Die Harnik-Asymmetrie schlägt wieder zu – dank Kostic
Der VfB Stuttgart darf weiter auf den Klassenerhalt hoffen. Die Asymmetrie auf den Flügeln macht der Mainzer Raute Probleme. Der vorentscheidende Führungstreffer fiel trotzdem aus dem Nichts.
Es war eine schwierige Ausgangslage für den VfB Stuttgart. Gegen den FSV Mainz 05 musste ein Sieg her, sonst drohte die Konkurrenz zu enteilen. Huub Stevens schickte seine Mannschaft für dieses Unterfangen in einem 4-3-3 auf das Feld. Das System sah eine recht klare Aufteilung im Mittelfeld vor zwischen Sechser Serey Die, dem aufrückenden Achter Gentner und dem zurückfallenden Zehner Didavi.
Die Mainzer Raute
Martin Schmidt wollte das Stuttgarter System mit einem 4-3-1-2 kontern, besser bekannt als Raute. Malli gab in diesem System einen mobilen Zehner, die drei Mittelfeldspieler hinter ihm hielten sich stark zurück. Kalkül der Mainzer war es, den gegnerischen Spielaufbau ins Zentrum zu lenken und dort die gegnerischen Spieler zu isolieren.
Diese Grundidee führte Mainz gewissenhaft und clever aus. Die beiden Stürmer lenkten den Spielaufbau zu Rüdiger, der daraufhin angelaufen wurde. Unter Druck musste er oft zu langen Bällen greifen. Die beiden Angreifer liefen ihn dabei seitlich an, sodass sie den Passweg auf die Außenverteidiger versperrten. Um die Innenverteidiger zu entlasten ließ sich Serey Die weit zurückfallen, doch Malli verfolgte ihn mannorientiert. So wirkte das Mainzer System manches Mal wie ein 4-3-3.
Oftmals fielen die Mainzer Stürmer auch etwas zurück. So besetzten sie die Halbräume im gegnerischen Sechserraum, wenn Stuttgart zu einem langen Ball ansetzte. Die Idee dahinter war wohl, die Kopfballduelle zu gewinnen und sofort über die Halbräume Gegenangriffe einzuleiten. Auf dem Papier waren all diese Facetten des Defensivspiel sehr klug, in der Praxis gelang es einige Male, Stuttgart ins Zentrum zu lenken. Von dort sollten schnelle Konter eingeleitet werden.
Stuttgarter Flügelfokus
Der letzte Absatz war praktisch eine einzige Ankündigung eines großen Abers. Hinter diesem Aber versteckt sich Stuttgarts Flügelfokus. Denn wenn Mainz den Stuttgartern doch einmal die Möglichkeit bot, diagonal auf die Flügel zu spielen, hatten sie große Probleme, die Angriffe in der Folge einzudämmen.
Stuttgart spielte – wie seit einigen Wochen – asymmetrisch. Man kann diese Asymmetrie auch – salopp formuliert – die Harnik-Asymmetrie nennen. Der Rechtsaußen geht gerne in den Strafraum und nutzt seine Dynamik und Torgefährlichkeit. Der Linksaußen hat im Stuttgarter System daher primär die Aufgabe, die Position an der Seitenlinie zu halten und Harnik und Ginczek mit Flanken zu füttern.
Nachdem diese Asymmetrie im Jahr 2014 verloren gegangen schien, belebte sie Filip Kostic neu. Seit er seine Form gefunden hat, ist seine Dynamik und Dribbelstärke wichtiger Faktor im Stuttgarter Spiel. Gegen Mainz war er auch deshalb so auffällig, weil er gegen die zentrumslastige Raute oft in Eins-gegen-Eins-Situationen gegen Bell kam. Ein Trick, ein Sprint, und schon war Kostic an der Grundlinie angelangt. Praktisch alle Stuttgarter Chancen in Halbzeit Eins wurden entweder durch einen Standard eingeleitet oder durch einen Durchbruch von Kostic auf der linken Seite.
Defensiv punkteten die Stuttgarter mit ihren gewohnt gut ausgeführten Mannorientierungen. Die Mittelfeldspieler von Mainz bekamen keine Zeit am Ball, auch die Außenverteidiger wurden eng verfolgt. Mainz hatte spürbar Probleme, gegen die körperlich robusten Stuttgarter das gewohnt schnelle Vertikalspiel aufzuziehen.
Systemumstellung
Schmidt reagierte in der Halbzeit und stellt mit der Einwechslung von Koo (für Moritz) auf ein klassisches 4-4-2 um. Das System war in der Offensive zwar immer noch zentrumslastig, da Koo immer wieder in die Mitte schob. Defensiv gelang es den Mainzern aber besser, die gesamte Breite des Platzes abzudecken. Kostic sah sich nun öfter zwei oder gar drei Gegenspielern gegenüber und konnte dem Spiel nicht mehr seinen Stempel aufdrücken. Offensiv kamen die Mainzer aber noch immer nicht an den engen Mannorientierungen Stuttgarts im Zentrum vorbei.
Der Führungstreffer fiel daher ohne Vorankündigung. Didavi verließ sich bei einem Fernschuss aus 30 Metern auf seine Technik und die Mithilfe von Mainz-Keeper Karius (66.). Die Stuttgarter Führung änderte die Spieldynamik. Mainz musste nun weiter aufrücken. Koo agierte fast permanent zentral, sodass erneut eine Raute stand; diesmal aber eher in einem 4-1-3-2 denn in einem 4-3-1-2.
Die zunehmend offensivere Rolle der Außenverteidiger tat ihr Übriges, um Stuttgart erneut zu Flügelangriffen einzuladen. Wieder einmal war es Kostic, der in der Folge groß aufdrehte und seine starke Leistung mit einem Treffer krönte. Mainz hingegen konnte offensiv keine Glanzlichter mehr setzen. Sie rückten zu früh auf und spielten die eigenen Angriffe kaum aus.
Fazit
Alles in allem ein verdienter Sieg für die Stuttgarter, auch wenn der Führungstreffer mitten in der stärksten Mainzer Phase fiel. Defensiv baut Stuttgart auf die vorhandene individuelle Klasse und viele Mannorientierungen, offensiv belebt die Asymmetrie zwischen Harnik und Kostic das Angriffsspiel. Mainz überzeugte zwar mit guten Mechanismen im Defensivspiel, war aber vor allem offensiv harmlos. Stuttgart darf weiter vom Klassenerhalt träumen; nach der Leistung am Samstag wäre er zumindest keine totale Überraschung.
12 Kommentare Alle anzeigen
Koom 11. Mai 2015 um 09:29
Als 05-Fan bin ich verärgert, dass man es gegen 2 Abstiegskandidaten nicht schafft, einen Sieg einzufahren. Stuttgart hat sich wenigstens bemüht um einen Sieg, dem HSV ist er in den Schoß gefallen. Ändert nichts daran, dass es einen schon sehr besorgt, wie teilweise willenlos sich Mainz taktisch ergeben hat. Mir fehlten da in der 1. HZ sinnvolle Anpassungen auf die starken Stuttgarter und generell eine stabilere Herangehensweise. Bengtsson auf rechts und dafür Diaz links, Moritz hat leider noch keine Spielform und hätte ich eher zuhause bei einem „simpleren“ Spiel eingewechselt. Alles sehr ärgerlich und ich hoffe, dass das keine negativen Vorzeichen für die nächste Saison sind. Denn das interessante ist: Der Kader der Mainzer ist mittlerweile durchaus sehr stark und kann rund um Platz 7 mithalten.
cali 11. Mai 2015 um 00:11
Ist noch jemand ein so großer Fan von Didavi wie ich? Toller Kicker. Hoffentlich bleibt der Junge mal länger fit.
Bernhard 10. Mai 2015 um 21:58
Irgendwie voll schade, dass eine vom Kader her so gute Mannschaft wie Stuttgart vom Abstieg bedroht ist.
mk 11. Mai 2015 um 08:56
Irgendwie aber auch selbst schuld. Da sitzen (saßen, mittlerweile ist es nicht immer ganz so krass, aber trotzdem noch auffällig) oft die besseren Spieler auf der Bank oder sogar der Tribüne als auf dem Platz zu stehen. Und Mannorientiertheit gehört eigentlich auch bestraft, das bisschen Leiden ist also auch ok ;).
Tom 11. Mai 2015 um 13:36
Steigt Stuttgart ab, dann nicht aufgrund der letzten Spielen, sondern wegen der Spiele davor, wo man nur selten einmal selber traf. Als das Mittelfeld noch aus Leitner, Gentner und Romeu bestand und teilweise Hlousek auf LA oder Klein als RA aufgestellt wurden.
Koom 11. Mai 2015 um 09:25
Kann man ja auch über Hamburg sagen. Wird zwar gerne suggeriert, dass das alles Blinde sind, aber sobald einer der HSVer woanders landet, ist er dort recht gut, manchmal sogar sehr gut.
felixander 11. Mai 2015 um 10:50
Meist noch besser, ehe sie zum HSV kommen. Siehe Nicolai Müller. 😉
Bernhard 11. Mai 2015 um 12:14
Also den Kader der Stuttgarter würde ich rein vom Potenzial schon besser einschätzen, als den vom HSV.
B 11. Mai 2015 um 12:50
Bei Stuttgart setzt man mehr auf Leute die gute Ansätze haben und noch besser werden können. Beim HSV auf gute Leute, die ihr Potential schon erschöpft haben. Zumindest wirkt es so, als ob Spieler beim HSV nur schlechter und nicht besser werden können.
Tom 11. Mai 2015 um 13:47
Beim HSV werden die Spieler definitiv schlechter gemacht. Mit abartigen Erwartungen (Ablöse, Gehalt) ins Haifischbecken geworfen und dann schnell ausgemustert. Geld verdirbt den Charakter. Vor allen ist man dann noch zutiefst beleidigt, wenn der Charakter dann vom vielen Geld verdorben ist, siehe Kacar und der geplatzte Transfer (Kreutzer: Der trainiert nie wieder mit den Profis.).
Koom 11. Mai 2015 um 14:03
War letztens einfach nur noch beim Kopfschütteln: Lasogga macht mal eben > 3 Mio Euro im Jahr. Olic, 35 Jahre alt, auch bei 3,5 Mio Euro. Das sind abartige Unsummen. Kann dir da nur zustimmen, dass das beim Beispiel HSV offensichtlich so ist, das Geld den Charakter verdirbt.
Koom 11. Mai 2015 um 13:46
Von der Papierform halte ich den HSV-Kader für stärker als den der Stuttgarter. Eigentlich ist der Kader von den Namen und deren Fähigkeiten ziemlich eindrucksvoll, passt nur an manchen Stellen mäßig zusammen.
Aber das ist eigentlich unerheblich und hilft ja auch nicht wirklich im Abstiegskampf. Augsburg ist auf Europa-League-Kurs und gefühlt kennt man dreieinhalb Spieler von denen (überspitzt ausgedrückt).