FSV Mainz 05 – Eintracht Frankfurt 0:0

Das Derby zwischen Mainz und Frankfurt war aus taktischer Sicht ein sehr ausgewogen geführtes Spiel. Im Verlauf des Spiels gingen die Trainer unterschiedliche, gegensätzliche Wege bei der weiteren Entwicklung ihrer Offensivstrategien.

Seit einigen Jahren ist Thomas Tuchel dafür bekannt, von Spiel zu Spiel ständig sein Personal sowie seine Formation ändern zu können. In dieser Partie entpuppte sich seine Aufstellung, mit der auch eine Rautenformation möglich gewesen wäre, als ein etwas asymmetrisches 4-4-1-1, in dem Ivanschitz im Defensivspiel praktisch neben Shawn Parker agierte. Auf Seiten der Frankfurter wurde diesmal Alex Meier anstelle von Matmour als zentrale Spitze eingesetzt, während Stendera auf der Zehnerposition verblieb und Jung neben Sebastian Rode im Mittelfeld spielte.

mainz-frankfurtDurch die Tatsache, dass sich somit beide Mannschaften in relativ ähnlichen 4-4-1-1/4-4-2-Formation präsentierten, entstand hinsichtlich der Kräfteverhältnisse eine ausgewogene Begegnung ohne besonders auffällige Aspekte und ohne viele durchschlagende Offensivszenen. In der Realität schlug sich diese Ausgeglichenheit allerdings weniger in einem Langweiler, sondern vielmehr in einer sehr intensiven Partie mit vielen direkten Duellen, Ballverlusten und daraus resultierenden Wechseln der Spielrichtung nieder. Verstärkt durch die jeweils eng interpretierten Formationen fuhr sich das Spiel gerade in der Anfangsphase ein wenig im gegenseitigen Gegenpressing, das nach einem Ballverlust unmittelbar einen neuen in die andere Richtung provozierte, fest und konnte sich nicht konstant aus den Mittelfeldräumen lösen – ausgenommen bei den vielen entstehenden Freistößen.

Zwei prägende Elemente des Spiels, die beide auch zu obiger Situation beitrugen, waren die durch die Formationen naheliegenden Mannorientierungen auf beiden Seiten sowie die auch daraus resultierenden langen Bälle samt anschließendem Gegenpressing. Beide Aspekte wurden von den Mannschaften jeweils etwas anders ausgeführt.

Unterschiedliche Arten der Mannorientierungen

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Mainzer Pressing gegen Frankfurts Rechtsfokus bei Verlagerung von Russ auf Celozzi. Ivanschitz arbeitet mit dem Deckungsschatten gegen Jung und kann diesen anschließend übernommen. Situative Mannorientierungen von Soto auf Stendera und dem eingerückten Müller auf Rode. Deswegen kann Baumgartlinger tief bleiben und als absichernder Überzahlspieler agieren oder situativ auf Inui achten.

Bei den Mainzern wurden gegen die beweglichen zentralen Mittelfeldspieler der Eintracht relativ anpassungsfähige und situative Mannorientierungen gewählt, deren Zuteilungen mit neuen Spielszenen oder über bestimmte Phasen stärker wechseln konnten. In dieser Methodik wurden auch die äußeren Mittelfeldspieler eingebunden: Wenn Frankfurt also beispielsweise über Russ, Jung und Celozzi auf ihrer bevorzugten rechten Seite aufbaute, rückte der ballferne Nicolai Müller in eine enge Position ein und orientierte sich übergangsweise an Rode.

Dagegen setzten die Gäste eher auf klare und konstant gleichbleibende Zuordnungen: Jung kümmerte sich meistens um Ivanschitz, Rode behielt Baumgartlinger im Auge und der junge Stendera orientierte sich lose an Elkin Soto. Dieser kippte allerdings mit zunehmender Spieldauer immer häufiger nach hinten zu den Innenverteidigern ab und entzog sich dieser Bewachung, um den Aufbau anzukurbeln. Nachdem Baumgartlinger diese Rolle noch kurzzeitig übernommen hatte und Soto eher situativ hinter Zabavnik herausgekippt war, fiel er spätestens ab Mitte des ersten Durchgangs konstant zwischen Svensson und Noveski zurück.

Unterschiedliche Arten der langen Bälle

Diese Rolle von Soto wirkte sich auch auf die weitere Spieleröffnung der Mainzer aus, denn damit generierten sie nach dem allgemein hektischen Start der Partie Ballkontrolle und Sicherheit, kamen allerdings kaum wirklich nach vorne ins Offensivdrittel. Aus dem Aufbau folgte mangels Optionen irgendwann der lange Ball (insgesamt 89 spielten die 05er in 90 Minuten), den sie aber nicht effektiv zwischen den Linien der Eintracht platzieren konnten. Nachdem diese zunächst noch gestreckter gestanden hatten als Mainz, zog sich ihre vorderste Linie rasch zurück, als Soto die Initiative übernahm.

Ohne einen Zielspieler vom Schlage des verletzten Szalai oder wie ihn die Frankfurter in Alex Meier hatten und ohne ausreichendes Nachrücken auf die Abpraller in der Vertikalen brachten diese Zuspiele dem FSV kaum etwas ein. Dass die Innenverteidiger recht ungenau agierten, kam ebenso hinzu wie die Tatsache, dass die abkippenden Bewegungen von Soto und gelegentlich Baumgartlinger die Kompaktheit auf die zweiten Bälle zusätzlich verringerten.

Hier hatten die Frankfurter nicht nur wegen Alex Meier in der Sturmspitze Vorteile. Vor allem wurden die gelegentlichen langen Bälle der Eintracht in ein kompakteres Areal hinein geschlagen. Die gesamte Formation rückte geschlossener und höher auf, während vor allem die vertikal und kampfstark ausgerichteten Sechser Jung und Rode im Kampf um die zweiten Bälle effektiver waren als ihre abkippenden Mainzer Pendants. Zwar sorgten die Mannorientierungen der Heimmannschaft dafür, dass Frankfurt aus dieser guten Ausrichtung nicht viel machen konnte, doch tendenziell hatte die Eintracht in dieser Kategorie mehr Potential und strahlte mehr Gefahr aus. Die beste Mainzer Chance vor der Halbzeit, ein Heber von Nicolai Müller, entstand dann aus einer der wenigen Szenen, in denen auch die 05er mal kollektiv in höheren Zonen auf einen Abpraller gingen.

Mainzer Verbesserungen im Angriffsspiel – dennoch ohne Durchschlagskraft

In der letzten Viertelstunde vor der Pause kamen die Mainzer dann generell besser in die Begegnung und hatten ihre beste Phase – allerdings weniger über die zweiten Bälle, sondern eher aus der verbesserten Nutzung ihrer abkippenden Bewegungen im Mittelfeld. Sie schoben ihre Abwehrlinie weiter vor, rückten kollektiv auf und postierten auch die Außenverteidiger konsequent höher. Mit dieser Maßnahme in Kombination mit Soto und Baumgartlinger konnte Frankfurt nach hinten gedrückt und zusehends dominiert werden.

Ausgehend von Sotos leichter Linkstendenz zogen sie die weiteren Angriffe über diese Bereiche auf. Immer häufiger agierte Caligiuri als Räume öffnender Balancespieler, der es den Mainzern nun das eine oder andere Mal ermöglichte, von der Seite diagonal in den Zehnerraum hinein zu spielen. Mit dem ausweichenden Parker, Ivanschitz und gelegentlich dem einrückenden Müller konnten sie hier einige Male hinter das etwas wilde Frankfurter Mittelfeld – Jung und Rode agierten nicht so konsequent, kooperativ und abschirmend wie das Duo Baumgartlinger-Soto – kommen, wussten dann aber häufig nicht, wie sie diese Situationen weiter ausspielen sollten. Gegen die zurückeilenden Frankfurter Mittelfeldspieler fehlte es hier an Strukturen und schnellen Ideen. Meistens versuchten die Hausherren dann den rechten Flügel freizuschieben und diagonal dorthin zu verlagern – doch Frankfurt verzögerte dies geschickt. Weil Inui ohne Ball weniger einrückte, als Müller und Caligiuri bei Mainz, konnte er ebenso seinen Teil dazu  beizutragen, Pospech auszubremsen.

Zweite Halbzeit

Nach dem Seitenwechsel ging es für Mainz in etwa so weiter. Sie waren die überlegene Mannschaft, hatten mehr vom Spiel und kamen besser in den Zehnerraum. Dadurch entstanden zentral im Bereich des Strafraums nun auch einige vielversprechende Situationen gegen die etwas chaotische Frankfurter Viererkette, die aber aufgrund von schlechten Entscheidungsfindungen und technischer Probleme trotz guter Ansätze (Parkers Chip für Ivanschitz) vergeben wurden.

Insgesamt öffnete sich das Spiel deutlich mehr und so gab es verstärkt saubere Konterszenen in sauberen Räumen, weil nicht nur die Frankfurter Sechser freie Bereiche hinterließen, sondern auch der häufiger weit aufrückende Baumgartlinger. Diese Konterszenen wurden aber auf beiden Seiten selten gut ausgespielt.

Auch die Frankfurter trugen ihren Teil zum offeneren Spiel bei. Obwohl die Mainzer Spielanteile und deren Ballbesitz zunahmen, wurde die Eintracht offensiver, weil sie bei den Angriffen, die sie hatten, gerade im letzten Drittel mutiger auftraten. So war nun auch eines der Frankfurter Kennzeichen der Saison zu beobachten – ihre sehr offensiven und stets vorschiebenden Außenverteidiger. In Abwesenheit der etatmäßigen Besetzung hatten sich die beiden seitlichen Verteidiger der Gäste bisher zurückgehalten, doch gerade Djakpa schob nun deutlich mehr mit vor und belebte die linke Frankfurter Seite.

Auf dieser Basis kamen die Gäste dann häufiger zu den Flanken, über die sie in dieser Spielzeit immer wieder haben Gefahr heraufbeschwören können. Neben Djakpa auf links waren es besonders Hereingaben im Anschluss an Flügelüberladungen auf der dominanten rechten Seite, die hier hervorstachen. Bereits im ersten Durchgang war die beste Frankfurter Gelegenheit entstanden, als Rode hinter Zabavnik in die Tiefe gegangen war und für Meier serviert hatte. Neben Aigner und Stendera unterstützten hier jetzt auch Jung sowie Celozzi konstanter.

Armin Vehs Auswechslungen und Veränderungen

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Grundformationen in der Schlussviertelstunde

Mitte des zweiten Durchgangs reagierte Armin Veh dann auf den größer werdenden Druck des FSV und brachte mit Occean und Lakic zwei neue Stürmer für Aigner und Inui. Die beiden zentralen Angreifer sollten als Zielspieler für lange Bälle und Flanken von den Seiten dienen – damit ging Veh im Vergleich mit Tuchel den umgekehrten Weg und intensivierte die Charakteristik des engen, umkämpften Spiels aus der Anfangsphase.

Nachdem in den ersten Minuten nach dem Wechsel Meier und Stendera als Hybride aus offensiven und äußeren Mittelfeldspielern agiert hatten, stellte Veh anschließend auch die Formation um und setzte von nun an auf eine Mischung aus 4-3-1-2 und 4-1-3-2. Im Zentrum sollte somit dem Mainzer Spiel mehr Paroli geboten werden und offensiv die Chance auf Abpraller nach Zuspielen auf die Stürmer bestehen. Der offensivstarke Jung wurde aus dem Zentrum auf die Rechtsverteidiger-Position geschoben, um Breite und Flanken zu liefern. Tatsächlich entstanden nach Hereingaben von rechts zwei Kopfballszenen für Occean, doch zu mehr reichte es nicht. Auch Mainz tat sich mit dem zusätzlich verdichteten Zentrum schwer. Ihre Alternativstrategie mit dem beweglichen und nach außen rochierenden Halbstürmer Ede die Flügel zu überladen funktionierte nicht, so dass in den letzten Minuten beiden Teams die Durchschlagskraft abging.

Fazit

Kein besonders berauschendes Spiel, das in der Tabelle wenig Bewegung brachte, wenngleich die in der „Derby-Gesamtwertung“ vorne liegenden Mainzer nun wohl ihre Chancen auf Europa begraben müssen. Aus taktischer und spielerischer Sicht gab es aber wenige neue Erkenntnisse in dieser ausgewogenen Begegnung. Am ehesten wäre hier noch zu nennen, wie die Mainzer sich mit zunehmender Spieldauer besser in den Zehnerraum hinein arbeiten konnten und kombinativ wertvolle Ansätze zeigten. Dagegen ging die Eintracht eher den umgekehrten Weg und fokussierte in Person von Armin Veh in der Schlussphase die radikale Version der Spielcharakteristik, die gerade das erste Spieldrittel geprägt hatte, während die Mainzer sich immer weiter davon wegbewegen wollten, je länger das Spiel dauerte.

AP 29. April 2013 um 13:00

Würdet ihr sagen, dass die Mainzer sich in der Rückrunde zurückentwickelt haben oder ist es gerade die Phase, in der sie den nächsten Schritt gehen.

Von einer Mannschaft, die das Pressen und das schnelle Umschalten in beide Richtungen im Blut hat und nun an Ihrem Offensivspiel arbeitet, mehr Ballbesitzzeiten einbaut, um flexibler zu werden?

So kommt evtl. so eine Rückrunde raus, weder Fisch noch Fleisch. Evtl. weil die Balance noch nicht passt? Würde mich über eure Meinungen freuen.

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tactic_addicted 29. April 2013 um 12:59

Hallo,

sehe vieles ähnlich. Mainz hat ganz klar Ballbesitz und Spielaufbau dominiert, Frankfurt hat es über das Flügelspiel probiert.
Interessant war, dass Mainz kombinatorisch auf höchstem Niveau gespielt hat, aber teilweise eine bemerkenswerte Insuffizienz hat, daraus Torraumszenen zu kreieren. Fast jeder Pass bis zum 16er kommt an, dann ist plötzlich Schluss.
Das ist, denke ich, noch der tragende Unterschied zwischen den Mainzern und den Spitzenteams.
Dortmund hatte gegen Real eine ähnliche Zerfahrenheit im letzten Drittel gezeigt, mit eine Stürmer wie Lewandowski reichen dann aber ein paar geglückte Situationen.

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BG 29. April 2013 um 12:43

Erstmal vorweg eine wie gewohnt sehr lesenswerte und starke Analyse!

War gestern im Stadion und muss sagen, dass mir der Mainzer Ansatz im Spielaufbau gefallen hat. Nach dem schwachen letzten Heimspiel gegen den HSV wurde ja auch hier diskutiert, ob es nicht Sinn machen würde den kreativeren „Quarterback-Achter“ Soto in die Rolle des abkippenden Sechsers zu stellen. Insbesondere das Abkippen in den linken Halbraum zu Spielbeginn fand ich recht effektiv (auch wenn die Mainzer AV zur Risikovermeidung nur selten weit aufrückten). Ich erinnere mich da an eine Szene in der 12. Minute, wo nach Sotos abkippen hinter Zabavnik sich die Mainzer außnahmsweise mal schnell in den gegnerischen 16er spielen konnten, die Aktion allerdings mal wieder unsauber ausspielten.

Im Moment finde ich es recht schwierig das Mainzer Spiel zu bewerten: Aus dem eigenen Spielaufbau fehlt meistens die Durchschlagskraft, Kreativität und Kombinationsstärke im zweiten und dritten Drittel um sich wirklich viele Torchancen zu erspielen (hinzu kommt noch die mangelnde Abschlussstärke), weshalb man in der Rückrunde tabellarisch abgerutscht ist. Auf der anderen Seite spricht es sicherlich auch für Tuchels Team, dass die Gegner mit großem Respekt nach Mainz fahren und selbst als Euroleague-Aspiranten (Hamburg, Frankfurt etc.) recht tief stehen.

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Koom 29. April 2013 um 13:01

Als Mainz-Fan mal kurz zur aktuellen Situation bzw. neuen Saison:

Tuchel (und Heidel) sind nicht komplett zufrieden mit der Saison. Man spielte die ganze Saison über gut, hätte kaum ein Spieler verlieren „müssen“, dafür sehr viele gewinnen „müssen“. Es steht mittlerweile fest, das man zur neuen Saison einen gewollten Umbruch plant (abgeben „muss“ man ja nur Kirchhoff), deswegen ja auch freiwillig einen (teuren) Leistungsträger wie Ivanschitz abgibt, vermutlich auch Caliguri und Zabavnik.

Viel mehr lässt man sich nicht in die Karten blicken, aber als stetiger Beobachter kann man zu dem Schluss kommen, das es in Mainz auch ein Mentalitätsproblem in der Mannschaft gibt. In der vorigen Saison sagte Tuchel dies recht deutlich, das die Mannschaft recht schnell mit etwas zufrieden ist. Das kann man sowohl saisonweit sehen („kein Abstiegsplatz – super!“) als auch pro Spiel („Gegner nahezu komplett unter Kontrolle, stetige Torchancen“) – ohne dann aber mal die letzten Prozente zu investieren, um Ergebnisse zu schaffen. Gerade in der Offensive fehlt es an 1-2 giftigen Akteuren mehr (wie Müller), die beißen, wenns weh tut. Die entschlossener aufs Tor gehen und sich nicht so sehr in eine Paßspiel-Trance spielen, zu die Mainz ganz gerne neigt.

Speziell wenn man hier die Spielberichte liest, kann man feststellen, das Mainz grundsätzlich auf taktisch sehr hohem Niveau arbeitet, ein exzellentes On-the-fly-Coaching hat und man wirklich selten eigentlich in einem Spiel schlecht ausschaut. Und das man selbst als mittleres bis unteres Bundesligadrittel-Team schafft, ein überzeugendes Ballbesitzspiel zu haben und nicht nur (wie bspw. der 1. FCN) sich über Defensive und Standards definiert.

Ein Umbruch bedeutet für Mainz allerdings immer Risiko. Ergo wird es nächste Saison darum gehen, eine Mannschaft einzuspielen, Abstieg vermeiden und diesen Kader dann zusammenzuhalten, um dann wieder anzugreifen.

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VB 29. April 2013 um 12:30

Sehr schön, neben der Championsleagueeuphorie auch noch „normale“ Analysen zu lesen. Danke!

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