Juventus – Lazio 1:1

Im Hinspiel des italienischen Pokalhalbfinals gab es eine fluide und variable, aber auch chaotische und spielerisch mittelmäßige Partie.

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Lazios Loch auf links

Die Gastgeber hatten mit einigen personellen Problemen zu kämpfen und mussten mit Buffon, Chiellini, Pirlo und Giovinco auf vier klare Stammspieler verzichten. Hinzu kam noch der beim Afrika-Cup weilende Kwadwo Asamoah. Auf der anderen Seite litten auch die Römer unter einem herben Verlust – Miroslav Klose musste verletzungsbedingt erneut passen und wurde durch Floccari vertreten. Ihr Trainer Vladimir Petkovic entschied sich für die zuletzt einige Male getestete 3-5-1-1-Formation anstelle des üblichen 4-1-4-1. Mit Lorik Cana agierte ein eigentlicher Mittelfeldspieler als eine Art Libero in der Dreierkette, die auf den Seiten von den beiden schnellen Wing-Backs, dem dribbelstarken Cavanda und dem athletisch starken Lulic, flankiert wurde. Davor gab es im Mittelfeld eine etwas seltsame und nicht immer zu durchblickende Anordnung.

Dies wurde zu großen Teilen durch eine unpassende Mischvariante aus verschiedenen Deckungsarten hervorgerufen. Während Alvaro González sich relativ tief positionierte und meistens mannorientiert gegen Giaccherini spielte, war die Rolle des eigentlich defensivsten Sechsers Ledesma deutlich jagender ausgerichtet – er orientierte sich lose an Arturo Vidal, schob immer wieder aber auch etwas zentraler nach vorne (teilweise auf Pogba), wo er situativ individuelle Zugriffssituationen antizipierte oder Passwege versperrte. Weil Hernanes als halblinker Achter allerdings eine Pendelrolle zwischen einer Mannorientierung auf Ballverteiler Pogba und dem Anlaufen von Bonucci mit Versperren des Zentrums (hier versuchte er vom Prinzip ähnlich zu agieren wie die Fürther gegen Bayern, nur wurde gerade die Arbeit mit dem Deckungsschatten klar weniger effektiv ausgeführt) zu verrichten hatte, agierte er in seiner defensiven Grundposition recht hoch und eher zentral – zu hoch und zu zentral. Denn so entstand ein Loch auf der halblinken Seite bei Lazio, welches durch Ledesma aufgrund dessen aktiverer und weniger absichernd nach links ausgerichteter Rolle erst recht nicht geschlossen werden konnte.

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Grobe und vereinfachte Darstellung der Freiräume (rot) durch Hernanes zentrale (mit der er zwar Pogba situativ abdecken kann), Ledesmas aufgerückte und Lulic´ unpassende Position

Dadurch ergaben sich einige Freiheiten für Juventus im äußeren Teil des rechten Halbraums. Dies brachte in der Folge Lazios Wing-Back Lulic in die Bredouille – der Bosnier hat im Defensivverhalten noch das eine oder andere Defizit und stellte sich in der Anfangsphase recht ungeschickt an. Er versuchte intuitiv leicht nach vorne einzurücken, um den Freiraum für die Hausherren etwas einzuengen, ließ aber damit nicht nur seinen Gegenspieler Isla im Rücken frei, sondern öffnete ein ums andere Mal auch sorglos den entsprechenden Passweg. Glück für Lazio, dass der Chilene aus den Bällen, die vor allem Vidal, Pogba und selten auch Marchisio in diese Lücke verteilten, nicht viel machen konnte.

Stabilisierung und Variabilität

Nach dieser wackeligen Anfangsphase reagierte Petkovic dann, indem er von der recht mannorientierten Verteidigungsweise im Mittelfeld abwich und die etwas chaotische und ungeordnete Defensivspielweise seiner Mannschaft mit einer variablen Grundhaltung stützen wollte.

Dabei zog Lazio sich weiter nach hinten zurück und lief die Verteidiger der Turiner nicht mehr so aktiv an. Während Floccari verstärkt seitlich verschob und die dortigen Räume ebenso teilverantwortlich mit bearbeitete, wurde Lulic angewiesen, sich tiefer zu stellen. Entscheidend waren die leicht angepassten Rollen von Mauri, den Innenverteidigern und Hernanes sowie die generellen Mittelfeldanordnungen.

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Defensivrochade von A. González und Hernanes

Der Brasilianer wurde nun häufiger auf die rechte Seite verschoben, wo er eine etwas weniger anspruchsvolle Mannorientierungs-Aufgabe hatte, während Alvaro González die zentrale Position übernahm. Allerdings rochierte der Uruguayer auch immer wieder auf die rechte Seite, woraufhin sich Hernanes dann diagonal hinter ihn in die Zentrale fallen ließ. In einer pendelnden Rolle deckte Ledesma die halblinken Räume als Füllspieler ab oder gab Unterstützung, während gelegentlich auch der mehr nach hinten schiebende Mauri in einer situativen Viererkette im Mittelfeld Freiräume besetzte. Abgerundet wurde diese Fluidität durch die verstärkt situativ herausrückenden Innenverteidiger, wobei insbesondere der meistens „freie“ Ciani antizipativ in halblinke Räume vorstieß, um dort mögliche Kombinationsoptionen für Juventus zu verschließen.

So konnten die Gäste aus der Hauptstadt sich etwa Mitte der ersten Halbzeit deutlich stabilisieren. Mit ihren Defensivrochaden konterten sie die diagonalen Rochadebewegungen von Giaccherini und Marchisio auf der halblinken Angriffsseite der Turiner (die auch durch Marchisios Ungeduld und übertriebenes Vorausblicken etwas ihrer Stärke verloren), während die halblinke defensive Bahn, wo Vidal bei Juve nicht genügend Anbindung nach vorne fand, flexibel und situativ von unterschiedlichen Akteuren besetzt wurde. In der Tat kam Juve in der Folge kaum mehr zu Chancen, weil sie auch nicht die nötige Staffelung im Offensivzentrum sowie individuelle Durchschlagskraft auf den Wing-Back-Position aufbringen konnten, die für das Durchbrechen dieser Abwehr notwendig gewesen wäre.

Lazios Offensivspiel

Interessant waren bei Lazio die Probleme, die sie in ihrem Offensivspiel hatten – generell schießt die Mannschaft eher unterdurchschnittlich viele Tore und laboriert dabei häufig an ähnlichen und wiederkehrenden Schwierigkeiten. Doch diesmal war fast schon das genau gegenteilige Szenario zu sehen – diesmal fehlte es nicht an konsequentem Nachrücken und dem Bilden von Optionen im letzten Drittel, sondern die meisten Spieler standen zu hoch.

Durch das hohe Aufrücken der Mittelfeldspieler – und vor allem der Wing-Backs, deren Existenz im 3-5-1-1 die Entstehung dieser Sachlage wohl entscheidend befeuerte – erzeugte Lazio zwar viel hohe Präsenz und Nähe zwischen den Spielern, geriet bei der Ballzirkulation in der Tiefe aber schnell unter Druck und unter Zugzwang gegen die hoch schiebenden Turiner. Daher mussten diese die fehlenden Vorwärtsverbindungen mit langen Bällen überspielen. Theoretisch gab es dann vorne ein paar gute Optionen, aber insgesamt wirkte dieses schnelle und hektische Spiel zu improvisiert, so dass aus den Gegenpressing-Situationen nur mäßige Torszenen wurden.

Über ihre offensivstarken Wing-Backs waren schnelle Flügelangriffe die vielversprechendste Route im Angriffsspiel der Hausherren. Um spielerisch durchzukommen, war ihre Anordnung gegen Juves gute Defensive zu flach und ihr Strippenzieher Hernanes zu stark im Dunstkreis des defensiv vorbildlich arbeitenden Vidal gefangen. Es blieb daher meistens bei gut aussehenden Ansätzen, die letztlich zu häufig auf die Außen verlagert werden mussten, was in Flanken endete, von denen einige sehr gefährlich wurden, der Großteil aber verpuffte.

Wie Juventus das Spiel fast gewonnen hätte…

Nach dem Seitenwechsel wurde Lazio in der Arbeit gegen den Ball wieder etwas aktiver und arbeitete dabei nun viel effektiver mit dem Deckungsschatten, weshalb Pogba durch die drei offensivsten Himmelblauen stärker von seinen Innenverteidigern abgeschnitten und in seiner Wirkung auf das Geschehen eingeschränkt werden konnte.

Weil sie nun weniger Bälle zu ihrem Sechser bringen konnten, reagierten die Innenverteidiger aber mit verstärkten eigenen Vorstößen in passenden Momenten oder mit Unterstützung der etwas tiefer anbietenden Wing-Backs als Spielpartner. Dabei liefen sie selten größere Distanzen, sondern spielten nach einem kurzen und ruckartigen Vorstoß einen langen Ball in die Spitze.

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Schematischer Ablauf der Strategie der langen Bälle: Marrone kann durch einen überraschenden Vorstoß das lange Zuspiel in die Spitze durchführen. Matri zieht Cana aus der Abwehr (blauer Pfeil), so dass Ciani leicht einschieben muss (blauer Pfeil) und Vidal die Lücke vor sich bekommt (roter Raum), in die der Ball gespielt werden kann. So eine Szene führte zu einer Riesenparade Marchettis gegen den Chilenen.

Scheinbar hatte Trainer Antonio Conte in der Halbzeitpause genau diese Zuspiele angeordert – und sorgte damit für eine enorm effektive Umstellung, die Lazios Schwächen der Mannorientierung in der letzten Defensivlinie gezielt ansteuerte und deren Abwehr folglich für eine Phase von 15-20 Minuten heftig ins Schwimmen brachte. Durch Dummy-Läufe verschiedenster Akteure (Achter, Stürmer) in den Zehnerraum lockten sie den einzelnen fluid agierenden Spieler (Ciani) oder eben die mannorientiert verteidigenden Abwehrspieler heraus, um Lücken in der letzten Linie zu provozieren.

Diese sollten dann durch Vorstöße der Mittelfeldspieler oder Horizontalbewegungen der Angreifer gezielt gesucht werden. Immer wieder spielte Juventus in diese ungeordneten und lückenhaften Reihen hinein und erzeugte darüber eine ganze Reihe an qualitativen und direkten Torchancen – besonders der nun aufdrehende Vidal und Matri vergaben beste Möglichkeiten. So musste der folgerichtige Treffer nach einer Ecke als Resultat des gestiegenen Drucks fallen – danach hatte Lazio Glück, nicht noch ein weiteres Tor zu kassieren.

Nach dem Rückstand (63.) dauerte es eine ganze Weile bis Lazio reagierte – erst in den letzten 10 Minuten wurden sie wieder aktiver, nachdem sie bereits kurz vor mit der Einwechslung Candrevas auf das gewohnte 4-1-4-1 umgestiegen waren. Dadurch konnten sie sich weiter vorschieben und wieder die Dominanz aus Phasen des ersten Durchgangs aufbauen. Zwar fehlten wirkliche Torchancen, weil die kombinativen Ansätze durch die Zehnerräume aufgrund der insgesamt zu breiten Formation nicht konsequent genug waren, doch über Präsenz erzielten auch sie ein Tor nach einem Eckball (86.) – wenngleich sich dieser Treffer viel weniger angekündigt hatte als zuvor auf der anderen Seite.

Fazit

Letztlich eine interessante und chaotische Begegnung, die spielerisch recht blass blieb und taktisch Licht wie Schatten bot. Gerade aufgrund der guten Anpassungen der ersten Halbzeit und der über weite Strecken sicheren Defensivleistung hat sich Lazio das Remis in diesem Hinspiel durchaus verdient – wenngleich es natürlich gleichzeitig aufgrund der Chancenhäufung für Juventus im zweiten Durchgang auch glücklich war. Auf die Struktur des Rückspiels in einer Woche darf man sehr gespannt sein – wir werden wohl erneut ein Auge darauf haben.

JayM 24. Januar 2013 um 19:41

Tolle Analyse, danke.

Ich war auch sehr überrascht wie inexistent Lazio zu Beginn der zweiten Hälfte war – hier ist gut erklärt woran das lag. Zum Glück hat Juve keine Stürmer 😉 und Marchetti ist ein Weltklasse-Torhüter geworden. Sonst wäre Lazio wohl mit einer ordentlichen Packung nach Hause gegangen.

Es ist manchmal einfach nur erschreckend wie sehr die Lazio-Offensive verblasse wenn Klose nicht da ist und Hernanes in typisch brasilianischer Manier mal wieder keine Lust hat. Floccari braucht einfach einen zweiten Stürmer weil er sich sehr gut tief die Bälle holen kann bzw. auf die Flanken gehen kann. Da kann dann auch ein Freigeist Mauri/Candreva ihm nicht so gut helfen, vor allem nicht gegen eine Klasse-Team wie Juve…

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JayM 24. Januar 2013 um 19:41

Btw freue mich schon auf die Analyse vom Rückspiel 🙂

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fluxkompensator 23. Januar 2013 um 16:54

wie begegnet man juve also taktisch? chelsea unter di matteo scheiterte damals ja mit ihrer 5-reihe hinten, lazio versuchte anscheinend das system so weit es ging zu spiegeln, wenngleich das mittelfeld nicht so gut funktionierte.

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SR 23. Januar 2013 um 19:19

3 Stürmer vorne rein! 1 Mittelstürmer und 2 Außenstürmer für die Breite. Damit setzt du die gegnerische 3er-Abwehrkette massiv unter Druck, weil sie 1:1 gehen müssen und bindest damit auch gleichzeitig die Wing-Backs, da diese verstärkt nach hinten mitarbeiten müssen, was dann die gesamte eigene (Defensiv-)Mannschaft entlastet. Manchmal ist Angriff eben die beste Verteidigung. Zumindest in diesem Fall meiner Meinung nach…

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SR 23. Januar 2013 um 19:28

PS: Das 4-3-3 spiegelt das System von Juve meiner Meinung nach wesentlich besser:

Die 4er-kette belegt die 2 Stürmer + 2 Wingbacks, das 3er ZMF das gegnerische ZMF und die 3 Stürmer haben direkte Zuordnung zur 3er-Kette.

(Wenn wir die System mal starr gegenüberstellen.)

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muffin 25. Januar 2013 um 11:20

genauso sah spanien ziemlich schlecht aus gegen italien mit juve-system.

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TW 25. Januar 2013 um 11:31

Das lag wohl auch daran, dass die beiden Außenstürmer des 4-3-3 Iniesta und Silva waren. Die beiden binden nicht wirklich die äußeren Spieler der Dreierkette sondern steigen mit in den Mittelfelkampf ein. Dazu kommt die fehlende Breite, welche den Wingbacks erlaubte, die AV hinten zu binden. Mit Pedro, Navas und Torres statt Iniesta, Silva und Fabregas hätte das Spiel sicher anders ausgesehen (nur keiner weiß wie ;-)).

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PAD 24. Januar 2013 um 15:37

So völlig nüchtern betrachtet würde ich es mit zwei robusten Zielspielern in der Offensive versuchen, die die Verteidiger versuchen zu binden und dann immer wieder durch horizontale Verschiebungen dieser Überladeversuche starten. In Verbindung mit diesen Zielspielern, entweder aus dem OMF oder eben dem Sturmzentrum wären dann sehr aggressiv gegen den Ball agierende Außenstürmer oder Box to Box Player nötig um die nötige Gefahr in der Juve-Abwehr zu beschwören. So würde man die Außenspieler weitestgehend hinten beschäftigen und so in ihrer Gefährlichkeit einschränken.

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