Rodgers gegen Martinez – und trotzdem klassisch Englisch

1:1

Im Merseyside-Derby trennen sich Liverpool und Everton mit einem Unentschieden.

Liverpools Probleme im Pressing helfen Evertons Spielaufbau

Trotz vielfacher Versuche den Gegner schon an deren Strafraum zu stellen, hatte Liverpool kein effektives Pressing innerhalb der gegnerischen Hälfte. Nominell pressten sie in einem 4-4-1-1; Balotelli agierte als Mittelstürmer vor Lallana, während Markovic und Sterling über die Flügel kamen. Diese vier Spieler versuchten sich teilweise höher zu positionieren, aber wurden kaum unterstützt und agierten auch als Mannschaftsteil nicht allzu harmonisch. Selten standen Lallana und Balotelli in den richtigen Abständen; anstatt in einer diagonalen Linie zu verschieben, einen Passweg zu öffnen und dann dorthin zu leiten sowie daraufhin zu pressen, spielten sie vielfach in einer vertikalen Linie und bewegten sich nicht passend zueinander. Die Flügelstürmer standen zu breit und orientierten sich zu sehr an den gegnerischen Außenverteidigern, die wiederum relativ hoch und breit standen. Offensivkompaktheit bei Liverpool: Null.

Erschwert wurde dies durch das mangelnde Nachrücken der Mittelfeldspieler und der Abwehr bei den Reds. Vereinzelt pressten Lallana und Balotelli am gegnerischen Strafraum auf Barry und die Innenverteidiger, die Flügelstürmer hingen irgendwo zurück und an der Auslinie, die Sechser Henderson und Gerrard standen 10-15 Meter vor der Mittellinie und die Abwehr außerhalb des Bildrands; also klar 10-15 Meter hinter der Mittellinie. Abstand zwischen den Linien je 25-30 Meter. Ein ordentliches Angriffspressing ist damit nicht zu spielen.

Grundformationen

Grundformationen

Dadurch dominierte Everton den Ballbesitz. Sie hatten außerdem einige interessante Aspekte in ihrem Positionsspiel, wo sie Barry sehr weit abkippen ließen, einige Seitenwechsel nutzten und sich mit Ball sehr häufig in einer Art 3-4-3 positionierten. Die weiten Räume, die Liverpool ihnen überließ, sorgten für sehr einfaches und stabiles Zirkulationsspiel im ersten Drittel, was Everton einen Ballbesitz von über 60% in den ersten 45 Minuten bescherte. Liverpool konnte nie Druck machen, während Evertons Raumaufteilung als solche überaus gut war und sie die offenen Räume intelligent besetzten.

Probleme gab es dann ab dem zweiten Drittel.

Improvisierte Offensivstrukturen, Everton mit gutem Plan, Liverpool mit mehr Chancen

Naismith als situativ zurückfallender und ausweichender Mittelstürmer, Mirallas als diagonal in die Tiefe startender Brecher der Abwehr und Lukaku als Zielspieler gegen Alberto Moreno auf dem Flügel – drei ganz gute und sinnig klingende Ideen. Effektiv war das nicht, weil die beiden Sechser zu weit weg waren von ihnen, die langen Bälle auf Lukaku zu früh kamen, wodurch er keine Unterstützung hatte und Naismith isoliert kaum gefährliche Schnittstellenpässe auf Mirallas (oder Lukaku) spielen konnte. Die Geschwindigkeit des Aufrückens bei Everton war nicht ordentlich abgestimmt, wodurch sie selten mit vielen Spielern kompakt in Ballnähe diesen in höheren Zonen kontrollieren konnten. Ihr gutes Positionsspiel im ersten Drittel schien im letzten zu verschwinden.

Defensiv gab es etwas Ähnliches zu sehen. Nominell spielte Everton in einem 4-3-3; gegen den Ball sollte es vermutlich ein 4-1-4-1/4-5-1 sein, doch meistens wurde es ein sehr asymmetrisches 4-4-1-1/4-1-3-2, in welchem Lukaku sich auf seiner rechten Außenbahn höher positionierte als Mirallas auf links. Grundsätzlich war die Idee – falls es so geplant war – hervorragend. Lukaku stand nominell relativ breit und leitete das Spiel auf die andere Seite, weg vom hervorragenden Moreno auf den noch unerfahrenen, jüngeren Manquillo; und auch weg vom hervorragenden Sterling. Der tiefe Miralls und die drei Akteure neben ihm hätten dann sehr kompakt unterstützen und durch das Leiten schon früh auf der Seite stehen können. Umgesetzt wurde diese Spielweise aber sehr unsauber.

Die Vertikal- und Horizontalabstände waren zu groß, wodurch Liverpool sich einerseits auf der rechten Seite oftmals befreien und in die Mitte spielen konnte und anderseits um Lukaku herum passen und dadurch die linke Seite ins Spiel bringen konnte. Dadurch kam Liverpool auf das Loch auf der Lukaku-Seite und wurde auch nicht auf der rechten Seite isoliert; hinzu kam die Spielweise Liverpools. Sie überluden die linke Außenbahn mit Sterlings Einrücken, Lallanas Unterstützung und Balotellis Ausweichen. Diese Spielweise war aber zu simpel und nicht harmonisch, was sich erst in der zweiten Halbzeit ändern sollte.

Liverpools erhöhte Intensität in Hälfte Zwei beseitigt eigene Probleme und Evertons Stärken

Prinzipiell kann man über die erste Halbzeit sagen, dass Liverpool einzelne Halbchancen hatte, Everton gar keine, dafür aber etwas mehr vom Spiel und eine potenziell bessere Spielanlage, die sie gar nicht ausnutzten. Nach dem Seitenwechsel veränderte sich dies aber. Brendan Rodgers gab seiner Mannschaft wohl die Vorgabe höher und aggressiver zu pressen; durch die erhöhte Intensität schoben die Mittelfeldspieler und Verteidiger höher nach vorne, was die Kompaktheit erhöhte. Auch in eigenem Ballbesitz war dies der Fall. Liverpool lief sich besser frei, bewegte sich insgesamt mehr und konnte dadurch Evertons Defensive besser bespielen.

Besonders auffällig waren hierbei die kleinen taktischen Auswirkungen durch personelle Umstellungen bei den Reds. Zuerst schob Rodgers Markovic auf links und Sterling ging auf rechts; nach circa einer Stunde ging aber Sterling wieder auf links und Coutinho kam auf rechts für Markovic. Dies war womöglich in puncto Spielgeschehen der entscheidende Wechsel. Coutinho und Sterling rückten sehr weit in die Mitte ein, besetzten die Halbräume und auch die Mitte häufig, Balotelli beteiligte sich mehr an den Kombinationen im Zwischenlinienraum und Lallana agierte als Balancespieler; vereinzelt übernahm Lallana auch die Rolle als Außenspieler und Sterling konnte dann zentral wirbeln.

Evertons einzige große Stärke, der tiefe, aber stabile und lockende Ballbesitz mit den (schlecht ausgespielten) Vertikalangriffen, wurde dadurch aus dem Spiel genommen. Liveprool presste höher, hatte eine ganz andere Intensität und war in eigenem Ballbesitz deutlich stärker, wodurch sie den Ball auch in höheren Zonen länger halten konnten. Mit dem Treffer Gerrards fiel das Spiel wieder etwas zurück auf den vorherigen Rhythmus, aber nun natürlich mit einem strategischen Vorteil für Liverpool. Die Hausherren kreierten nun auch häufiger 4-5-1-ähliche Staffelungen und Everton kam kaum zu Angriffen. Auch der Wechsel Eto’os für Besic brachte keine wirkliche Veränderung. Letztlich brachte ein Tor in der Schulssminute von Innenverteidiger Jagielka den Ausgleich.

Fazit

Für englische Verhältnisse womöglich sogar ein gutes Spiel aus taktischer Perspektive, obgleich sowohl Everton als auch Liverpool in puncto vertikaler und horizontaler Kompaktheit sowie den Abläufen im Pressing nicht mit dem europäischen Spitzenniveau mithalten können. Lange Zeit war es ein sehr schwieriges Spiel, welches von den vielen Halbchancen Liverpools und Evertons tiefem, ungefährlichem Ballbesitz dominiert wurde. In der zweiten Halbzeit mit höherer Intensität und letztlich der Umstellung mit Sterling fast durchgehend im Zehnerraum wurde Liverpool besser und hätte das Spiel verdient gewinnen können.

Einzig die Frage, ob Rodgers seine zwei Stürmer bewusst in einer vertikalen Linie pressen ließ, bleibt offen. Taktiktheoretisch ist dies eine interessante Frage – wollte man die Abstände der beiden eng halten, um situativ den Gegner auf die Seite zu leiten und dann mit zwei Spielern sofort pressen und die gesamte Mitte abdecken zu können? Oder war es schlichtweg ein schlecht organisierter Ablauf und unklaren Positionierungen bei den beiden?

SVH 29. September 2014 um 15:31

Ich war nach dem Spiel ziemlich enttäuscht. Mich hat vor allem gewundert, dass bei Everton praktisch überhaupt kein Pressing vorhanden war.
Liverpool mag es zwar versucht haben, hatte aber eigentlich keinen Zugriff bzw. Ballgewinne im zweiten oder letzten Drittel, um dann schnell nach vorne zu spielen. Kann mich nur an eine Szene erinnern in der Barry im Aufbau den Ball verliert und es dann etwas gefährlich wurde. Wenn ich mich richtig erinnere, war das jedoch nicht die Folge kollektiven Pressings von Liverpool, sondern eher ein Fehler von Barry, der sich im falschen Moment aufdreht. Mag wahrscheinlich auch mit dem im Artikel erwähnten guten Positionsspiel von Everton zu tun haben.
Ist es eigentlich typisch für die BPL, dass so wenig Wert auf das Pressing gelegt wird? Verfolge die Liga nicht wirklich…

Antworten

blub 28. September 2014 um 01:23

ein Interessantes Spiel. War ja bie MArtinez und Rodgers nicht anders zu erwarten.

Ein 4411 mit vertikal angeordneten stürmern finde ich recht interessant, weil man besonders gegen ein abgekippte 3-1 stellung bei richtigem rhythmus sehr krass auf einer seite isolieren kann.
Der stürmer jagt in der vordersten linie von einer seite auf die andere und der 10er isoliert dem verbliebenen sechser. Die Flügelspieler bleiben erstmal tief und antizipieren bei pässen in den halbraum und auf die AVs. Ich fänds cool wenn das mal jemand ausprobiert. Nur ist Balotelli dafür eher nicht der passende stürmer.

Antworten

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*