Mali – Nigeria 1:4

Mit einer beeindruckenden Vorstellung zieht Nigeria ins Finale des Afrika-Cups 2013 ein – taktisch wie spielerisch die bisher beste Leistung überhaupt bei diesem Turnier.

mli-ngaVon den vier Halbfinalisten hatte Nigeria in der vorigen Runde mit dem Rauswurf des ivorischen Topfavoriten die beste Leistung gezeigt und blieb seinem Stil mit drei beweglichen Stürmern sowie einem sehr passend aufgestellten und abgestimmten Mittelfeld ebenso treu wie dem Personal des Viertelfinals. Mit den ausweichenden Rochaden ihrer drei Angreifer konnten sie bereits in der Anfangsphase ähnlich wie gegen die Elfenbeinküste für Gefahr sorgen, weil gerade im Umschaltmoment die seitlichen Räume durch das weite Aufrücken der malischen Außenverteidiger unbesetzt blieben.

Raumschaffen auf rechts und Profitieren vom System

Doch auch im geregelten Spielaufbau kam diesen Bewegungen der Angreifer eine gewisse Wichtigkeit zu, weil sie somit unvorhergesehene Gefahren heraufbeschwören konnten. Besonders auf ihrer rechten Angriffsseite bewegten sich situativ immer wieder auch der zentrale Stürmer sowie der eigentlich links spielende Victor Moses in diesen Bereich, um dort angespielt zu werden.

Um diese Szenen besonders effektiv zu nutzen, bedienten sich die Nigerianer ihres eigenen taktischen Systems und spielten damit die Wechselwirkungen gekonnt aus, um immer wieder einen ihrer Angreifer dort in Einzelaktionen zu bekommen. Zum einen eröffnete die zurückhaltende Ausrichtung von Rechtsverteidiger Ambrose gegen die zonal mannorientierten Offensivspieler Malis den Raum auf der Seite, weil deren linker Offensivspieler sich durch die Orientierung an Ambrose nicht so weit räumlich zurückbewegte, als dass er Unterstützungsarbeit für seinen Hintermann hätte geben können. Zum anderen war Nigerias spielstärkster Mittelfeldmann, John Obi Mikel von Chelsea, durch seine bekannten Abkippbewegungen auf die linke Seite immer wieder in passenden Positionen, um von dort mit guter Sicht und passendem Winkel die diagonalen Bälle präzise dorthin zu spielen, wo sie hin sollten. Genau dies klappte beim Führungstor hervorragend, als Moses nach einer Verlagerung Mikels auf rechts rochierte, dort recht ungestört den isolierten Tamboura austanzen durfte und für Elderson zur Führung servierte.

Dass ausgerechnet der Linksverteidiger nach einer Hereingabe traf, scheint etwas verwunderlich, zeigt aber einmal mehr, wie passend die Spielerpositionierungen und Wechselwirkungen hier funktionierten. Aufgrund der potentiell absichernden Haltung des eigentlichen Innenverteidigers Ambrose sowie dem Abkippen Mikels hinter ihn, war Elderson mehr als ausreichend abgesichert, so dass er sich bereits in den letzten Spielen vielfach und flexibel mit nach vorne eingeschaltet hatte. In dieser Situation trat er dann nicht nur als Profiteur dieser formativen Aspekte, sondern auch als Nutznießer der konkreten Bewegung Moses´ auf, der ihm mit seiner Rochade nach rechts auch den inversen Raum und Laufweg freigemacht hatte.

Nigerias spielerische Überlegenheit

Ein ganz zentraler Baustein für eine derartige Dominanz über das Spiel war die technische Klasse und das große spielerische Potential, das die Nigerianer in dieser Begegnung kollektiv wie kombinativ entfalten konnten. Die typischen Positionierungen ihrer Mittelfeldspieler waren sehr passend und die verbindenden bzw. absichernd-raumbesetzend wirkenden Rollen von Mba und Onazi erlaubten das flexible Bespielen der richtigen Räume, so dass mit sauberem und klugem Zusammenspiel immer wieder die gegnerische Formation infiltriert und die Zwischenräume bei Mali angesteuert werden konnten.

Auch wenn diese versuchten, durch eine stärkere Kollektivkompaktheit als bei anderen Teams in Form von anfänglicher Defensivarbeit aller Akteure dagegen vorzugehen, konnten sie diese Bemühungen nicht aufrechterhalten. Wenn sich Nigeria beim vertikalen Vorarbeiten und dem Anspielen von Zwischenräumen aufrückend bewegte, gingen die Malier Offensivkräfte kaum zurück, was ihre Mannschaft entzweite. Daraus entstanden wiederum wenig präsente, sondern unflexibel und meistens kaum in Dreiecksformen angepasste Reststellungen der übrigen Spieler im Mittelfeldbereich, was den Nigerianern bei einigen riskanten und/oder ambitionierten Aktionen viel zu viele Ausweichmöglichkeiten auch in vordere oder diagonale Bereiche anbot.

Durch geschickte Bewegungen der Mittelfeldspieler und das Abblocken der malischen Abwehrspieler durch Ideye Brown und Emenike konnte Nigeria überdies einige Male direkt den Zehnerraum für den einlaufenden Moses freiziehen, was beispielsweise beim 0:2, fünf Minuten nach der Führung, von den Super Eagles bestraft wurde. In diesem Angriff konnte man auch beispielhaft erkennen, wie Nigerias spielerische Überlegenheit sich viel zu leicht durch Malis löchrige und inkonsequente Kettenstrukturen hindurch spielte.

Anmerkung: Szenen-Grafik folgt später

Mali in der Offensive

Auffällig nach diesem zweiten Treffer war die weitgehende Harmlosigkeit der Mannen um Seydou Keita, die in der unmittelbaren Anfangsphase der Partie ordentlich agiert hatten, danach aber kaum noch Gefahr entwickeln konnten und erst mit Nigerias Nachlassen nach dem 0:4 wieder zu wirklichen Torszenen kamen.

Im Vergleich zum durchwachsenen Aufritt gegen die Südafrikaner, als Mali lange Zeit zu wenig Offensivpräsenz hatte erzeugen können, präsentierten sie sich diesmal verbessert und brachten mehr Akteure in die Angriffsräume. Allerdings wurden das vermehrte Aufrücken und auch die verbesserten Strukturen durch die eingerückte Position von Linksaußen Traoré, der die theoretischen Interaktionsmöglichkeiten in jenem Raum erhöhte, kaum nutzbar, weil Mali aus dem Spielaufbau weiterhin die Verbindungen zu diesem Mannschaftsteil abgingen.

Wegen der schwachen Besetzung der Achterräume musste häufig mit langen Bällen über das nigerianische Mittelfeld gearbeitet werden, um die Offensivspieler in Szene zu setzen. Doch weil diese Zuspiele nur selten ankamen und eben alles andere als kontrolliert gespielt werden konnten, erhielten die verbessert aufgestellten Offensivspieler zu wenig Bälle und mussten meistens auch in eher ungünstigen Ausgangspositionen anfangen – weshalb sich die eigentlichen Verbesserungen nicht wirklich auswirken konnten. Es fehlte an Anbindung zum Rest des Teams und folglich zum konstant qualitativen Service aus diesen tieferen Bereichen, mit dem man etwas hätte anfangen können.

Hinzu kam, dass auch die individuelle Klasse einzelner Spieler für Mali nichts retten konnte, was an der Defensivarbeit der Nigerianer lag, welche diese möglichen Einzelaktionen oder Geistesblitze in ihrer Wahrscheinlichkeit einzuschränken wussten. Indem Seydou Keita immer wieder in situative Manndeckungen genommen, oftmals aber von Mikel verfolgt wurde und der starke Elderson gegen – den ohnehin durch seinen zögerlichen Hintermann isolierten – Dribbelkünstler Maiga mannorientiert herausschob, wurden diese Komponenten weitgehend entschärft. Gerade Maiga konnte sich selten drehen und war bei den wenigen Ausnahmen von seinen Teamkollegen abgeschnitten. Nur gelegentlich konnte Samassa dafür durch seine typischen Horizontalrochaden den Raum hinter dem herausrückenden Elderson anvisieren, doch musste er eben sehr häufig mit langen Bällen gesucht werden und hatte nicht die besten Optionen für eine Spielfortsetzung.

Fazit

Ein zweifellos hochverdienter Sieg für deutlich überlegene Nigerianer, die allerdings bei der Entstehung ihrer beiden vorentscheidenden Toren etwas vom Zufall bzw. Glück beim Abschluss profitierten. Dennoch beherrschten sie das Spiel fast über die gesamte Zeit und boten phasenweise mitreißenden Fußball. Ihre spielerische und kombinative Leistung war hervorragend anzusehen und die mit sehr deutlichem Abstand beste Vorstellung bei diesem Turnier. Verglichen mit den Darbietungen aus anderen Begegnungen, aber auch vorigen Kontinentalmeisterschaften Afrikas war dies fast wie ein Quantensprung, der auch bei einer Weltmeisterschaft für eine Viertel- oder Halbfinalteilnahme gereicht hätte und die Nigerianer nun endgültig zum Favoriten auf den Titel des Afrikameisters macht.

datschge 9. Februar 2013 um 18:11

„Verglichen mit den Darbietungen aus anderen Begegnungen, aber auch vorigen Kontinentalmeisterschaften Afrikas war dies fast wie ein Quantensprung, der auch bei einer Weltmeisterschaft für eine Viertel- oder Halbfinalteilnahme gereicht hätte und die Nigerianer nun endgültig zum Favoriten auf den Titel des Afrikameisters macht.“

Das kann man so nur unterschreiben, hoffentlich macht die Entwicklung da nicht halt. Die Vorbildfunktion für die anderen afrikanischen Länder sollte enorm sein.

PS: Lustig, dass nun anstellen der noch fehlenden Szenen-Grafik Werbung angezeigt wird…

Antworten

laterookie58 7. Februar 2013 um 19:26

TR : Herzlichen Dank für Deine sehr detaillierte Spiel- Zusammenfassung und für Zeit sowie Mühe dafür!

Da Euer aller Niveau immer noch zu hoch für mich ist, mußte ich Passagen wiederholt lesen und mir bildhaft vorstellen…– hat aber mit mir zu tun, nicht mit Deiner Schreibe.

Dies ist mein erstes Wahrnehmen des Afrika- Cups und bis auf Mali- und Burkina Faso- Spiele als Überraschungen für Halb- Laien wie mich, scheint es sich erst jetzt „zu lohnen“, etwas im TV anzusehen.

Was ist nur aus den ganzen guten Wegen des Afrika- Fußballs der 90er geworden?
Wann man denn mit dem ersten afrikanischen Weltmeister zu rechnen hätte, wenn einige Teams sich weiter entwickelt hätten…

Stattdessen können wir bei Lloyds of London darauf wetten, wann der erste Asiate den Titel holt. Irgendwie wirklich schade, daß von so einem riesigen Kontinent nur noch so wenig kommt.
Nochmals DANKE! Schade, daß die Afrika- Begeisterten Mitleser nur lesen…
laterookie58

Antworten

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*