Eindeutiges Ergebnis, zweideutiges Spiel
Da steht die 1D-Elf der Deutschen doch glatt im Finale des ruhmreichen Confed Cups. Ein 4:1 über Mexiko macht es möglich.
Grundformationen
Das DFB-Team startete in einer 3-4-2-1-Grundordnung, wobei es während der 90 Minuten insbesondere in der Offensivabteilung einige Wechsel und situative Anpassungen gab, die weiter unten noch angerissen werden. Interessanterweise entschied sich Joachim Löw für Antonio Rüdiger als Zentralverteidiger und stellte Matthias Ginter auf die linke Halbposition. Es hätte ebenso Argumente gegeben, diese Variante umzudrehen. Dass hingegen Joshua Kimmich halbrechts agierte, war an sich selbsterklärend und stellte sich als guter Schachzug heraus. Auch dazu weiter unten mehr.
In Mexikos Startaufstellung fehlten zwei wichtige Namen: Andrés Guardado und Carlos Vela. Gerade der Ausfall des Ersteren aufgrund einer Sperre sollte sich negativ auf das Gesamtkonstrukt der Mannschaft auswirken. Trainer Juan Carlos Osorio schickte seine Spieler in einem 4-4-2 aufs Feld und wich somit von der noch in der Gruppenphase eingesetzten 4-3-3-Grundordnung leicht ab. Die doppelte Besetzung im Offensivzentrum war an sich keine schlechte Idee, um die Penetration des Zwischenlinienraums stärker zu fokussieren.
Defensive Massebildung
Die Deutschen begannen die Partie mit einigen erfolgreichen Pressingattacken gegen den Aufbau Mexikos. Zunächst wurde in der ersten Welle zumeist eine 1-2-Staffelung praktiziert, um die beiden Innenverteidiger mannorientiert anzulaufen und Hector Herrera zuzustellen. Der Sechser von Porto schaltete sich immer als tieferer Mittelfeldakteur in die Spieleröffnung seiner Mannschaft ein, ohne jedoch kontinuierlich zwischen die Innenverteidiger abzukippen. Dies war insofern eine kluge Entscheidung, als dass Mexiko sowieso schon Verbindungsprobleme in die zweite Linie hatte.
Jonathan dos Santos, der zweite nominelle Sechser, bewegte sich frühzeitig nach vorn, rannte dadurch jedoch vielfach in den massierten Pulk der Deutschen. Nach der Anfangsphase ließ sich immer wenigstens ein deutscher Offensivakteur ins Mittelfeld zurückfallen und unterstützte die eh schon erfolgsversprechenden Attacken auf die Angriffspässe der Mexikaner. Einige Male wurden Zuspiele ins zentrale Mittelfeld abgefangen oder Ballgewinne rasch erzwungen.
Eine Balleroberung war es auch, die den frühen Führungstreffer der Deutschen durch Leon Goretzka einleitete. Bei diesem Treffer sollte zudem die simple Genialität in der Ausführung herausgestellt werden. Goretzka und Außenverteidiger Benjamin Henrichs spielten an sich eine simple Mitte-Flügel-Mitte-Kombination, aber das Timing von Henrichs Vorlage auf Goretzka war sehr gut. Er spielte quasi einen Vorwärtspass in den Rückraum der gegnerischen Abwehr, was hinsichtlich Passgewichtung und des Zeitpunkts der Ballabgabe herausfordernd war.
Goretzka erzielte nur Momente später den Doppelschlag. In diesem Fall wurde den Deutschen aufgrund der fehlenden Breite in Mexikos Sechserraum ein relativ leichter Durchbruch über halbrechts ermöglicht. Die Dramaturgie der Partie hatte sich damit bereits innerhalb der ersten zehn Minuten entscheidend verändert.
Achsenspiel auf beiden Seiten
Mexiko war nun gezwungen, eigene Angriffe stärker zu forcieren, was dem Team im Verlauf der ersten Halbzeit auch zunehmend gelang. Dabei war die umtriebige Achse mit Jonathan dos Santos und Javier Hernández von entscheidender Bedeutung. Beide waren nicht zu stark auf der Vertikalen positioniert und konnten durch rotierende Ausweichbewegungen zur rechten Seite wichtige Passwinkel und gerade im Fall von Hernández ebenso wichtige Passoptionen für Mitspieler kreieren.
Problematisch blieb allerdings das mangelnde Distanzmanagement der beiden Flügelspieler – von Javier Aquino im Besonderen. Dadurch wurde die Dynamik nach Ballannahmen automatisch reduziert und die mannorientierten Außenverteidiger Deutschlands hatten leichteres Spiel, den notwendigen Zugriff zu erzeugen, was andernfalls bei schwierigeren Orientierungsaufgaben vielleicht nicht der Fall gewesen wäre.
Defensiv passte sich Deutschland während der ersten Halbzeit den neuen Gegebenheiten an und forcierte die bereits erwähnte Massebildung im Mittelfeld noch stärker, indem zunächst kurzzeitig eine 2-1-Staffelung vorn praktiziert wurde. Dabei war Werner als umtriebiger Pressingkeil tätig. Eine längerfristige Umstellung gab es jedoch im Zurückziehen von Julian Draxler und später Lars Stindl, was zu einem 5-4-1 gegen den Ball führte. Gelegentliches Zocken war zu sehen – wie beispielsweise Draxlers Warten in der verwaisten linken Offensivzone hinter dem aufgerückten Miguel Layún. Aber insgesamt wurde die DFB-Elf vorsichtiger in der ersten und zweiten Phase gegen den Ball.
Diese schon fast natürliche Passivität, die dadurch entstand, erlaubte Mexiko ein ungestörteres Vorstoßen entweder über die Außenbahn oder durchs Zentrum. Im ersten Fall war es ihnen dann möglich mit diagonalen Zuspielen auf die zentralen Angreifer in den Zwischenlinienraum vorzudringen. Im zweiten Fall wurde während der ersten Halbzeit die leicht abgeänderte Positionierung von Jonathan dos Santos wichtig. Der 27-Jährige bewegte sich vermehrt über halblinks in den Zehnerraum und entging damit eher dem Zugriff von Sebastian Rudy. Zudem öffnete er lokal Zonen für Giovani dos Santos, der im Gegensatz zu Aquino ein diagonaleres Bewegungsmuster aufwies.
Stellvertretend für die beschriebenen Facetten war eine Chance Mexikos in der 33. Minute: Deutschland lief in der zweiten Phase nur passiv an und belauerte nicht die diagonalen Passwege. Der Ball drang direkt bis zur Abwehrlinie durch; der Zwischenlinienraum war zu groß. Die mannorientierte Abwehr wurde mit einer schnellen Ablage zügig ausgehebelt.
Es gab auf deutscher Seite aber auch positive Ansätze nach der erfolgreichen Anfangsphase. So entwickelte sich die rechte Seite mit Kimmich, Goretzka und Stindl/Werner zu einer ansprechenden Halbraumachse gegen Jonathan dos Santos und dem breit positionierten Aquino, obgleich die Passlängen nicht immer stimmten. Die Abstinenz Guardados und die vorgenommene Umstellung hinsichtlich der mexikanischen Grundordnung wurde hierbei wohl am deutlichsten.
Zweite Halbzeit
Nach der Pause wirkte der Spielrhythmus gedrosselter. Auf Seiten der Mexikaner schaltete sich Jonathan dos Santos häufiger als Ballschlepper aus dem Sechserraum ein, was dem an sich schon verlangsamten Spiel nicht unbedingt zuträglich war.
Die Deutschen hatten zuweilen Schwierigkeiten mit der eigenen Passgewichtung – sogar beim 3:0. Defensiv funktionierten bei der DFB-Elf vor allem die Pärchenbildung in der Mitte und die Aufschlussbewegungen von außen nicht durchweg. Bei Flügelangriffen hingegen konnten Löws Spieler diese Mängel kaschieren, weil sie mit Intensität den Gegner zumeist abdrängten.
Ein letzter Schachzug Osorios blieb die Hereinnahme von Marco Fabián, der anstelle von Giovani dos Santos in die Partie kam. Die stärkere Direktheit des Frankfurt-Profis erzeugte vielleicht oberflächlich betrachtet mehr Druck im Zehnerraum, war aber ebenso Grund für kleinere strategische Fehlentscheidungen im Angriffsdrittel.
Fazit
Das Endergebnis auf der Anzeigetafel war deutlich, womöglich zu deutlich. Aber in Anbetracht der ersten zehn Minuten und des Doppelschlags der Deutschen ist es recht leicht zu erklären, warum der Sieg der DFB-Elf eigentlich nie wirklich gefährdet war. Zur Analyse des Spiels gehört jedoch auch das Aufzeigen defensiver Schwächen auf deutscher Seite, die nicht ausschließlich mit mangelnder Eingespieltheit zu erklären sind, sondern auch auf taktische Überlegungen wie etwa die größere Passivität in den ersten Pressingphasen und das mannorientierte Abwehrpressing zurückzuführen waren.
14 Kommentare Alle anzeigen
Studdi 30. Juni 2017 um 23:37
Habe den Eindruck das die deutsche Mannschaft beim Confed Cup wesentlich passiver verteidigt als in der Vergangenheit. Wieso glaubt ihr macht sie das? Ist dies von Löw so gewollt? Hält er das für besser, mit diesem spielermaterial oder bekommen sie es nicht ganz so hin wie es Löw möchte?
MDA 30. Juni 2017 um 16:53
Respekt für die schnelle Umsetzung dieser Spielanalyse. Es mag der kurzen Enstehungszeit des Artikels geschuldet sein , aber mir ist dem Treffer zum 2:0 durch Goreztka mit den 2 Sätzen zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet worden. Meiner Wahrnehmung nach ein klasse Tor. Werner beweist mit seiner Übersicht wie Verzögerung und dem Timing des Passes , sowie der präzisen schärfe, dass er durchaus auch in diesem Segment eine große Qualität mirbingt.
Darüberhinaus finde ich den Laufweg von Goretzka fast noch beeindruckender. Er erkennt schnell den gebotenen Raum und geht mit seiner Dynamik mutig so tief ,dass es dem Gegner weh tut. Der Abschluss war auch sehenswert und techninsch einwandfrei, auch wenn ich finde, dass Ochora die lange Ecke einen Tick zu früh komplett öffnet und Goretzka es somit leicht macht.
Taktik-Ignorant 30. Juni 2017 um 14:23
„Problematisch blieb allerdings das mangelnde Distanzmanagement der beiden Flügelspieler – von Javier Aquino im Besonderen. Dadurch wurde die Dynamik nach Ballannahmen automatisch reduziert und die mannorientierten Außenverteidiger Deutschlands hatten leichteres Spiel, den notwendigen Zugriff zu erzeugen, was andernfalls bei schwierigeren Orientierungsaufgaben vielleicht nicht der Fall gewesen wäre.“
Oder anders formuliert: die mexikanischen Außenstürmer brauchten für die Ballannahme so viel Zeit, daß selbst die verschlafenen deutschen Außenverteidiger noch herausrücken und ihre Gegner stellen konnten …
Mal im Ernst: Ich fand es fast schon beängstigend, wie wenig Zugriff die deutsche Mannschaft nach der frühen Führung auf Ball und Gegner bekam. Trotz relativ dichter Staffelung am und vor dem eigenen Strafraum waren die Mexikaner auch bei den „zweiten“ Bällen immer schneller am Ball. Ballstafetten über mehr als 3 Stationen habe ich von der deutschen Mannschaft dann auch nicht mehr gesehen (in Halbzeit 1). Ich hatte den Eindruck, daß dies auch Konditionsgründe hatte (einige deutsche Spieler sahen bei Nahaufnahmen ziemlich platt aus). Daher denke ich, das mexikanische Übergewicht und die sich daraus ergebenden Torchancen (nicht im Minutentakt, aber ein paar waren es schon) haben ihre Gründe vielleicht nicht nur in dem Taktikwechsel der Deutschen nach der Führung, sondern auch im physischen und psychischen Bereich.
DrKlenk 30. Juni 2017 um 12:40
Servus. Fand die konsequentere Umstellung auf 5-4-1 im Anbetracht des Spielverlaufs eigentlich nicht schlecht. Vor konnte Mexiko durch die häufige 3-2 Staffelung vorne ziemlich einfach über die Außenverteidiger aufrücken und dadurch hohe Offensivpräsenz herstellen.
Das ging gegen die 4-1 Staffelung dann nicht mehr so leicht.
Die Intensität hätte halt nur ein bisschen höher sein können.
Zu Henrichs Pass: Sah für mich so aus, als täuscht er den langen Pass an, aber spielt bewusst den Ball auf Goretzka.
Koom 30. Juni 2017 um 13:53
Fluch und Segen einer frühen Führung…
Mananski 30. Juni 2017 um 10:29
Ich habe eher Jimenez auf dem rechten Flügel gesehen und Gio als Zehner.
CE 30. Juni 2017 um 12:00
Gab es zwischendurch auch.
christian mehnert 30. Juni 2017 um 10:01
Hi. Kurze Frage zum Pass von Heinrichs vor dem 1:0 auf Goretzka. Für mich sieht das nicht nach einem gewolltem Pass auf Goretzka aus, sondern eher nach einem missglücktem Pass der eigentlich auf den 2. Pfosten gespielt werden sollte. Blick, Fußhaltung, Ausholbewegung und Trefferfläche das Balls an Heinrichs Fuß sprechen dafür. Auch das der Ball eher holprig anstatt richtig flach bei Goretzka ankam sprechen, finde ich dafür. Wir haben gestern lange diskutiert. Was meint ihr?
Tolle Analyse mal wieder sonst, danke.
CE 30. Juni 2017 um 11:58
Ich hoffe doch nicht. Der Pass war geil. Ansonsten sollte Henrichs fortan einfach immer auf diese Weise zielen oder den Ball treffen.
Koom 30. Juni 2017 um 13:54
Entweder angetäuscht, oder die Müller-Gene. Der hat ja auch recht lange immer irgendwie gefühlt rumdilettiert mit dem Ball und irgendwie ging der immer ans Tor oder war ne Torvorlage…
Taktik-Ignorant 30. Juni 2017 um 14:11
Für mich sah der Pass klar nach Absicht aus, der war so gewollt.
Ju 30. Juni 2017 um 09:12
Eine tolle Aufarbeitung des gestrigen Abends in beeindruckender Arbeitsgeschwindigkeit. Letzterem ist sicherlich auch eine kleine Verwechslung geschuldet: Wenn ich nichts verpasst habe, spielt nicht Hector, sondern Ander Herrera in Manchester. Wobei der gestern wohl auch passender gewesen wäre 😉
HK 30. Juni 2017 um 10:12
Und bei der Gelegenheit vielleicht auch Heinrichs wieder zu Henrichs machen.
CE 30. Juni 2017 um 11:58
Danke, natürlich spielt Hector bei Porto. Positionierung und Umblickverhalten hatten aber schon bisschen was von Ander.