Alte Dame zeigt Rossoneri kalte Schulter

3:1

Juventus gegen Milan ist in den letzten Jahren zu einem sehr ungleichen Duell geworden. Milan ist ein Klub im Umbruch und in vielen kleinen Krisen, während Juventus die Serie A überragt. Dieses Mal probierten die Rossoneri mit einer leicht instabilen und riskanten Taktik etwas aus, kamen dadurch fast in Schlagweite, aber mussten sich doch einem schlichtweg überlegenen Juventus geschlagen geben.

Milans interessantes und aggressives 4-3-3/4-3-1-2

Grundformationen

Grundformationen

Die Rossoneri starteten mit einem sehr riskanten und hohen Pressing. Dabei nutzten sie eine interessante Formation. In der vordersten Linie spielten die beiden Flügelstürmer gelegentlich asymmetrisch: Menez auf links spielte enger an Mittelstürmer Honda als es Rechtsaußen Cerci tat. Damit stellten Honda und Menez den Sechserraum zu und konnten flexibel auf die beiden Innenverteidiger Juventus‘ pressen, während Cerci sich eher um den linken Außenverteidiger des Gegners kümmerte.

Dadurch sollte die alte Dame im Aufbauspiel vermutlich auf den rechten Flügel gelenkt werden. Das Motiv dürfte die technisch enorm stark besetzte linke Seite Juventus‘ (Evra als Linksverteidiger, Pogba als linker Achter) gewesen sein. Desweiteren konnte man mit Menez und Honda vor dem Sechserraum die Passwege auf Pirlo besser verstellen und die Innenverteidiger des Gegners früher unter Druck setzen.

Um diese gelegentlich genutzte Asymmetrie zu balancieren, orientierte sich Muntari als linker Achter oft am rechten Außenverteidiger von Juventus. Kamen Pässe auf die rechte Seite, sprintete Muntari heraus und presste Padoin. Allerdings gab es auch breitere und orthodoxere 4-3-3-Staffelungen, in denen Muntari und Poli ihre Gegenüber Pogba und Marchisio mannorientiert verfolgten.

Dieses Pressing sorgte zwar für einige Balleroberungen im zweiten Drittel, insgesamt bespielte Juventus Milan aber ziemlich gut. Außerdem waren die Mailänder offensiv zu unstrukturiert, um der guten Defensive Juventus‘ Probleme zu bereiten. Die Offensivbewegungen waren unsauber. Das Ausweichen und Zurückfallen Hondas beispielsweise wurde nur selten mit passendem Timing von den Flügelstürmern balanciert, auch die Vorstöße der Außenverteidiger passten nicht ideal dazu.

Die Ballzirkulation passte ebenfalls nicht ideal zu Hondas Bewegungen, weswegen er häufig nicht ordentlich eingebunden wurde. Hierbei ist es – insbesondere bei geringem Ballbesitz, mittelmäßiger Zirkulation und ohne überragende Einzelspieler – für eine hohe Effektivität wichtig, dass die Spieler wissen, wann sich der Mittelstürmer in welche Zonen zurückfallen wird.

Beim FC Barcelona unter Tito Vilanova wurde zum Beispiel in einigen Spielen zusätzlich zur generellen Rollen- und Zonenverteilung das Wechselspiel zwischen Cescs Aufrücken und Messis Zurückfallen davon abhängig gemacht, in welchem Moment Xavi den Ball im Sechserraum erhielt. Sobald der Ball auf Xavi kam, ließ sich Messi Zurückfallen und Cesc startete nach vorne.

Letztlich scheiterte Milans Defensive aber ebenso wie die Offensive. Die offenen Räume im höheren Pressing, die geringe Breitenstaffelung und einzelne Probleme beim Herausrücken sowie schlichtweg die individuelle Brillanz Juventus‘ sorgten für ausreichend Möglichkeiten für die alten Dame.

Juventus‘ flexible und bewegungsfreudige Raute

Die Besetzung der 4-3-1-2/4-1-3-2-Formation bei Juventus ist von der Rollenverteilung und den Spielertypen her hervorragend, dazu besitzen die aufgestellten Spieler eine enorme individuelle Klasse.

Marchisio ist zwar ein unspektakulärer, aber intelligenter und unterstützender Balancegeber, der u.a. gut auf das Pressing und die Asymmetrie Milans reagierte, indem er gelegentlich auf den Flügel vor oder sogar hinter Padoin rückte. Pirlo auf der Sechs ist ein sehr starker Ballverteiler und Spielmacher, während Vidal auf der Zehn unglaublich viel läuft, das aber auch sinnvoll und nur selten kopflos macht, und immer wieder Räume öffnet oder geöffnete Räume dynamisch besetzt.

Pogba entwickelt sich sogar zum Schlüsselspieler der Raute. Er unterstützt Pirlo im Aufbauspiel, bewegt sich in der Mitte sehr gut und weiträumig, wodurch er flexibel Räume überlädt. Was seine Überladungen besonders gefährlich macht: Er kann sich jederzeit auch aus engen Räumen befreien oder sich im Dribbling durchsetzen, womit er Vorteile und Überzahl in höheren Zonen erzeugen kann.

Ein weiterer Spieler mit solchen Fähigkeiten ist Carlos Tevez. Über den Mittelstürmer wird zwar seit seinem Abgang von Manchester City kaum noch berichtet, doch an guten Tagen gehört er nach wie vor zu den besten seines Fachs. Er ist stark und engagiert in der Defensivarbeit, außerordentlich dynamisch sowie sehr kombinations- und dribbelstark. Ähnlich wie Pogba kann er flexibel Räume überladen und sich gegen Gegenspieler durchsetzen, was ihn zu einer Waffe macht. Mit Alvaro Morata als zweitem Stürmer gibt es einen tororientierten, ausweichenden und spielintelligenten Ergänzungsspieler, der Tevez mit den passenden Läufen unterstützt.

Eine solche Masse an guten Spielern im Verbund mit den sehr vielen Bewegungen und Überladungen ist schwierig zu verteidigen. Die Vorstöße der Außenverteidiger und das gute Aufbauspiel der Innenverteidiger runden das ganze ab.

Für die Defensivarbeit zitiere ich lieber jemanden, der das besser beschrieben hat, als ich es je könnte – Kollege Martin Rafelt aus seiner Analyse zur Partie gegen den SSC Neapel:

Die nominelle Raute wurde sehr flach und breit interpretiert, als 4-1-3-0-2 könnte man sagen. Vidal ordnete sich dann auch immer mal situativ neben Pirlo ein, sodass ein 4-4-2 entstand. Je nach Situation war auch ein aggressiveres 4-1-3-2, ein normales 4-3-1-2 oder im Nachrücken ein verschobenes 4-3-2-1 möglich. Durch das Herausschieben der Außenverteidiger oder Mannorientierungen der Halbspieler – und folgende ballferne Balancierung – entstanden sogar kurzzeitig 3-4-1-2- und 3-5-2-Ordnungen. Viele Telefonnummern, letztlich heißt das nur: Juve war kollektiv aufmerksam, reaktionsfähig und dabei gut abgestimmt. Auch die Pressinghöhe wurde in einem weiten Spektrum variiert.

Gegen Milan gab es dasselbe zu sehen inkl. einzelnen 4-3-3-Staffelungen durch einen aufrückenden Vidal. Letztlich stellte Pippo Inzaghi auch deswegen um.

Ein 4-2-3-1/4-4-2 für Milan

Beim Stand von 1:2 in der zweiten Spielhälfte wechselte Inzaghi Bonaventura für Poli ein. Aus dem 4-3-3/4-3-1-2, welches wegen der verletzungsbedingten Auswechslung Menez‘ für Pazzini ohnehin etwas unpassend war und anders interpretiert wurde, wechselte man zu einem 4-2-3-1. Essien kippte öfter heraus und zwischen die Innenverteidiger heraus, um sich Druck zu entziehen. Pazzini besetzte den Angriff, Cerci und Bonaventura besetzten die Flügel. Später kam auch noch Rami für Zaccardo, das System blieb aber gleich.

Verändern sollte sich aber nichts mehr – außer dem Ergebnis. Eine starke Aktion von Pogba führte direkt nach der Umstellung Inzaghis, welche wohl mehr Flügelpräsenz und Flanken ermöglichten sollte, zum 3:1 durch Morata. Spiel, Satz und Sieg.

Fazit

20:11 Schüsse für Juventus, die trotz bemühtem und keineswegs schwachem Milan das Spiel dominierten, souverän agierten und die Partie verdient gewannen. Juve hatte allerdings fast durchgehend die Oberhand, war taktisch wie strategisch sehr gut eingestellt und konnte damit die individuelle Überlegenheit auch in drei Punkte verwandeln. Inzaghis Milan leidet unter einzelnen Schwachpunkten und unsauberen Abläufen.

em es 8. Februar 2015 um 15:38

Mich würde zusätzlich auch eure arbeitsweise interessieren.
Verwendet ihr programme die laufwege und spielaktionen in 2 D aufbereiten ?
Wenn ja wo gibt es derartige ?

Zum Beispiel beim Bericht über Gertjan Verbeek im Zuge seines Wechsels zum Vfl Bochum hat Tim Rieke die einzelnen Stationen Verbeeks schaffen beleuchtet.
Hierzu wäre doch eine Datenbank an aufgezeichneten Spielen vonnöten.
Wie greift ihr also auf Spiele die weir on der Vergangenheit liegen zu ?
Beim Fernsehen?

Außerdem würde moch interessieren ob ohr den footballanager/meistertrainer von sega aus england kennt und was ihr von dem spiel haltet?

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Lenn 8. Februar 2015 um 21:56

Zu Sega: Ich hab gestern angefangen den 15er zu spielen (mMn. fehlt da ein größerer Fokus auf Räume und Situationen, eine Unterteilung des Spiels nach van Gaal fände ich ganz cool umsetzbar, allgemein ist es mir persönlich zu rollenorientiert), da gibt es doch ernsthaft „Raumdeuter“ (mit deutschem Namen) als Spielerrolle. Hatte da irgendwie SV die Finger im Spiel? Ist zwar eine ziemlich abwegige Vermutung, aber ich kann mich zumindest nicht wirklich daran erinnert, das Wort Raumdeuter zuvor irgendwo anders gehört zu haben.

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Peda 9. Februar 2015 um 19:47

Thomas Müller hat sich selbst als Raumdeuter bezeichnet und der Begriff ist deswegen in England nicht gänzlich unbekannt.

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em es 8. Februar 2015 um 00:25

Hoffentlich wird dann ein podcast erscheinen jedoch würde mich bereits jetzt interessieren wie ihr die chancen des bvb gegen juve einschätzt.
Wird ein podcast oder eine irgendwie geartete vorschau auf die achtelfinals erscheinen ?

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RM 8. Februar 2015 um 01:59

Ich verrate ein kleines Geheimnis: Wir planen für die CL-Achtelfinals etwas Größeres.

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