo wirkte auf mich aber auch nicht immer wie der Zufriedenste in Dortmund, ich denke er war nicht unglücklich als er nach Paris „musste“. Und wenn man sieht, dass trotz eigentlicher Verstärkung der IV mit nem neuen Spielertypen mit erweitertem Skillset (in der Theorie: Akanji und Hummels > Akanji und Diallo/Zagadou), die gleichen Probleme geblieben sind, wirft das nochmals ein schlechtes Bild auf Favres gruppentaktische Ausbildung und Ausrichtung. Schön wärs, wenn es “nur“ Befindlichkeiten Einzelner wären. Ich hoffe aber wirklich, dass die Befindlichkeiten nur Teilgrund der schwachen Leistung sind, denn leider sehe ich Favre auch nicht als einen tollen Moderator (vielleicht aber doch besser als ein Tuchel) solcher zwischenmenschlichen Situationen.

Und „mangelnde Eingespieltheit“ kann für mich da auch nicht herhalten. In der Verteidigung hat der FC Bayern auch viele neue Gesichter, und zudem ich würde mal in aller bester Stammtisch-Art raushauen, dass eine IV aus Akanji und Hummels auf dem Blatt zumindest deutlich besser ist als eine IV aus Süle und Boateng, die glaub ich in dieser Saison bislang die meisten Minuten zusammen bestritten haben, aber auch schon oft aber durchgewechselt wurden und trotzdem weniger Tore kassiert haben.

Auch wenn ich mir andere Bundesliga-Spiele anschaue, die gehen nicht so verschwenderisch (oder geradezu arrogant) mit Konter-Durchbrüchen um, zeigen so ständig ihre Gefährlichkeit und beschäftigen damit die defensive Absicherung des Gegners mehr als es der BVB in seiner Passivität tut, so dass die meisten Bundesligamannschaften ihre Gegner dazu zwingen, die Konterabsicherung aufrecht zu halten damit sie nicht mehr mit voller Kapelle auf den Gegner zulaufen könenn. Leider zeigt das Problem aber auch, dass der BVB gleich doppelt so leicht auszurechnen ist: Sowohl bei Ballbesitz im Angriffsmodus, als auch beim Kontern aus dem passiven 442 muss lediglich das Zentrum dicht gehalten und der BVB nur nach außen gelenkt werden. Bei Kontern werden sie dort von selbst aus abgebrochen, bei Ballbesitz gibt’s mit Paco, Reus und Götze keine kopfballstarken Flankenabnehmer, welche ja sowieso nicht gespielt werden sollen. Und nochmal Kaffeesatzlesen: bei so einer offensivstarken Mannschaft wird der Rhythmus nach dem Erzielen einer Führung eiskalt abgebrochen, weil sie zum Verteidigen gezwungen werden. Dazu kommt, dass man dann im Zentrum zugestellt und somit als BVB es nochmal schwerer hat wenn man zudem keine Varianz in den Angriffsmöglichkeiten hat, um nen Gegner zu überraschen. Daher häuft sich vielleicht auch die Erzählung, dass es Einzelleistungen waren, die erst zu den Toren führten, denn das sind sie zumeist auch. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das Abbrechen der Konter auch nur irgendwie dem Naturell der meisten auf dem Platz entspricht. Am ehesten noch jemanden wie Hazard, aber garantiert nicht nem Brandt, Sancho oder Reus. Verteidigen ist auch garantiert nicht das, wofür die Offensiven geholt worden sind.

Darüber hinaus kassiert ja der BVB weniger Tore, wenn er im Angriffsmodus ist, sondern er kassiert sie schlimmerweise ja hauptsächlich dann, wenn er seine Führung über die Zeit bringen will. (Leicht polemisch:) Einfache Lösung also für die Zeit so lange es noch kein vernünftiges Defensivverhalten gibt, auf die einfache Formel ‚Angriff ist die beste Verteidigung‘ (nur nicht ganz so extrem wie bei Bosz) setzen. Zumindest immer dann bis man 2 Tore Vorsprung hat oder so, ab dann kann man beruhigter wieder das Verteidigen im Wettkampfmodus üben. Weil, die Probleme des BVB sind inzwischen hinlänglich bekannt sein sollten, und so wie bisher scheint die Favre-Spielweise seit dem Düsseldorf-Spiel gegen Ende der vergangenen Hinrunde immer seltener zu funktionieren. Und genau seit dem stagniert der BVB auch, also nun bald schon ein ganzes Jahr.

Streich hat es nun auch nach dem Spiel gesagt: „Wir kennen den Favre seit Jahren aus der Bundesliga, da wussten wir ja was uns erwartet“…

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Daniel 12. Oktober 2019 um 10:30

Was ich am BVB grundsätzlich komisch finde, ist dass er in der Theorie eigentlich einen recht großen Kader hat, aber intern scheinbar ein großer Teil dieser Spieler für völlig unbrauchbar gehalten werden, wodurch der Kader dann praktisch fast schon zu klein ist. Was macht denn Marcel Schmelzer noch in diesem Verein, sitzt der seinen Vertrag aus oder wartet auf Favres Entlassung? Was anderes kanns ja nicht sein, da ein Startelfeinsatz Schmelzers scheinbar Favres größter Albtraum ist. Oder die hier thematisierte IV: mit Hummels, Akanji, Zagadou, Balerdi und als Springer Weigl hat man eigentlich mehr als genug Spieler, um Verletzungsprobleme und Formkrisen abfangen zu können. Faktisch aber kommt ein Abweichen von Hummels/Akanji nur in Frage, wenns gesundheitlich wirklich gar nicht anders geht. Bei Dortmund sind regelmäßig Spieler in einer Radikalität außen vor, wie ich mich als Bayern-Fan ehrlich gesagt kaum erinnern kann, wann das bei uns mal (jenseits von Ersatztorhütern) der Fall war (schon gar nicht, wenn auf der Position eigentlich erkennbar Not am Mann ist). Manchen Spielern wird auch nach wochenlangen Fehlerserien nibelungenhaft die Treue gehalten, andere werden schon nach einem schlechten Spiel knallhart aussortiert. So konsequent wie Akanji diese Saison betteln Spieler nur selten darum, mal ein paar Spiele rausrotiert zu werden. Trotzdem hat er nach wie vor eine Stammplatzgarantie. Umgekehrt hat Zagadou letzte Saison meist eigentlich recht solide bis gut gespielt, aber seit er in München beim 0:5 (nicht als einziger) komplett neben sich stand, hat er bis jetzt nur noch insgesamt 39 Bundesligaminuten bekommen, trotz Verletzungs- und Formkrisen seiner Konkurrenten. Noch extremer ist es bei Balerdi: der hat sich durch Auftritte in der U21 mittlerweile zum argentinischen A-Nationalspieler entwickelt, hat aber für den BVB noch kein Spiel gemacht. Irgendwie werd ich aus diesem Verhalten nicht schlau: wenn man Zagadou und Balerdi für so schlecht hält, dass man einen Einsatz dieser Spieler fast um jeden Preis vermeiden will (ob zu Recht oder Unrecht sei jetzt mal dahingestellt), warum wird dann Diallo abgegeben? Dahoud spielt mittlerweile auch kaum noch eine Rolle, wenn man so wenig mit ihm plant hätte man ihn besser verliehen und ihm so die Chance gegeben, sich woanders zu entwickeln. Weigl spielt zwar gar nicht so selten, aber es scheint ziemlich egal zu sein, was er macht und wie sich seine Rivalen Delaney und Akanji so schlagen…Weigl bleibt Reservist, weil isso
Aus der Ferne hab ich irgendwie den Eindruck, dass der BVB extrem ungeduldig ist mit Talenten. Es werden recht viele blutjunge, teilweise kaum volljährige Spieler geholt. Wenn die dann aber nicht wie Dembélé, Sancho oder Hakimi sofort zünden und eine klare Verstärkung sind verliert man dann aber auch sehr schnell das Interesse. Wenn man nicht bereit ist, einem 19-jährigen IV auch mal einen schlechten Auftritt in München zu gestatten, sollte man vielleicht keine so jungen Spieler holen. Ein anderer ähnlich rätselhafter Fall ist Isak: der war noch nichtmal volljährig, als ihn der BVB geholt hat (und dabei immerhin 8,6 Millionen gezahlt hat). Nachdem Dortmund erstmal nix mit ihm anzufangen wusste wurde er nach Holland verliehen, wo er ziemlich eingeschlagen ist und in 16 Spielen 13 Tore und 7 Assists geschafft hat. Trotzdem fand ihn Dortmund dann wohl nicht mehr cool genug, nachdem er davor mit 19 nicht die Buli zerschossen hat, und hat ihn vor dieser Saison grad mal 20-jährig mit über zwei Millionen Euro Transferminus (!) nach Sociedad verkauft. Dabei würd ich jetzt mal als Arbeitshypothese in den Raum stellen, dass ein 1,90 großer Stürmer eine interessante zusätzliche Option für das Angriffsspiel des BVB bieten würde, die die 1,75 Zwerge Götze und Alcacer nicht bieten können. Dortmund schlägt ja teilweise hohe Bälle auf Reus, weil ihnen ein sinnvoller Zielspieler abgeht…

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Merkur836 14. Oktober 2019 um 11:46

Vieles was auf dich wie Ungeduld wirken mag, beruht meiner Meinung nach auf die vergangen Jahre, in denen es im Verein sehr unruhig war. Das begann ja schon bei Tuchel und seinen Konflikten mit Hummels, Mislintat und der Vereinsführung bei gleichzeitigem Abgang von Hummels, Micki und Gündogan, das Wegstreiken der 2 Topstars der Mannschaft Dembele und Auba innerhalb eines halben Jahres, der Anschlag und die dramatische Tuchel-Trennung, die großen Risse in der Mannschaft (Schmelzer, Sahin, Sokratis, Auba oder Weigl vs. Bosz…..), das Bosz-Desaster oder die knappe Saisonrettung mit dem schwachen Stöger (ich glaub das waren nicht mal alle Geschichten, und an ein paar davon wären vielleicht schon ein paar Vereine zugrunde gegangen). Favre wird hier die beste Antwort gewesen zu sein um wieder Ruhe reinzubringen. Jedoch fehlt die weitere Entwicklung, und manchmal denke ich, dass diese Mannschaft so gut ist, dass sie bereits nach Monaten verstanden hatte was der Trainer will, jedoch von ihm keine weitere Entwicklung kommt (kommen kann?). Aber du hast Recht, bis auf wenige Ausnahmen fehlt auch eine echte Stammmannschaft die mit diesem breiten Kader, von dessen B-Kader ich auch schon fast eine CL-Teilnahme in der Bundesliga erwarten würd, jederzeit ergänzt werden kann.

Aber wie gesagt, der BVB befindet sich nach den 3 Jahren Chaos zwar wieder in ruhigeren Gewässern, doch scheint noch immer der echte Schliff einer Stammformation zu fehlen, die einem funktionierenden Spielsystem unterstellt ist, in dem man auch mal junge Spieler reinstecken kann und die dann vom System getragen werden. Und vielleicht ist es ja so, so lange das noch nicht steht, will man die vielen jungen Balerdis, Isaks, Zagadous, Moreys oder Dahouds noch nicht verheizen. Das wäre aber auch mehr Hoffnung als Glaube meinerseits.

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tobit 14. Oktober 2019 um 22:18

Diallo wirkte bis zum Winter noch nicht so ganz angekommen. Nach seiner Verletzung musste er in der Rückrunde dann fast durchgängig auf der von ihm überaus ungeliebten Außenposition ran. Dann kommt mit Beginn der Sommerpause auch noch Watzkes „verlorener Sohn“ Hummels genau für seine Position. Da hätte ich auch nicht gerade positiv reagiert – Zorc sagt im Sommer „Stürmer brauchen das absolute Vertrauen, deswegen holen wir da keinen“, ich sage: dasselbe gilt auch für Innenverteidiger. Vor allem wenn man hinter den Stammspielern noch reichlich Reserven hat.
Akanji passte finde ich sehr gut zu Diallo (oder auch Weigl), weil der eben sehr geschmeidig und dynamisch ist während Hummels ein überaus träger Schrank ist. Dadurch fällt jetzt auch Akanjis gelegentliche „Steifheit“ viel mehr auf – sie wird nicht mehr von seinem Partner kompensiert.
Akanji+Hummels kann vielleicht mal so gut werden wie Süle+Boateng, aktuell haben die beiden Bayern aber schon zwei gemeinsame Jahre Erfahrung, während Hummels und Akanji sich erstmal finden (und die Hierarchie klären) müssen. Auch rein individuell sehe ich weder Hummels deutlich vor Süle noch Akanji deutlich vor Boateng. Lucas und Pavard haben neben der sehr hohen individuellen Klasse zudem den Vorteil, sich (und mehrere andere Spieler) schon von der Nationalmannschaft zu kennen während Hummels nur mit Piszczek (und dem aussortierten Schmelzer) schon bei seinem letzten Dortmund-Aufenthalt zusammengespielt hat.

Wenn die Mannschaft wirklich schon seit fast einem Jahr Favres Endziel verstanden hat, warum setzt sie es dann nicht um? Denn das aktuelle Spiel ist doch in keinster Weise auf dem taktischen und strukturellen Niveau, das Favres Teams erreichen können.
Die Ungeduld mit Talenten sehe ich schon auch. Gerade Zagadou hat unter allen Trainern bis zum ersten schweren Fehler eine gute Rolle gespielt um dann komplett außen vor gelassen zu werden. Sicherlich spielt in dieses mangelnde Vertrauen auch die Unruhe um den Verein und die doch mittlerweile recht häufigen Trainerwechsel mit hinein. Hauptsächlich sehe ich dafür aber die Verpflichtungsstrategie verantwortlich. Wenn der Trainer so ungefähr erst mit dem Trainingseinstieg des Neuen drüber informiert wird und an der Sichtung offensichtlich quasi unbeteiligt ist, findet man halt auch nicht unbedingt die passendsten Talente für den aktuellen Trainer.

@Daniel:
Isak mag zwar recht groß sein, ein geeigneter Zielspieler ist er aber mitnichten. Er ist eher schlaksig dafür aber ziemlich flink auf den Beinen und hat einen guten Riecher im Strafraum (wenn er mal ein bisschen Spielpraxis hat). Auch seine kurzen Ablagen und insbesondere die Anschlussbewegungen in die Tiefe waren schon von Beginn an sehr gut. Das ist ja eigentlich alles, was Favre auch von einem Stürmer sehen will, trotzdem wurde er so gar nicht berücksichtigt. Zur Verteidigung des Vereins: Man hat sehr wahrscheinlich eine Rückkaufoption und kann Isak bei guter Entwicklung wieder zurückholen.

Merkur836 15. Oktober 2019 um 14:47

@ Tobit
Naja, ich finde Diallo hatte in der Hinrunde einige überragende Spiele. Ich erinnere mich da nochmal und besonders gerne an das 4:0 gegen Atletico, ich glaube Diallo spielt in seinem ersten großen Championsleague-Spiel (wenige Wochen davor noch Mainz!!) in einem seiner ersten Zweikämpfe Diego Costa im eigenen Strafraum aus und lässt ihn danach auflaufen – einfach Weltklasse. Doch er war denke ich nicht zufrieden mit der Weiterentwicklung der Mannschaft, und addiert mit der Tatsache, dass er fast alle Spiele der Rückrunde auf die Außen musste, war er gleich doppelt unzufrieden bzw. er hatte sich beim BVB mehr erhofft.

Und hier liegt doch genau das Problem. Noch eine Saison Stagnation könnte die Mannschaft nochmal zum Auseinanderfallen bringen. Ich will ja nicht gleich wieder den Teufel an die Wand malen, und für die Championsleague-Quali wird es reichen. Doch wenn, wie gesagt, Streich und Kohfeldt (und nicht Guardiola und Klopp) beide erklären, dass sie den Favre-Fußball für erwartbar und ausrechenbar halten, dann ist doch das Problem relativ klar eingekreist. Sorry für diesen etwas martialischen Vergleich, aber wenn du ein Strategiegeber eines kriegerischen Feldzuges bist, aber nach ner Zeit jeder deine Angriffsweise kennt die sich immer wiederholt und an der stur festgehalten wird und der Gegner keine Überraschungen mehr befürchten muss – wird es dann nicht eher leichter für die die verteidigen müssen? Da kannst du noch so perfekt immer das gleiche machen, der Gegner weiß einfach schon was kommen wird und kann sich geradezu minutiös darauf einstellen.

Dazu kommt, dass keiner der Gegner mehr einknicken wird wenn der BVB erstmal führt. Ein später Ausgleich zu einem 2:2, 3:3 oder auch mal ein 4:4 is always worth a try, egal wie weit weg man davon ist oder wie wenig Zeit noch über ist….

Aber sorry, ich weiß, das ist bissle OT weils hier Spielverlagerung heißt und um Taktik geht und nicht um Mannschafts- und Küchenpsychologie.

Daniel 15. Oktober 2019 um 17:06

@Merkur
Stimmt schon, dass die vergangenen Jahre beim BVB chaotisch waren und dass das nicht grad die idealen Voraussetzungen zum Aufbauen junger Spieler ist. Das ganze Gebilde ist einfach erkennbar viel instabiler, als man es von den im Kader vorhandenen Fähigkeiten erwarten würde. Genau deshalb hab ich aber eben nicht den Eindruck, dass Favres Spielweise adaptiert ist. Denn Stabilität ist eigentlich meist ein Steckenpferd von Favres Mannschaften.

@tobit
Um mal den Vergleich mit Bayern zu ziehen: neben einer Verjüngungskur war mutmaßlich auch dieses Zusammenpassen von Verteidigertypen ein Grund für die Verpflichtung von Hernandez und Pavard. Vergangene Saison hatte Bayern in der IV mit Süle, Hummels, Boateng und Martinez viermal den Typ „träger Schrank“, wie du Hummels so uncharmant genannt hast (eigentlich ne extrem dreiste Beschreibung für Hummels, aber hier wissen ja alle, was gemeint ist). Mit den kleineren, antrittsstärkeren und wendigeren Franzosen kam da jetzt eine neue Komponente rein, was sich schon auch auszahlt. Das Duo Süle/Hernandez gefiel mir bisher schon sehr gut.

tobit 15. Oktober 2019 um 19:21

@Merkur:
Diallo hat schon wirklich starke Spiele in der Hinrunde gemacht, sonst wäre er auch nicht derart unumstritten gewesen. Nur so wirklich in seinem Element wirkte er auf mich noch nicht. Da waren immer noch Kleinigkeiten, die man so bei einem Topklub eher nicht macht, bei Mainz aber halt schon. Hier Mal ein unnötig weggeschlagener Ball, da Mal ein riskantes Dribbling trotz toller Passoptionen, solche Sachen. Diese Anpassungs“probleme“ hatte Akanji z.B. deutlich weniger, weil er vorher auch schon bei einem nationalen Topklub gespielt hat.
Zum Stand der Dortmunder Taktik stimme ich Daniel voll zu. Das kann einfach nicht Favres Ziel sein, so zu spielen. Wenn das wirklich die Idee ist, muss man ihn eigentlich SOFORT entlassen.

@Daniel:
Volle Zustimmung. Süle+Lucas ist ein Duo mit unglaublichen Synergien. Gerade die „Atletico-Giftigkeit“ in Kombination mit Athletik a la Alaba ist eine absolute Freude beim Zusehen.
Meine Bezeichnung als „träger Schrank“ war nichtmal böse gemeint (auch wenn ich Hummels‘ Rückkehr immer noch kritisch gegenüberstehe). Trotz dieser Trägheit, für die er wenig kann, ist er in meinen Augen ein überaus geschmeidiger und starker Spieler.

Koom 16. Oktober 2019 um 13:50

Böserweise muss man sagen, dass Favre aber auch nur sehr selten einen Favoriten trainiert hat. Vermutlich kommen die Probleme auch ein Stück weit daher. Die taktiche Marschroute (durchaus mutig aufs erste Tor gehen, danach dann das restliche Spiel verteidigen) klingt ja durchaus nach Underdog-Fußball.

Die erste Saisonhälfte mit Favre war möglicherweise dann auch der Mischeffekt – ähnlich, wie ich es auch in Mainz immer wieder erlebe: Ein (sehr guter) Trainer impft der Mannschaft Fundamente ein, die relativ lange auch nach ihm halten (Pressing, Gegenpressing, Positionsspiel). Die nachfolgenden Trainer arbeiten meistens weniger umfänglich, spezialisieren einen Part, wodurch sich am Anfang teils mehr Erfolg als vorher einstellt.

Beispielsweise Martin Schmidt, der die Arbeit von Tuchel (und ein kleines Stück von Hjulman) abernten durfte: Schmidts sehr simpler Kick’n Rush Fußball (tief stehen, lang nach vorne, überfallartig angreifen) funktioniert gut, wenn die Spieler sich gut verteilen, grundsätzliche Pressingideen etc. verinnerlicht haben. Aber bolzt man das nicht regelmässig, gibt dazu essentielle Spieler (Baumgartlinger) ab, dann bricht das auseinander und man bekommt etwas wie Schmidts letzte Mainz-Saison oder eben Schmidts Arbeiten danach.

Back to topic: Favre erschien mir nie ein „mutiger“ Trainer zu sein. Für einen Favoriten ist das schwierig. So ein bisserl ist er in seiner Haltung wie ein schlechterer, defensiverer Guardiola: Er mag das körperlose Spiel, die Kontrolle eines Spielfeldes – nur er weicht dabei Kämpfen aus. Wo ein Simeone auch defensiv agieren lässt, aber in einer brachialen Schärfe und mit eben dieser Schärfe auch nach vorne agiert, ist Favre zögerlich. Er kommt mir vor wie der General einer überlegenen Armee, der schockiert zuschaut, wie eine Horde Barbaren bei purer Missachtung der Kriegsetikette seine schön aufgesplitteten Truppen zerhackt.

tobit 16. Oktober 2019 um 21:33

Trotzdem war bei Favre aber oft mehr zu sehen als heute. Gerade in Punkto Bewegung der Offensivspieler und Raumbesetzung war das eigentlich selten so schwach wie aktuell beim BVB. Auch der versteifte Fokus auf immer mehr Präsenz von Witsel ist nichts, was mir von Favre bekannt ist.

Von welchem der mittlerweile zahlreichen Vorgänger soll er denn das erste halbe Jahr profitiert haben? Tuchels Positionsspiel ist es nicht, denn die Löcher zwischen Sechser und Angreifern gab es von Beginn an. Nach Tuchel ist konzeptionell wenig tolles passiert. Und Klopp ist nun wirklich zu lange her (und der Kader ein ganz anderer) um die Nachwirkungen erst jetzt zu verlieren. Aus dessen Grundlagen hat Tuchel in seinem ersten Jahr sehr viel Nutzen gezogen, den er im zweiten viel dringender gebraucht hätte.

Koom 17. Oktober 2019 um 12:36

Ich würde da schon Tuchel nennen. Neben diversen Sachen ist vor allem dieser Startschuss-Überfallfußball sehr typisch von Tuchel. Und auch, dass man danach etwas ökonomischer agiert, aber nie so sparsam und passiv, wie es Favre derzeit laufen lässt. Stöger danach war ja Standard-Lehrbuch-Fußball mit relativ wenig Finesse und Esprit.

Generell neigen Spieler vermutlich schon eher dazu, aktiver zu agieren. Wenn Favre das aber in seinem Konzept anders haben will, dauerte das natürlich, bis das „drin“ war. Und dummerweise kann das auch dauern, bis es draußen ist.

Indu 16. Oktober 2019 um 06:10

@Daniel: volle Zustimmung. Und das sage ich als BVB-Fan aus der Nähe 😉

Etwas pointiert formuliert:

Wenn man Witsel in der letzten Saison nicht so gnadenlos und ohne Not ausgepowert hätte, wären wir Meister geworden.

Antworten

osch@d 19. Oktober 2019 um 15:15

Was ist eigentlich mit Weigl im Speziellen? Wurde hier doch in den letzten Jahren enorm gewürdigt, aber findet als 6er ja gar nicht mehr statt. Liegt das an ihm/Form+Verletzung oder am gespielten System?

Antworten

tobit 19. Oktober 2019 um 16:56

Weigl war am Ende der Tuchel-Zeit verletzt, hat dann unter Bosz die Vorbereitung verpasst, in der Sahin sehr überzeugt hat. Damit war er seinen Stammplatz erstmal los. Danach hatte er dann massive Probleme mit der wesentlich höheren, risikofreudigeren Rolle des Sechsers unter Bosz. Unter Stöger hat er dann durchaus mal gespielt, da war aber generell wenig Konzept für Weigls stärkste Spielphase (Ballbesitz, Spielaufbau) vorhanden und er konnte da, wie der ganze Rest der Mannschaft, kaum mal glänzen.
Favre setzte von Beginn an auf die für ihn geholten Witsel und Delaney, die wesentlich weiträumiger nach vorne agieren können und in ihrem Spielprofil vielseitiger sind als Weigl. Aber auch hier fehlen die Strukturen, die Weigl unter Tuchel so wichtig, präsent und auffällig gemacht haben. Entsprechend unzufrieden war Weigl daher. Zu Beginn dieser Saison sah es kurz so aus, als könnte Weigl Delaney verdrängen, das war dann aber (trotz ganz ordentlicher Leistungen in neuer Rolle) nach zwei Spieltagen schon wieder Geschichte.
Dass er einen interessanten IV spielen könnte, wurde hier schon weit vor seinem ersten Einsatz dort diskutiert.

Antworten

CHR4 20. Oktober 2019 um 01:59

och bitte nicht noch ein IV mehr, gerade der N11 täte doch jemand gut, der einen gescheiten 6er geben kann und dort auch Spielpraxis hat und der BVB findet sicher, wenn er sucht andere Lösungen für die IV- klar wenn man Weigl auf der Liste hat, kann und darf man ihn als IV bringen – aber als Fußball-Fan würde ich Weigl viel lieber in ner ordentlichen Struktur auf der 6 sehen, von mir aus dann auch unter Tuchel in Paris, auch wenn ich das Vereinskonzept an sich nicht mag, oder halt woanders, wo er als 6er auch spielen kann – unter Tuchel könnte ich mir vorstellen, dass er am schnellsten wieder an seine damalige Zeit anknüpfen kann

osch@d 21. Oktober 2019 um 01:20

Danke für den super Abriss

Koom 21. Oktober 2019 um 14:11

Den Verzicht auf Weigl finde ich auch echt tragisch. War für mich erheblich spannender als Sechser zu beobachten als der hochgelobte Kimmich. Präsenz, Paßspielqualität und -geschwindigkeit, sehr gutes Positionsspiel und in dem Alter eine Ruhe am Ball, die rar ist.

Ein Jammer, dass wir hierzulande immer wieder nicht damit zurechtkommen, bestimmte, vor allem feingliedrigere Spieler, vernünftig einzusetzen. Entweder werden die generell superschnell verkorst und zu einem der unzähligen Offensivallrounder vermurkst oder – wenn sie langsamer sind – direkt in die IV abgeschoben.

tobit 21. Oktober 2019 um 16:39

@CHR4
Weigl wäre auf jeden Fall ein besserer IV als Koch oder Stark für die N11. Klar bräuchten sie ihn eigentlich woanders noch mehr, aber im Mittelfeld drückt der Schuh noch nicht ganz so krass wie defensiv jetzt mit dem Ausfall aller etablierten IV.
Auch in Dortmund bräuchte es ihn eigentlich peramenent auf der Sechs. Aber solange man den schlechtesten Tabellenführer aller Zeiten (nach 8 Spieltagen) noch schlagen kann, ist ja alles gut.
Ich hatte es an anderer Stelle schonmal geschrieben: Ich hätte Weigl im Winter liebend gern nach Paris gehen lassen. Da könnte er das tun, wofür er gemacht ist – oder Tuchel spielt mit Doppel-Libero Weigl und Marquinhos, da wären sowohl situative Wechsel als auch etwas systematisch völlig neues denkbar. Z.B. nominelle 4er-Kette Diallo, Thiago Silva, Marquinhos, Kehrer mit Weigl davor, die dann in Ballbesitz zum 3-2 wird. Oder 4er-Kette mit Weigl und Marquinhos zentral, die abwechselnd auf die Sechs vorstoßen. Oder doppelter Halbraumlibero. Oder, oder, oder …

@osch@d
Gerne.

@koom
Sechser sind halt unsexy, weil man sie in der Öffentlichkeit als Mittelfeldspieler anerkennt, die aber nur nach offensiven Kriterien oder Laufstrecke bewertet. Gleichzeitig sind sie dann als IV supergeil, weil sie halt Fussball spielen können.
Kimmich trifft halt bei den Bewertungskriterien für Mittelfeldspieler voll die öffentliche Meinung. Er ist relativ schnell und beweglich, läuft viel (und auffällig), hat technisch was drauf und liebt es, sich am gegnerische Strafraum einzuschalten. Dazu dann noch die krassen Scorer-Werte als RV (!!1elf) und fertig ist ein Liebling der Massen.

Koom 22. Oktober 2019 um 10:52

@tobit:
Fluch und Segen der Statistikflut. Keiner kann die lesen und interpretieren und man nimmt die dann her, um Spieler und Mannschaften zu bewerten. Jede Woche hört man auch „die sind 3km weniger gelaufen, deswegen haben die verloren!“. Was halt einfach Quatsch ist.

Und ja, Weigl ist vermutlich exakt so einer, der genau durch das Muster fällt. In Deutschland wäre vermutlich auch Busquets ein mässig erfolgreicher IV geworden, weil der auf Dauer nicht als 6er hätte spielen dürfen.

mba 23. Oktober 2019 um 09:49

Ich denke, Weigl ist nicht leicht einzubinden. Damit die Mannschaft von ihm vollends profitiert müssen Taktik und Mitspieler sehr gut zu ihm passen.

Unbestritten ist, dass Weigl eine enorme Ruhe am Ball besitzt, extrem sicher spielt, fast immer eine kluge, spielerische Lösung findet und das Spiel schnell machen kann.
Allerdings erzeugt Weigl keine direkte Torgefahr. Er kann nicht, wie ein Gündogan, den Ball durch das Mittelfeld treiben oder Schnittstellenpässe spielen. Deswegen sehe ich in Weigl vor allem einen Gewinn, wenn er viele Ballkontakte erhält und der Trainer aus langen Ballbesitzphasen Torgefahr erzeugen will.

Problematisch ist aber auch, dass Weigl vom Gegner relativ gut aus dem Spiel genommen werden kann.
16/17 hatte Tuchel das Spiel zunächst auf Weigl zugeschnitten. Die Gegner konzentrierten sich auf Weigl und nahmen ihn aus dem Spiel. Das ging so weit, dass Tuchel seine Taktik drastisch änderte. Andere Spieler wie Witsel (durch seine physische Stärke) oder Gündogan (durch seine Dynamik und Dribbelstärke), können sich ihre Gegenspieler wesentlich besser vom Leib halten. Weigl ist deswegen, meiner Meinung nach, stärker auf Mitspieler wie Hummels, Gündogan und/oder Mkhitaryan 15/16 angewiesen, die Gegenspieler binden und Weigl etwas Freiraum verschaffen.
Unter Favre gehört Weigl deswegen für mich nicht unbedingt in die Erste Elf. Die langwierigen Ballbesitzphasen gegen tiefstehende Gegner würden zu Weigl passen. Erhöht der Gegner den Druck, geht Favre schnell in ein Kontersystem über, was weniger zu Weigl passt.

Dass Witsel vor Weigl steht ist nicht überraschend, da Witsel wesentlich kompletter ist und auch Weigls Stärken zum Großteil abdeckt.
Bliebe für mich nur, beide zusammen auf den Platz zu stellen. Ich sah diese Konstellation eigentlich nicht schlecht, überzeugt hat sie aber auch nicht. Die Aufgabenteilung gefiel mir nicht sonderlich.
Einen Versuch mit Weigl als klaren Sechser und Witsel als Achter würde ich mir wünschen, wirft in der Folge aber viele neue Fragen auf.

tobit 23. Oktober 2019 um 11:50

Ich stimme dir zu, dass Weigl ein bestimmtes Umfeld braucht (das müssen aber nicht zwingend sehr lange Ballbesitzphasen sein) um wirklich effektiv zu sein und dass Witsel der komplettere Spieler ist. Deswegen kann ich auch durchaus verstehen, warum Favre mehr auf Witsel und Delaney setzt. Er traut sich oder dem Team offensichtlich nicht zu, Weigls Stärken voll zu nutzen.

Einfach aus dem Spiel kann man Weigl aber nur nehmen, wenn er dieses Umfeld eben nicht hat und allein für den gesamten Aufbau verantwortlich sein soll. Er ist eben keiner, den man wirklich fokussiert, sondern einer, der den Fokus auf jemanden wie Gündogan, Witsel oder Hummels besser macht und diesen Typen mehr Spielfacetten ermöglicht.
Außerdem sehe ich es nicht so, dass Witsel wirklich die Mehrheit von Weigls Fähigkeiten auf dem selben Niveau abdecken kann. Die Passgeschwindigkeit Weigls, seine Konstanz in der Raumbesetzung vor der Abwehr und seine Bewegungen abseits des Balles sind wesentlich stärker als die von Witsel, da der immer nach Optionen für seine eigene Einbindung sucht (so ein bisschen Xabi-Syndrom). Dieses eher reaktive Spiel mit Fokus auf Aktionen abseits des Balles übernimmt aktuell meist Delaney, der dann immer wieder zentral vor die Abwehr fällt, wo er einfach nicht mit Weigls Technik, Übersicht und Bewegungsspiel mithalten kann.

Koom 23. Oktober 2019 um 14:17

Hm, ich finde nicht, dass Weigl schwierig einzubinden wäre. Man hat allerhöchstens den Nachteil, dass Ersatz für ihn schwierig zu finden ist. Mein Profil für Weigl, dass ich für sehr ähnlich wie das von Busquets halte, nur abzüglich dessen Fähigkeit, Nadelpässe nach vorne zu spielen. Die hat Weigl nicht so im Repertoire. Er hält extrem den 6er Raum, vor allem auch zentral. Er hat eine sehr saubere Ballverarbeitung, ist pressingresistent und kann den Ball schnell und sauber weiterleiten. Er ist so ein bisserl wie die Kupplung im System. Er sorgt dafür, dass andere Spieler besser und schneller eingebunden werden, und dadurch schafft er Raum. Er ist halt sehr unspektakulär und „unfancy“. Das macht ihn für Nichtkenner schwer vermittelbar.

Dortmund könnte ihn morgen einfach bringen, Delaney und Witsel sollten dann klar 8er spielen und das ganze Gefüge wäre stimmiger.

WVQ 23. Oktober 2019 um 15:38

Ein Problem für Weigl ist auch, daß Reus bei Favre dogmatisch im Zentrum gesetzt ist. Spielst du dann 4-3-3/4-1-4-1 mit Weigl auf der Sechs und Witsel auf der Acht, muß Reus zwingend die zweite Acht besetzen. Dann muß er aber in der Verteidigung ganz andere Aufgaben übernehmen als jetzt auf der weitgehend freien Zehn, wozu ihm schlicht die Fähigkeiten fehlen. Und das weiß auch Favre.

Es gäbe natürlich naheliegende Lösungen, beispielsweise ein asymmetrisches 4-2-3-1, wie Tuchel es in seiner ersten Saison gerne spielen ließ, mit Weigl als Ankersechser, Witsel (damals Gündogan) auf einer situativen 6/8/10 und Reus (damals meist Kagawa) weiter auf der Zehn. Das würde auch Favres defensives 4-4-2 erhalten. Aber es wäre eine durchaus ansprunchsvolle Umstellung gegenüber dem jetzigen symmetrischen 4-2-3-1, weil dazu nahezu alle Feldspieler neue/zusätzliche Bewegungsmuster lernen müßten, und es ist unwahrscheinlich, daß Favre davon allgemein viel halten würde.

Oder man stellte, was eh viel sinnvoller wäre, Brandt oder Götze auf die zweite Acht des 4-3-3 und Reus wieder auf den Flügel (könnte ja eingerückt sein, Schulz könnte dafür situativ die erforderliche/gewollte Breite geben). Aber das lehnen offenkundig sowohl Reus als auch Favre ab, und auch das ergäbe schnell gewisse Asymmetrien, die man ordentlich eintrainieren müßte. Also ebenfalls ausgesprochen unwahrscheinlich.

Ich fürchte deswegen auch, daß Weigl – gegeben Favres dogmatische Interpretation der Doppelsechs – schlicht für keine der vorgesehen Rollen wirklich geeignet ist. (Was natürlich viel mehr für die Bedenklichkeit dieses Rollen-Dogmatismus spricht als gegen Weigls Fähigkeiten.) Die Doppelsechs Weigl-Witsel gefiel mir zu Saisonbeginn durchaus nicht allzu schlecht, aber es entspricht nicht Weigls größter Stärke, sich da regelmäßig vor dem gegnerischen Sechzehner einzuschalten, und inzwischen ist ja ohnehin klar, daß auch das nicht mehr als ein kurzes Experiment war und stattdessen weiterhin Delaney ubiquitärer Abräumer gewünscht ist. Insofern ist mein Wunsch für Weigl auch schon seit längerem, daß Tuchel ihn einfach endlich zu PSG lotsen möge (zumal Tuchel ja mit Balerdi offenbar nicht sonderlich glücklich ist, aber das ist ein anderes Thema).

tobit 23. Oktober 2019 um 17:50

Reus als Achter will ich mir gar nicht vorstellen. Er spielt ja jetzt schon von der „Zehn“ aus eine viel zu präsente und einleitende Rolle.
Eine andere Option wäre eine Raute mit Weigl auf der Sechs, Witsel und einem aus Delaney, Guerreiro, Brandt, Dahoud und Götze (der spielt schon wieder gar keine Rolle mehr – warum lässt man solche offensichtlich unerwünschten Spieler nicht einfach mal gehen?) auf den Halbpositionen und Reus auf der Zehn. Oder man stellt Reus erstmal in den Sturm. Zumindest solange Paco mal wieder verletzt/angeschlagen istAber selbst ein fitter Paco wird nicht jedes Spiel machen und Reus ist definitiv der beste Backup den Dortmund für diese Position hat. Zumindest schöpft er da halbwegs was von seinem Potential aus, nicht so wie Brandt.

Tuchel hat mit Balerdi nichts zu tun, der ist immer noch IV beim BVB (fraglich, wie lange sich ein argetinischer A-Nationalspieler noch wortlos auf die Tribüne setzen lässt). Du meinst bestimmt Paredes, der theoretisch ein kleinräumigerer, dribblingfokussierterer Weigl ohne dessen Defensivqualitäten ist. Was da aber das genaue Problem ist, weiß ich auch nicht.
Und seit diesem Sommer hat er ja auch ein bisschen mehr Optionen im Zentrum, sodass er nicht zwingend auf ihn angewiesen ist (nicht dass er letzte Saison viel gespielt hätte). Sarabia (vielleicht DER Steal des Sommers), Ander und Gueye sind allesamt starke Spieler, die alle wesentlich variabler in ihrer Rolle sind als Paredes und defensiv zu den stärkeren Spielern auf ihrer jeweiligen Position gehören. Und Marquinhos kann dank des Diallo-Transfers noch freier ins Mittelfeld verschoben werden obwohl Kehrer schon die ganze Saison ausfällt.

WVQ 23. Oktober 2019 um 21:06

Ja, natürlich meinte ich Paredes! Wegen der ähnlichen Vornamen einen argentinischen Problemfall mit dem anderen verwechselt. 😉

Und Deine Bemerkungen zum Pariser Zentrum sind natürlich vollkommen korrekt, akuter Bedarf für einen Spezialisten-Sechser (wie noch vor der letzten Winterpause) besteht da längst nicht mehr. Mir tut es um Weigl allgemein sehr leid, seit dem Tuchel-Abgang aus Dortmund hat er mit den Trainern einfach Riesenpech gehabt und (in seiner Paraderolle) nahezu überhaupt keine Weiterentwicklungsmöglichkeiten bekommen. Sehr schade, und nicht nur für Weigl und auch nicht nur für Dortmund…

Ja, klar, eine Raute wäre auch überaus interessant, zumal dann im Sturm sogar eine sehr passende Position für Reus als tiefere von zwei Sturmspitzen entstünde – aber vermittel dieses Modell mal Favre mit seinem Fetisch für Flügelangriffe und doppelte Viererketten. 😉

Reus auf der (alleinigen) Neun hat Favre ja ganz zu Beginn mal kurz probiert, aber auch da hat Reus wohl protestiert, und außerdem ist es meines Erachtens auch wirklich keine gute Rolle für ihn, weil er für seine Abschlußaktionen einfach auf das Nachstoßen aus dem Rückraum (oder zumindest vom Flügel her) angewiesen ist. Dann ehrlich gesagt – als Notlösung, weil es im Kader eine echte Paco-Alternative halt nicht gibt – doch lieber wieder Götze da vorne, der letzte Saison auf dieser Position ironischerweise enorm viele Zehnerqualitäten auf den Platz und oft viel Struktur in die Dortmunder Angriffe gebracht hat (was Reus eine Position dahinter reichlich vernachlässigte). Im Gegenzug bekam man dadurch mehr oder weniger einen Reus mit Torgefährlichkeit auf Mittelstürmer-Niveau, weil er die dafür nötigen Laufwege machen konnte. Das scheint mir so unterm Strich immer noch die am wenigsten schlechte Alternative zu sein.

Und daß die einzige ECHTE Lösung für diesen ständigen Quark mit den völlig ineffektiven Pseudo-Neunern lautet, daß man schnellstmöglich wieder einen zweiten Mittelstürmer ins Boot holt, ist hoffentlich den Vereinsverantwortlichen ohnehin klar… (Nun ja… hoffentlich…)

tobit 24. Oktober 2019 um 13:06

Man hatte ja sogar einen zweiten Mittelstürmer. Aber die Entscheider waren sich offenbar sicher, dass Paco quasi „Der Gerät“ sein würde und wollten ihm deswegen unbedingt das maximale Vertrauen erweisen, indem man jeden Konkurrenzkampf schon im Vorhinein verhindert. Was ich für absoluten Bullshit halte. Selbst der Egozentriker Lewandowski hat bei Bayern irgendwann eingesehen, dass er einen Backup braucht um eine ganze Saison Topleistung abrufen zu können.

Dabei könnte man aus einer Raute heraus sogar noch flügellastiger spielen als aktuell. Die Stürmer und Achter sind ja schon quasi da, einen AV hat man immer noch, einen Zehner auch. Klar kann man dann nicht mehr so einfach auch den ballfernen Flügel doppelt und dreifach besetzen, dafür aber ballnah umso brutaler. Schnelle Verlagerungen waren ja sowieso eher selten, so dass man locker Zeit hätte währenddessen ein paar Spieler auf die andere Seite zu schieben.

Reus ist aber auch nicht Messi. Wenn der sagt, ich will lieber RA spielen, dann macht der Trainer das halt irgendwie möglich. Reus ist nicht gut genug um ihm über den Trainer (der ja schon quasi von ihm herbeigewünscht wurde) oder den Bedarf des Teams zu stellen. Aktuell brauchen sie seine Tore und können (oder wollen) ihm das perfekte „false 10“ Umfeld nicht liefern, also muss er in den sauren Apfel beißen. Theoretisch könnte ich mir auch Hazard als Stürmer vorstellen, Favre kann das aber offensichtlich so gar nicht. Und aktuell sehe ich auch nicht, dass Götze aus dem Sturm denselben Impact hätte, wie in der letzten Rückrunde, wo auch viel über Guerreiros tiefere Freirolle auf links lief.
Dieses Loch wiegt für die strukturellen Probleme am allerschwersten, da es mit der Kombination aus Guerreiro und Delaney (der jetzt nochmehr die zentrale Sechs für Witsel übernehmen muss als letztes Jahr) die bestabgesichertste Kreativ- und Verbindungszone war. Auch der direkte Anschluss dieser Zone an Götze, Reus und Witsel, die es alle immer wieder mit dorthin zog, war einer der Lichtblicke der letzten Saison. Ganz zu Saisonbeginn sah es so aus, als wollte man das mit immer wieder leicht eingerückten Positionierungen von Schulz hinter dem breit bleibenden Hazard kompensieren, was aber durch die immer klarere Positionierung von Witsel und Reus auf halbrechts (um Sancho herum) nur selten wirklich zum Tragen kam.

mba 24. Oktober 2019 um 14:16

@tobit
Witsel sehe ich in Bezug auf Sicherheit am Ball auf ähnlichem Niveau wie Weigl; beide machen fast keine Fehler. Außerdem findet Witsel vergleichbar oft eine spielerische Lösung, so dass der Ballbesitz fortgesetzt werden kann. Das meinte ich mit „Weigls Stärken zum Großteil abdecken“.
Weigl beschleunigt aber im Vergleich mehr das Spiel. Hierin liegt sein Vorteil.

Taktisch sehe ich Weigl nicht so stark wie andere. Er bewegt sich konsequent im Sechserraum. Dort liegen Weigls Stärken. Viele andere Spieler hätten vermutlich Angst vor Ballverlusten (zu Recht), wenn sie dort permanent die Bälle fordern würden.
Witsel agiert weiträumiger. Er hat schließlich auch die Fähigkeiten, in höheren Räumen zu bestehen. Meiner Meinung nach könnte sich Witsel aber auch ähnlich im Sechserraum bewegen wie Weigl, wenn der Trainer dies fordern würde.
Weigl hatte in der Vergangenheit öfters taktisch unkluge Entscheidungen getroffen. In Tuchels zweiter Saison, als die Gegner sich auf Weigl fokussierten, hat er fast nie versucht, Spieler wegzuziehen und Löcher zu reißen. Weigl verharrte stets in seiner Rolle vor der Abwehr. Wie auch unter Bosz. Oftmals ergaben sich in Bosz Spielsystem Lücken, die Weigl hätte schließen können, wenn er nur 10 Meter aufgerückt wäre. Weigl blieb aber in seiner tiefen Rolle, weswegen Verbindungen fehlten.
Auf mich machte Weigl bisher nicht den Eindruck, dass er generell taktisch auffallend klug handelt. Nur bezogen auf seine Idealrolle, mag das so sein. Aber wie gesagt, traue ich Witsel ähnliches zu.
Es bleibt dann für mich vor allem die Passgeschwindigkeit bei der Weigl vorne liegt. Darüber hinaus hat Weigl ein Plus an Beweglichkeit, wodurch er dem gegnerischen Pressing den Druck nehmen kann. Das gleicht Witsel durch seine Physis, womit er Gegner auf Abstand hält, mehr als aus, denke ich.

Aber wie gesagt, würde ich gerne mal Weigl als alleinigen Sechser mit Witsel als klaren Achter sehen (und einem weiteren Achter: Dahoud?).

tobit 24. Oktober 2019 um 16:10

Reine Sicherheit am Ball sehe ich genauso. Auch die etwas unterschiedlich gelagerte Pressingresistenz auf unfassbarem Niveau.

Genau deine Kritik mit der mangelnden Variabilität in Weigls taktischen Reaktionen meine ich mit meinem „er braucht ein spezielles Umfeld“. Deswegen darf man Weigl auch nicht fokussieren, weil der Gegner das dann auch tut. Weigl hat in diesen Momenten was von Müller, in dem er unglaublich gut „unsichtbar“ werden kann, sobald man sich nicht voll auf ihn konzentriert. Damit er das aber umsetzen und der Rest des Teams es nutzen kann, muss um ihn herum systematisch Bewegung sein. Die fehlt aktuell viel zu oft, was dann natürlich den Drang verstärkt, Bewegungsspieler wie Witsel und Delaney zu bevorzugen. Die kommen auch mit einer suboptimalen Umgebung zurecht, tragen aktuell aber auch zu eben dieser Umgebung bei. Auf dem Gebiet hat er sich in den letzten Monaten glaube ich etwas weiterentwickelt, zumindest gab es diese Probleme weder in seiner Zeit als IV noch während seiner kurzen Phase in der ersten Elf am Anfang dieser Saison.

Witsels Bewegungsspiel im Sechserraum finde ich gut bis sehr gut. Was mich oft stört ist der Fokus auf sich selbst. Er bewegt sich so, dass er oft eingebunden wird, was nicht immer notwendig wäre. Gerade beim eher flügellastigen Spiel aktuell könnte Weigls konstante Präsenz in der Mitte ohne allzu viele Bewegungen in Richtung oder weg vom Ball sehr effektiv sein. In der letzten Rückrunde ist Witsel z.B. sehr oft sehr weit nach links herausgekippt wo eigentlich schon Diallo stand. Der rückt dann halt nicht nach vorne auf die Sechs, sondern nimmt sich durch Rückzug auf eine zentralere, tiefere Position aus dem Spiel (und jemand anderes musste Richtung Sechserraum zurückfallen). Genau das wäre mit Weigl nicht (so oft) passiert, weil er viel positionsorientierter denkt als der aktionsorientiertere Witsel.
Hier würde ich Witsel in vielen Punkten mit Thiago oder Kroos vergleichen. Alle drei sind es gewohnt, aktiv zu sein und einen gewissen Fokus des eigenen und gegnerischen Spiels auf sich zu haben. Dieser Fokus bedeutet für sie, dass sie Aktionen brauchen und nach diesen suchen – und dabei manchmal anderen „in die Parade fahren“ oder die einfache, unscheinbare Aktion übersehen. Weigl ist da eher wie Martinez unter Heynckes. Sehr fokussiert auf die Kontrolle seiner Position und auf eher kleine und subtile Unterstützungsbewegungen. Wenn er dabei viele direkte Aktionen bekommt, schön. Wenn nicht, auch ok.
Hier kommen dann auch die Bewegungen abseits des Balles zum Tragen. Während Witsel eher nachrückt und sich aktiv in den Angriff einschalten möchte, behält Weigl ganz klar seinen Positionsfokus bei. Ich halte das für einen Sechser in den meisten Fällen für die bessere Herangehensweise. Besonders wenn man auch noch einen aktionsorientierten IV wie Hummels hinter sich hat, der auch gerne in diese Nachrückerräume geht.

Wenn ich einen zweiten Achter für die beiden aussuchen dürfte, wäre das definitv Brandt. Der ist aus der Bewegung heraus finde ich nochmal stärker als Dahoud, der eher an einem Punkt auf den Ball wartet oder ihn sich sehr früh abholt (was wir mit Weigl+Witsel eher nicht noch mehr brauchen). Und am Ball kann Brandt eigentlich alles was Dahoud kann besser. Mal davon ab, dass Dahoud bis heute nicht wirklich in Dortmund angekommen ist und jede seiner Aktionen einem Coinflip zwischen Genie und Wahnsinn gleicht.


Marcello 5. Oktober 2019 um 22:03

Passender Artikel! Ich bin im übrigen der Meinung , dass diese Entwicklung sich schon seit der Hinrunde der letzten Saison sich abzeichnet. Aber es wird immer schlimmer an zu schauen. Der Ballbesitz ist grausam!! Die Dreiecksbildung an den Außenlinien läuft unfassbar schematisch ab. Funktioniert es auf der einen Seite nicht , wird abgerochen, verlagert und auf der anderen Seite exakt das gleiche versucht. EGAL wer spielt! Da die Gegner schon länger darüber bescheid wissen, verteidigen sie mittlerweile ziemlich einfach gegen den BVB. Damit dieses System noch funktioniert, bedarf es extrem hohen Tempo und sehr, sehr hoher Präzison, um damit den Gegner noch zum wanken zu bringen. Funktioniert das nicht, gibt es dazu keine Alternative. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Spieler so ab der 60-70 Minute, wenn es zu nix führt, ziemlich frustriert wirken. Kann natürlich täuschen, aber ich habe das Gefühl, da fühlt sich keiner mehr richtig wohl, in dieser Starre. Dazu die Anweisung des Kompakten tiefen 442 nach Führungen. Man kann förmlich auf den Augleich warten. Zumal auch hier für den Gegner ausrechenbar ist wann der BVB das spielen wird. Egal ob der Spielverlauf das nun fordert oder nicht. Geht man in Führung, wird prompt das passive, tiefe 442 gefahren und alle geraten unter Druck. So kommen dann auch Eigentore zu stande. Man kann förmlich den Spielverlauf vorher sagen. Selbst individuell deutlich unterlegene Gegner wirken mittlerweile gegen den biederen BVB wie eine europäische Top-Mannschaft.

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Merkur836 7. Oktober 2019 um 12:05

Ja vielen Dank auch von mir. Wenn ich mir das In-Game-Coaching von Favre anschaue, wundert mich da auch regelmäßig sehr viel. Mit einer offensiven, schnellen, passstarken und trickreichen Dreierreihe aus Sancho, Reus und Brandt und vorne einem Stürmer mit nem richtigen Torriecher, kann man schon mal ab und zu, oder eigentlich öfter mal Konter doch zu Ende fahren, besonders und gerade dann, wenn man in Führung ist. So wie man das im Fußball seit eh und je halt macht, wenn man in Führung ist und den Vorteil der zunehmend freien Räume ausspielen will. Aber gemeinsam mit der taktischen Ausrichtung, Führungen umgehend in diesem hier im Artikel schön aufgeführten passiven 4-4-2 zu verteidigen, macht für mich herzlich wenig Sinn, zumindest würde ich gerne Favres großen Masterplan mal dahinter erklärt bekommen.

Denn wenn man nach einer Führung immer einerseits passiv verteidigt und somit nicht mehr auf Ballbesitz spielt und man andererseits bei Kontern abdreht und das Spiel wieder langsam macht, holt man doch den Gegner mit Ballbesitz wieder ins Spiel und macht ihn wieder stark. Er muss keine richtige Konterabsicherung machen, kann die gegnerische Hälfte überladen, Druck ausüben und mit langen Ballbesitzstaffeten den BVB so zurecht legen, wie es eigentlich der BVB selbst macht, wenn er die Lücken in seinem Ballbesitz-Kontrollspiel zur Erzielung der Führung sucht. Also verstehe ich eigentlich nur nicht: man kann in Führung liegend entweder aggressiv verteidigen oder Konter ausspielen oder beides. Aber beides nicht zu machen, fällt mir, besonders bei der Kaderstärke dieser Mannschaft, nicht leicht das nachzuvollziehen. Wer weiß, vielleicht ist das ja auch nur eine Zwischenstufe der Ausbildung die Favre-Mannschaften durchstehen müssen, um irgendwann den nächsten Schritt zu machen, nur ist hier mehr die Hoffnung der Vater des Gedankens als ein echter Glaube.

Und Kohfeldt hatte es ja bereits gesagt: Der BVB ist leicht auszurechnen.

Antworten

Malle Dalle 5. Oktober 2019 um 21:25

Wieder ein BVB Artikel?
Was ist mit Leverkusen vs RB?

Antworten

Marcello 5. Oktober 2019 um 21:44

Plastik gg. Plastik?? :o)

Antworten

B-Boy 6. Oktober 2019 um 10:46

Dein Stammtischgelaber ist fehl am Platz

Antworten

JSA 10. Oktober 2019 um 11:43

Pillen gg. Dosen

Antworten

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