Fokusverlagerung: Young Bafana Soccer Academy U15
Auf Spielverlagerung liest man meistens von der Elite des Weltfußballs – und der englischen Liga. Profifußballer trainieren über Jahre hinweg nahezu täglich stundenlang und erreichen ein – im Vergleich zur breiten Masse – absurdes Leistungsniveau; taktisch, spielerisch, physisch. Dieses Mal wollen wir uns bei Spielverlagerung darum einem anderen Thema widmen. Wie spielt eine Mannschaft mit infrastrukturellen Hindernissen? Wie sieht der Fußball in Afrika aus? Und was machen eigentlich Jugendmannschaften taktisch?
In dieser kurzen Mannschaftsanalyse versuchen wir alle drei Fragen zu beantworten. Doch zuerst stellen wir die Mannschaft hinter der Analyse kurz vor.
Das Projekt: „Young Bafana Soccer Academy“
Die Young Bafana Soccer Academy wurde im Jahr 2010 in Somerset West (40km außerhalb Kapstadt) gegründet. Seit dem Anfang dieses Projekts steht das Ziel, dass fußballerische Potenzial der Gegend besser auszuschöpfen, da es in der näheren Umgebung keine richtige Fußball-Ausbildungsstätte gibt. Somerset West und Umgebung hat allerdings drei Townships (Armenviertel), wo es sehr viele junge Fußballspieler mit Potenzial gibt. Für diese Jungs war es sehr schwierig, ordentliches Fußballtraining zu bekommen, da es das zuvor nur in Kapstadt Ausbildungsstätten gab und die Entfernung für viele Jugendliche aus Somerset einfach zu weit war. Diese Lücke wollte Young Bafana schließen.
Seit Anfang dieses Jahres hat die Akademie nun eine kleine Partnerschafft mit TP Mazembe (3x Afrika-Meister aus dem Kongo) und kann sich nun voll und ganz auf die Entwicklung der Spieler konzentrieren. Diese bekommen bei Young Bafana tägliches Training sowie Essen und Hilfe mit den Schularbeiten. Also auch aus sozialer Perspektive ein sehr löbliches Projekt. Es hat auch bereits einige kleine Erfolge vorzuweisen, unter anderem gewann die U15 in ihrem ersten Jahr direkt die Meisterschaft in ihrer Liga. Für Young Bafana ist es außerdem am Wichtigsten, dass sich die Spieler sowohl fußballerisch als auch außerhalb des Fußballs weiterentwickeln.
Weiter Infos unter www.youngbafana.com oder auf Facebook (Young Bafana hhh Soccer Academy).
Südafrikanischer Ballbesitzfußball
Sofort fällt auf, dass die Young Bafana Soccer Academy nicht direkt versucht in die Spitze zu spielen und sich durchaus um das Halten des Balles, eine intelligente Ballzirkulation und das Ausüben klarer offensiver Verantwortungen wie Mechanismen bemüht. Ein Vorurteil sowohl gegenüber dem Jugend- als auch dem afrikanischen Fußball ist die unterstellte Ignoranz gegenüber taktischen Abläufen, der Fokus der Improvisation und des Individualismus. Bei der Young Bafana Soccer Academy wird beispielsweise klar darauf Wert gelegt, dass über die Ballzirkulation schon im ersten Drittel und auch bei gegnerischem Pressing das Angriffsspiel möglichst konstruktiv und mit flachen Kurzpässen eingeleitet wird.
Es gibt zwar kein herausragendes Positionsspiel mit dem bewussten Öffnen von Räumen, mit komplexen Synergien durch Rochaden oder ähnliches, doch alles in allem weiß der Ansatz zu gefallen. Der halblinke Achter im 4-1-4-1/4-3-3 lässt sich gerne zurückfallen und unterstützt den Sechser, sie bilden gemeinsam dann situativ eine Doppelsechs, kümmern sich um die Ballzirkulation und der Achter versucht häufig auch mit direkten Läufen in die Spitze und Dribblings Raumgewinn zu erobern.
Das eigentliche Angriffsspiel selbst ist aber eher flügelorientiert. Beide Außenverteidigerpositionen wie auch die Flügelstürmerpositionen sind individuell am besten besetzt, der zentrale Sechser ist zwar ebenfalls technisch und taktisch sehr stark, kümmert sich aber eher umsichtig und zurückhaltend um die Ballzirkulation. Interessant ist die rechte Seite: Siphosethu Matyobeni als Rechtsverteidiger und Siphamandla Tima als rechter Flügelstürmer können auch auf engem Raum flexibel miteinander kombinieren. Matyobeni ist gut im Timing seiner Aufrückbewegungen, sehr gut gegen den Ball (besonders im Gegenpressing) und stabil im Kombinationsspiel. Vereinzelt geht er sogar in Richtung Halbraum und bietet sich dort in engen Situationen an.
Schlüsselfigur im Offensivspiel ist aber Tima. Auf der rechten Außenseite kann er sich sowohl in Richtung Grundlinie durchsetzen als auch zuvor schon in Richtung Mitte ziehen. Er ist sehr gut im Dribbling, gleichzeitig aber ein kreativer Passgeber und sehr kombinationsfokussiert; im Grunde eine weniger explosive Variante von Southamptons Sadio Mané. Potenziell wäre Tima vermutlich ein sehr starker Zehner oder gar Neuner, der durch seine Fähigkeiten im Kombinationsspiel, sein Ball- und Spielgefühl sowie seine guten Bewegungen für hohe Durchschlagskraft sorgen könnte.
Sein Gegenüber ist etwas simpler, sehr invers und auf Abschlüsse oder Pässe nach horizontalen Läufen bedacht; grundsätzlich besteht das Offensivspiel also aus Vertikalsprints von der Sechs, Flügelüberladungen, der individuellen Klasse der Flügel und einer mangelnden Präsenz des Mittelstürmers und des zweiten Achters, der sich häufig im Zehnerraum wiederfindet. Dabei ist er individuell keineswegs schwach, sondern wird schlichtweg aus taktischen Gründen nicht ordentlich eingebunden.
Das Ballbesitzspiel besitzt nämlich durchaus einige Aspekte, die man gerne mit dem afrikanischen Fußball verbindet. Die Abstände zwischen den Spielern sind zum Beispiel nicht immer harmonisch. Die Flügelstürmer und Außenverteidiger stehen zu eng aneinander, die Außenverteidiger wieder zu eng an den Innenverteidigern, welche beim Auffächern etwas breiter sein müssten. Diese Suche nach der Balance in den Verbindungen ist aber wohl normal für diese Altersgruppe. Der Mittelstürmer lässt sich auch bisweilen zu sehr zurückfallen, ohne sich dabei aber effektiv freizulaufen und ohne die passenden Läufe um ihn herum, damit dieser Mangel an Tiefenverlust kompensiert wird.
Diese teilweise zu engen Kombinationen sorgen für komplexe Situationen, wo die Freilaufbewegungen nicht mehr effektiv sind. Besonders Lindhikaya Maqengu auf der offensiven Acht hat hier einige Male Probleme, weil ihm der Bewegungsradius in der offensiven Mitte sowohl von seinem Mittelstürmer als auch von den dann aufrückenden Gegnern verschlossen wird. Diese Probleme in den Verbindungen werden gepaart mit situativer (und hierbei unpassender) Weiträumigkeit in der Entscheidungsfindung und im Passspiel. Sihle Peter auf der defensiven Acht ist ein Beispiel hierfür; er überrennt teilweise dann das gesamte Mittelfeld oder versucht direkte tödliche Pässe aus dem Sechserraum, obwohl die Staffelungen dafür vorne nicht passen. Auch Lindhikaya oder die Innenverteidiger geraten in komplexeren und in Drucksituationen ebenfalls zu häufig wegen ihrer vorherigen Koordination in die Bredouille und spielen dann lange, blinde Pässe zum Gegner, ins Aus oder mit Glück zu einem Mitspieler (oder mit Pech auf den hierbei trotz seiner Physis etwas überforderten Mittelstürmer).
Diese Mischung aus individuell sehr unterschiedlichen Spielertypen, der früheren Vereinszugehörigkeit bei einem anderen Klub oder auch der Mangel an Aktivität auf dem Großfeld führt zu diesen leichten Dysharmonien, obwohl die grundlegende Strategie und Spielweise sowie das Talent einiger dieser Spieler wahrlich beeindruckend sind. Das teilweise suspekte Auffächern und die schwankenden Abstände zwischen den Spielern sorgen dann für ein inkongruentes und inkonstantes Kurzpassspiel. Defensiv gibt es ähnliche Stärken und Schwächen aus den gleichen Ursachen.
Eine potenzielle Pressingmaschine
Ob die Blaupause für diese Spielweise der FC Barcelona darstellt? Auch gegen den Ball gibt es strategische Ähnlichkeiten. Die U15 der Young Bafana Soccer Academy presst schon sehr früh, sehr hoch und sehr aggressiv. Dieses tiefe Angriffspressing startet schon bei den gegnerischen Verteidigern und wird von eigentlich allen Spielern praktiziert; als Grundlage dient das 4-3-3, doch aus dem 4-3-3 heraus entstehen häufig andere Staffelungen. Meistens ist es ein 4-1-4-1, in welchem der Sechser weite Räume abdeckt, da die Achter und die Flügelstürmer sehr hoch stehen.
Das ist allerdings überraschenderweise kein so großes Problem, wie man glauben möchte. Die Young Bafana Soccer Academy steht nämlich relativ kompakt da und setzt diesen strategischen Aspekt schon besser um als manche Teams aus der englischen Premier League. Durch die Kompaktheit können dann auch die ballnahen Außenverteidiger sehr hoch pressen, agieren aggressiv und antizipieren viel. Wie mit Ball stehen sie auch ohne Ball eng am Flügelstürmer, sichern hinter ihm ab und können sofort Druck machen, wenn der Gegner den Ball am Flügel herauskombinieren möchte. Teilweise gibt es sogar kurzzeitige 2-3-2-3-Staffelungen, meistens aber bleibt der ballferne Außenverteidiger tiefer und der zentrale Sechser hilft mit.
Auffällig ist, dass die Mannschaft eine etwas desorganisierte Mischung aus Mann- und Raumdeckung hat. Grundsätzlich versuchen sie ihre Positionen einzunehmen und aus dieser heraus aggressiv zu pressen, kollektiv ballorientiertes Verschieben wird auch praktiziert, doch in einzelnen Situationen verschieben sie (unpassend) mit dem nächsten Gegenspieler mit oder manndecken diesen für kurze Zeiträume. So weichen die Innenverteidiger häufig etwas unpassend nach vorne in den Zwischenlinienraum, verbleiben dort etwas zu lange und die Kette dahinter schließt das entstehende Loch nicht dynamisch. Gleichzeitig gibt es aber auch Aktionen, wo sie sehr gut und präsent sind im Herausrücken und zentral Räume dadurch gut abdecken können.
Hier zeigt sich auch, dass einige der Spieler schlichtweg noch kaum ein geschultes Verständnis für das Defensivspiel auf Großfeld haben, dieses aber langsam entwickeln und an sich ein gutes Spiel gegen den Ball haben.
Beeindruckend ist zum Beispiel die Flexibilität im defensiven Umschaltmoment. Es wird gegengepresst und das auch außerhalb der eigentlichen Zone heraus; nach fehlgeschlagenen Angriffen sind die Flügel durchaus harmonisch, der Außenverteidiger setzt seinen Lauf oft fort, presst und wird intelligent vom Außenstürmer abgesichert. Einzig die Konstanz in der Intensität nach Ballverlusten ist noch klar verbesserungswürdig, da diese nicht immer vom gesamten Kollektiv in der passenden Dynamik ausgeübt wird – was man wohl bei 12 bis 14jährigen auch nicht erwarten kann.
Fazit
Eine interessante Mannschaft mit einer interessanten Hintergrundgeschichte. Im Weltfußball sind sie taktisch nichts Innovatives – doch ihre Umsetzung in Relation zu ihren Strukturen und ihrem Alter ist durchaus bemerkenswert. Das hohe Pressing, die durchaus vorhandene Kompaktheit, das Spiel mit Viererkette, herausrückendem Torwart, auf Ballbesitz mit Kurzpass und die versuchte Kollektivität des Ganzen machen durchaus Spaß zum Zuschauen. Man darf gespannt sein, wie sich die Young Bafana Soccer Academy in den nächsten Jahren entwickelt.
Nachtrag: Nur wenige Stunden nach Beendigung des Artikels und ein paar Stunden vor der Veröffentlichung spielte Rechtsaußen Tima als Zehner; beim 5:2 steuerte er vier Vorlagen und ein Tor bei, Young Bafana spielte im 4-2-1-3 und Tima konnte im linken Halbraum mit Shumane interessante Synergien und eine gewisse offensive Asymmetrie erzeugen.
8 Kommentare Alle anzeigen
nizi90 8. September 2014 um 12:24
Vielen Dank für so Artikel! Hab eben auch den über die Halbräume gelesen. Sowas geht mir richtig ab, zumal ich selber schon im südlichen Afrika war und dort mit Kindern Fussball gespielt habe. Nochmal Vielen Dank!
Fabi 4. September 2014 um 14:40
Du schreibst, dass du mit dem Trainer dort in Kontakt stehst. Dann erwähnst du in deinem Artikel, dass Tima auf der Zehn interessant sein könnte…
Kurz darauf spielt er auf ebendieser Position und das scheinbar hervorragend, wie du in dem Nachtrag anmerkst.
Ist diese Idee von dir ausgegangen?
Super Artikel! Gerne mehr dieser Art, solange der Profifußball Hauptthema bei SV bleibt!
RM 4. September 2014 um 15:40
Lustigerweise nicht; ich habe ihm das vorgeschlagen und er meinte, dass er sich das auch schon überlegt hatte, dann wurde es direkt umgesetzt und funktionierte. Nächstes Spiel gibt es eventuell eine noch extremere Nutzung Timas…
Vanye 4. September 2014 um 01:36
Vielen Dank dafür, sowohl den afrikanischen Fußball, als auch Jugendakademien zum Thema bei Spielverlagerung zu machen.
Ich finde es interessant, dass die Analyse sich nicht soviel anders liest, als bei den Großen. Ist der Unterschied lediglich die Präzision und Schnelligkeit mit der das Konzept ausgeführt wird? Du beschreibst ja, dass die Abgestimmtheit bei Profimannschaften durchaus auch manchmal fehlt.
Leider kam für meinen Geschmack die zwei Fragen „Wie spielt eine Mannschaft mit infrastrukturellen Hindernissen? Wie sieht der Fußball in Afrika aus?“ etwas zu kurz im Beitrag. Ich hätte es auch schön gefunden, mehr zm Gesamtkonzept zu erfahren. Versucht man die Kinder „nur“ von der Straße zu holen, oder gezielt für die Profimannschaften in Südafrika oder die Nationalmannschaft aufzubauen.
Ich kann zu dem Thema generell nur das Buch von Christian Ewers „Ich werde rennen, wie ein Schwarzer, um zu leben, wie ein Weißer“ empfehlen, welches unter anderem über eine erfolgreiche Jugendakademie in der Elfenbeinküste, oder die Schwierigkeiten von Ajax eine Jugendakademie in Südafrika aufzubauen berichtet:
http://ballwhistlepaper.wordpress.com/2014/06/21/ich-werde-rennen/
blub 4. September 2014 um 01:24
Coole sache. wo hast du bilder gefunden? oder hat SV inzwischen genug kohle für vor-ort recherche? 😉
RM 4. September 2014 um 02:22
Stehe mit dem Trainer in Kontakt, er hat geholfen. 🙂
@Vanye: Ich leite mal die Frage weiter.
blub 4. September 2014 um 11:49
Heißt das deas du videos von ihm bekommen hast oder du hattest bilder und er hat dir was über die spielertypen erzählt, oder wie?
Oder ist das am ende die analyse des trainers in deinen worten?
RM 4. September 2014 um 15:41
Ich habe ein Video geschickt bekommen, mir das Video angekuckt und mit ihm darüber dann diskutiert, die Meinungen waren ziemlich ähnlich. Nein, ist nicht seine Analysen in meinen Worten, sondern die meine, garniert mit Hintergrundinfos von ihm (Namen, Nummern, Infos über das Projekt, etc.).