Trend schlägt Klasse

2:1

Eine knappe Halbzeit lang narrten Skripniks Bremer die Leverkusener Pressingmaschine mit großer Kompaktheit und erstaunlichem Konterfußball. Nach dem Anschlusstreffer entwickelt sich ein merkwürdig harmloses Spiel auf ein Tor, in dem Werder die Nerven behält.

Typischer Schmidtfußball gegen typischen Antischmidtfußball?

Im Bremer Weserstadion formierte sich die ambitionierte Werkself wie erwartet in ihrem typischen 4-2-2-2. Dabei rückte Spahic für Papadopoulos neben Toprak zurück in die Innenverteidigung, ansonsten vertraute Roger Schmidt der Elf, die unter der Woche drei Punkte gegen die Berliner Hertha hatte holen können. Mit dem häufig einrückenden Brandt und dem breiter agierenden Bellarabi waren die Flügel kreativ und dynamisch besetzt, während Kießling und Calhanoglu im Sturmzentrum agierten, wobei Letzterer diese Rolle phasenweise als etwas tieferer Verbindungsspieler interpretierte, sodass vereinzelte 4-2-3-1-Staffelungen entstanden. Im defensiven Mittelfeld teilten sich Bender und Castro die Arbeit, als Außenverteidiger bot man Hilbert und Wendell auf.

Grundformationen

Grundformationen

Die taktische Marschroute der Leverkusener sollte am 20. Spieltag niemanden mehr überraschen: Mit seiner laufstarken, dynamischen Mannschaft wollte Schmidt auch dieses Mal über ein enorm engmaschiges und intensives Pressing den Gegner am Spielaufbau hindern und Ballgewinne erzielen, um dazu durch kollektiv ballorientiertes Verschieben mit schnellen Überladungen möglichst direkt über Kombinationen oder Tempodribblings Durchbrüche zu erzielen.

Diese zermürbende, überfallartige Spielweise ist in der Liga mittlerweile berüchtigt. Mittlerweile haben sich die Gegner der Leverkusener darauf eingestellt – sie antworten zumeist mit einem enormen Bemühen um die eigene Kompaktheit, geben allerdings den eigenen Spielaufbau zugunsten weiter Schläge zwischen die Sechserlinie und die Leverkusener Viererkette weitestgehend auf, um keine Ballverluste in tornahen Zonen zu riskieren, oder attackieren aus ebenjenem Grund über die Flügel. Beide Optionen sind naturgemäß eher harmlose Methoden, wenn es darum geht, sich Torchancen zu erspielen. Folglich lag das letzte aus einem gegnerischen Spielzug resultierende Gegentor der Werkself einige Monate zurück – seit dem 8. Spieltag hatte man Treffer nur noch durch Standards kassiert.

Bremer Kompaktheit, Leverkusener Inkonsequenz

Bremen sollte diese Serie beenden, indem man einerseits Elemente der bewährten Spielweise gegen Leverkusen zeigte, andererseits das Team von Roger Schmidt in Halbzeit 1 phasenweise mit seinen eigenen Waffen schlagen konnte. Bei den Bremern musste di Santo angeschlagen zuschauen, außerdem nahm Viktor Skripnik Bayer-Leihgabe Öztunali aus der Startformation. Dafür rückten Felix Kroos und der gegen Hoffenheim gelbgesperrte Zlatko Junuzovic in die Startaufstellung, die einige interessante Ideen aufwies.

So sicherte man sich mit einer sehr defensiv besetzten Dreifachsechs vor der Viererkette ab, die das Zentrum verschloss, immer wieder sehr sauber ballorientiert verschob und die beliebten Leverkusener Überladungszonen in den Halbräumen zustellte. Unterstützt wurden sie von den situativ herausrückenden Innenverteidigern, sodass die recht simpel agierenden Leverkusener trotz ihrer Dynamik erst nach etwa 40 Minuten das erste Mal gefährlich in den Strafraum eindringen konnten. Bis dahin hatte man hauptsächlich über unpräzise Hereingaben aus dem Halbfeld oder die Individualaktionen Bellarabis versucht sich Raum zu verschaffen.

Insgesamt wirkte das Leverkusener Aufbauspiel zu ausrechenbar, in der eigenen Hälfte war es meist Castro, der sich unterstützend zurückfallen ließ, um die Ballzirkulation aufrecht zu erhalten und als Eröffnung häufig den weiten Ball auf die freigelassenen Außenverteidiger zu spielen. Diese nutzten ihre Freiräume jedoch kaum, sondern schienen sich der defensiven Balance halber auf das Dasein als simple Durchgangsstation im Spielaufbau reduzieren zu wollen. Besonders Jedvaj-Vertreter Hilbert blieb meist tief und brachte häufiger lange Bälle aus dem Halbfeld anstelle von unterstützenden Läufen oder allzu bemerkenswerten spielmacherischen Qualitäten ein, sodass potentielle Bremer Instabilitäten in der Abstimmung zwischen Sternberg und Kroos lediglich von Dribbelmonster Bellarabi (18 abgeschlossene Dribblings nach 90 Minuten) konstant bespielt wurden.

Werders bewegliches Dreieck und gruppentaktische Sauberkeit rogerschmidten Leverkusen – ein bisschen

Eine weitere Eigenart der Bremer Formation, die sich als Glücksgriff erweisen sollte, war die flexible Interpretation der drei offensiven Positionen im nominellen 4-3-1-2: Die Raute, wurde hier situativ häufig zur „Tannenbaumformation“ mit einer beweglichen Doppelzehn aus Junuzovic und Bartels aufgelöst. Im tieferen Mittelfeldpressing rückte der jeweils Ballnähere der beiden zum Flügel, um selbst den Zweikampf zu suchen oder den ballführenden Leverkusener von seinen Mitspielern zu isolieren, Passwege zuzustellen und den Habpositionsspielern und Außenverteidigern so den Zugriff zu erleichtern, während sich der andere mittig positionierte, um einerseits die Zentrumspräsenz zu verstärken und mannorientiert die nachstoßenden Leverkusener Sechser abzuschirmen, andererseits nach Ballgewinnen als schnell umschaltende, zentrale Anspielstation zur Verfügung zu stehen.

So schaffte man es, den Leverkusenern die Optionen stark einzuschränken und konnte häufig Schnellangriffe über flache One-Touch-Kombinationen spielen, anstatt auf weite Bälle in Richtung Selke setzen zu müssen. Auch das 1:0 fiel nach einem sehr ansehnlichen Gegenstoß, als man einen ungeordneten Leverkusener Moment nutzte und das Leverkusener Gegenpressing mit schnellem Kurzpassspiel überwand, ehe Bartels Selke mit einer starken Außenristflanke bediente. Im höheren Pressing blieb es derweil bei der 1-2-Staffelung der Papierform, als der intensiviere Pressingakteur im Vergleich zu Bartels agierte Junuzovic hier als zweite Spitze und lief gemeinsam mit Selke die Leverkusener Innenverteidiger an.

Das zweite Tor der Bremer, mal wieder ein direkt verwandelter Junuzovic-Freistoß, entstand ein wenig zufällig. Gegen Ende der ersten Halbzeit wurde Leverkusen dann doch noch etwas zwingender – eine individuelle Aktion Bellarabis an der rechten Eckfahne konnte Vestergaard aus der Zentrale locken, die Hereingabe in das erstmals verwaiste Bremer Zentrum konnte dann schließlich über Umwege von Calhanoglu per Kopf über die Linie gedrückt werden.

Unterm Strich gingen die Bremer mit einer verdienten Führung in die Pause, während die Werkself mit nur 55% angekommener Pässe den sauberen Abläufen des ungewöhnlich forschen Gegners Tribut zollen musste. Auch, wenn Bayers Fokus ohnehin nicht auf geduldiger Ballzirkulation und hübschen Passstatistiken liegt – solche Werte findet man in der Bundesliga eigentlich sonst nur, wenn eine Mannschaft gegen Schmidts Pressingkollektiv spielt.

Leverkusen ist Leverkusen ist Leverkusen

Nach der Pause wurde seitens der Gäste stoisch ein ähnlicher bis gleicher Plan wie vor der Pause verfolgt. Mit Asien-Cup-Rückkehrer Son für Calhanoglu ergab sich eine noch klarere Doppelspitze als in Halbzeit 1, dazu positionierten sich die Sechser noch einmal höher als zuvor und verschärften die Intensität im Gegenpressing erneut. Dazu rückte besonders Wendell nun teilweise höher auf und stieß situativ bis in den Strafraum vor. Nach etwa zehn Minuten wechselte auch Bellarabi den Flügel, um zur erhöhten Präsenz auf der linken Seite beizutragen, fand dort mit Gebre Selassie und Fritz allerdings das besser abgestimmte und individuell stärkere Bremer Defensivpärchen vor.

Insgesamt stand Werder nun tiefer, zudem musste man kurz nach Wiederanpfiff Galvez ersetzen, der sich beim Unterbinden eines Leverkusener Diagonalpasses das Syndesmoseband anriss. Für den Spanier kam Assani Lukimya, der Werders Möglichkeiten besonders hinsichtlich der schnellen Spieleröffnung limitierte. Zudem orientierten sich Bartels und Junuzovic vermehrt an den hoch aufrückenden Bender und Castro, wodurch sie für schnelle Gegenstöße nun schlechter positioniert waren. Dementsprechend fielen die Bremer Befreiungsversuche nun zunehmend an die Leverkusener, die den Ballbesitz dominierten, den Ball ungestörter zirkulieren lassen konnten und in der ersten Viertelstunde nach der Pause auch zu vereinzelten Chancen kamen.

Abgesehen von den fehlenden Entlastungsangriffen der Bremer blieb sich die Dynamik der Partie jedoch ähnlich. Mit der Einwechslung von Drmic für Kießling brachte man vor allem noch einen zu hohem Tempo fähigen Angreifer, der steil geschickt werden sollte, sobald man im Gegenpressing einen der gegen Mitte der zweiten Hälfte wieder etwas häufigeren Bremer Konter abfangen konnte.

Wirklich hinter die Bremer Viererkette kann man ob unpräziser oder schlecht getimter Verlagerungen jedoch auch dadurch nicht. Auch effektive Schnittstellenpässe gelangen gegen die unvermindert diszipliniert verschiebenden Bremer kaum, die mit dem Wechsel von Öztunali für Selke einerseits einen frischen, schnellen Spieler für Entlastungsangriffe brachten, andererseits ihren Stoßstürmer für eine weitere defensive Unterstützung opferten, um das Ergebnis über die Zeit zu bringen.

In der Schlussphase schwanden die Kräfte beider Teams zusehends, was Bremer Konter im Schritttempo und ähnlich dynamisches Leverkusener Anrennen zur Folge hatte, woraufhin Schmidt mit Papadopoulos als kopfballstarker Brechstange für die offensive Mitte reagierte, was von Skripnik umgehend mit der Einwechslung von Garcia gekontert wurde. Zu wirklichen Chancen führten diese Maßnahmen nicht mehr.

Fazit:

Dass Roger Schmidt Mitte der zweiten Halbzeit wegen „unflätigen vor-sich-hin-Schimpfens“ auf die Tribüne verbannt wurde, hatte seine Gründe. In Halbzeit 1 präsentierten sich die Leverkusener gegen sauber verschiebende, effektiv pressende und präzise konternde Bremer überraschend unterlegen. Nach dem Seitenwechsel brach man den grün-weißen Widerstand mit den gewohnten Mitteln dann zwar doch, spielte seine Situationen aber deutlich zu hektisch und einfallslos aus, sodass man am Ende zwar satte 21 Flanken für sich vermerken konnte, mit 2 zu 4 Torschüssen (sowie einem Pfostenschuss) jedoch kaum gefährlicher wurde als das feldunterlegene Heimteam.

Viktor Skripnik brachte indes das auf den Platz, wovon sein Vorgänger Robin Dutt stets träumte: Eine kompakte, umschaltstarke Mannschaft, die gruppentaktisch sauber agiert und ihre Konter planvoll ausspielt, statt zu bolzen. Erneut fand man eine pragmatische Ausrichtung, die einen individuell überlegenen Gegner mit ein wenig Glück in die Schranken weisen konnte. So gelang den Bremern eine perfekte englische Woche mit drei Siegen gegen zum Teil anspruchsvolle Gegner. Ob Skripnik es auch gegen orthodoxere, formstärkere Mannschaften als die Leverkusener mit ihren außergewöhnlichen Stärken und Schwächen vermag, eine überzeugende Strategie zu entwickeln, wird sich weisen: Mit Weinzierls Augsburgern wartet am kommenden Wochenende eine taktisch starke und stabile Mannschaft, die ein Gradmesser für die Nachhaltigkeit des derzeitigen Bremer Laufs sein dürfte.

Tom 13. Februar 2015 um 13:46

Ich weiß nicht wie viel Einblick ihr habt. Könnt ihr den Einfluss der Co-Trainer bei Werder abschätzen?
Ich habe ein wenig das Gefühl, dass Skripnik selber ein sehr guter Teamarbeiter ist und seine Co-Trainer Frings und Kohfeldt richtig gut mit einbezieht. Beide machen gerade den DFB-Trainer-Lehrgang mit. Bringen auch so die neuesten Erkenntnisse mit in die Arbeit ein. In einem Interview hat Skripnik mal gesagt, dass Kohfeldt der Taktik-Fuchs ist. Frings feuert während des Spiels oft permanent an und ist wohl der Heißmacher im Team.
Insgesamt stimmt es im Trainerteam und man ergänzt sich hervoragend.

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Schorsch 10. Februar 2015 um 21:05

Wieder eine auf den Punkt gebrachte Analyse.

Mich hat in der 1. HZ insbesondere die Diziplin und Konsequenz Werders beeindruckt, mit der sie ihre defensive Kompaktheit durchgehalten haben und gleichzeitig planvolle Konter gespielt haben. Kann CV nur zustimmen, Skripnik zeichnet neben seiner klaren Linie ein zielführender Pragmatismus aus, wenn es gilt sich auf einen vermeintlich überlegenen Gegner einzustellen. Außerdem finde ich Fin Bartels einer Erwähnung wert. Ein Spieler aus der zweiten Liga, der definitiv eine Verstärkung ist und sich durchgesetzt hat bei Werder.

Gegen den ‚othodoxeren` FCA ist Werder nicht chancenlos, auch wenn die Augsburger sicherlich favorisiert sind. Ein Remis wäre durchaus ein Erfolg für Werder. Skripnik wird sich das Spiel gegen die SGE sicherlich sehr genau ansehen.

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Niemals Allein 10. Februar 2015 um 20:16

Ich habe nur die zweite Halbzeit gesehen, aber die war strange — Leverkusen hat erst so kompliziert gespielt, dass sie alle Chancen im dritten und vierten Pass vertändelt haben, und dann schlägt es plötzlich um und sie dreschen nur noch ungefährliche Flanken?!

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HK 10. Februar 2015 um 13:14

Skipnik hui, Schmidt pfui,CV liefert ab!

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Burkina Faso 2 10. Februar 2015 um 13:01

Prima Artikel. Knackig und lesenswert. Vielen Dank dafür und weiter so! 😀

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mrb 10. Februar 2015 um 09:17

Gute Analyse,
kein Zurücklesen nötig und alle beschriebenen Spielzüge sowie die daraus entstehenden Wechselwirkungen sind leicht nachvollziehbar .

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Gh 10. Februar 2015 um 08:20

Mal eine Frage zum Flügelspiel, dass ihr fast schon reflexhaft als ineffektiv bezeichnet: wann ist denn Flügelspiel für euch Flügelspiel? WIe weit bis zur gegenerischen Torauslinie muss man am Flügel kleben? Ich glaube Tuchel hat ja das Spielfeld im Training in eine Raute verwandelt, damit sich die Spieler vom Flügel lösen, aber wie siehts mit einer weniger extremen Beschränkung aus, z.B. ein Oktagon, dessen Spitze zum gegenerischen Tor weist?

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Gh 10. Februar 2015 um 08:21

Heptagon latürnich

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RM 10. Februar 2015 um 12:29

Eine Ellipse von Strafraumkante zu Strafraumkante ist ganz lässig oder auch das, was Fergie machte. Er hat ab Strafraumhöhe die Ecken diagonal zum Strafraumeck abgeschnitten.

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Daniellowitsch 10. Februar 2015 um 02:00

Danke für den kompetenten, nachvollziehbaren, interessanten Artikel. Kritik will ich an der Überschrift üben, lieber CV, das ist dann doch irreführend, vor allem auch für diejenigen, die den Artikel nicht lesen und nur die Überschrift vor sich haben.

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IchBinNichtMatthiasSammer 10. Februar 2015 um 02:09

Naja, ich finde die Überschrift sehr passend. Und wie bei Büchern muss die Überschrift nicht direkt verständlich sein. Deswegen liest man ja auch den Artikel und nicht nur die Überschrift.

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Frosch 10. Februar 2015 um 16:23

Jetzt dreht der Sammer ab… erwartest Du da nicht zu viel? Ich lese meist nur die Überschriften und die Bildunterschriften.

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Sebastian 19. Februar 2015 um 03:49

Deswegen liest man viele Bücher nicht, weil daneben Bücher nicht ganz so marktschreierisch per Titel anpöbeln.
Hier ist der Fall natürlich anders gelagert, weil auch schwächere Titel Qualität beinhalten und mit Dank gelesen werden. Also, Danke. Persönlich konnte ich das Spiel in einer sehr lauten Runde mit schlechter Sicht nicht so gut verfolgen, erwähnenswert erscheint mir aber, dass bis zum Gegentor und dann wieder bis zur Erlahmung der Kräfte in Hälfte 2, das schmidtsche Leverkusen doch sehr präsent war. In Rückschau auf das Hinspiel scheint der geschätzte Schmidt sich in der Hinsicht noch immer bei einem Tabellendominator aufzuhalten, der aber Rückschläge in der Bundesliga nicht beantworten kann,

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