Juventus mit glanzloser Dominanz gegen Milan
Juventus gegen Milan war früher eines der Topspiele in Europa. Aktuell ist es der leicht kriselnde Meister gegen den schlafenden Riesen.
Mailänder Ablagenfußball
Die Rossoneri begannen mit einem 4-1-4-1, welches in Ballbesitz zu einem 4-3-3 wurde. Allerdings war relativ interessant, dass die Außenverteidiger erst spät weit aufrückten und auch die Flügelstürmer nicht direkt nahe am Mittelstürmer standen. Stattdessen probierte man Juventus im Mittelfeld und Sturm etwas herauszulocken, um mit langen Bällen auf Bacca und nachstoßenden Läufen auf dessen Ablagen überfallartig in Juventus‘ Formation zu kommen. Vermutlicher Gedanke: Die resultierenden Bewegungen Juventus‘ bespielen und möglichst schnell zu Abschlüssen kommen.
Die Aufstellung war dementsprechend. Niang auf dem linken Flügel mit Bonaventura – der bereits oft auf dem Flügel agiert hatte – neben sich auf der Achterposition sollten für dynamisches Nachstoßen und einen kleinen Linksfokus sorgen. Auch Kucka als rechter Achter konnte nach vorne schieben, während Cerci als rechter Flügelstürmer eher einrückend spielte.
Diese Spielweise schien neben Einzelaktionen der einzige wirkliche Mailänder Plan; die alte Dame kontrollierte ansonsten die zentralen Räume gut. Juventus suchte einen anderen Weg nach vorne.
Kombinationen, Bewegungen und Sichtfelder
Massimiliano Allegri schaffte es letztes Jahr mit Juventus überraschend in das CL-Finale einzuziehen. Nach den Abgängen Pirlos, Tevez‘ und Vidals gab es natürlich schwerwiegende Verluste zu verschmerzen und zu ersetzen, was bisher passabel gelang – trotz Tabellenplatz 7 (nach Expected Goals müsste Juventus die Liga anführen).
Auch diese Saison spielt Juventus meist in einer Raute. Marchisio spielt als Sechser, Pogba gibt den linken Achter, während es auf der rechten Achterposition mit Khedira, Pereyra, Padoin, Sturaro und Hernanes mehrere Optionen gibt. Meist spielt aber Hernanes als Zehner; in dieser Partie war es Sturaro, der als Achter auflief.
Die Achter suchten oft die Räume hinter Milans Viererreihe im Mittelfeld und forderen Pässe durch die Schnittstellen in den Zwischenlinienraum. Damit gab man nicht nur raumgewinnende Anspielstationen, sondern band Milans Mittelfeldspieler im Pressing nach hinten, weil sich diese an einer gegnerischen Option im Rücken und außerhalb ihres eigenen Sichtfelds orientieren mussten. In diesen Situationen ist – außer bei sehr hoher Dynamik und Kompaktheit – ein Herausrücken psychologisch unangenehm und taktisch potenziell gefährlich, was Milans Passivität in der vordersten Pressingreihe erklärte.
Dabei gab es auch ein interessantes Wechselspiel zwischen Hernanes und Marchisio zu sehen, in welchem sich Hernanes gelegentlich weiter zurückfallen ließ, Marchisio situativ vorstieß und die Achter die offensiven Halbräume noch eine Linie höher besetzten. Allerdings konnten sich die Halbspieler auch tiefer zurückfallen lassen und das Aufbauspiel ankurbeln.
Besonders Pogba bewegte sich flexibel vom linken defensiven Halbraum bis über den linken Flügel und auch in den rechten offensiven Halbraum, um variabel Räume zu überladen. Auch für Dybala wurden Räume geöffnet, um seine Aktionen im Dribbling und Kombinationsspiel zu fokussieren; die Achter konnten ausweichen, Hernanes wie erwähnt zurückfallen und Mandzukic alleine die Tiefe geben, um das zu ermöglichen.
Wie auch Milan hatte Juventus allerdings Probleme am gegnerischen Strafraum.
Strafraumorientierte Staffelungen, Endverteidigung, Stabilitätsfokus
Milans 4-1-4-1 war relativ kompakt umgesetzt, desweiteren ließen sich die beiden Innenverteidiger kaum aus den zentralen Zonen herauslocken. Auch der ballferne Außenverteidiger unterstützte dies und langsamere Angriffe des Gegners mündeten meistens in kompakten 4-1-4 oder 4-5-Staffelungen Milans am eigenen Strafraum. Aus diesen Situationen konnte Juventus kaum Abschlüsse generieren und wurde immer wieder nach hinten gedrückt. Auch das 4-1-4-1-Mittelfeldpressing war vergleichsweise passiv, wirkliche herausrückende Läufe oder eine klare Unterstützung von Mittelstürmer Bacca gab es abgesehen von ein paar Vorstößen der Achter nicht. Nur gelegentlich schob einer der Achter nach vorne und ermöglichte Bacca das Attackieren der gegnerischen Innenverteidiger.
Generell ist die Orientierung am Zentrum und insbesondere an den Zonen vor dem eigenen Strafraum in Italien ausgeprägt und sauber umgesetzt; auch Juventus besitzt diese Fähigkeit. Allerdings spielte die alte Dame deutlich aktiver und höher. Das 4-3-1-2 Juventus‘ gab es bereits letzte Saison zu sehen, wo man durch Vidals enorme Laufstärke auf der Zehn sehr flexibel in der Defensivarbeit war. Teilweise gab es auch 4-3-3hafte Mittelfeldpressingzüge mit klarem 4-4-2 in der eigenen Hälfte, da Vidal die langen Wege nach hinten machen konnte.
Mit Hernanes ist man bisweilen offensiver aufgestellt. Sie pressen im Schnitt noch eine Stufe höher, sind aber nicht mehr ganz so kompakt und dynamisch beim Pressing in einzelnen Zonen und auf schnelle Kombinationen. Auch der Abgang Pirlos und der damit einhergehende „Verlust“ des Achters Marchisio zugunsten des Sechsers Marchisio schmerzt durchaus. Insbesondere die herausrückenden Bewegungen der Achter – die ansonsten für die Flügelstürmer Milans zuständig waren – nach vorne konnten nicht immer ausgeglichen werden.
Milan hatte allerdings Probleme Zonen innerhalb Juventus‘ Formation zu überladen und/oder aus Überladungen erfolgsstabil Raumgewinn mit passenden Folgeaktionen zu schaffen. Dadurch konnte Juventus meist die 4-3-1-2-Staffelungen mit zurückfallendem Hernanes, mannorientiertem ballnahen Achter und ballfern einrückendem, raumdeckendem Achter herstellen. In diesen Situationen wurde Milan nicht nur in Richtung Flügel isoliert, sondern hatte auch kaum Möglichkeiten die Seite über Flachpässe nahe am gegnerischen Tor zu wechseln oder die Mitte einzubringen.
Geringe Umschaltdynamik
Neben der mangelnden Idee im Offensivspiel und Juventus‘ kompakter Mitte war es auch das Umschaltspiel, welches bei Milan für Harmlosigkeit sorgte. Nach Ballgewinnen bespielte man die durchaus vorhandenen Räume in Juventus‘ Absicherung nicht, rückte nur vereinzelt und zu langsam auf. Besonders die Außenverteidiger waren eher vorsichtig, um nicht in mögliche Konter zu geraten, obwohl sie eigentlich gegen die Raute der Turiner Druck erzeugen müssten. Die Vorstöße kamen aber nicht oder zu spät, was im Verbund mit nur einem Stürmer vorne natürlich zu wenig Möglichkeiten im Raumgewinn führte.
Auch die Achter wurden in der Defensivarbeit tief gebunden und waren nur selten direkt anspielbar, um den Ball nach vorne zu tragen. Umgekehrt fehlte es eigentlich beiden Mannschaften an einem konsequenten, aggressiven Gegenpressing. Milan konzentrierte sich auf die defensive Stabilität, band wenig Spieler ins Gegenpressing ein und fokussierte sich lediglich auf das Leiten und Ausbremsen der Konter der Bianconeri. Diese konnten ohnehin kaum effektiv kontern, da Milan mit vielen Leuten hinten stand und gleichzeitig war man selbst im Gegenpressing zwar effektiver, aber eher auf Entschleunigung und Verhinderung fokussiert – die offensiven Elemente einer möglichst schnellen, sauberen Balleroberung wurden nicht wirklich genutzt.
Das führte auch zu einem gemächlichen, wenn auch angenehmen Spielrhythmus, der vielfach in der Serie A zu sehen ist.
Allegris Umstellung
Nach der Pause veränderte sich das System Juventus. Bonucci wurde für Hernanes eingewechselt, was eine Umstellung auf ein 3-5-2/3-1-4-1-1 in eigenem Ballbesitz bedeutete. Hiermit veränderten sich die Aufbaustaffelungen und Mittelfeldbewegungen. Mit drei Abwehrspielern wollte man wohl noch gezielter Diagonalpässe in die Mitte und Mailands Mittelfeld spielen können sowie für Konter abgesichert sein. Nach wie vor gab es aber (Ansätze einer) Mittelfeldraute. Sturaro und Pogba besetzten die Halbpositionen, Marchisio baute aus der Tiefe auf und Dybala bewegte sich häufig in den Zehnerraum, um diese Zone zu überladen.
Gegen den Ball gab es gelegentlich 3-1-4-2/3-1-4-1-1-Formationen zu beobachten, vielfach war es aber ein 4-4-2 (und ein paar Mal in tieferen Zonen wieder eine Fünferreihe). Pogba spielte gegen den Ball als linker Flügelstürmer, Lichtsteiner als sein Gegenüber. In der Abwehrreihe übernahm Barzagli die Position des rechten Außenverteidigers gegen den Ball, während sich Flügelverteidiger Alex Sandro zurückfallen ließ und sich an die drei Verteidiger angliederte.
Mihajlovic – oder seine Spieler – reagierte allerdings darauf. Das 4-1-4-1 wurde nun häufiger zu einem 4-3-3 gegen den Ball, um die zentralen Zonen besser zu besetzen und sich nicht überladen zu lassen, weil zwei Spieler gegen nur einen Gegenspieler auf den Flügeln abgestellt waren. Daraus entwickelte sich eine ähnliche Dynamik wie in der ersten Hälfte mit dem feinen Unterschied, dass hier Juventus die eigene Dominanz dennoch in Tore ummünzen konnte. Milan konnte letztlich nicht mehr den Offensivdruck und die benötigte Struktur schaffen, um das Spiel noch zu drehen.
Nach der Führung spielte Lichtsteiner aber noch eine Ebene tiefer, stelle noch stärkere Breitenstaffelung in der letzten Linie her und Juventus spielte die Partie in einem 5-3-1-1 souverän herunter; trotz Milans Umstellung auf ein 4-4-2/4-2-4.
Fazit
Juventus gewinnt knapp, aber verdient gegen den AC Mailand und orientiert sich somit nach oben – wo sie laut Expected Goals eigentlich hingehören. Der letztjährige CL-Finalist zeigte keine berauschende, aber stabile und durchaus überzeugende Leistung gegen ein zu defensives, wenn auch hierbei passables Milan-Team. Allegris Umstellung und das dabei herauskommende interessante System waren wohl das taktische Highlight und Dybala sorgte letztlich für den Sieg.
6 Kommentare Alle anzeigen
Peda 25. November 2015 um 09:35
Formale Kritik: seit einiger Zeit werde bei Spielanalysen statt der Mannschaftswappen Formationsgrafiken in Miniaturformat angezeigt. Inhaltlich irrelevant, aber störend.
CE 25. November 2015 um 15:42
Wissen wir. Da liegt ein kleines technisches Problem vor. Deshalb sieht man auf der Startseite auch aktuell wieder die Artikelbilder (Formationsgrafiken) und nicht die Wappen mit Ergebnis, wie es seit einiger Zeit der Fall war.
woifmoa 24. November 2015 um 16:50
Wo kann man sich denn die Expected Goal-Statistik für die Serie A anschauen?
Valentin 24. November 2015 um 18:03
http://cartilagefreecaptain.sbnation.com/2014/2/15/5409046/la-liga-shot-statistics
Da gibts xG-Werte von allen Teams aus den Topligen. Aktuell auf dem Stand vom 8.November.
woifmoa 25. November 2015 um 23:43
danke!
Valentin 23. November 2015 um 14:26
Immer schön was von der Serie A zu lesen. Vor allem, da sich diese Saison ein hochspannender Meisterschaftskampf anbahnt mit mehreren Mannschaften, die durchaus gut anzuschauenden Fußball zeigen (Juve, Rom, vor allem aber Florenz und Neapel).
Und was bitte war das wieder für eine Aktion von Pogba?! Allein schon auf die Idee zu kommen und dann auch noch diese perfekte Ausführung. Eigentlich eine ungefährliche Situation, in Unterzahl auf dem Flügel isoliert, und dann kommt sowas!