Hertha auf einem guten Weg

3:0

In verschiedenen Bereichen des Offensivspiels, insbesondere beim Ausspielen in Strafraumnähe, demonstrierte Hertha BSC in dieser Partie seine Positiventwicklung und spielte sich einen verdienten Sieg heraus.

Es ist schon an verschiedenen Stellen ein wenig angeklungen, doch kann man es noch einmal deutlich herausstreichen: Hertha BSC hat in dieser Saison einen Schritt nach vorne gemacht, insbesondere was das Spiel bei eigenem Ballbesitz angeht. Das konnten sie bei diesem Erfolg gegen die Hanseaten erneut bekräftigen. Damit schloss sich die Begegnung an jene Kerbe an, in die Kollege MR am vergangenen Wochenende beim Heimspiel des HSV gegen Schalke geschlagen hatte: Beiden Kontrahenten gelang es im Berliner Olympiastadion bei etwas höheren oder aktiveren Pressingphasen des Gegners einige Male gut, dessen erste Linie geschickt zu überspielen.

bsc-hsv-2015Hamburgs  Versuche unvollendet

Die Hamburger hatten dafür mit Díaz einen auch in engen Szenen ballsicheren Akteur, der sich entsprechend gegen etwaige Rückzugsbewegungen behaupten und die Ansätze seines Teams in Gang halten konnte, während sein Partner Ekdal ein wenig nach rechts in den Halbraum schob, um Vertikalpässe in die Tiefe anbringen zu können. Zusammen mit den vereinzelt verbindungsstarken oder dynamikgebenden Dribblings von Nicolai Müller und einigen ungewohnt starken Querpässen Diekmeiers machte das diesen Bereich zur potentiell vielversprechendsten Zone des HSV. Dafür enttäuschte die linke Seite umso mehr. Dort wurde Holtby zu simpel eingebunden und bei situativen Einrückbewegungen kaum gesucht. Auch ein Zusammenspiel mit dem insgesamt etwas zu hoch agierenden oder etwas abgehackt zurückfallenden Hunt kam letztlich viel zu selten zustande.

Entsprechend war dies in der Gesamtbetrachtung etwas zu wenig, um die Hertha entscheidend und konstant in Gefahr zu bringen. Trotz einiger Unkompaktheiten im höheren Pressing und der im Vergleich mit dem Vorjahr doch mannorientierteren Grundausrichtung überzeugten die Berliner gegen den Ball vom Prinzip her. Die Staffelungen in der Mittelfeldkette zeigten sich solide und es gab einige wirksame Verbindungen zwischen passivem Einrücken der Flügel mit Herausschieben der Sechser, die zudem situativ ballorientiert auf außen halfen. Trotz der Ballbesitzansätze und der Erfolge im zweiten Drittel sprangen für den HSV daher nicht allzu viele Gelegenheiten zum Strafraum hin heraus. Über die rechte Seite fand man im Verlauf der ersten Halbzeit noch die besten Chancen, der Bereich halblinks zeigte sich nur präsenter.

Konstruktive Grundordnung überwindet zwiespältiges Pressing

Der Hertha war es von Beginn weg gelungen, mit Ball ihr Potential anzudeuten, wenngleich es erst mit der Zeit wirklich gut und überzeugend wurde. Eine erste Steigerung des Teams in dieser Saison besteht in der vielseitigeren Ausrichtung des Mittelfelds, das häufig in kreiselnder Anordnung agierte – der Zehner fiel immer mal nach hinten, die Sechser schoben vielseitig vor. Mit Kalou und Ibisevic vorne in 4-4-2-hafterer Formation war das diesmal nicht in dem Maße der Fall, doch bewegte sich auch der Ivorer recht engagiert zurück, es gab einige aufrückende Bewegungen aus dem Sechserraum und Cigerci ging, nach einiger Zeit häufiger, passiv in zentrale Positionen.

Zwar haperte es phasenweise an der Koordinationssauberkeit der ersten beiden Aspekte und der Entscheidungsfindung bei ihrer Einbindung, doch potentiell ließen sich daraus Dynamikvorteile kreieren. So gelang es den Hausherren vom Grundsatz häufiger, nicht nur die erste, sondern auch die folgenden gegnerischen Linien zu überwinden. Nach dem recht problemlosen Umschiffen der meist 4-4-2-haften Hamburger Grundstruktur gab es mehrere Wege, wie dies ablaufen konnte. Eine wichtige Rolle nahmen die Flügelbereiche ein: Während Weiser auf rechts sich spielstark zeigte und einleitende oder ballhaltende Dribblings in verschiedenen Kontexten lieferte, boten links die Mechanismen zwischen Plattenhardt, dem vielseitigen Cigerci und den energisch nach außen ziehenden Läufen Daridas Potential für Raumgewinn.

Das HSV-Pressing war nicht wirklich schlecht, sondern prinzipiell solide, aber doch etwas bieder und nicht besonders anpassungsfähig. So zeigte sich das Mittelfeld etwas zu mannorientiert an den potentiell gefährlichen Aufrückbewegungen der Sechser. Daher fanden Cigerci und auch der spielstark einleitende Haraguchi immer mal wieder Lücken daneben, was Hamburg destabilisierte. Löste sich Díaz dann beispielsweise aus der Mannorientierung, um den Raum um den Ball zu stopfen, wurde – wenn sich die Hertha durchspielen konnte – im weiteren Verlauf sein nomineller Gegner frei. Schafften es die Hauptstädter also, etwa im Bereich des seitlichen Halbraums ins letzte Drittel zu kommen und dem gegnerischen Mittelfeld zu entweichen, boten sich gute Möglichkeiten zum Spiel in die Spitze.

Hertha mit hohem Zentrumszusammenspiel und Weiser

Auch in dieser Hinsicht hat zuletzt eine Entwicklung stattgefunden, die für neue Klarheit im Vergleich zu den zwar fluiden, aber oft ungerichteten und mäßig organisierten 4-2-3-1/4-4-1-1-Ausführungen des letzten Frühjahrs und Sommers sorgen. Vor allem die Aufteilung zwischen der Doppelspitze mit gelegentlichem Linksausweichen und der situativ zentralen Einbindung Cigercis hatte in dieser Partie besonderen Anteil daran. Es gab sehr gute Folgemöglichkeiten nach direkten Pässen an die letzte Linie, die auch entsprechend genutzt wurden. Durch die Ablagen und Weiterleitungen der Angreifer entstanden zuweilen schöne Kombinationsaktionen durch das Zentrum – insbesondere beim 1:0 und der Großchance des zwischenlaufenden Darida in Halbzeit zwei. Das brachte der Hertha also die entscheidende Gefahr und Offensivqualität, die den Unterschied für den verdienten Sieg ausmachte.

Neben diesen Szenen spielte zudem Mitchell Weiser in der Angriffsführung des letzten Drittels eine wichtige Rolle und wurde recht prominent – entweder durchbruchsorientiert oder ansatzweise gestaltend – gesucht. Wenngleich das vom Prinzip kein schlechtes Vorgehen war, blieb seine Einbindung jedoch oftmals noch etwas zu individuell und hätte mehr unterstützt werden sollen. So musste er sich einige Male am Flügel in Unterzahlen per Dribbling behaupten oder wurde mit Verlagerungen bedient, wenn diese eigentlich unpassend waren. In dieser Hinsicht bestand für die Hertha also noch Schärfungspotential. Vorerst deutete Weiser seine Qualitäten „nur“ an, löste einige schwierige Szenen geschickt und war offensiv präsent, aber gegenüber den zentralen Angriffsmustern nicht der primär entscheidende Faktor.

Gute Umschaltausrichtung entscheidet per Doppelschlag

Im zweiten Durchgang versuchte der HSV ins Spiel zurück zu finden, kam über die stets vorhandenen, nicht ganz ausgereiften Ansätze jedoch nicht hinaus. Auch offensive Wechsel änderten daran nichts: Nachdem zuerst Ilicevic für Díaz ins Team gerückt und Holtby in eine angriffslustige Mittelfeldbesetzung eingefügt worden war, ähnelte die Ausrichtung der Norddeutschen in der letzten Viertelstunde einer asymmetrischen breiten Raute mit Holtby, rechts, und Ilicevic auf den Seiten sowie Olic vorne in pendelnder Rolle. Insbesondere die Einbindung der beiden Einwechselspieler gestaltete sich aber etwas unkoordiniert und jene von Holtby zu dribblingorientiert, um wirklich Gefahr zu entfachen. Daher machte es – auch wegen der in Strafraumnähe etwas seltsamen Entscheidungsfindung bei vielversprechenden Szenen – keinen maßgeblichen Unterschied mehr, dass Hunt besser ins Spiel fand und einige gute Pässe an den Sechzehner brachte.

Mit ihrer defensiven Grundsolidität und einer Mischung aus Glück wie Können in der Endverteidigung stellte sich das Heimteam diesen Bemühungen der Labbadia-Elf letztlich erfolgreich entgegen. Gleichzeitig sorgte Dardai über Wechsel seinerseits für Belebung und durfte in die andere Richtung einen Ibisevic-Doppelschlag bejubeln, der die Partie entschied. Daran hatte der für Kalou als Zehner ins Team gebrachte Alexander Baumjohann erheblichen Anteil. Zunächst band er sich für eine raumöffnende Tempo-Überladung am linken Flügel ein. Insbesondere beim 3:0 zeigte sich dann seine zuverlässige Ballsicherheit in auch schwierigen Lagen als maßgeblicher Faktor für das Umschaltspiel. Die Hertha suchte den zuletzt lange verletzungsgeplagten Mittelfeldmann nach tiefen Ballgewinnen gezielt als Übergangsakteur – und gelegentlich konnte er sich in Unterzahl aus dem Rest-Gegenpressing lösen, um dann im konkreten Fall den Schlusspunkt zum Endstand vorbereiten.

Fazit

Hertha BSC gewann diese Begegnung verdient, wenngleich etwas zu hoch, und steht auch durchaus gerechtfertigt so weit oben in der Tabelle. Grund dafür ist eine spielerische Entwicklung, wie man sie Pal Dardai vor der Saison nicht unbedingt hatte zutrauen dürfen. Neben der Mittelfeldflexibilität glänzte diesmal – wie schon in der Endphase in Frankfurt angedeutet – auch die Offensivabteilung mit schönen Stafetten. Dass die Defensivsauberkeit nicht mehr ganz so stark daherkommt, wie noch in der letzten Saison, spielt aktuell keine gravierende Rolle, soll aber nicht unerwähnt bleiben. Der HSV ist mittlerweile zwar wieder sehr spielstark besetzt und hat ein ordentliches Ballbesitzfundament aufgebaut, sucht aber weiterhin den entscheidenden Schlüssel für die Offensive. Gegen einen starken Gegner war das diesmal – auch vor dem Hintergrund einer in Teilen eher mäßigen Vorstellung gegen den Ball – nicht genug für einen Punktgewinn.

Andreas 6. Oktober 2015 um 09:10

Sehr schöner Artikel!
Ich denke, Dardai hat etwas für die Hertha entwickelt, was lange Zeit nicht da war. Ein Konzept und auch gute Ideen, um zu disem Konzept zu gelangen.

Was mir besonders auffällt: Man ist auch durch Jarstein deutlich flexibler und sicherer bei hoch pressenden Gegnern. Lasogga ist am Samstag sehr offensiv auf die Innenverteidigung und auch den Torhüter gegangen. Stellenweise stand er direkt neben Jarstein – fast so, als würde er ihn noch nach den Weg fragen. Ich halte Thomas Kraft für keinen guten mitspielenden Torhüter, auch seine Strafraumbeherrschung hat noch ordentlich Potential. Dagegen kann Jarstein mit dem Ball am Fuß umgehen und so auch die Bälle vernünftiger verteilen, egal ob mit kurzen Pässen auf die Verteidiger oder ins Mittelfeld hinein.

Ich hoffe, die Hertha träumt noch nicht von der Europa League. Ich wäre sehr zufrieden, wenn es dieses Jahr nicht so eng am Saisonende werden würde, was den Abstieg angeht. Wenn man dann – im Gegensatz zu den Vorjahren – die guten Leute halten kann und auch den Kader für mehrere Hochzeiten hat, dann freue ich mich, wenn es ind en nächsten zwei, drei Jahren auch für die Europa League reichen könnte.

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JS 5. Oktober 2015 um 09:18

Super Artikel, danke. Auch sprachlich sehr gut lesbar. Hertha macht endlich mal was aus seinem durchaus guten Kader und dürfte um Europa League mitspielen.

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pb 4. Oktober 2015 um 20:16

Sowohl Hertha als auch Koeln spielen ein klar positionsorientiertes Defensivsystem und sind damit erfolgreich. Beide Mannschaften waeren in den letzten Jahren typische Kandidaten für verbissene Mannorientierungen und/oder Rudelpressing gewesen. Stuttgart steht mit besagtem Rudelpressing ganz unten drin.

Ist das der Anfang eines Paradigmenwechsels bei den Mittelfeldvereinen der Liga ? Gerade Hertha mit dem Mittelfeldkreisel legt klar den Schwerpunkt auf das Verhalten bei eigenem Ballbesitz und das ist der Gegenentwurf zu den rein reaktiven Spielanlagen von so ungefaehr Slomkas H96 bis Augsburg in der letzten Saison.

Waere sicherlich keine schlechte Entwicklung fuer die Liga insgesamt, denn der durch Pressing, Gegenpressing, Rudelpressing, usw. erzielbare Fortschritt ist mMn inzwischen weitgehend ausgereizt.

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RoyalBlue 7. Oktober 2015 um 18:33

Ich weiß, ich bin ein wenig spät dran, aber vielleicht liest du es ja noch. Was genau meinst du mit Rudelpressing? Kann mir grob denken was es sein soll, habe diesen Begriff aber nich nie gehört und würde mich freuen hier aufgeklärt zu werden 😉

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