Unterschiedliche Halbzeiten im long-ball-Nordduell

2:1

Viele lange Bälle prägten diesen Klassiker, zunächst mit deutlich mehr Wirkung für den HSV gegen oft zugrifflose Bremer. Kopfballverlängerungen von Gregoritsch, vordere Präsenz und passendere Defensivsystematik brachten ein 2:0. In der tieferen Ausrichtung nach der Pause funktionierte die HSV-Strategie an vielen Stellen aber nicht mehr. Speziell nach der Umstellung bespielte Bremen die sich auftuenden Lücke im Sechserraum und am Flügel und war dem Ausgleich zwischenzeitlich sehr nahe.

Am vergangenen Wochenende spielten lange Bälle eine zentrale Rolle beim furiosen Sieg der Bremer über den VfL Wolfsburg. Auch in diesem Nordduell nahmen sie wiederum entscheidende Bedeutung ein, waren ein bestimmendes Motiv. So erfolgreich die Mannen von Viktor Skripnik dieses Mittel noch am letzten Spieltag angewandt hatten, so deutlich lagen in der ersten Halbzeit dieser Begegnung nun jedoch die Vorteile auf Seiten des HSV. Bei den Gastgebern wurden die langen Bälle von Drobny und den Innenverteidigern mit einer interessanten Aufstellung verknüpft, die sich Bruno Labbadia ausgedacht hatte.

Lange Bälle Richtung Gregoritsch und einrückende Flügel

Führte einer der drei hinteren Spieler den Ball, stellte sich zunächst die grundsätzliche Aufbaustaffelung des HSV so dar, dass Holtby den tieferen Part im defensiven Mittelfeld übernahm. Er besetzte den zentralen Sechserraum meistens alleine und bot sich dort für eine mögliche, weiträumige Einbindung an. Dagegen ließ der Gast aus Bremen in einem 4-4-2-artigen Pressing, das sich zwar phasenweise recht hoch formierte, aber die gegnerischen Innenverteidiger nicht unmittelbar unter Druck zu setzen versuchte, zusätzlich Clemens Fritz weiter herausrücken. Das war häufig auch der Fall, obwohl der Hamburger Sechser eigentlich genau in der Linie zwischen den Bremer Stürmern positioniert war.

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Grundsätzliche Staffelung bei Hamburger Aufbauszenen mit vorbereiteter Staffelung für mögliche lange Bälle nach rechts in den Raum um Gregoritsch

Während Holtby tiefer blieb, begab sich Gideon Jung beim HSV in eine frühzeitig aufrückende und prinzipiell hochstehende Rolle. Als defensiv und physisch starker Akteur sollte er vermutlich als Absicherung der langen Bälle und erster Gegenpressing-Staubsauger dienen. Das war insgesamt eine sinnvolle Aufteilung Labbadias. Dazu passte auch, dass die überwiegende Mehrzahl jener langen Bälle nach halbrechts geschlagen wurde. Dafür nahm Halbstürmer Gregoritsch eine wichtige Rolle ein. Aus seiner rechtsseitigen Grundposition bildete er einen wichtigen Fokuspunkt für diese Zuspiele. Zudem rückte Lasogga etwas mit hinüber, während Nicolai Müller auf mögliche Weiterleitungen hinter die Abwehr lauerte.

Überhaupt gingen die dribbelstarken Flügelspieler beim Liga-Dino diesmal oft in die Halbräume, sorgten für Läufe in die Tiefe, aber auch für Unterstützung bei zweiten Bällen und generell verbesserte Präsenz in jenen Zonen. Das sollte auch in anderen Situationen wertvoll werden, etwa bei Schnellangriffen und einzelnen Aktionen im Zusammenspiel – etwa als Ablagestation, wenn Lasogga mit weiten Zuspielen gesucht wurde. Bei den überwiegenden langen Bällen nach halbrechts hatte der HSV dadurch eine recht kompakte Ballung mit viel hoher Präsenz. Insbesondere die Gregoritsch-Rolle sollte sich als effektiv erweisen, für Präsenz und Kopfballverlängerungen.

Bei Bremen dagegen hatte Grillitsch dort wegen des Nachrückens von Fritz in Richtung Holtby nicht immer genug Unterstützung. Allerdings schien Werder die Szenen gar nicht so sehr über den zuschiebenden Rückzug regeln zu wollen. In einer diesmal insgesamt sehr mannorientierten Ausrichtung gingen immer wieder direkt die Innenverteidiger herausrückend in die Kopfballduelle mit Gregoritsch und Co. Dieses Vorgehen setzte auf die Dynamik gegen die Ballrichtung, war in der großräumigen Konstellation und ohne weitere Absicherung aber auch sehr riskant. Schon ein erfolgreicher Luftzweikampf von Gregoritsch oder auch mal Lasogga, bei dem der Ball unangenehm verlängert würde, konnte gefährliche Folgen haben.

Im Verlauf der ersten Halbzeit hatte Bremen so mehrere brenzlige Szenen zu überstehen und in der Anfangsphase, als sich der HSV mit vielen langen Bällen erstmals vorne festsetzte, war das schnelle 1:0 genau das Paradebeispiel für die Problematik: Drobny schlug den Ball nach rechts, wo Gregoritsch sogar bis auf den Bremer Linksverteidiger wich. So konnte Djilobodji nicht so gut eingreifen, Gregoritsch verlängerte und Nicolai Müller wurde hinter García frei, um in den Raum zu starten – ein offener Durchbruch. Im Ansatz spielten auch die in vielen anderen Szenen auffallenden Mannorientierungen mit, deren zu klare Ausführung destabilisierend wirkte.

Die Probleme zu klarer Zuordnungen

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Grundformationen erste Halbzeit

Das zeigte sich an verschiedenen Stellen. Bremen verteidigte häufig in klaren Zuordnungen gegen den Mann, so etwa gegen die langen Bälle in der Viererkette. Es fehlte an Unterstützung aus den vorderen Linien, wo sich die Spieler nicht immer so sehr an einzelnen Gegnern orientierten, sondern als Mannschaftsteil etwas schematisch an der gegnerischen Linie. Szenen wie vor dem 1:0 waren daher schwieriger abzusichern. Auch auf den Flügeln wirkten sich die Mannorientierungen aus. Bremens Außenverteidiger hatten Probleme mit ihren einrückenden Hamburger Gegenspielern – wie weit sollten sie folgen? Manchmal hatten sie keinen Zugriff auf deren Dribblings, manchmal öffneten sie die Außenbahn. Gerade die linke HSV-Seite tat sich hervor, daraus Kapital zu schlagen.

Über Ostrzoleks Vorstöße und nach außen gehende Rochaden Holtbys ließen sich die dortigen Lücken attackieren. So bereitete der Mittelfeldtechniker kurz vor dem 2:0 einen gefährlichen Lasogga-Kopfball mit einer Flanke vom Flügel vor. Auch der zweite Treffer selbst entstand aus diesem Bereich, jedoch unter anderen Vorzeichen – aus einem Konter. Dass Bremen den erfolglosen Vorstoß von Gebre Selassie nicht ausreichend absichern konnte, lag an schwachem bzw. eher fehlendem Gegenpressing. Statt die Ballrückeroberung zu suchen, schienen sie schnell wieder in ihre Grundzuordnungen kommen zu wollen. Das machte in der Situation aber wenig Sinn: So verhinderten die Mannorientierungen erst das Gegenpressing und in der Rückzugsbewegung auch noch das Zuschieben des Flügels.

Eine letzte Negativwirkung gab es schließlich im Anlaufverhalten, bei dem Werder die erste Aufbaureihe des Gegners sehr klar stellte: Sprang der Ball ins Mittelfeld zurück, waren sie in ihrer Rückzugsbewegung dort oft einen Schritt zu spät, um noch die Ballungszone verdichten zu können, stattdessen wurden die Hamburger Sechser offen und konnten wiederum von den Stürmern der Gäste noch nicht unmittelbar rückwärtsgepresst werden. So fand Bremen in den Bewegungen der Linien zueinander nicht ausreichend Kohärenz. Der HSV konnte darüber zwischendurch wieder Kontrolle aufbauen und den Gegner zurückdrängen. Daher hatte Bremen vor der Pause lange Zeit große Probleme, mit Zugriff ins Spiel zu kommen, sondern lief oft einen Schritt hinterher.

Ungeordneter Strukturverlust bei Werder

Dass die langen Bälle in dieser Partie so hohes Gewicht erlangten, dazu trugen auch die Bremer durch häufige Nutzung dieses Mittels bei. Nur hatten die Gäste damit viel weniger Erfolg und konnten nicht an die überzeugende Vorstellung aus dem Wolfsburg-Spiel anschließen. Das fing in den tieferen Mittelfeldzonen an und sollte sich auch bis in die vordersten Bereiche durchziehen: Zunächst ließ sich etwa Grillitsch oftmals schon frühzeitig zwischen oder zu den Innenverteidigern – und damit aus der gegnerischen Defensivformation heraus – fallen und fehlte damit später beim Kampf um die Abpraller.

Aus Sicht der Hamburger zahlte sich aus, dass sie in ihrer ebenfalls 4-4-2-haften Defensivformation auch die gegnerischen Innenverteidiger schon einmal etwas intensiver störten und nicht nur lose die Optionen zustellten. Während Djourou und Spahic die langen Zuspiele sauberer vorbereiten konnten und so auch einige Lupfer erfolgreich zwischen die gestreckten Linien auf die einrückenden Flügelspieler anbrachten, wurde Bremens erste Aufbaulinie häufiger zu fahrigen Aktionen gedrängt. So konnten sie die langen Bälle nicht immer so sauber und gezielt in bestimmte Räume bringen.

Weiter vorne setzten sich die Probleme fort: Von einer speziellen Struktur der Viereroffensive, wie sie gegen Wolfsburg noch gut gewählt und klar angelegt war, fehlte fast jede Spur. Stattdessen wirkten die Bewegungen der vorderen Akteure diesmal sogar chaotisch: Neben einigen zu breiten Positionierungen des ballfernen Flügels kamen vor allem die Rochaden und Läufe von Junuzovic insgesamt eher wirr daher und zogen bisweilen in irgendwelche, seltsam gewählte Räume. So fehlten letztlich die konstanten Verbindungen und die Kohärenz innerhalb dieser Gruppe, was dann auch der Pizarro-Einbindung an Effektivität nahm.

Der HSV steht besser abgesichert

Letztlich sicherte sich das Team von Skripnik zwar einige Abpraller, aber kaum mal kontrolliert genug. Zielgerichtete Anschlussaktionen – auf Verlängerungen hinter die Abwehr setzten sie nicht – waren daher kaum möglich. Das war auch dadurch bedingt, dass die Hamburger die langen Bälle abwartender verteidigten. Sie hielten die Mittelfeldlinie tiefer und konnten durch diese nähere Kohärenz zur Abwehr die Sechser einfacher unterstützend in die Zielräume mitschieben lassen. Vereinzelt halfen auch die engen Außenspieler, aber das war nicht der Hauptfaktor. Entscheidender zeigte sich darüber hinaus vielmehr, dass die Hausherren insgesamt weniger destabilisierende Mannorientierungen nutzten.

So kompensierte der HSV manche potentiell gefährliche Szenen besser durch riskante Herausrückbewegungen der Außenverteidiger in höhere Zonen. Diese schoben bis in die Mittelfeldlinie und versperrten den Raum hinter sich im Deckungsschatten. Das war riskant – nach der Pause auch weniger stabil – und konnte nur in der Dynamik funktionieren. Zudem wirkte sich hier aus, dass die Hamburger generell in der Raumkontrolle beim Herausrücken etwas geschickter agierten als ihre Kontrahenten. Gerade Ostrzolek, Holtby und auch Sakai hatten gute Momente. In diesem Zusammenhang passten sie sich in ihren Bewegungen zunächst besser an als Werder und konnten so auch Mannorientierungen flexibler untereinander übergeben.

Solche Zuordnungen samt ihren potentiellen Problemen – neben den ebenso existierenden, in diesem Kontext aber nicht so entscheidenden Vorteilen – gab es auch beim HSV. Gleiches galt fraglos für phasenweise unsaubere Momente in verschiedensten Spielphasen und frühe Ballverluste gegen das gegnerische Pressing. Es war trotz der klaren Kräfteverhältnisse vor der Pause keineswegs so, dass der HSV die verschiedenen Bremer Problempunkte allesamt nicht gehabt hätte oder Werder all das fehlte, was die Gastgeber gut machten. Einrückende Bewegungen der Außen etwa gab es auch bei den Gästen zu Genüge, aber nicht ganz so effektiv und wirksam wie durch die Hamburger Pendants.

Pressingmomente und Direktaktionen zwischendurch

Gerade auf die beiderseits gelegentlich vorhandenen Ballverluste im Aufbau sei noch genauer eingegangen, weil damit jeweils Phasen berührt werden, in denen der lange Ball gerade nicht die Situation bestimmte. Im Verlaufe der ersten Halbzeit entwickelte Bremen beim Nachrücken im Pressing etwas mehr Kohärenz und Intensität. Der HSV hatte dagegen einzelne isolierte Szenen, da Holtby im Sechserraum manches Mal auf sich alleine gestellt war und sie bei zu individuellen Zurückfallbewegungen einzelner Offensivspieler nicht aufmerksam unterstützten. Dagegen rückten die Bremer Sechser später aggressiv nach und eroberten das Leder.

Bis auf einzelne Ausnahmen ergab sich aus diesen vielversprechenden Ballgewinnen aber nichts Zählbares, da Werder die Situationen schwach ausspielte. Mit ihren Pässen suchten sie zu frühzeitig den Raum hinter der Abwehr statt die Offenheit um den Ort der Balleroberung herum zu nutzen. Dazu kam mancher vorschneller Abschlussversuch. Überhaupt war das ein Problem, das sich in vielen Phasen beim Skripnik-Team durch das gesamte Spiel mit dem Ball zog. Es trat in ruhigeren Szenen, nachdem man sich ins Angriffsdrittel gearbeitet hatte, auf und ebenso in den ersten Zirkulationsphasen – oder bei Schnellangriffen, von denen die Gäste zwischendurch einige verbuchen konnten.

Diese Szenen liefen über den Sechserraum, hatten jedoch eine sehr ambivalente Erfolgsquote. In diesem Bereich schwankte Werder, wenn sie mal kontrollierter dort eröffnen konnten, sehr stark. Später nahmen die gelungenen Szenen zu, wenn Grillitschs Dribblings, Pizarros Zurückfallen oder die punktuell gegen Hamburger Pressing sehr starken Drehungen von Fritz den gegnerischen Druck auflösen konnten. Andererseits hatten sie gegen die engen Außen des HSV auch manches Mal Unterzahl und verloren das Leder mit schlechten Bewegungen. Zudem brachten die Innenverteidiger phasenweise zu frühzeitige und überambitionierte Diagonalbälle an.

Häufig gingen diese Zuspiele auch auf die aufgerückten Außenverteidiger. Allerdings geschah das durch suboptimale, zu vorwärtsorientierte Entscheidungsfindung bisweilen in unpassenden Situationen. Unter solchen Umständen waren die Pässe wiederum gefundenes Fressen für den eingeschoben positionierten Nicolai Müller. Der HSV hatte auf diesem Wege einige Konterchancen, spielte diese aber ebenfalls nicht gut aus. Insgesamt steigerte sich Bremen im Verlauf der ersten Halbzeit in ihren Offensivaktionen zwar, hatte über einzelne Schnellangriffe und Ballgewinne auch nicht ungefährliche Abschlüsse. Aber an vielen Stellen schadete es ihnen, dass zu schnell und früh auf die finale oder vertikale Aktion gepolt waren.

In tieferer Position funktioniert das HSV-Spiel nicht mehr

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Nach der ersten Auswechslung auf jeder Seite: Bremen mit Offensivdrang und viel Aufrücken, teilweise auch durch die Innenverteidiger

Die Umstellung nach der erzwungenen Auswechslung von Nicolai Müller zur Halbzeitpause war eine erste Schwächung für die Hamburger. In einer formell defensiveren Ordnung kam Kacar als Sechser ins Team, Holtby rückte weiter nach vorne auf die Zehn und Gregoritsch nach außen. Das bedeutete nun, dass die Hamburger Strategie der langen Bälle samt Überladung auf halbrechts nicht mehr so funktionierte. Es gab dafür keine Zusatzpräsenz über einen ausweichenden, physisch starken Halbstürmer mehr, da sich Holtby etwas tiefer und spielerisch orientierter bewegte. So ließ die Präsenz des HSV in den Offensivbereich hinein und damit auch die Entlastung bereits spürbar nach.

Überhaupt zogen sich die Hausherren aufgrund des Spielstandes – wie das oft so ist – tiefer zurück und ließen den Gegner agieren. Dadurch konnten sie in dieser Haltung aber den Bremer Aufbau nicht mehr so gut unter Druck setzen, so dass Werder effektiver aufrücken durfte. Nun musste der HSV vermehrt die tieferen Zonen verteidigen, hatte dort aber mit den engen Flügeln des Mittelfeldbandes weniger Zugriff auf die Flügel, die von den Gästen aggressiv attackiert wurden. In der strategischen Umgebung des ersten Durchgangs hatten diese vielseitig unterstützenden, emsigen, situativ flexibel pressenden Rollen für Ilicevic und – den zumal sehr passenden, nun fehlenden – Nicolai Müller sehr gut funktioniert.

Doch nun waren in den zurückgezogenen, passiveren Staffelungen die Zugriffswege länger und es kam entsprechend zu lascherem Verschieben nach außen, wo Werder nach vorne stürmen konnte. Gleichzeitig wurden die Hamburger Außenverteidiger durch vermehrte Ausweichbewegungen von Pizarro und später Ujah häufiger hinten gebunden, was ihr übernehmendes Herausrücken einschränkte und ebenfalls die seitliche Präsenz schwächte. Ähnlicher Freiraum entstand nun in vertikalen Lücken zwischen Mittelfeld- und Sturmreihe. Im ersten Durchgang war dieser Punkt kaum ins Gewicht gefallen, da jene Bereiche durch die langen Bälle oder hektische Vorwärtsentscheidungen der Grün-Weißen – abgesehen von den einzelnen Schnellangriffen – überspielt worden waren.

Wie auch die teils zu engen Außenspieler fiel dieser potentielle Problempunkt den Hamburgern nun uf die Füße – jetzt gelangten die Gäste in diese Bereiche. Insbesondere nach der Einwechslung von Ujah intensivierte sich der Effekt dessen. Skripnik setzte nun auf ein 4-4-2-ähnliches Schema mit Doppelspitze, Grillitsch auf dem Flügel und Junuzovic als einem der beiden Sechser. Vor allem der österreichische Allrounder – gelegentlich in Abwechslung mit Fritz und immer mal wieder auch Bartels – zog aus jenen Zwischenräumen nun attackierende Vertikalkombinationen durch die Mitte an, mit denen Werder viel Unruhe zur letzten Linie hin verursachte.

Auf- und abschwingende Drangphasen

Daraus ergaben sich im Endeffekt einige gefährliche Offensivmomente Werders. Bei vielen dieser Szenen sah man auch, dass die Bremer Spieler in der Folgewirkung der generellen Positiventwicklung in individuellen Aktionen effektiver wurden. So eroberten Junuzovic und die Außenverteidiger einige knappe Abpraller und Gegenpressing-Bälle, während insbesondere die aus der Tiefe antreibenden Dribblings von Bartels auch in schwierigen Situationen viel häufiger funktionierten. Teilweise kam er in Unterzahlen einfach durch und erzeugte damit weitere Dynamiken. Nach chaotischen losen Bällen gelangen den Kollegen improvisierte Anschlussaktionen häufiger.

Solche Momente befeuerten auch wiederum die strukturellen Gegebenheiten im Zusammenspiel positiv. In Verbindung mit der völlig fehlenden Entlastung des HSV, der aufgrund seiner zwei problematischen Raumlücken zunächst auch kaum Konter streuen konnte, entstand etwa zwischen der 50. und 70. Minute eine massive Drangperiode Werders. Der Elfmeter und das Anschlusstor waren nur die zwei gefährlichsten Beispiele von zahlreichen, allerdings oft auch hektisch angelegten Abschlussszenen. Doch auch wenn vieles letztlich auf Präsenz, Improvisation, einzelnen Dribblings und der Kontrolle des größeren Kontextes fußte, wäre ein Ausgleich in dieser Phase gut möglich gewesen.

Nur musste Bremen aufpassen, in diesem Sturmlauf nicht zu sehr zu überdrehen. Letztlich tendierte das Geschehen in diese Richtung, etwa im Aufrückverhalten, der Besetzung der letzten Linie oder der Risikoabwägung bei manchen Dribblings. Aus dem zweiten Drittel suchten sie einige Male zu schnell die Verlagerung nach rechts auf Gebre Selassie, verpassten dafür die Raumnutzung an der flachen Abwehrlinie. Insgesamt verlor Bremen circa ab der 70. Minute an Ausgewogenheit und schenkte dem HSV wieder mehr Ballbesitzmomente. Das war letztlich für Labbadias Mannen sehr wichtig, um die Partie zwischenzeitlich zu beruhigen und die Werderaner aus dem Rhythmus zu bringen. Unter diesen Umständen brachten die Rothosen den Erfolg in der absoluten Schlussphase dann sogar vergleichsweise souverän über die Zeit.

Es dürften dabei komplexe (taktik-)psychologische und rhythmusbezogene Faktoren mitgewirkt haben. In Bremens Druckphase wankte der HSV: Durch frühe Ballverluste und die schnell zurückschwappenden Gegenangriffe ging eine Unordnung immer in die Folgesituation über. Nachdem sie sich dann einmal etwas Luft verschafft hatten, schoben sie anschließend im letzten Drittel wieder aufmerksamer zurück oder nach außen, wo sie die Bremer Außenverteidiger nun einige Male isolierten. Zudem brachten Labbadias Einwechslungen Diekmeier und Cléber etwas mehr Defensivpräsenz und Stabilität. Letztlich war das HSV-Tor am Schluss kaum mehr so akut in Gefahr wie Mitte des zweiten Durchgangs.

Fazit

Zwei unterschiedliche Halbzeiten im Nordderby, die erste für den HSV, die zweite für Bremen. Lange Bälle gehörten zu einem bestimmenden Element, gerade vor der Pause. Die Gastgeber traten für die weiten Zuspiele insbesondere nach halbrechts mit einer passenden Ausrichtung an, bei der die ausweichende und weiterleitende Halbstürmer-Rolle Gregoritschs den spektakulärsten Bestandteil bildete. Insgesamt war der HSV zunächst in vielen kleinen Bereichen immer ein Stück stärker als Werder.

Diese Faktoren an sich waren dabei zwar prinzipiell simpel, ihre Kombination und Verschränkung, die letztlich die anfängliche Überlegenheit der Rothosen bedingte, aber durchaus komplex. Nach der Halbzeit passte die taktische Ordnung der Hausherren jedoch zu der nun tieferen Ausrichtung nicht mehr. Es fehlte an Kompaktheit hinter der Sturmlinie und Zugriff im Verschieben nach außen, zumal Werder später die Außenverteidiger besser beschäftigte. So geriet der HSV immer stärker ins Wanken, wurde nach hinten geschoben und konnte sich kaum noch befreien.

Mit dem aus dem Zentrum antreibenden Junuzovic und viel Aufrücken machte Werder Druck und so lag das 2:2 zwischenzeitlich in der Luft. Vielleicht wäre es – die Abschlussstatistiken untermauern dies, sind aber durch den Spielverlauf geprägt – verdient gewesen, doch letztlich verlor Werder die Begegnung vor der Halbzeit, als der HSV das long-ball-Duell mit besserer Ausrichtung für sich entschied. Während Bremen auf dem Relegationsplatz festhängt, dürfte der Bundesliga-Dino mit diesem Sieg den Klassenerhalt fast gesichert haben.

Schorsch 24. April 2016 um 21:26

„long-ball-Nordduell“ ist eine sehr treffende Kurzbeschreibung dieses Spiels. Am Ende wäre ein Remis in der Tat durchaus möglich gewesen, aber auch hier liegt TR mMn absolut richtig: Werder hat dieses Spiel in der ersten Halbzeit verloren. Auch wenn der HSV seine ‚Langball-Taktik‘ in dieser ersten Hälfte wesentlich effektiver anwenden und die Werders quasi neutralisieren konnte, so waren doch individual- und gruppentaktische Defizite einzelner Werderspieler bei beiden HSV-Toren ausschlaggebend. Clemens Fritz hat nach dem Spiel mMn zurecht darauf hingewiesen.

Mir ist nicht zum ersten Mal in dieser Saison bei Werder aufgefallen, dass Skripnik in einem Spiel gegen einen bestimmten Gegner eine erfolgreiche taktische Ausrichtung wählt und dann im nächsten Spiel gegen einen anderen Gegner die gleiche oder eine ähnliche. Dieser hat sich dann aber entweder darauf eingestellt (wie jetzt der HSV) oder es ist generell nicht die passende Ausrichtung gegen diesen Gegner.

Wie auch immer, nach dem Sieg der SGE heute läuft alles auf einen Dreikampf um den rettenden Platz 15 hinaus. VfB, Werder, SGE. Ganz gleich, ob Werder die Klasse direkt bzw. über die Relegation halten oder absteigen wird, ein erneuter Neuanfang ist mMn auf jeden Fall erforderlich. Und bei aller Sympathie für Viktor Skripnik, das Trainerteam gehört mMn auch auf den Prüfstand.

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MFR 25. April 2016 um 11:35

…stimmt. Entweder die Gegneranpassungen sind reiner Zufall oder man hofft stur und unreflektiert auf die gleiche Wirkung gegen andere Gegner. Da wüßte ich gern, welchen Einfluß Florian Kohlfeld da hat.

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Gofi 27. April 2016 um 09:30

DAS frage ich mich auch, und nicht zum ersten Mal. Danke für die gute Analyse.

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