Der „Club“ auf dem Weg zurück
Eine Teamanalyse zur Hinrunde 2017/18.
Als Interimstrainer verlor Michael Köllner mit dem 1. FC Nürnberg in der vergangenen Saison 6 von 11 Spielen und wurde anschließend dennoch fest eingestellt. Zur Winterpause stehen nun 5 Punkte Vorsprung auf Platz 4 und der Beweis, dass sich eine Mischung aus Mut und Pragmatismus auszahlt.
Manchmal perfekt
Wie kommt man eigentlich auf Nürnberg? Das ist keineswegs die Frage nach einem etwaigen Dasein als Fan, sondern viel analytischerer Natur. Obwohl dies keineswegs als Zeichen allgemein fehlender Qualität gedeutet werden sollte: Die zweite Bundesliga ist nicht unbedingt ein Sammelbecken an taktischen Innovationen und dementsprechend ein nicht gerade beliebtes Thema in unserer Redaktion.
Vermutlich konnte beispielsweise Domenico Tedesco gerade deswegen innerhalb von kurzer Zeit bei Erzgebirge Aue so große Erfolge erzielen und sich für den Job auf Schalke empfehlen. Als ohnehin Außergewöhnlicher fiel er im Umfeld der zweiten Bundesliga erst recht auf und lieferte Ergebnisse, mit denen niemand rechnete.
Beim 1. FC Nürnberg waren es demgegenüber einzelne Momente, die meine Aufmerksamkeit erregten. Etwa der Treffer zum 1:0 gegen den MSV Duisburg am 6. Spieltag. Wie viele der anderen Mannschaften verteidigten die Meidericher in einem 4-4-2, das zumeist durchaus sauber funktionierte, auch mittels Mannorientierungen in ballnahen Zonen.
Der „Club“ fand dagegen praktisch einen perfekten, in seiner Effizienz nur wenige Momente dauernden, Spielzug. Kapitän Behrens ließ sich von seiner Ausgangsposition halbrechts in einen zentraleren Raum zurückfallen, Löwen spielte ihn kurz an und erhielt unmittelbar den Ball zurück. Damit zog man den linken Sechser der Zebras aus der Formation.
Hufnagel erkannte den freien Raum halbrechts und bewegte sich aus der Zehnerposition dorthin. Löwen fand ihn zwischen den Ketten des Gegners, er drehte auf. Ishak und Werner hatten sich bereits zuvor linksseitig in den Lücken innerhalb der Viererkette positioniert, Leibold war neben ihnen hochgeschoben. Hufnagel bediente Werner nach kurzem Dribbling mit einem Schnittstellenpass. Dieser legte auf Ishak quer, der den Ball problemlos im Tor unterbringen konnte.
Während des gesamten Spielzugs machten die Nürnberger sich geschickt die Orientierungspunkte der Duisburger zunutze. Durch die Ausgangslage musste jeder von diesen zwei oder mehr Bereiche/Gegenspieler im Blick behalten, wodurch die jeweiligen Defensiventscheidungen dann entweder riskanter werden, da sich beim frühzeitigen Festlegen auf eine Option die andere öffnen kann. Oder die Entscheidung als solche geschieht verzögert und es kann kein Druck auf den Ball mehr erzeugt werden.
Hier geschah eher letzteres: Schon die beiden Stürmer neigten eher zu den Halbverteidigern Nürnbergs und wollten ihre Zwischenposition nicht verlassen, um Löwen zu attackieren. Dieser hatte somit Raum für das Zuspiel. Hufnagel wurde von keinem der Verteidiger verfolgt, da die drei vorderen Spieler Nürnbergs diese beschäftigten.
Der linke Sechser war ohnehin aus dem Spiel, der rechte Sechser konnte sein nach vorne gerichtetes Blickfeld (sowie den Fokus auf Erras) nicht mehr rechzeitig drehen, um abzusichern. Zusätzlich beschäftigte sich der linke Mittelfeldspieler eher mit Valentini, der sich so positionierte, dass auch der linke Außenverteidiger ihn weiterhin im Blick behalten musste.
Da zudem die vertikalen Abstände, wiederum vor allem dank der drei hoch positionierten Nürnberger Spieler, nicht optimal waren, hatte Hufnagel viel Raum vor sich. Duisburg konnte nur noch mit verspätetem Herausrücken reagieren und er suchte sich die vielversprechendste Lücke im Verbund aus.
Und dann wäre da noch die Entstehung einer Torchance gegen den VfL Bochum am darauffolgenden 7. Spieltag. Die Bochumer, damals noch unter Ismail Atalan, attackierten im Gegensatz zum MSV Duisburg bereits früh. Der linke Innenverteidiger Ewerton drehte dennoch am eigenen Strafraum halb auf und spielte unter Druck eines anlaufenden Gegenspielers auf Sechser Erras weiter. Auf diesen rückte sogleich ein weiterer Bochumer vor. Er leitete wiederum auf den rechten Innenverteidiger Mühl weiter, dessen Blick nach vorne gerichtet war.
Der Flügelspieler Bochums richtete sein Augenmerk eher darauf, den Pass auf Valentini zu verhindern und setzte das Pressing nicht rechtzeitig fort. Mühl spielte eine Ebene weiter nach vorne auf den rechten Achter Behrens. Dieser ließ sich aus höherer Ausgangsposition zurückfallen, während Zehner Hufnagel in seinem Rücken kreuzte.
Durch diese Bewegung wurden die beiden ballnahen Bochumer dazu gezwungen, sich weiter nach hinten zu orientieren, zumal die Innenverteidiger praktisch im 2 gegen 2 mit Werner und Ishak standen. Behrens bekam so Zeit am Ball, Ishak setzte sich nach außen vom Innenverteidiger ab und wurde in den Raum geschickt. Nürnberg spielte sich innerhalb von etwa 10 Sekunden stufenweise weiter nach vorne und kam in der Folge zu einem recht vielversprechenden Torabschluss.
Dies veranlasste mich letztlich auch dazu, den 1. FC Nürnberg in eine Twitter-Umfrage zu integrieren, die er dann natürlich für sich entschied – womit wir doch einen gewissen Übergang zu den Fans gefunden hätten bei der Frage: „Wie kommt man eigentlich auf Nürnberg?“.
Schaut man sich die Mannschaft danach etwas näher an, so könnte man derlei Momente fast für Ausnahmen halten, insbesondere in Bezug auf das zweite Beispiel. Situationen unter hohem Druck werden in der Regel nicht von hinten heraus über flaches Passspiel aufgelöst, sondern es erfolgt direkt der lange Ball in Richtung von Ishak. Auf diesen rückt das Team dann aggressiv nach, schafft eine ballnahe Überzahl und versucht sich entweder direkt an einem Durchbruch oder baut das Spiel aus höherer Position kontrollierter auf.
Diese langen Bälle sind zudem nicht immer wirklich vorbereitet, sondern kommen schon mal aus einer gewissen Verlegenheit heraus zustande. Weiter vorne spielt dieses eher wuchtige Element dann auch eine entscheidende Rolle: Sehr gerne attackieren die Nürnberger mit vielen Spielern den Strafraum, insbesondere den zweiten Pfosten. Dorthin werden dann entsprechend Flanken geschlagen.
Doch auch dies kann man keineswegs als vorherrschendes Bild einer Mannschaft festlegen, die sich eben darüber definiert, dass sie sowohl spielerische Lösungen findet als auch bewusst Chaos erzeugt, um dieses für sich zu nutzen oder zu kontrollieren.
„Natürlich ist es eine Ergebnis-Liga. Aber was versteht man unter Fußball? Ist es ein Spiel mit 40 Kontakten, ohne dass der Gegner den Ball berührt, oder sind es zehn Kontakte und man kommt zum Torabschluss? Ich finde, wir müssen schon einen guten Ball spielen können, um den Verein voran zu bringen.“ – Michael Köllner
Spielerprofile und -anordnung
Systematische Flexibilität setzt zu einem gewissen Teil voraus, dass eben auch die einzelnen Individuen entweder an sich flexibel einsetzbar sind oder sich untereinander so unterscheiden, dass sich je nach Situation der passende Spielertyp aufbieten lässt.
Beim 1. FC Nürnberg sticht in ersterer Hinsicht vor allem Eduard Löwen heraus, der gerade in Bezug auf Formationswechsel in der Regel entscheidend ist. Zudem gibt es ebenso eine Reihe von absichernden beziehungsweise bevorzugt tiefer agierenden Mittelfeldspielern im Kader wie bewegungsfreudigere Spielertypen, die am ehesten als Achter oder als einrückende Außenspieler eingesetzt werden.
Tobias Werner und Edgar Salli sind demgegenüber wiederum eher klassische Flügelspieler, während Cedric Teuchert zwischen Flügel und Sturmzentrum anzusiedeln ist und Mikael Ishak einen zentralen Stürmer mit gewissen Extras darstellt.
Bei den Verteidigern sticht durch seine Dominanz in der Tiefensicherung vor allem Ewerton heraus, der gesetzt ist. Den Platz oder einen der Plätze neben ihm nimmt dann entweder Mühl oder Margreitter ein. Die Außenverteidiger spielen dagegen praktisch immer und sind eigentlich auch für alles zu gebrauchen.
Zudem befinden sich im Kader noch weitere interessante Spieler, die jedoch kaum oder gar nicht zum Einsatz kommen – beispielsweise Enis Alushi. Der Aufschwung bei der Punkteausbeute wurde allgemein betrachtet offensichtlich nicht durch eine große Kaderveränderung hervorgerufen, da viele der Spieler bereits in der letzten Saison dabei waren. Michael Köllner hebt hier in Interviews stattdessen ein „Zusammenwachsen“ als Kern der Entwicklung hervor.
In den letzten Spielen hat sich, wie schon zu Beginn der Saison und über weite Teile von Köllners Interimszeit, das 4-3-3 als präferierte Grundordnung etabliert. In dieser braucht es stets mindestens einen der absichernden Mittelfeldspieler, während die Achter- und Flügelspielerrollen ohne großen Aufwand variiert werden können. Zudem lassen sich die Aufgaben für die Außenverteidiger anpassen.
Das kann man natürlich auch bei anderen Formationen so durchführen. Doch das 4-3-3 bietet an sich schon eine gute Raumaufteilung als Basis. Bereits kleinere Änderungen können sich effektiv auswirken und man braucht keine großen Positionswechsel anzuschieben, um gute Staffelungen zu kreieren.
Man vergleiche beispielsweise einmal, mit welchem Aufwand sich aus dem 4-4-2 und wie sich aus dem 4-3-3 eine Anordnung im 3-Raute-3 herstellen lässt. Deswegen nutzt etwa auch Pep Guardiola vornehmlich ein 4-3-3 als Grundlage für sein Positionsspiel. Zudem lässt sich so auch gegen den Ball recht einfach zwischen 4-4-2, 4-1-3-2 und 4-1-4-1 wechseln.
Dennoch setzte Michael Köllner im Laufe der Saison bereits auf Anordnungen mit Dreierkette (am ehesten 3-4-1-2), ein 4-2-3-1/4-4-2 sowie ein 4-Raute-2. Maßgeblich unterschied sich hier vor allem die Position von Eduard Löwen. Ein entscheidender Grund für eine Dreierkette wäre es beispielsweise, dass man ihn so ideal in dominanter Rolle als Innen-/ oder Halbverteidiger einbinden kann.
Im 4-2-3-1/4-4-2 wird seine Wucht weiter vorne genutzt. Das 4-Raute-2 erlaubt es hingegen, dass die grundsätzlich aufs Zentrum fixierten Spieler gemeinsam aufgeboten werden, während Ishak neben sich einen beweglichen Partner hat.
Hierbei spielten häufig auch ganz offensichtlich gegnerspezifische Anpassungen eine Rolle, die man zuletzt aber eben wie beschrieben eher über Rollenanpassungen vornahm. Das Trainerteam zeichnet sich durch eine gewisse Experimentierfreudigkeit aus, die jedoch nie in wirklich Verrücktes oder Instabiles ausartet, obwohl natürlich nicht jede Maßnahme fruchtet.
Neben Cheftrainer Michael Köllner scheint auch ein Neuzugang auf der Trainerbank, Boris Schommers, durchaus positiv Einfluss darauf zu nehmen, fiel er zuvor bei der U19 vom 1. FC Köln (na klar!) doch bereits mit ähnlichen Merkmalen auf. Folgende Aussage Köllners ist in diesem Kontext interessant: „Mich haben auch viele alte Freunde aus Trainerlehrgängen gefragt, ob ich ihnen nicht einen Job beim Club verschaffen könnte. Aber wenn ich das Gefühl habe, Boris Schommers, den ich vorher nicht kannte, ist die beste Lösung als Co-Trainer, dann nehme ich ihn.”
Exkurs: Von Gegner- und Teamanalysen
Die Flexibilität von Mannschaften wie dem 1. FC Nürnberg hat in Bezug auf solche Teamanalysen nicht zu verachtende Auswirkungen und reiht sich in eine allgemeine Entwicklung ein. Hat man es beispielsweise mit einer Mannschaft zu tun, die praktisch immer dasselbe spielt oder zwischen nur wenigen Varianten wechselt, so lässt sich dies relativ klar und auch ganz konkret anhand bestimmter Abläufe darstellen, die von Spiel zu Spiel beobachtbar bleiben.
Passt sich eine Mannschaft nun vermehrt dem Gegner an, werden diese ganz konkreten Abläufe in ihrer Allgemeinheit weniger und es treten vielmehr Prinzipien in den Vordergrund, die stetig wiederkehren. Diese sind einerseits schwieriger zu erfassen, da sie sich etwas abstrakter darstellen, und andererseits kann man sich beispielsweise als Gegner darauf seinerseits im Vorfeld kaum schematisch anpassen.
Vielmehr muss man sich dann mit der Logik hinter Umstellungen befassen: Wenn die Mannschaft etwas ändert, in welchen Bereichen tut sie das? Bei einigen Teams mag es zum Beispiel eine Tendenz sein, dass sie ihr Pressing immer dahingehend verändern, auf welche Seite der Gegner geleitet wird. Welche Seite könnte das bei uns sein? Auch die Auswirkungen von Spielerrollen auf das Gesamtbild sind hier interessant.
Man muss sozusagen die Umstellungsmöglichkeiten realistisch einschätzen können, um sich im Rahmen seiner eigenen Prinzipien auf sie einstellen zu können. Gewissermaßen die Meta-Ebene der Analyse und ein weiteres Argument dafür, sich seines eigenen Spiels bewusst zu sein und dieses zu reflektieren.
Nun beobachtet man für eine Gegneranalyse in der Regel vielleicht die 3 bis 5 letzten Partien einer Mannschaft. In diesen wird es häufig noch zwangsläufig eine gewisse Deckungsgleichheit geben und man wird immer noch konkretere Tendenzen rausfiltern können. Dies wäre vermutlich auch bei Nürnberg aktuell der Fall, würde man sich auf eben jenen Zeitraum fixieren. Man ginge auch inhaltlich mehr auf eine Mikro-Ebene.
Doch eine komplette Teamanalyse befasst sich eben mit einem noch größeren Rahmen. Dies ist einerseits ein guter Weg, um dem interessierten Leser ein Thema im Kern (mit Fokus auf dessen Besonderheiten) zu präsentieren. Andererseits gestalten sich solche Makro-Analysen eben wiederum aus oben genannten Gründen interessant, da sich durch sie die ganz grundsätzlichen Tendenzen der eigenen Mannschaft oder anderer Mannschaften offenbaren. Diese Erkenntnisse lassen sich dann auch wieder mit der konkreteren Mikro-Ebene verbinden, um letztlich ein vollständigeres Bild zu erhalten und sich anhand greifbarer Beispiele der Veränderungsmöglichkeiten bewusst zu werden.
In Ballbesitz
„Ich bin kein Trainer, der klare Automatismen vorgibt. Die Spieler sollen aus einer hohen Trainingsfrequenz Automatismen ableiten. Spieler brauchen Entscheidungsfreiheit. Konfuzius sagt: ,Was du mir sagst, das vergesse ich. Was du mir zeigst, daran erinnere ich mich. Was du mich tun lässt; das verstehe ich.‘ Nur so funktioniert echtes Lernen.“ – Michael Köllner
Grundsätzlich baut der 1. FC Nürnberg ein recht weiträumiges Positionsnetz auf und versucht Anspieloptionen auf verschiedenen Ebenen zu schaffen. Dabei ist vor allem erkennbar, dass wiederkehrend links und rechts von der Mitte Rautenstaffelungen erzeugt werden. Hierzu rückt häufig auch mindestens einer der Flügelspieler ein.
Aus dieser Grundstruktur ist es dann immer wieder möglich, einen freien Spieler zwischen den Linien des Gegners zu finden. Dies kann im einfachsten Fall eben einer jener Flügelspieler sein, wenn er nicht direkt mannorientiert verfolgt wird. Außerdem lässt sich Ishak immer mal wieder zurückfallen, auch in seitlichere Zonen. Von dort fungiert er in der Regel als Ablagenspieler, häufig für die in der Folgeaktion nachrückenden Achter.
Um derlei Strukturen zu erzeugen, kippen die Achter, wie auch schon in der obenstehenden Grafik gezeigt, vermehrt neben die Innenverteidiger heraus. Situativ kann dies auch der Sechser bei zu weiten Wegen übernehmen, hält jedoch häufiger die Position in seinem Grundraum. So entsteht eine tatsächlich dynamische Dreierkette, mit der im Idealfall auch noch Gegenspieler aus der Position gezogen werden können, wenn sie den jeweiligen Achter aus dessen Ausgangsposition ein ganzes Stück weit verfolgen.
Die zurückfallenden Bewegungen dienen meist also nicht der konstanten tieferen Nutzung eines Spielmachers in tiefen Zonen. Falls dies angedacht ist, spielt Löwen eher aus einer dauerhaften Dreierkette heraus. Aus dieser Position verteilt er die Bälle dann entweder flach zwischen die Linien oder bringt auch immer wieder (diagonale) Flugbälle in verschiedene Bereiche an.
Der Nutzen hinter der dynamischen Erzeugung der Dreierkette kann es hingegen eher sein, das Durchspielen von einer Seite des Feldes auf die andere zu unterstützen: Der Achter fällt zurück, sein Platz wird vom Flügelspieler eingenommen, der in den Zugriffsbereich von zwei Gegenspielern hineingeht. Somit kann der Außenverteidiger entweder freigespielt werden oder es bleibt als Ausweg noch der lange Ball auf die andere Seite, wo der andere Achter vorgerückt agiert.
In beiden Fällen geht es durchaus darum, diese ballferne Überzahl zu nutzen. Der Außenverteidiger kann etwa am Flügel durchbrechen, worin sowohl Valentini als auch Leibold konstant gut agieren, und dann eine Hereingabe anbringen. Oder man geht eben den direkten Weg. Hierfür bildet Nürnberg vom Ballführenden aus gesehen passende diagonale Staffelungen, die eine gute Absicherung garantieren und für das Spiel um den zweiten Ball von Vorteil sind.
Aus einer tiefen Position kann der Achter allerdings auch ballnah vorschieben und möglichst einen Gegenspieler mitziehen. Dann bleibt beispielsweise der Außenverteidiger tief und auch der ballferne Achter hält sich zurück.
Diese Beziehung der Achter zueinander kann etwa in der Rollenverteilung auch dazu führen, dass einer die ganze Zeit neben dem Sechser agiert und der andere eher schon einen Zehner darstellt, wodurch dann die Ballbesitz-Struktur eines 4-2-3-1 entsteht.
Schiebt der Achter ballnah bis an die letzte Linie hoch, lässt sich zudem der Flügelspieler zurückfallen, um mit einem solchen vertikalen Positionswechsel Zuordnungsschwierigkeiten provozieren zu können. Erneut zeigt sich hier die Bewegung und Positionierung der Spieler in Relation zueinander, was gegen die oft mannorientiert agierenden Gegner überaus effektiv sein kann.
Nur in bestimmten Fällen sammeln sich mehrere Spieler in einer Zone. Dies kann für eine stabile Zirkulation beispielsweise nahe der ersten Linie geschehen, was jedoch für die gesamte Staffelung des Teams nicht besonders vorteilhaft ist (Ausnahme gewissermaßen: Tiefe Viererkette mit guten Verlagerungen des Außenverteidigers zum ballfernen Innenverteidiger). Nürnberg erzeugt allerdings häufiger noch gezielt Überladungen zwischen Halbraum und Flügel auf einer Seite des Feldes.
Auch wenn die Spieler sich näher zueinander befinden als üblich, achten sie bei gutem Ausspielen darauf, nicht auf derselben Passlinie zu stehen, sondern stattdessen neben dem numerischen auch einen positionellen Vorteil zu erzeugen. Hierfür werden wiederum Positionswechsel eingesetzt, die in höheren Zone auch eher horizontaler Natur sind: Achter rückt nach außen, Flügelspieler nach innen.
So entsteht zudem der Vorteil, nach einem Ballverlust unmittelbar viele Spieler für das Gegenpressing zur Verfügung zu haben, was teilweise zu spektakulären Situationen führt. Zur Nutzung dieses Effekts werden Überladungen, wie etwa gegen den FC St. Pauli am 5. Spieltag, durchaus einmal für das konsequente Spiel auf zweite Bälle genutzt, was im konkreten Spiel zusätzlich durch das Fehlen Ishaks in der Startelf verstärkt wurde. Statt dem individuell einsetzbaren Zielspieler setzte man auf eine kollektivere Zielzone.
Häufig läuft beim Club entweder direkt infolge des tieferen Aufbauspiels oder nach Verlagerungen aus der überladenen Spielfeldzone heraus der Ballvortrag über die Flügel ab. Dort agieren ohnehin die spielerisch starken Außenverteidiger, die jedoch auch gruppentaktisch in passender Umgebung eingebunden sind. Neben den Flügelspielern, die durchaus für Pärchenbildungen hinzugezogen werden, sind es wiederum die Achter, welche häufig eine entscheidende Rolle spielen.
Neben allgemein üblichen Doppelpässen und dem Spiel hinter den Außenverteidiger über den Dritten gibt es dank ihnen zusätzliche weitere Möglichkeiten, vom Flügel in Richtung Zentrum zu gelangen, was grundsätzlich der vielversprechendere Weg ist.
Variante 1: Der Außenverteidiger befindet sich am Flügel im 1 gegen 1. Der ballnahe Achter oder Außenstürmer läuft im Halbraum durch. Wird er nicht verfolgt, so kann diagonal nach innen hinter die Kette gespielt werden. Wird er, wie meist, verfolgt, öffnet sich ein Passweg ins Zentrum, meist auf den ballfernen Achter. Insbesondere Leibold bringt hier starke Zuspiele an.
Variante 2: Der ballnahe Achter agiert zurückhaltender, wodurch der gegnerische Mittelfeldspieler ihn in seinem Blickfeld und Zugriffsbereich behalten muss. In die entstehende Lücke im Rücken kann dann der ballferne Achter hineinstarten und dort angespielt werden.
Variante 3: Der Achter blockt mit einem leicht nach außen gerichteten Lauf den nahen zentralen Mittelfeldspieler, während ein weiterer Spieler entweder den durchgeschobenen Innenverteidiger oder Außenverteidiger besetzt. Zudem hält der Sechser eine tiefe Position und schiebt nicht zu weit nach vorne mit. So bildet sich eine Gasse für den Außenverteidiger, in welche er hineindribbeln und je nach Staffelung des Gegners bis auf die andere Seite des Feldes laufen kann. Hierin zeigt vor allem Valentini seine Stärken.
Auf solche Dribblings reagieren die Nürnberger häufig mit passenden gegenläufigen Bewegungen, die ohnehin ein nicht zu verachtender Teil des Spiels sind. Auf der gegenüberliegenden Seite kann so neuerlich eine lokale Überladung provoziert und ein der Situation entsprechender gruppentaktischer Ablauf gesucht werden.
Gegen den Ball
„Ich finde auch nicht, dass wir einen fanatischen Offensivfußball spielen, sondern aus einer geordneten Defensivstruktur kommen.“ – Michael Köllner
Beim hohen Anlaufen setzt der 1. FC Nürnberg auf die ein oder andere klare Mannorientierung, häufig von einem der Achter. Im Zusammenspiel mit dem Anlaufen eines Flügelspielers von außen nach innen soll das Spiel so auf eine Seite des Feldes geleitet werden oder zumindest auf den entfernten Innenverteidiger, bevor der weitere Pressingplan zur Geltung kommt.
Hierbei gilt es vor allem die Balance zwischen den beiden Achtern zu finden. Der tiefere der beiden sollte sich entsprechend tiefer halten und auch der nicht anlaufende Flügelspieler muss in einer Position bleiben, die ihn nicht zu sehr auf eine bestimmte Aktion festlegt. Ansonsten kann es im Zusammenspiel mit anderen mangelnden Details durchaus einmal dazu kommen, dass das Zentrum geöffnet wird. Dies zeigte sich beispielsweise in der Raute, wenn die Achter zu früh die Grundposition verließen.
Vor allem im Zusammenspiel mit weitreichenderen Mannorientierungen können Probleme entstehen. Die Viererkette hält sich insgesamt eher tief. Die Außenverteidiger schieben nicht so extrem weit vor, wie es bei anderen Teams schon mal der Fall sein kann. Wenn der Sechser sich nun gemeinsam mit den vor ihm befindlichen Spielern bewegt, werden die Abstände in der Vertikalen teils sehr groß. Mit einem erfolgreichen Pass in die geweitete Zone vor der Abwehr kann der Gegner auf diese zulaufen.
Hier agiert die Hintermannschaft in der Folge dann zwar in den Abläufen sauber und schafft es die Angriffe zumindest abzubremsen, was auch bei Kontern der Fall ist, bei denen die Viererkette schnell zueinander findet. Doch durch das Fallen kommt der Gegner entsprechend auch näher zum Tor. Eher zufällige Begebenheiten oder kleinere Fehler bekommen im und um den Strafraum herum schließlich eine größere Bedeutung und können größere Auswirkungen nach sich ziehen als weiter vorne.
Wird der Angriff vonseiten des Clubs aber eher wie häufig aus einem (höheren) Mittelfeldpressing geleitet, sieht das Ganze stabiler aus und die Nutzung von Mannorientierungen gestaltet sich weniger anfällig. Vielmehr werden bestimmte Gegenspieler gezielt zugestellt, um andere wiederum bewusst offen zu lassen. Der Pass zum scheinbar freien Mann wird dann bewusst belauert, sodass mehrere Spieler unmittelbar Zugriff auf ihn herstellen und die weiteren Passwege abschneiden können.
Bei der Ausrichtung mit Fünferkette kann es hier bei kleineren Unzulänglichkeiten zu einer Anfälligkeit am Flügel kommen, was insbesondere Duisburg gegen das 5-2-1-2 dazu nutzte, um dort gezielt eine Überzahl zu erzeugen. Nicht zuletzt deswegen stellte Köllner hin zu einer größeren 5-3-2-Tendenz um, wobei die Breite etwas besser abgedeckt werden konnte, ehe zur Halbzeit gänzlich der Wechsel zum 4-2-3-1/4-4-2 folgte. Löwen wurde vom Innenverteidiger zum Zehner, beziehungsweise zur hängenden Spitze.
Allerdings soll gar nicht unbedingt der erste Passempfänger schon derjenige sein, von dem man auch den Ball gewinnen will. Dieser wird beispielsweise einfach aus bestimmtem Winkel angelaufen, sodass er nur auf einen weiteren scheinbar freien Spieler weiterspielen kann, der dann von verschiedenen Seiten angelaufen und schließlich isoliert wird.
Mit dieser Art der Pressingfalle werden die Situationen für die eigene Mannschaft ein Stück weit vorhersehbarer und man kann flexibler in Pressingsituationen kommen, indem man einen bestimmten Spieler eben einfach frei lässt und dadurch untereinander kommuniziert, dass der Ball genau zu diesem kommen soll.
Damit lässt sich, sozusagen über Umwege, sowohl ein Leiten nach innen als auch nach außen umsetzen. Gegen extrem starke Aufbauspieler wie Kaan Ayhan von Fortuna Düsseldorf, der in dieser Hinsicht über oberes Bundesliganiveau verfügt, kann es dann aber bei mangelndem Balldruck auf den allerersten Passgeber dazu kommen, dass dieser nicht den geplanten Pass spielt, sondern auch in engen Zwischenräumen andere Spieler findet, die schwerer zu erreichen sind. Oder er bringt eben direkt einen präzisen Diagonalball an.
Nach teils großen Problem in der ersten Halbzeit passte das Trainerteam auch gegen Ayhan durchaus sinnvoll an, indem die erste Dreierreihe im Mittelfeld mehr auf seine Seite mit herüberschob, die Sturmreihe aber symmetrisch agierte. So schob man die im ersten Durchgang aufklaffende Lücke im Halbraum vor Ayhan zu und beide Achter konnten in diesem Bereich zudem flexibel rausrücken.
Auch wenn der Flügelspieler beispielsweise erst einmal vom Außenverteidiger weglenkte, gelangte der Ball doch über einen Umweg zu diesem. Er konnte nun aber so angelaufen werden, dass ein Rückpass kaum mehr möglich war. Dieses Isolieren auf außen kann zwar durchaus einmal zu einer Lücke im Zentrum führen, die jedoch einerseits schwer bespielbar ist, andererseits in der Regel vom ballfernen Flügelspieler mit bewacht wird.
So entsteht bei den Nürnbergern innerhalb des Mittelfelds bei Ballbesitz des Außenverteidigers häufig eine verschobene 2-3-Staffelung, bei der die „2“ ballfern versetzt und die „3“ zum Ball verschoben ist. Beide Achter agieren aus vorgerückter Position. Zum Leiten nach innen stößt der ballnahe vor. Entweder läuft er selbst an oder reagiert entsprechend auf das Pressing des Stürmers.
Der Halbraum steht ballnah relativ offen, doch dies geschieht durchaus bewusst. Die Gegner verfügen in diesem Bereich über eine oder maximal zwei Anspielstationen, doch Nürnberg kann mit einer Vielzahl von Spielern attackieren. Dabei gestaltet sich das Rückwärtspressing überaus aktiv und wird zu einer der größten Stärken des Clubs: Schnelles Zusammenziehen nachdem der Gegner einen eigentlich schon überspielt hat.
Aus vergleichbarer Staffelung kann der Gegner wiederum auch zum (hohen) Longline-Pass gezwungen werden. Auf einen solchen kann der jeweilige Außenverteidiger früh reagieren, da die Art des Anlaufens weiter vorne ihm bereits ein klares Signal vermittelt.
Vor allem auf der linken Seite gibt es zudem mit Ewerton einen starken Spieler für das Verteidigen von Bällen in dessen Rücken. Eine vielseitige Herangehensweise ist auch hier der Schlüssel, eine stabile Verteidigungsweise mit schwer überspielbarer letzter Linie die Folge.
Ausblick
Zum Spitzentrio gehört neben dem Club aktuell noch Holstein Kiel, unter Markus Anfang ebenfalls mit interessanter Ausrichtung. Über ihre Spielanlage mit falschen Außenverteidigern gibt es zum Beispiel hier mehr zu lesen. Die Störche werden zudem auch individuell vom Goalimpact hoch eingeschätzt und sollten zumindest ein interessantes Team für die vorderen Plätze bleiben, obwohl man auf den ersten Blick meinen möchte, sie würden als Aufsteiger krass über ihre Verhältnisse punkten.
Da wäre außerdem noch die Mannschaft von Fortuna Düsseldorf, welche zwar in der mannschaftlichen Gesamtausrichtung teils deutlich abfällt, aber individuell neben Aufbau-Gott Ayhan auch noch andere hervorragende Spieler im Kader hat, etwa Benito Raman oder Jean Zimmer. Sie können zumindest offensiv für unberechenbare Momente sorgen, während den meisten Gegnern Mittel fehlen, um die mannorientierte Defensive zu überwinden.
In Kontext der Spitzenteams wirkt der 1. FC Nürnberg, was Erwartungshaltung und Saisonverlauf, aber auch die zumeist rationale Spielweise angeht, wie der logischste Kandidat. Ein großer Einbruch ist ziemlich unwahrscheinlich, außer mehrere Spieler sollten den Verein tatsächlich im Winter schon verlassen. Die Rückrunde könnte letztlich sogar ganz ähnlich wie die Hinserie verlaufen.
Einen lockeren Durchmarsch in die Bundesliga wird es dementsprechend eher nicht geben, aber dafür steht am Ende vielleicht schon zwangsläufig der Aufstieg. In derlei Zukunftsszenarien sollten jedoch die bereits etwas zurückliegenden Teams wie Ingolstadt oder Union Berlin nicht komplett aus den Augen verloren werden. Die zweite Bundesliga bleibt ein enges Feld.
4 Kommentare Alle anzeigen
JG 3. Januar 2018 um 21:21
Ich hab mich jetzt längere Zeit gesträubt die Analyse des Clubs zu lesen, weil ich damit gerechnet hab, dass Eduard Löwen auch hier etwas unter dem Radar unterwegs ist, aber nein, auf euch ist wohl doch immer Verlass.
Wäre einer für Hoffenheim, möglicherweise als Vogt Backup und baldig dessen Ablösung, der wird ja auch nicht jünger. Gefällt mir wahnsinnig gut der Junge, man merkt ihm an, dass wirklich viel Fußball „gespielt“ hat. Ich hoffe sein Weg führt weiter nach oben, es liegt noch etwas Potenzial brach.
pd 2. Januar 2018 um 10:06
danke. für den bericht über meinen glubb.
vieles sehe ich ähnlich. rein das gefühl sagt mir schon das wir meistens den „schöneren“ Fußball spielen als der rest der Liga (natürlich bis auf 2 3 ausnahmen)
auch wenn wir bei goalimpact eigentlich gar nicht so gut abschneiden, was wsh an den letzten jahren liegt.
Kk 30. Dezember 2017 um 11:05
Vielen herzlichen Dank für die Analyse meines ewig geliebten Glubbs. Ein verspätetes Weihnachtsgeschenk!
Pelle Lundkvist 29. Dezember 2017 um 19:47
Sympathischer Vorname 😀