Chaotisches Spiel im Brüderduell

1:0

Im zweiten Spiel der EURO 2014 kam es zum Aufeinandertreffen der Schweiz und Albaniens. Beide Mannschaften hegen Hoffnungen auf ein Weiterkommen in der Gruppe, wobei die Albaner der größte Außenseiter sein dürften.

Frühes Tor verändert das Spiel

Grundformationen

Grundformationen

In unserem EM-Heft beschrieben wir Albanien mit einem Vergleich zum FC Ingolstadt unter Ralph Hasenhüttl. Sie machen das Spiel oft in eigenem Ballbesitz eng und überladen Räume, wodurch sie sich enorm auf den zweiten Ball fokussieren können. Ihre Stärken liegen aber  vorwiegend in einer guten Defensive und gut unterstützten Kontern. Aufgrund des frühen Rückstands nach einem Kopfballtor nach einer Ecke veränderte sich die strategische Ausgangslage. Die Albaner konnten sich nicht rein aufs Konterspiel konzentrieren, sondern mussten öfter gegen sicher gestaffelte Schweizer das Spiel aufbauen. Noch problematischer: Mit der Führung im Rücken konnte die Schweiz den Ball länger in den ersten Linien halten lassen und Albanien herauslocken.

Die Schweiz lockt

Vielfach baute die Schweiz fortan mit einer engen Aufbauformation auf. Behrami ließ sich fast konstant zurückfallen und positionierte sich zwischen den beiden Innenverteidigern, welche aber nicht allzu breit aufmachten. Diese Spielweise ermöglichte eine sichere Zirkulation in der ersten Linie, obgleich bisweilen die geringen Abstände bei einem aggressiveren Pressings Albaniens hätten problematisch werden können. Geringere Abstände bedeuten auch kleinere Wege im Pressing und ein stärkeres Attackieren des Balles hätte hier helfen können.

Allerdings waren bei solchen Balleroberungsversuchen die Abstände zwischen Albaniens Stürmern und dem Mittelfeld in diesen Situationen oft nicht optimal. Das Timing des Attackierens vorne und des Nachschiebens dahinter war nicht immer optimal. Xhaka, der gelegentlich anstatt Behrami abkippte oder ansonsten den Sechserraum besetzte oder sich nach halblinks besetzte, bot in diesen Räumen eine weitere Anspielstation. Außerdem konnte über Djourou und Rodriguez immer wieder geschickt aufgebaut werden. Dzemaili ließ sich auf dieser Seite ebenfalls häufiger zurückfallen.

Dzemailis Rolle

Ohnehin war die Rolle Dzemailis auffällig. Schon in unserer EM-Vorschau hatte Kollege/Vorbild Tim Rieke diese etwas undefinierbare Rolle beschrieben. Aus dem nominellen 4-2-3-1, welches im Pressing häufig als 4-4-1-1 gespielt wird, entstehen auch im Aufbauspiel öfters Staffelungen mit einem zweiten Achter. Dzemaili bewegt sich zurück und bietet sich als Anspielstation an. Dies ist besonders der Fall, wenn Behrami oder Xhaka Abkippen. Dann generieren die Schweizer öfters 3-4-3-Staffelungen, wo die Flügelstürmer sich zwischen Außen- und Innenverteidiger des Gegners positionieren, Dzemaili ins Mittelfeld zurückkommt und die Außenverteidiger etwas höher spielen können.

Jedoch spielte Dzemaili etwas unpräsent. Sein Freilaufverhalten war nicht immer passend, desweiteren stand er öfters zu hoch und es wirkte wie ein 3-3-4/3-3-1-3, wo enorm viel Raum im Zentrum offen war. Xhaka konnte von Albanien in diesen Situationen gut zugestellt werden. Gegen den Ball war Dzemailis Rolle ebenfalls variabel, wenn auch die Rolle klarer definiert schien. Er positionierte sich vor dem Mittelfeld und besetzte den gegnerischen Sechserraum. Neben ihn konnte der ballnahe Sechser herausrücken; auf rechts Behrami, auf links Xhaka. Bei höheren Pressingversuchen ging er neben Seferovic nach vorne in die Spitze und es entstanden 4-4-2-Staffelungen.

Überraschenderweise fanden die Albaner allerdings immer besser ins Spiel, trotz des Rückstands.

Unerwartete Kombinationsstärke sorgt für Oberwasser

„Die Albaner können aber mit einer weiteren Qualität überraschen: Vereinzelt starten sie gute Spielzüge von den Flügeln aus. Bevor sie den langen Ball spielen, lassen sie das Leder gegen passivere Gegner zumindest kurzzeitig in den hinteren beiden Linien zirkulieren.“

So beschrieb Martin Rafelt die Albaner in unserem Heft; gleichwohl kam dies in der Qualifikation selten vor. Was würden die Albaner tun, wenn sie länger zu einer offensiveren, ballbesitzorientierteren Spielweise gezwungen werden? Die Antwort: Sie passen sich an. Anfangs hatte man Probleme im Aufbauspiel und auch in der Balleroberung, nach gut zwanzig Minuten wurde man aber stetig besser und konnte der Schweiz durchaus Probleme bereiten.

Hysaj über rechts zeigte einige gute Vorstöße, dazu starteten Kukeli, Xhaka und Abrashi im Mittelfeld vermehrt anlockende und herausziehende Freilaufbewegungen. Immer wieder gingen Behrami, Dzemaili und Xhaka nach vorne, um zu pressen, erhielten jedoch keinen Zugriff. Daraufhin folgten Pässe in diese offenen Räume mit schnellen Kombinationen zum Raumgewinn. Eine Zeit lang wirkte Albanien gar wie die bessere Mannschaft. Das 4-1-4-1/4-5-1 im Pressing erzeugte später auch mehr Druck durch herausrückende Bewegungen, allerdings gab es beim Verschieben immer wieder ein paar Kompaktheitsprobleme. Inmitten diese stärkere Phase kam jedoch der Platzverweise für Lorik Cana.

Rote Karte als spielentscheidender Faktor

Mit einem Mann weniger tat sich Albanien natürlich noch schwerer. Zwar hielt man gut dagegen und zeigte einige ansehnliche Ansätze, trotzdem konnte die Schweiz die entscheidenden Situationen kontrollieren. Durchschlagskraft konnte Albanien auch bei längeren Ballbesitzintervallen nicht generieren, die defensive Stabilität schien wacklig. Die Schweiz versäumte es aber den Albanern den Garaus zu machen und das Spiel endgültig für sich zu entscheiden. Neben zu simplen und unpassenden Bewegungen im letzten Drittel war auch die unangenehme Spielweise des Gegners dafür verantwortlich.

Albanien zwischen 4-4-1, 5-3-1 und 6-2-1

Die Albaner stellten sich zu zehnt in einer interessanten Mischung aus 4-4-1, 5-3-1 und 6-2-1 auf. Die vielen Mannorientierungen sorgten dafür, dass sich Spieler flexibel in die letzte Linie zurückbewegten oder aus dieser herausrückten. So war Hysaj im Aufbauspiel häufig der rechte Außenverteidiger – mit Ball wurde eine Art 4-2-3 gespielt –, aber agierte defensiv mal Außenverteidiger, mal als Halbverteidiger oder verfolgte Gegenspieler in das zentrale Mittelfeld hinein.

Diese Ausrichtung sorgte dafür, dass die Schweizer oftmals den Ball passiv auf die Flügel zirkulieren ließen, kaum Durchbruchsmöglichkeiten vorfanden und einige Bälle verloren.

Offeneres Spiel

Daraus entstand in den letzten Minuten ein qualitätsärmeres, aber auch offeneres Spiel. Die Schweiz wusste nicht so recht, wie sie gegen Albanien vorgehen sollte, während die Albaner auf ihre Konterchancen wartete und kurz vor Schluss sogar beinahe den Ausgleich erzielt hätten. Auf beiden Seiten waren die Raumbesetzung und Intensität zu gering, um auf hohem Niveau zu agieren. Häufig öffneten sich für den Gegner Räume, die nicht adäquat zugestellt wurden. Gleichzeitig befand sich das jeweilige Team in Ballbesitz oftmals in sehr unsauberen Abständen, bewegte sich nicht dynamisch in bespielbare Angriffssituationen und erzeugte dadurch wenig Druck. Ein etwas chaotisches Spiel fand sein Ende in einem knappen 1:0-Sieg.

Cali 13. Juni 2016 um 03:20

Ich fand Hysaj spitze. Wenn ich ihn für Napoli beobachtet habe, konnte er mich selten überzeugen, aber das war eine wunderbare Vorstellung, vor allem am Ball.

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Clara 12. Juni 2016 um 12:33

„Im zweiten Spiel der EURO 2014“
Sicher ihr seid beim richtigen Turnier?

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August Bebel 12. Juni 2016 um 11:28

Treffende Analyse. Gerade in der 2. Halbzeit fand ich Berahmis konstantes Abkippen angesichts der Überzahl völlig überflüssig, dadurch wurde schlicht Präsenz im Mittelfeld verschenkt.

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Pano 12. Juni 2016 um 00:06

Vielen Dank für den Artikel, RM!

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