Bayer 04 Leverkusen – Hamburger SV 5:3
Bayer Leverkusen und der HSV: Ein schwer vorhersehbares Duell. Vor Spielbeginn hatte ich noch gerätselt, wie die Hamburger und Bert van Marwijk mit Leverkusen umgehen würden, immerhin spielen die in der Bundesliga einen relativ einzigartigen Fußballstil.
Können Hakan Calhanoglu, Tolgay Arslan und Milan Badelj die engen Räume und die Bewegungen des Leverkusener Verschiebens umspielen und Pierre-Michel Lasogga und Rafael van der Vaart in Stellung bringen? Ist Leverkusens Ausrichtung etwas instabiler geworden und kann dies bespielt werden? Wie gefährlich werden Son und Sam bei Kontern über die Flügel sein? Was machen die Hamburger in der Defensive unter dem neuen Trainer Bert van Marwijk, kann er seine Vorstellungen schon stabil in die Mannschaft bringen?
Mit dem Versuch der Beantwortung der letzten Frage beginnen wir den Artikel.
Hamburgs Pressing
Die Hamburger begannen mit einem 4-4-2, welches positionsorientiert und relativ hoch gespielt wurde. Die drei Bänder agierten eng aneinander, dabei war das Mittelfeld ziemlich breit angelegt, während die Abwehr überaus eng stand. Offensiv orientierten sich die beiden Mittelstürmer eher am Sechserraum und gingen dann situativ in ein Angriffspressing über, wo sie sich dann aggressiv an den Innenverteidigern orientierten und diese anliefen. Obwohl es eine positionsorientierte Raumdeckung war, gab es also einige mannorientierte Elemente. Diese waren nicht nur auf die Stürmer begrenzt.
Auch die Außenstürmer schoben immer wieder kurz nach vorne und versuchten Pässe zu antizipieren, um bei erfolgtem Pass den Gegner sofort unter Druck setzen zu können. Am interessantesten war dieses Herausrücken aber bei den Sechsern. Diese rückten nach vorne und der ballnahe bewegte sich vereinzelt in Richtung der offenen Flügelräume des 4-4-2 in der Offensive, wo sie dann kollektiv Druck erzeugten, während der zweite Sechser die Mitte sicherte.
Defensiv stand man dadurch kompakt in einem passiven Mittelfeldpressing, konnte aber je nach Situation in ein kurzzeitig sehr aggressives Angriffspressing übergehen oder sich zurückfallen lassen und in einem kompakten 4-4-2-Block in der eigenen Hälfte stehen, an dem sich auch die beiden Stürmer beteiligten. Dies funktionierte zumindest ansatzweise sehr gut, wirklich problematisch waren eher die Umschaltmomente.
Hier kommen Son und Sam sowie die Stabilität der Hamburger Defensive ins Spiel.
Offener Flügel, unpassende Staffelungen und Leverkusens Defensive
Im Offensivspiel lässt der Hamburger SV fast schon traditionell die Außenverteidiger enorm weit nach vorne aufrücken, in diesem Spiel war es allen voran Marcell Jansen, der über die linke Seite nach vorne kam. Dies lag auch an seinem Vordermann: Hakan Calhanoglu ist ein hochtalentierter und kreativer Spieler, der sich vom Flügel immer wieder in den linken Halbraum und in die Mitte fallen lässt, um von dort aus gefährliche Pässe zu spielen oder den Abschluss zu suchen, sein Gegenüber Maximilian Beister versuchte sich eher ballfern durch diagonale Läufe für die Endphase der Angriffe in Stellung zu bringen.
Diese Aspekte legten sich auch in den Statistiken nieder: Bei den durchschnittlichen Positionen fand sich Jansen fast auf Höhe der Stürmer wieder, während Westermann im Schnitt nur knapp höher den Ball erhielt als die Innenverteidiger. Unglaubliche 48% der Angriffe Hamburgs kamen über die linke Seite und Leverkusen spielte 40% der Angriffe über die Mitte.
Die Ursache war relativ einfach; nach Ballverlusten stand der linke Flügel weit offen, allerdings wurde Sam zu einer tiefen Positionierung gezwungen. Dies bedeutete aber Räume für Son, der höher spielen und teilweise zocken konnte. Gepaart mit den ausweichenden Bewegungen von Stefan Kießling konnte Sons Dynamik im Umschaltspiel – insbesondere beim zweiten Tor – und seine Stärke beim Abschluss genutzt werden.
So stand beim zweiten Tor das Mittelfeld Hamburgs überaus weit offen, der zweite Ball wurde verloren und Sam spielte aus dem defensiven rechten Halbraum einen langen weiten Pass auf Son, der von links eingerückt war und in der Mitte den langen Ball durch die Schnittstelle erhielt. Kießling hatte sich zuvor in Richtung Flügel bewegt und seinen Gegenspieler mitgezogen, was ebenfalls Son bei seinem Einrücken und dem Kontern unterstützte.
Ein zusätzlicher Faktor war Leverkusens Übergeben in der Defensive. Donati kümmerte sich nicht mannorientiert um Calhanoglu, wenn dieser einrückte, sondern orientierte sich an Jansen. Can ging wiederum auf Calhanoglu, während Rolfes sich oftmals tiefer positionierte und sich gar in die Innenverteidigung zurückfallen ließ, um die breitere Positionierung Donatis zu kompensieren. Das Überladen der linken Seite wurde dadurch nicht so effektiv, Sam half gut mit und auf links konnte Son sich oftmals höher positionieren, um bei Kontern anspielbar zu sein.
Leverkusen spielte ihre Formation wie üblich mit einem 4-1-2-2-1 als Variante eines 4-3-3/4-5-1 und ließ die Außenstürmer weiter vorne stehen, lockte die Hamburger auf die Außenbahn und presste dann dort. Allerdings hatten die Leverkusener bei weitem nicht so gute Staffelungen und Mechanismen wie es zum gleichen Zeitpunkt in der Vorsaison noch der Fall war. Alles in allem wirkten sie weniger kompakt, weniger abgestimmt und harmonisch in ihren Bewegungen, was einerseits auf die Ausfälle und die Tagesform, andererseits auch auf die Veränderungen im Trainerstab zurückzuführen sein könnte. Dass sie das Spiel gewannen, lag letztlich eher an der Offensive.
Leverkusens Offensive und die Positionierung der Flügelstürmer
Die Positionierung der Flügelstürmer und die Mechanismen im Offensivspiel waren nicht nur bei Kontern vorhanden. Auch bei Angriffen aus dem Spiel heraus rückten Son und Sam immer wieder in die Halbräume und in den Zwischenlinienraum hinter der Mittelfeldkette der Hamburger, während Castro und Can direkt dahinter absicherten und als Anspielstationen fungierten. Im Verbund mit den sehr hohen Außenverteidigern gab es eine zwar nur kleine, aber dafür interessante Veränderung im Offensivspiel bei Bayer zu sehen.
Sehr oft legen sie das Spiel etwas asymmetrisch an; insbesondere zu Zeiten von André Schürrle wurde dies praktiziert, wo er über links in den zentralen Raum einrückte, sein Gegenüber aber über diagonale Läufe von einer nach wie vor breiten Grundposition agierte. Mit Sam und Son spielen die Leverkusener unter Hyypiä nun variabler, jetzt rücken beide Spieler sehr oft in das Zentrum des zentralen Zwischenlinienraums, die Außenspieler agieren gleichzeitig höher, breiter und linearer, während die Halbspieler nur noch situativ aufrücken.
Diese Spielweise half ihnen bei Angriffen aus dem Spiel heraus ebenfalls, da sie mit viel Bewegung die Mitte fluteten und einige Schnittstellenpässe spielen konnten, was zu einer tiefen Formation Hamburgs bei einigen Angriffen führte. Viel wichtiger war aber die Staffelung nach Ballverlusten. Die beiden Achter und der Sechser waren durchgehend ballnah positioniert und konnten theoretisch ein intensives Gegenpressing fahren, wodurch letztlich auch zwei der Treffer fielen. Die vorteilhafte Staffelung gab es aber nicht nur wegen der Positionierung bei der eigenen Mannschaft.
Da die einrückenden Außenstürmer die gegnerischen Außenverteidiger mitnahmen, konnte Hamburg nach Ballgewinnen keine schnellen Pässe auf die Flügel spielen, wo es potenziell Löcher für schnelle Konter gegeben hätte. Die drei Mittelfeldspieler und die zwei Innenverteidiger bildeten einen kompakten Block, der kaum umspielt werden konnte – und wenn es geschah, dann lag es eher an den Mechanismen und Feinheiten innerhalb dieser Formation, als über die grundsätzlichen formativen Löcher.
Fazit
In einer schön anzusehenden Partie mit vielen kleinen strukturellen Problemen, die beim HSV deutlich größer waren, fielen acht Tore und das Gegenpressing stand klar im Vordergrund. So fiel das 1:0 nach einem langen Ball durch den wie üblich leicht herauskippenden Can auf der Halbposition und eine Gegenpressingaktion. Das 2:0 erzielte Son nach einem weiteren Konter, während das 2:1 durch eine Balleroberung der Hamburger vor dem gegnerischen Sechzehner entstand.
Mit diesem Schema ging es munter weiter: Beim 2:2 gab es eine schlechte Staffelung im Defensivspiel der Leverkusener, dann kein wirkliches Umschalten und Aufrücken nach vorne und wiederum eine schlechte Staffelung im Gegenpressing als Folge dessen. Beim 3:2 war es ein zweiter Ball, wo Son wieder eng stand und Leverkusen schnell umschaltete, das 4:2 fiel durch einen abermaligen Konter über Son und Kießling (ich wiederhole mich) und nach einem Anschlusstreffer nach einer Ecke konnte ein billiger Pass in einen weit offenen Raum und einem schlecht positionierten Adler zum Endstand durch Castro führen.
Diese Aufzählung erklärt das gesamte Spiel im Grunde und auch die Kräfteverteilung in der Partie.
3 Kommentare Alle anzeigen
triangolum 11. November 2013 um 00:13
Ein Vergleich von Leverkusen zum Vorjahr geht nur wenn Bender und Reinartz dabei gewesen wären. Das sind 2 von 3 6ern welche Stamm sind. Auch hat der HSV recht gut seine wenigen Chancen nutzen können jedoch mehr war kaum drin. Dagegen hätte Leverkusen auch 7 oder 8 Tore machen können so gut war deren Umschaltspiel. es gab immer Lücken beim HSV welche durch Leverkusen genutzt wurden. Einzig die schlechte Umsetzung vor dem Tor der Leverkusener hat den HSV vor einer sehr deutlicheren Niederlage bewahrt.
MyFuba 10. November 2013 um 23:49
Guter Artikel!
Für mich sa es so aus, dass Leverkusen sich fast ausschließlich mit langen Bällen aus dem Hamburger Angriffspressing lösen konnte und diese dann aufgrund einer daraus resultierenden Überzahl fast immer für Gefahr gesorgt haben. Zudem fiel auf, dass Simon Rolfes häufig einziger Spieler aus dem Mittelfeld hinter dem Ball war.
SM 10. November 2013 um 19:01
Das zweite Bild zeigt die Stellung der Spieler vor dem 0:2, nicht dem 0:1 (im Text ist’s korrekt als 0:2 widergegeben).