Schaut mal Heidenheim, ihr Hipster!
Was macht ein Autor von Spielverlagerung, wenn er zwischendurch Zeit findet etwas Fußball zu schauen? Richtig: Er zappt sich durch Wiederholungen alter Bundesligaspiele, kuckt die Spiele aber nur in Ausschnitten und feiert dann eines der beiden Teams. Also: Schaut mehr Heidenheim!
Gegen den FC Nürnberg startete der FC Heidenheim mit einer 4-1-4-1-Grundordnung. Ein ungewohntes Bild für Beobachter der Heidenheimer, agierte die Schmid-Elf in der letzten Saison doch fast immer aus einer 4-4-2-Grundordnung heraus.
Beim Unentschieden gegen die Franken spielten die Heidenheimer in der Offensive trotz taktischer Änderung gewohnt geradlinig und nutzten wahlweise Überladungen der linken sowie der rechten Seite, um über die Flügel nach vorne zu kommen. Im Aufbau fiel Griesbeck von der Sechserposition oftmals zwischen die Innenverteidiger, was Feick und Strauß die Möglichkeit gab, schon in dieser Spielphase aufzurücken. Titsch-Rivero unterstütze den Aufbau situativ durch Pendelbewegungen hinter den hohen Feick, zeigte aber auch immer wieder nachstoßende Läufe in die Spitze. Sein Pendant Rasner auf der rechten Achterposition hingegen fungierte vornehmlich als Zielspieler für flache Bälle aus dem Aufbauspiel in den Zwischenlinienraum und hatte demnach eine spielmachende Rolle inne – ähnlich wie Marc Schnatterer auf der linken Flügelposition. Mit Thomalla und Kleindienst gab es zudem zwei hohe Anspielstationen in letzter Linie, die man vor allem über Flanken im Anschluss an Durchbrüche über die Flügel in Position zu bringen versuchte. Interessant zu beobachten war, wie flexibel Rasner, Titsch-Rivero und Griesbeck sich hinsichtlich der Interpretation ihrer Rollen zeigten, die sie im Spiel mit Ball ausfüllten. Im gesamten Spiel gab es immer wieder situative oder phasenweise Wechsel in der Besetzung der einzelnen Positionen und Rollen.
Die Heidenheimer zeigten sich insgesamt – vor allem aber in der zweiten Halbzeit – im Auf- und Übergangsspiel verbessert, das lange Phasen der Ballzirkulation beinhaltete. Gerade die Öffnung der defensiven Halbräume als strategisch wichtige Zone über verschiedene Staffelungen der Außenverteidiger, Achter und Flügelspieler wirkte insgesamt sehr durchdacht und stringent. Die Heidenheimer besetzten im letzten Drittel konsequent die Breite durch die beiden Flügelspieler oder die Außenverteidiger und stellten stets eine Anspielstation im Zwischenlinienraum bereit. In der zweiten Halbezeit agierte Robert Strauß – Achtung Hipsteralarm – im Aufbau leicht nach vorne geschoben und weit zur Mitte eingerückt, quasi als falscher Außenverteidiger. Schnatterer – der mit Kleindienst immer mal wieder die Seite wechselte – war in diesen Situationen für das Herstellen der notwendigen Breite im zweiten Drittel zuständig, während er nach Anspielen anschließend von Strauß vorderlaufen wurde.
Gegen den Ball legten die Heidenheimer den Fokus auf die Arbeit im Mittel- sowie dem eigenen Abwehrdrittel. Als einziger Stürmer versuchte Thomalla Nürnbergs Innenverteidiger und den abkippenden Sechser Mühl dennoch leitend anzulaufen und so auf eine der beiden Spielfeldseiten zu steuern. Den anschließenden aufrückenden Läufen der Innenverteidiger begegneten die Heidenheimer mit herausrückenden Bewegungen der eigenen Achter, während die Flügelspieler tiefer verblieben. War der Ball hingegen deutlich am Flügel, rückten die Flügelspieler nach vorne, während die Achter tiefer verblieben, wodurch sehr sauber und horizontal kompakte Halbmondstaffelungen der Mittelfeldkette entstanden. Auf diese Art und Weise erzeugten die Heidenheimer häufig unangenehme Dynamiken in den Halbräumen, die sie zu Balleroberungen nutzen konnten oder die die Nürnberger zwangen ihre eigenen Angriffe abzubrechen, ohne dass sie Passwege in den Zwischenlinienraum öffneten und die gute Gesamtkompaktheit in der Endverteidigung hätten aufgeben müssen.
Inwieweit die Änderung der Grundordnung im Vergleich zur letzten Saison – und auch dem ersten Saisonspiel gegen Aue – eine reine Gegneranpassung darstellte oder ob sie als der Ausdruck einer neuen taktischen Flexibilität der Heidenheimer zu werten ist, wird sich erst in den kommenden Spielen zeigen.
7 Kommentare Alle anzeigen
Schimanski 16. August 2016 um 20:25
Ich fand die Heidenheimer – wenn ich sie mal gesehen haben – eigentlich auch immer ziemlich interessant, weil sie aus ihren Möglichkeiten viel rausgeholt haben und irgendwie eine Linie zu erkennen war. Das Ballbesitzsspiel war zwar nicht revolutionär, hatte aber immer wieder gut abgestimmte Elemente. Der Fokus lag nach meinem Empfinden oft auf der Arbeit gegen den Ball, dem Pressing und dem effektiven Nutzen der wenigen Chancen. Die Mannschaft wirkte auf mich einheitlich zusammen gestellt. Alles große, athletischer, eher schlacksige Spieler, die am Ball nicht überragend sind, aber als Kollektiv fleißig und homogen agieren, demütig aber auch kaltschnäuzig.
The Jazz Man 16. August 2016 um 14:57
Schau dir einfach den besten Film an, der je über den deutschen Fußball gedreht wurde „Trainer!“ von Aljoscha Pause. Ich kenne viele, die seitdem auch immer ein wenig nach Heidenheim schauen, weil Frank Schmidt so super in dem Film rüberkommt. Wäre das nicht auch mal ein Podcast-Thema für die Spielverlagerung? Wie es seit dem Film den Trainern ergangen ist? Und wie dies mit ihrer Spielphilosophie zusammen hängt?
Joe 16. August 2016 um 17:11
Finde den Film auch einfach super. Habe ihn als er rauskam, ganz zufällig eingeschaltet und habe leider nur die letzte Hälfte des Films sehen können. Ist aber wirklich ein Meisterwerk.
Wollte das mal loswerden 😉
Dr. Acula 15. August 2016 um 21:33
mein bester freund kickt dort :-)) werde ihn direkt mal auf diesen artikel hinweisen und fragen, ob der trainer auch soviel expertise besitzt
RT 16. August 2016 um 17:23
Ich hoffe mal ganz stark, dass Frank Schmidt mehr Expertise hat als ich…gerade dann, wenn ich das Spiel nicht mal komplett gesehen habe 😉
Musiclover 23. August 2016 um 12:51
Frank Schmidt ist taktisch und auch sonst einer der herausragenden Trainer der 2. Liga. Sollte Heidenheim seinen seit langem eingeschlagenen Weg so stringent weiter verfolgen, dann traue ich ihnen sogar mittelfristig (2-3 Jahre) den Aufstieg in die 1. Bundesliga zu. Und auch ich kann den Film „Trainer!“ nur wärmstens empfehlen – Prädikat sehenswert.
Grüße aus Berlin
Fussballnobelpreis 24. Februar 2024 um 19:01
Gute Prognose