Schritt für Schritt in der Physisfrage
Nach einem schwierigen Start gegen den unorthodox ballschleppenden Rechtsfokus Senegals gelingt es Japan, das Thema der möglichen physischen Nachteile abzuschütteln.
Am zweiten Spieltag ihrer Gruppe sorgten Japan und Senegal für ein vergleichsweise sehenswertes und interessantes Spiel, mit einigen spezifischen Elementen. Nach ihren jeweils erfolgreichen Auftaktpartien ruhten sich die Teams nicht auf den ersten Punkten aus, gingen auf dieser Basis nicht mit einer abwartenden Spielweise in die Begegnung.
Senegals balltreibender Rechtsfokus
Gerade die Senegalesen starteten sehr offensiv und agierten mit einem enormen Rechtsfokus, nach langen Bällen, nach Einleitungen über Sané, aus dem tiefen Umschalten: Wagué und Sarr kurbelten mit Dribblings über ihre Seite immer wieder an, zudem wich Niang aus dem Sturmzentrum sehr häufig auf jene Seite aus. Auch er bot sich dort als Ballschlepper an, der das Leder in breiten Zonen mit seiner Physis gegen die eher schmächtigen Japaner nach vorne tragen sollte.
Gegen diese sehr klaren und etwas unorthodoxen Muster am Flügel kam das Team von Akira Nishino nicht so sauber ins kollektive Pressing und musste sich auf individuelle Duelle einlassen. Für den Senegal bedeutete dieser Fokus sehr einfache Aufrückmöglichkeiten in die Offensivzonen, wo sich bei Bedarf auf der Suche nach Durchschlagskraft kleine Kombinationen oder Einzelaktionen anschließen konnten, wie in der Entstehung des 0:1, als Niang abermals den Ball gut abschirmte.
In jenen Flügelaktionen war das Risiko bei Ballverlusten gering, zumal mit dem neu ins Team gekommenem Badou Ndiaye als offensivstem der diesmal drei Mittelfeldspieler eine ballnahe Absicherungskraft bereitstand. Er schaltete sich in seiner zurückhaltenden Art zwar selten selbst in die Offensivaktionen ein, aber konnte mit Pressingresistenz und Ballsicherheit unterstützen. Ein Nachteil dieser Ausrichtung bestand für den Senegal allerdings darin, dass ihr Superstar Mané von links so kaum eingebunden werden konnte und wenig Präsenz hatte, auch wenn er beim Billard-Tor zum 0:1 richtig stand.
Japan kommt ins Spiel
In der Anfangsphase hatten die Japaner mit der geballten körperlichen Überlegenheit des Gegners einige Probleme und brauchten etwas, um sich auf diese Verhältnisse in der Praxis einzustellen – also Situationen dementsprechend abzuschätzen, ein Gefühl für die Handlungsspielräume zu entwickeln und die Entscheidungsfindung darauf abzustimmen. Die Senegalesen versuchten es zudem viel mit längeren Bällen in die Spitze, um Niang als Zielspieler einzusetzen und mit Wucht auf mögliche Abpraller zu gehen.
Dagegen verteidigte später Hasebe als zusätzlicher Mann mitunter sehr nahe an der Abwehrkette, angelehnt an seine besondere Frankfurter Rolle. Aus einem normalen 4-2-3-1 heraus war das für die Mittelfeldkompaktheit etwas ungünstig, so dass Japan in den eigenen Staffelungen dann eine gewisse Wechselhaftigkeit zulassen musste und gelegentlich etwas unorganisiert zurückgedrängt wurde. Insgesamt spielte die vor der Partie viel diskutierte Physisfrage also eine Rolle, aber erwies sich letztlich nicht als unüberwindbare Hypothek.
Nach dem Rückstand musste das japanische Team über ruhigeren Ballbesitz das eigene Spiel gegen Senegals 4-4-2/4-2-3-1 mit flexiblen 4-1-4-1-Übergängen stabilisieren, was ihnen zunehmend gelang. Aus dem defensiven Mittelfeld wechselten sich Hasebe und Shibasaki gut bei herauskippenden Bewegungen nach links ab, um dort mögliche Räume vor dem früh zurückfallenden Sarr zu bespielen. Weiter vorne im Zentrum sollten bei Kagawa die Fäden zusammenlaufen: Mit Vertikalpässen konnte er häufiger im Zwischenlinienraum eingesetzt werden, da die Senegalesen innerhalb der Doppel-Sechs einige horizontale Lücken ließen.
Halbraumbewegungen und Diagonalbälle
Punktuell schien das einer bewussten Pressingfalle zu ähneln, da jene Räume recht dynamisch wieder zugeschoben wurden, und so konnte Kagawa das Leder zwar meist sichern, aber wenig Offensivschub kreieren: Dafür fehlte es der gut und solide organisierten Angriffsstruktur etwas an unterstützender Zusatzpräsenz an den Zehnerraum heran. Gerade Haraguchi hatte eine eher lineare Rolle und kaum Ballkontakte. Er lauerte auf Läufe hinter ballnahes Pressing-Herausrücken von Sabaly, das aber gut abgesichert wurde.
Mehr ging dafür durch den linken Halbraum, wo sich die Japaner im Laufe der Begegnung vielseitiger im Bewegungsspiel zeigten: Vor allem Inui und der ausweichende Kagawa boten sich in den Schnittstellen der senegalesischen Mittelfeldreihe für Vertikalpässe an, ließen diese kurz klatschen oder nahmen sie ein Stück nach hinten mit. Da sich die gegnerische Defensivformation etwas zusammenziehen musste und kurz Druck aufzubauen versuchte, ließen sich so Verlagerungen wirksamer vorbereiten. Das nutzten die Japaner recht geschickt, wie sie überhaupt enorm viel mit langen Diagonalbällen operierten, insgesamt überraschend häufig, auch immer wieder schon aus der ersten Aufbaulinie heraus.
Das funktionierte letztlich gut, ermöglicht durch den konsequenten Einsatz dieses Mittels und ein hohes Grundniveau in der technischen Umsetzung. Ein Beispiel war der Treffer zum 1:1, als Nagatomo das Zuspiel sehr gut festmachen und kurz nach hinten in den Rückraum ablegen konnte. Mit zunehmender Spieldauer gelang es Japan, die Kontrolle zu erhöhen und dadurch schließlich im zweiten Durchgang das Ruder an sich zu reißen. Während sie zunehmend Druck entwickelten, wurden die Senegalesen im Aufbau unruhiger, die Zentrumsakteure ließen im Mittelfeld Verbindungen abreißen und so musste es fast nur noch über lange Bälle gehen.
Ausgerechnet in der japanischen Drangperiode erzielte aus dem Nichts jedoch plötzlich der Senegal wieder die Führung, nach einer einfachen Flügelüberladung dank gutem Lauf von Badou Ndiaye und dem ballfernen Nachrücken Wagués. Auch wenn die Mannschaft von Aliou Cissé über die Auswechslungen neue Präsenz in die Mitte und damit auch für zweite Bälle an die Ballungszonen brachte, ging die Tendenz der Partie weiterhin in Richtung der Japaner. Diese kamen folgerichtig noch zum Ausgleich, bei dem sie von ungewohnten Schwächen der gegnerischen Strafraumverteidigung profitierten.
Fazit
Anfangs ließ sich Japan von Senegals unorthodoxem Rechtsfokus überrumpeln, später kamen sie zunehmend kontrollierter ins Spiel. Währenddessen wurden auf der anderen Seite vermehrt die Schwächen der oft improvisierten Ballbesitzstruktur offengelegt. So waren schließlich im zweiten Durchgang die entscheidenden Aktionen eher von den Japanern zu erwarten. Ähnlich stellt sich nun vor dem letzten Gruppenspieltag die Tendenz mit leichten Vorteilen für den asiatischen Vertreter dar: Die Senegalesen sind gerade bei Ballbesitz noch nicht ganz gefestigt, müssen sich nun zum Abschluss mit den starken Kolumbianern auseinandersetzen. Zwar vermögen sie sich selten klare, stabile Vorteile gegenüber ihren Gegnern zu verschaffen, aber sind und bleiben mit ihrem Stil stets gut in einer Partie – und ein weiteres Remis würde ihnen, wie auch den Japanern, nun definitiv zum Weiterkommen reichen.
2 Kommentare Alle anzeigen
Aliou Bob Marley Cisse 27. Juni 2018 um 13:17
Ginge es nach der Physis dürften asiatische Mannschaften wie Japan und Südkorea gegen bestimmte Teams wie Schweden oder eben Senegal gar nicht erst den Platz betreten. Allerdings habe ich noch nicht verstanden wieso die Japaner ihre unglaubliche Wendigkeit und Schnelligkeit nicht in eine edle Spielweise a la Spanien oder Chile vor vier Jahren ummünzen können.
Zu Senegal kann ich nur beobachten, dass sie komplett unrhythmisch agieren und ich nicht weiß, ob sie eher den Rhythmus des Gegners, oder ihren eigenen brechen. Minutenlange Ballstafetten sah ich bis dato noch nicht von ihnen. Zu Mane kann ich nur sagen, dass es sehr vielen Mannschaften nicht gelingt ihren einen Superstar über die gesamte Spielzeit zur tragenden Figur zu machen. Dies war bei Ronaldo in den letzten beiden Spielen genauso wie bei Messi in Spiel 2 und 3 der Fall. Lewa war isoliert. Kann es sein, dass die Zeit des Superstars, der der Mannschaft immer den Arsch rettet, bei dieser WM bis auf Ausnahmen, wie Ronaldo in Spiel1, abgelaufen ist?
Aliou Bob Marley Cisse 26. Juni 2018 um 18:39
So sympathisch mir der Senegal ist und sie sind aufgrund der Erinnerungen an 2002 meine Lieblingsmannschaft, so unschlüssig macht mich die unorthodoxe Spielweise dieser Truppe.
Das Team verschleppt den Rhythmus des Spieles, spielt jedoch selten kontinuierliche Ballstafetten. Ich bin mir nicht sicher, ob man eher Japan, oder eher sich selbst verwirrte. Abgesehen davon benötigt Sadio Mane seine Tempotribblings, beziehungsweise macht er sich gut als Teil eines Angriffpressings In den ersten beiden Spielen wirkte er für mich ein wenig verloren wie Messi bei Argentinien.