Sieg durch Verschlechterung
Wenn man einen schlechten Tag erwischt und mit dem Ball nicht gut genug ist, dann muss man wenigstens gegen den Ball…auch nicht so gut sein, wie man könnte! Diese Weisheit ist Quatsch, aber Lucien Favre ist das völlig egal. Dem VfB fällt seine Limitiertheit auf die Füße.
Stuttgart und Mönchengladbach kamen mit etwas überraschender Personalwahl aus der Winterpause. Bei Gladbach startete Johnson als Linksaußen und auch Hrgota startete, während Raffael nur eingewechselt wurde. Die Stuttgarter wechselten auf ein 4-1-4-1, welches zur Spielerwahl im zentralen Mittelfeld passte, aber auf den Flügeln ungewöhnlich – und ziemlich unpassend – besetzt war: Außenverteidiger Klein startete als Rechtsaußen vor dem eher defensiven Abwehrallrounder Schwaab, während Flügelläufer Hlousek sich als Linksverteidiger kaum nach vorne einschalten konnte.
6-Raute und Herausrücken
Gegen den Ball zogen sich die Stuttgarter in (oder kurz vor) die eigene Hälfte zurück und verteidigten sehr konsequent und abdrängend. Harnik formierte sich vor Werner, Leitner, Gentner und Klein im 4-1-4-1 mit Romeu zwischen den Linien. Im Mittelfeld gab es dabei viele kurze Mannorientierungen, die aber sehr lose gespielt wurden und nur als Orientierungshilfe dienten, anstatt um manndeckend Druck zu erzeugen.
Vor allem Klein und Werner orientierten sich sehr passiv an ihren Gegenspielern und fielen dadurch immer mal wieder neben die Viererkette zurück, zuweilen sogar ballfern. So gestaltete sich die Formation gewissermaßen als 6-1-2-1. Zwar gab es keine Sechserkette im Sinne der eigentlichen Staffelung, aber in den effektiven Mechanismen ähnelte es einer solchen. Die Lücken hatte Stuttgart zwischen Flügel und der Raute (Sechser-Achter-Stürmer).
Rückzugs- und Abdrängungsbewegungen in die Halbräume
Harnik versuchte Unruhe zu verursachen, indem er die Innenverteidiger seitlich anlief; teilweise unterstützte ihn auch ein herausrückender Achter. So wurde Gladbach zum vorhersehbaren vertikalen Spiel in die Halbräume gedrängt, wo nominell die Stuttgarter Schwachpunkte lagen. Nach dem Vorstoßen in diese Bereiche konnte die Stuttgarter Raute aber hinterherschieben und drängte Gladbach häufig weiter nach außen und stellte kompakte Überzahlsituationen her. Harnik konnte verlagernde Aktionen gegen diese Verschiebung oft im Rückwärtspressing unterbrechen oder bremsen.
Zudem rückten vor allem Schwaab und Baumgartl häufig in die Räume zwischen Flügel und Raute heraus, was wohl das stärkste Element der Stuttgarter Defensive war. Durch die Sechserketten-ähnliche Organisation waren diese Bewegungen sehr gut abgesichert. Gladbachs Offensivspieler kamen daher meist nur mit dem Rücken zum Tor in Freiräume und die Vorwärtsdynamik wurde immer wieder abgebrochen oder zumindest nach außen gedrängt.
Das eigentliche Zugriffsverhalten der Stuttgarter war dann nicht besonders gut, sodass die Fohlen vor allem in der Anfangsphase immer mal mit simplen Aktionen von außen zur Grundlinie oder an die Strafraumgrenze durchbrechen konnten. Im Laufe der ersten Hälfte wurde das aber immer seltener, da Gladbachs Offensivbewegungen ungewöhnlich unstrukturiert waren.
Problematische Bewegungsmuster bei Gladbach
Das begann schon im defensiven Mittelfeld, wo Xhaka und Kramer häufig sehr willkürlich gestaffelt waren. Die besten Szenen gab es, wenn die Innenverteidiger (wie häufig) nach rechts pendelten und Xhaka dann nach links kippte, sodass Kramer das Zentrum geöffnet wurde. Oftmals bewegte sich Xhaka aber stattdessen eher rechtsseitig oder Kramer positionierte sich tiefer, sodass sie sich etwas auf den Füßen standen Durch Stuttgarts Mannorientierungen ließen sich beide immer mal wieder kurzzeitig unabgestimmt zurückdrängen.
Dabei hatten sie auch das Problem, keine richtige Anbindung – und damit keinen Orientierungspunkt – zur Offensive zu haben. Raffaels Fehlen machte sich hier bemerkbar, da Gladbach die Präsenz im Zehnerraum fehlte. Hrgota ließ sich nur selten zurückfallen, Herrmann fokussierte sich auf Bewegung in die Spitze und Johnson agierte gemäß seiner Flügelspieler-Natur eher breit und unbeteiligt. So musste Max Kruse die Kreativräume weitestgehend alleine bespielen, doch hatte dabei diverse Probleme – zumal das keine optimale Rolle für ihn ist.
Bei Bewegungen durch den Zwischenlinienraum wurde er von Romeu verfolgt und die geschaffenen Räume wurden nicht angelaufen. Bei seinen häufigen Rückfallbewegungen in den linken Halbraum verfolgten ihn Schwaab oder Baumgartl. Wenn er sich doch einmal mit Ball nach vorne drehen konnte, waren die drei Angriffsspieler meist zu breit und unverbunden positioniert, während die Verbindung zu den Sechsern von der Stuttgarter Raute abgretrennt wurde. So gelang es Gladbach im Laufe der ersten Halbzeit immer seltener, gefährlich ins Angriffsdrittel einzudringen.
Stuttgarter Flügelfokus und zu seltene Pressingresistenz-Einbindung
Die Stuttgarter waren insgesamt aber noch um einiges ungefährlicher, da sie deutlich zu simpel ausgerichtet waren. Angesichts des sehr spielstarken Mittelfeldzentrums enttäuschte ihre vorsichtige, unkreative Herangehensweise. Sie ließen sich sehr leicht zum Flügel drängen und spielten dort billige Angriffe entlang der Linie. Vor allem die sehr defensiv besetzte rechte Seite war dabei sehr dominant – und demonstrierte ihre kreativen Defizite.
Die besten Szenen hatten die Gastgeber, wenn sie doch einmal spontan ihre zentralen Spieler eingebunden bekamen. Vor allem Leitner glänzte bei den wenigen Ballaktionen, in denen die Offensive vor ihm passend gestaffelt war, was hauptsächlich bei Kontern der Fall war. Er konnte dann entscheidend den Gladbacher Gegenpressing-Druck auflösen und die raumsuchenden Bewegungen von Harnik einbinden. Dieser attackierte vor allem die Räume hinter Wendt, während Werner dann ins Sturmzentrum zog.
Letztlich waren die Verbindungen zwischen den Stuttgartern aber viel zu rudimentär und auch in Phasen von größerer defensiver Stabilität gab es nur selten erfolgreiche Konter. Die tiefe Defensivausrichtung der Flügelspieler machte hier ebenso große Probleme wie die fehlende Präsenz im Zehnerraum und die technisch limitierte Spielerwahl auf der dominanten rechten Seite.
Favre spiegelt seine Formation…
Lucien Favre erkannte die Schwächen der Stuttgarter korrekt und holte mit simplen, aber cleveren Halbzeitänderungen den Sieg. Zum einen ließ er die Struktur des Aufbauspiels quasi spiegeln. Max Kruse bewegte sich nun hauptsächlich im rechten Halbraum, von wo aus er auch in der 66. Minute den wohl besten Spielzug anleitete, bei dem der starke Baumgartl das 1:0 gerade noch vor Hrgota verhindern konnte.
Diese Spiegelung zog sich auch entsprechend auf Xhaka, Kramer und die Flügelspieler durch, wobei diese innerhalb der zweiten Hälfte immer mal wieder hin und her tauschten. Aber grundsätzlich wurde Gladbachs Vorwärtsspiel etwas bewusster und klarer. Vor allem die Abstimmung zwischen Kramer und Xhaka war weniger wirr.
…und lockt den VfB mit gezielten Pressingfehlern
Entscheidend war aber Favres Anpassung gegen den Ball. Anscheinend verteidigte seine Elf nach der Pause gezielt schlechter: Kruse und Hrgota ließen immer wieder Wege ins Stuttgarter Zentrum offen und zogen sich auch nur inkonsequent mit zurück. So wurden die Schwaben nicht bereits in der ersten Linie auf den Flügel geleitet, sondern konnten vorerst etwas bessere Situationen erspielen mit einigem Raum für die Zentrumsspieler.
Der Trick: Mit diesen Situationen konnte der VfB nicht umgehen. Die Gladbacher Viererketten zogen sich sehr eng zusammen und Stuttgarts Besetzung des Zehnerraums war schwach oder nicht vorhanden. Dadurch mussten sie in der zweiten Aufbauphase trotzdem auf den Flügel spielen. Gladbach schob dann sehr kompakt hinterher und war durch eine etwas tiefere Grundposition sogar ein wenig besser gegen Bälle in die Tiefe abgesichert als im ersten Durchgang.
Durch den kontrollierteren Übergang in die zweite Aufbauphase wurde Stuttgart aber zum Aufrücken verleitet, wozu sie im ersten Durchgang meist gar nicht gekommen waren. So standen sie bei den folgenden Ballverlusten höher und geöffneter. Zudem konnten Hrgota und Kruse teilweise etwas eher und freier Räume suchen.
Resultat: Gladbach kam – anders als in Durchgang eins – zu Kontern. So fiel dann auch das Siegtor. Stuttgart versuchte mäßig organisiert ins Gegenpressing zu kommen, doch Gladbach spielte sich entlang der Seitenlinie durch. Hrgota dribbelte von links in die Mitte, Kruse zog Hlousek über den ganzen Platz und Herrmann sprintete in das entstehende Riesenloch, um frei den Ball zu versenken.
Fazit
Es war ein enttäuschendes Spiel zweier Mannschaften mit viel Potential, welches aber aus taktischer Sicht trotzdem durchaus interessant war. Wie konsequent Stuttgart verteidigte und passende Staffelungen suchte, war ein guter Aspekt; auch wenn die große Grundpassivität mit sehr laschem Pressingübergang verhinderte, dass es eine wirklich starke Defensivleistung wurde. Besonders wegen der Limitiertheit auf Konterangriffe waren diese Defizite sehr schwerwiegend.
Die fehlenden Ideen im Stuttgarter Aufbauspiel waren die größte Enttäuschung und wurden letztlich von Favre clever und entscheidend ausgenutzt. Das weniger intensive Pressing führte zwar auch zu diversen Stuttgarter Standards, die durchaus auch ein Tor hätten bringen können, allerdings war das im zweiten Durchgang dann auch die einzige Waffe des VfB. Dieser sollte sich in der Problemanalyse angesichts von nur einem Schuss auf’s Tor nicht all zu sehr auf Niedermeiers Abschlussschwäche fokussieren. Die Fohlen wurden ihren Ansprüchen zwar auch nicht gerecht, doch ließen zumindest erahnen, dass ihre Probleme eher mit der Spieldynamik zu tun hatten und weniger grundsätzlicher Natur waren.
14 Kommentare Alle anzeigen
Benito 2. Februar 2015 um 17:26
Hätten Stuttgarts Trainer das 4-1-4-1 der Iraner bei der WM gegen Nigeria gesehen, dann hätten Sie erkannt, dass dieses System auf diese Weise angelegt einfach nicht funktioniert, ausser man will mit bisschen Dusel ein 0-0 erkämpfen
HK 2. Februar 2015 um 15:27
Eigentlich ist die Analyse schon mit dem dritten Satz auserzählt. „Dem VfB fällt seine Limitiertheit auf die Füße.“
So kann man auch die ganze Saison der Stuttgarter zusammenfassen. Ich bin immer wieder überrascht, wenn im Umfeld des VfB von dem so beträchtlichen Potential der Mannschaft geredet wird.
Natürlich sind nicht alle Spieler schlecht, aber gibt es zumindest einen der mehr als biederer Durchschnitt ist??
Jahrelanges Lowperforming im Aufwand/Ertragsverhältnis muss sich eben irgendwann mal auswirken. Die Mannschaft wird vom Potential her seit einigen Jahren konsequent immer schlechter.
Gruß an Fredi Bobic! Außer dem HSV wurde wohl kein Traditionsteam so konsequent in Grund und Boden gemanagt.
MR 2. Februar 2015 um 16:03
„gibt es zumindest einen der mehr als biederer Durchschnitt ist?“
-> Gruezo, Romeu, Leitner, Sakai, Baumgartl, Werner, Maxim, Ibisevic, Didavi find ich in Form alle sehr stark und Bundesliga-Top6-Material. Gerade in dem Spiel war das mE eher taktische/strategische Limitiertheit als personelle.
HK 2. Februar 2015 um 16:42
Da gehört aber schon sehr viel guter Wille dazu.
Gruezo, Leitner, Baumgartl, Werner sind natürlich Talente. Aber das kann sich bei denen noch in jede Richtung entwickeln.
Sakai dachte ich auch mal. Jetzt nicht mehr.
Maxim hat tolle Anlagen. Aber noch nie über mehr als 2 bis 3 Spiele bestätigt.
Didavi theoretisch ebenfalls. Aber was nutzt es wenn er nie einsatzfähig ist.
Romeu ist für mich eine Enttäuschung. Er wirkt spielerisch sehr limitiert.
Ibisevic im Grunde ja, wenn er mal seine Form wiederfinden würde. Hat mich aber gewundert, dass er nicht begonnen hat.
Zusammengefasst würde ich sagen, dass da ein gewisses Potential ist. Aber im hier und jetzt würde kein einziger bei einem Top 6 Verein regelmäßig spielen.
IchBinNichtMatthiasSammer 2. Februar 2015 um 17:05
Gute Spieler können durch schlechte Einbindung zu leistungsmäßig schwachen Spielern werden. Gute Spieler können durch schlechte Spieler leistungsmäßig schwächer werden. Ergo können gute Spieler durch schlechte Einbindung und das Spielen mit schlecht eingebundenen guten Spielern zu sehr schlechten Spielern werden. Ein gutes Auge erkennt aber jene Fähigkeiten und Situationen, wo man das aufdecken kann. MR traue ich das zu.
Koom 3. Februar 2015 um 09:43
True. Sieht man ja vor allem bei ehemaligen Mainzern gut. Dort sind sie meist sehr gut eingebunden in einem harmonischen System, woanders müssen sie dann die Ich-AG sein und liefern. Holtby, Müller, Szalai – viele andere haben selten woanders das gebracht, was sie in Mainz gezeigt haben.
Kann man andersrum beim HSV sehen: Fast alle Spieler, die von dort weg sind, waren woanders plötzlich deutlich stärker.
MR 3. Februar 2015 um 08:25
Ich seh bei Baumgartl nur eine mögliche Entwicklungsrichtung, bei Werner höchstwahrscheinlich auch, Leitner ist sehr einbindungsabhängig, aber bei passender Einbindung schon sehr weit und Gruezo ist für mich bereits internationale Klasse.
Dass du Romeu für spielschwach hältst, kann ich nicht nachvollziehen.
HK 3. Februar 2015 um 10:52
Vieles richtig was zum Thema Einbindung usw. gesagt wird.
Hat aber wenig mit der Situation in Stuttgart zu tun. Ich halte es da mal mit Labbadia der sinngemäß äußerte: Wenn ich in fünf Jahren viermal gegen den Abstieg spiele, dann kann ich das nicht mehr allein auf Trainer, Taktik oder Pech zurückführen. Dann muss ich irgendwann auch die Qualitätsfrage stellen.
Meine Formulierung von in jede Richtung entwickeln ist wörtlich genommen natürlich nicht haltbar. War vielleicht mißverständlich. Ich gehe auch davon aus, dass Baumgartl und Werner mit 22/23 besser sind als heute. Ist ja auch im Regelfall so.
Was ich sagen wollte, ist dass man heute schwer beurteilen kann wieweit sie ihre Entwicklung führt.
Ordentlicher BL-Spieler, Nationalspieler, Überflieger? Heute sind sie auf jeden Fall noch keine Überflieger. Und da wir grundsätzlich von der Situation des VfB heute sprechen, nutzt das wenig wenn jemand vielleicht in drei oder vier Jahren Weltklasse ist.
Burrinho 2. Februar 2015 um 13:23
Sehr sehr schöne Analyse. Macht schlicht weg richtig Spaß zu lesen!
Ganz neben bei versteht man das Spiel und lernt die Spieler kennen. Baumgartl ist übrigens der Hammer.
MR 2. Februar 2015 um 16:10
Yap, hat mich auch sehr beeindruckt. Hab große Augen gemacht, als ich gesehen hab, dass er echt erst 18 ist. (Und ich das tatsächlich nicht einfach falsch im Kopf hatte, haha.)
Koom 2. Februar 2015 um 16:13
Vielleicht wächst er noch zum vollständigen Baumgartlinger heran. 😉
rodeoclown 2. Februar 2015 um 17:59
Wenn Stevens ihm genügend Sonderbonbons gibt bin ich da zuversichtlich! Oder brauchts einenen Mondstein?
schmellkreutz 2. Februar 2015 um 13:15
Kleine Anmerkung: ich denke Gladbach hat gewonnen.
AlanS 2. Februar 2015 um 16:23
Super Analyse!