Pattsituation vom Punkt aufgelöst

1:1*

Polen war zu Anfang etwas stärker, die Schweiz am Ende, doch insgesamt verlief dieses Achtelfinale recht ausgeglichen. Im Endeffekt schafften es beide Mannschaften nicht, ihre jeweiligen kleinen Vorteile so durchzubringen, dass diese wirklich spielentscheidend wirken konnten. Zum Strafraum hin fehlte dafür die letzte Unterstützung. Den finalen Pendelschlag hatte dann das Elfmeterschießen zu besorgen.

  • Eine vorsichtigere, konservativere Bewegungsausrichtung der Sechser raubte dem bisher starken Schweizer Aufbau etwas an Vielseitigkeit. So mussten sie häufiger nach außen eröffnen, wo sie nicht so gut durchkamen. Immerhin gab es so aber kaum gefährliche zentrale Ballverluste.
  • Im Pressing hielten sich die Sechser ebenfalls mehr zurück, um die Abwehr besser gegen Milik und Lewandowski unterstützen zu können. Diese fanden gelegentlich durch Ausweichen hinter die mannorientierten Außenverteidiger oder in die Tiefe kleinere Möglichkeiten. Trotz einzelner gefälliger Spielzüge bewegten sich die Angreifer aber oft zu tief, während es Polen insgesamt an Präsenz und Zug in die Spitze fehlte.
  • Nach dem Rückstand wurde die Schweiz in Halbzeit zwei zunächst simpler und flügellastiger, fast ohne Präsenz im offensiven Zentrum. Gegen tiefer stehende, teils müde wirkende und bei Ballbesitz etwas unbalancierte Polen konnten sie sich aber zunehmend vorne festsetzen und spät ausgleichen. In der Verlängerung war die Schweiz mit umgestellter Offensivstruktur etwas gefährlicher, verlor schließlich vom Elfmeter-Punkt.

Angesichts der Entwicklungen der beiden Kontrahenten in der Gruppenphase schien sich für diese Begegnung eine klare Ausgangslage anzudeuten. Bei den Schweizern war das stabile Aufbauspiel im ersten und zweiten Drittel die wichtigste Stärke. Es lieferte Kontrolle, Ballsicherheit und Stabilität. Auf der anderen Seite fokussierte sich das eigentlich sehr vertikal und attackierend angelegte Offensivteam Polen – mit den meisten Treffern während der Quali – stärker auf Tiefstehen und Konter. Nicht nur gegen Deutschland, sondern auch im letzten Gruppenspiel gegen die bereits ausgeschiedenen Ukrainer setzten sie mehrheitlich auf das Umschalten. Von daher war davon auszugehen, dass sie auch gegen die Schweizer diese Strategie bevorzugen und den Eidgenossen zunächst weitgehend den Ball überlassen würden. Eine klare Trennung zwischen Aufbau- und Konterteam schien wahrscheinlich.

sui-polDas traf aber bei weitem nicht so deutlich ein. Zwar hatten die Schweizer leichte Feldvorteile, insgesamt gestaltete sich das Match aber diesbezüglich viel ausgeglichener. Die Mannschaft von Vladimir Petkovic konnte ihr Aufbauspiel nicht so gut durchsetzen und hatte zunächst etwas mehr Schwierigkeiten. Bei ihren Aufbaubemühungen schaltete sich Dzemaili seltener unterstützend in der Tiefe ein und die Sechser zeigten sich weniger weiträumig. Gelegentlich ging Xhaka nach links oder Behrami fiel zurück, ein Herauskippen hinter Lichtsteiner fand aber kaum statt und zu häufig agierten die beiden auch zu eng aneinander. Die Staffelungen waren nicht ideal, gelegentlich stellten sie sich die Räume gegenseitig zu und gaben Polens Doppelspitze weniger Arbeit auf.

Schweizer Prunkstück mit Problemen

Beim Team von Adam Nawalka machte sich die linksseitige Rolle Lewandowskis bezahlt. Diese trug dazu bei, dass Behramis Herauskippen nach rechts erschwert wurde. Auch Schär kam durch diesen klaren Raumfokus nicht so gut ins Spiel. Gelegentlich rückte Maczynski weiträumig heraus, für mehr Präsenz gegen den Sechserraum, punktuell auch zur Aufnahme von weiten Bewegungen Shaqiris nach hinten. Insgesamt fehlte es der Schweizer Ballzirkulation daher an Vielseitigkeit im Bespielen der Zonen und an Raumkontrolle. Das Aufbauspiel erreichte nicht die Qualität wie noch in vielen Phasen der Gruppenpartien, insbesondere gegen Rumänien. Auch das Nachrücken der Sechser, um sich eine Linie höher für die Außenverteidiger für Rückpässe ins Zentrum anzubieten, war seltener und vorsichtiger.

Daher konnten sie die beiden tief geschlossenen polnischen Viererketten nicht so gut unter Druck setzen und weniger diagonale Passmöglichkeiten erschließen. Stattdessen gab es viel mehr Eröffnungen der Innenverteidiger nach außen, als gewohnt. Am Flügel versuchten die Schweizer zwar einige Überladungen zu initiieren, indem mal einer der Außenstürmer sich herüber bewegte und vor allem Dzemaili aggressiv horizontal pendelte. Allerdings waren die Bewegungen nicht übermäßig gut strukturiert und auch nicht mit der letzten Konstanz unterstützt, so dass sich die Schweizer am Ende meist festliefen. Links spielte Rodríguez oft die Linie herunter auf Mehmedi, der vom Dortmund-Pärchen der Polen eingekesselt wurde.

In der Rückzugsbewegung konnten die Mannen von Nawalka bei höherem Aufrücken der gegnerischen Außenverteidiger die eigenen Flügelspieler nach hinten folgen lassen, so dass sich vereinzelt Fünfer- oder Sechserreihen bildeten. Da das recht dynamisch und nicht konstant geschah, konnten die stabilisierenden Vorteile dessen überwiegen. Immerhin fanden Ballverluste der Schweizer bei diesem Flügelspiel in wenig riskanten Zonen statt, was die polnische Kontergefahr einschränkte. Wenngleich das seltenere Nachrücken der Sechser die Absicherung im Mittelfeld punktuell schwächte, zeigten sich die Eidgenossen im defensiven Umschalten insgesamt stabil.

Polnische Ansätze über Stürmerausweichen

Die größte Gefahr entwickelte das polnische Team durch ausweichende Bewegungen ihrer Sturm-Superstars auf die Flügel. Insbesondere Lewandowski zog es häufig auf die linke Seite, um dort Lücken zu suchen. Hinter den Außenverteidigern sind die Schweizer etwas anfällig: bei Kontern durch deren weites Aufrücken,  aber auch im Pressing durch die häufigen Mannorientierungen. Gerade in der Anfangsphase der Partie ließen sich Lichtsteiner und Rodríguez einige Male zu weit herauslocken, wenn Kuba und Grosicki mit dynamischen Sprints nach hinten gingen. Aus dem Aufbau heraus versuchten die Polen das mit langen Bällen zu bespielen.

In gewohnter Struktur ließ sich Krychowiak von der Sechserposition als Quarterback zwischen die Innenverteidiger zurückfallen oder ging auch mal nach halbrechts, wenn Piszczek weit aufrückte. Eine Möglichkeit waren lange Bälle und die gleichzeitigen Zurückfallbewegungen der Flügelspieler. In den so geöffneten Raum sollte einer der Stürmer für seinen Partner ablegen. Das brachte in der Anfangsphase kleinere Ansätze, wenngleich die Polen die Szenen vom Flügel oft nur mit Einzelaktionen oder Rückpässen weiterführen konnten. Wichtig gegen diese längeren Pässe war aus Schweizer Sicht, dass sich ihre Sechser tiefer zurückhielten als in den vorigen Partien.

Bisher hatten sich Xhaka und Behrami vor allem mit weiträumigen, aggressiven, oft auch mannorientierten Herausrückbewegungen eingebracht, um das gegnerische Aufbauspiel schon in frühen Phasen zu stören. Das war eine zweischneidige Angelegenheit gewesen – Balanceprobleme nicht ausgeschlossen. Gerade gegen Albanien hatte das Herausrücken dazu geführt, dass die Abwehrreihe bei langen Pässen in die Spitze auf viel Raum alleine achten musste und nicht immer so schnell Unterstützung erhalten konnte. So hatte der Außenseiter in jenem Spiel mehrere gefährliche Szenen nach Schnittstellen-Zuspielen aus dem Halbfeld hinter die Abwehr.

Für die entscheidende Durchschlagskraft zu wenig Personal

Die diszipliniertere Haltung der Schweizer Sechser bot diesmal mehr Sicherheit. Dafür zeigten sich bei der „Nati“ jedoch kleinere Probleme, was das Rückzugsverhalten der Offensivspieler anbelangte. Neben den Ablagen nach außen ergaben sich für Polen so zudem einige Ballstafetten im Zentrum. Hatten die Mannen von Nawalka den Ball, sah man von den vorderen Akteuren auch zahlreiche Positionierungen im zweiten Drittel, gerade durch die Stürmer. Milik ließ sich regelmäßig unterstützend fallen, auch Lewandowski suchte sich weiter hinten recht viele Ballkontakte.

Erhielten sie über die Sechser den Ball, konnten sie das nicht so gut nutzen. Die Momente versandeten, da die jeweils gerade nicht ballführenden Akteure passiv blieben oder sich wieder nach vorne bewegten. Unter den Bedingungen der kleinen Nachlässigkeiten in der Schweizer Rückzugsbewegung sah das nach langen Bällen etwas anders aus, wenn sich die Angriffsspieler nach gewonnenen Abprallern fürs Zusammenspiel fallen ließen. Gerade Miliks Ablagen waren sehenswert und gut gewichtet, die Flügel bewegten sich einige Male in die Halbräume. Dort waren ihre Bewegungsmuster aber doch zu linear, die Gesamtstruktur sehr stringent. Der präsente, teils gestaltende Lewandowski-Fokus wirkte mitunter zu hoch.

Vor allem aber fehlte den Polen – bis auf einzelne Maczynski-Ausnahmen – wie auch den Schweizern offensiv der letzte Tick an Sechser-Support, um sich am Strafraum mal entscheidend durchzusetzen.  Meist waren dann nur drei oder vier Leute in die finalen Aktionen involviert. Das war über viele Phase insgesamt ein Kennzeichen der Begegnung, die vor dem Seitenwechsel nicht allzu klare Chancen sah. Die Teams kamen zwar durchaus an die Sechzehner, gerade die Polen, aber nicht viel weiter. Bis auf den flotten Start der Polen in den ersten fünf Minuten resultierten viele Torannäherungen aus Standards. Das war dann auch beim Treffer zum 0:1 – in jener Phase fast aus dem Nichts – ähnlich: Grosicki konterte nach einer Schweizer Ecke, Blaszczykowski schloss ab.

Schweizer werden simpler…

Lange Zeit liefen die Schweizer dem Rückstand in der zweiten Halbzeit auf wenig erfolgsversprechende Weise hinterher. Sie verloren – zumal nach der Einwechslung Embolos für Dzemaili als zweitem Stürmer – zunehmend an Präsenz in zentralen Offensivräumen. Gerade wenn Shaqiri nicht einrückte, sondern breit blieb, trat das zutage. Stattdessen suchten sie den frühzeitigen Weg über die Flügel, gingen aus dem defensiven Mittelfeld immer hastiger und vertikaler in diese Aktionen über. Gegen die solide und disziplinierte Arbeit der Polen liefen sie sich aber häufig auf außen fest: Die Flügelstürmer mussten aufwändig in Unterzahl andribbeln, die Stürmer wurden zu früh diagonal an die Grundlinie geschickt und dort häufig von den Polen isoliert.

Dass das Team von Adam Nawalka prinzipiell aber verwundbar war, zeigte eine Szene in der 60. Minute, als Shaqiri von rechts ins Zentrum zog, eine Doppelpassablage von Seferovic erhielt und dadurch fast der gesamte Defensivblock aufgerissen worden wäre – der Ball kam nur sehr unglücklich nicht auf den freien Mehmedi durch. Grundsätzlich blieben die Polen gegen die meisten Schweizer Versuche aber stabil, hatten gelegentlich gute Momente im Pressing durch diagonales Einrücken der Flügelspieler in die Halbräume. Zu Beginn der zweiten Halbzeit stellten sie auch mal höher zu – mit guten Bewegungen der Stürmer dabei – und hatten so den einen oder anderen Ballgewinn.

…aber auch präsenter und kommen noch zum Ausgleich

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Zu Beginn der Verlängerung

Ansonsten agierten die Polen aber passiver und zurückhaltender. So wurden einerseits Konter schwieriger, andererseits gingen bei den wenigen Aufbauszenen die Verbindungen zwischen tiefem Mittelfeld und den vorderen Spielern verloren, zumal viele Szenen etwas zu vertikal angestoßen wurden. Einzelne Ansätze mit Überladungen über den linken Flügel fokussierten sich weiter stark auf den oft zu breit agierenden Lewandowski, so dass die Schweiz diese Momente, bei denen Maczynski viel half, früh zuschieben konnte. Dass Polen letztlich immer tiefer spielen musste und zu weniger Entlastung sowie Konsequenz nach vorne fand, hatte vermutlich auch mit den späten Auswechslungen zu tun. Während der 90 Minuten brachte Nawalka gar keine frischen Kräfte, erst in der 101. Minute.

So konnte die Schweiz mit der Zeit doch immer mehr Offensivpräsenz aufbauen. Die Sechser bewegten sich später etwas vielseitiger und weiträumiger, konnten die Dominanz damit erhöhen. Wichtig für die Eidgenossen waren in diesem Zusammenhang die vereinzelten Zurückfallbewegungen des hängenden Stürmers – erst Embolo, dann Seferovic nach der Einwechslung Derdiyoks – im ballfernen Halbraum. Gerade zwischen Maczynski und Grosicki konnten sie sich einige Male für Verlagerungen von Xhaka oder Rodríguez anbieten, Bälle erhalten und dann weiter nach vorne schleppen. Das erleichterte das Aufrücken nochmals.

Die Schweiz hatte mit ihren Stürmern viel Präsenz und strahlte bei einzelnen langen Bällen sowie Standards Gefahr aus. Doch wirklich kreativ erspielen konnten sie sich Chancen nur selten. Am Ende wurde der Druck zu groß, als Shaqiri mit seinem spektakulären Treffer im Anschluss an eine geklärte Flanke traf, nachdem Polen im Rückraum keinen Zugriff fand. In der Folgezeit drängten die Schweizer gar auf das 2:1, waren auch in der Verlängerung gefährlicher. In ihrer Offensivstruktur besetzte nun Seferovic den linken Flügel, während gerade der dribbelnde Shaqiri und der balltreibende Embolo halbrechts sich vielseitig positionierten. Im Zusammenspiel sorgten die beiden für einige Ansätze, in die sich auch Derdiyok mit Ablagen einschalten konnte.

Fazit

Im Großen und Ganzen verlief die Partie zwischen den beiden Teams – letztlich auch gar nicht so unähnlich in ihren Herangehensweise – ausgeglichen. Beide setzten in der Verteidigung auf Stabilität, bauten mit eher tiefen Sechsern auf, hatten nach vorne unterschiedliche Ansätze, ohne aber viele klare Chancen durchzubringen. Die letzte, konsequente Unterstützung in Strafraumnähe fehlte oft. Bei den Entwicklungen im Verlauf der Begegnung unterschieden sich die Kontrahenten dann zunehmend: Die Schweizer wurden mit der Zeit simpler und flügellastiger, konnten gegen müde wirkende Polen aber in Schlussphase und Verlängerung mehr Präsenz und Gefahr erzeugen. Vielleicht sind die siegreichen Polen gegen die Direktpässe und Rochaden Portugals für das Viertelfinale noch etwas stabiler, als es die Schweiz gewesen wäre. Auch für die Eidgenossen wäre das Weiterkommen in einer soliden Begegnung aber nicht unverdient gewesen.

dave 26. Juni 2016 um 17:14

„Auch für die Eidgenossen wäre das Weiterkommen in einer soliden Begegnung aber nicht unverdient gewesen.“

Ich hab jetzt nicht alle Statistiken vor mir, aber unter dem Eindruck der letzten 60 Spielminuten in denen die Polen wirklich nichts mehr auf die Reihe gekriegt haben, ausser ordentlich zu verteidigen und auf ihren Torwart und die Schweizer Torimpotenz zu hoffen, find ich ich diese Aussage etwas euphemistisch. Wenn schon müsste es doch heissen, „aufgrund solider Defensivleistung ist Polens Weiterkommen letzlich kein Skandal“, oder so ähnlich… 😀

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HW 26. Juni 2016 um 13:42

Alles scheiß Spiele, aber was für ein Tor!

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