Girondins Bordeaux – Paris St. Germain 0:1

Der Tabellenfünfte aus Bordeaux mit der zweitbesten Defensive der Liga empfing die um den Titel mitspielenden Hauptstädter von PSG.

Das System der Girondins

Dabei setzten die Hausherren defensiv auf ein kompaktes 4-4-1-1/4-4-2 mit engen Viererketten und diszipliniert zurückschiebenden Außenspielern, wobei sich Obraniak als hängende Spitze in einer verhältnismäßig leicht erhöhten Position darum kümmerte, die Rückwärtswege zuzustellen und PSG damit in einem eher ungefährlichen Bereich in Offensive und Defensive zu isolieren.

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Die Grundformation Bordeaux´ in dieser Partie

Bei eigenem Angriffsspiel wurde die Formation meistens zu einem recht klaren 4-2-3-1, mit dem Bordeaux primär auf das Überladen der Flügel (über 75 % der Angriffe über außen) durch wechselseitige Dreiecke setzte. Mit gelegentlich immer wieder horizontal einschiebenden Außenspielern, sehr hoch aufrückenden Außenverteidigern sowie auf die Seiten kippenden Mittelfeldspielern sollten hier Überzahlen gegen die nicht immer konsequent im Kollektiv nach hinten rückenden und verteidigenden Gäste hergestellt werden. War es auf der rechten Seite meistens Plasil, der als halbrechter Achter herauskippte und sehr beweglich durch die verschiedenen Räume glitt, agierte auf der dominanteren halblinken Seite der bewegliche Zehner Obraniak als Schlüsselspieler. Er rochierte immer wieder – ähnlich wie bei der Europameisterschaft bei der polnischen Nationalmannschaft – diagonal nach außen, fand aber insgesamt nur recht selten auch Freiheiten in den angesteuerten Räumen neben den Pariser Sechsern oder hinter ihren Außenverteidigern.

Schwierigkeiten mit seitlichen Überladebewegungen

Hier begannen nämlich auch schon die Probleme der Hausherren, die letztlich trotz Überlegenheit keinen Treffer erzielen konnten und aufgrund eines starken Konters über Menez und Ibrahimovic als Verlierer den Platz verließen – nur 23 Treffer in 21 Ligapartien belegen die Offensivprobleme der Mannschaft.

Ein zentraler Punkt bei dieser zu geringen Gefährlichkeit und Durchschlagskraft war die Tatsache, dass den Girondins angesichts des ebenfalls ausweichenden Mittelstürmers Gouffran die diagonalen Gegenbewegungen zu Plasil und Obraniak in die Spitze fehlten – die Außen Ben Khalfallah und Saivet suchten zu stark die horizontalen Linien. Daher wurden die Überladebewegungen auf den Seiten nach außen abgedrängt und konnten nur über Flanken und Hereingaben aus mittelmäßigen Positionen und unter Bedrängnis ausgespielt werden – für die es dann nicht einmal immer genügend Abnehmer gab.

Generell agierte die Heimmannschaft beim Bespielen von Räumen nicht geschickt genug und ignorierte in bestimmten Situationen jeweils bestimmte, eigentlich potentiell gefährliche Räume zu häufig. So wie in obigen Fällen der ballferne, diagonale Raum zum Tor „verschenkt“ wurde, hätte man auch die enorm hoch aufrückenden Außenverteidiger viel besser einbinden sollen. Dies soll nicht bedeuten, dass eine geordnete Defensive zwangsläufig über Außenverteidiger geknackt werden muss – doch wenn PSG etwas schlampig nach hinten rückt und wenn man selbst schon einmal die Außenverteidiger so hoch und breit aufrücken lässt, müsste auch konsequenter mit ihnen gespielt werden.

Zusammengefasst kann das offensive Problem Bordeaux´ als fehlende Bewegungsbalance sowie als Missverhältnis zwischen dem Besetzen und dem Bespielen von Räumen beschrieben werden. Zu oft wurde unnötigerweise in unpassende oder eher schwächer besetzte  Feldbereiche gespielt oder wurden andersherum aussichtsreiche Räume ausgelassen.

Verstärkt wurde dies auch noch durch eine gewisse Hektik in der Spielanlage, die Bordeaux zumindest im letzten Spielfelddrittel plagte und durch die sehr hohe Formation bedingt war. Weil das Vorschieben von Mariano und Tremoulinas sehr radikal war und neben Plasil sich auch der nominell „tiefste“ Mittelfeldspieler Sertic häufig weit von seiner Position entfernte und mit nach vorne einschaltete (wenngleich vermehrt vertikal denn horizontal), wurden die Rückverbindungen zu den Innenverteidigern zu inkonstant und vor allem die Tiefe innerhalb der Formation beschädigt – ein Zwang zum Vorwärtsspielen.

Allerdings hatte Bordeaux es in dieser Partie auch mit einer starken Defensive zu tun, die ihnen das Spiel im letzten Drittel durch enges Zusammenstehen der verteidigenden Akteure erschwerte – nicht umsonst ist PSG trotz der nicht gänzlich kollektiven Rückwärtsarbeit die beste Abwehr der Liga und mittlerweile seit über 6 Spielen ohne Gegentor.

Die konservative Auslegung der Kollektivität

Wie auch bei Bordeaux liegt das Problem der defensivstarken Hauptstädter eher in der Offensive, wo sie sich schon einige Male die Zähne ausbissen. Die hohe individuelle Klasse, die – absolut gemessen – beste Offensive der Ligue 1 und gelegentliche Schützenfeste können nicht über die grundlegenden strukturellen und taktischen Probleme der Mannschaft von Carlo Ancelotti hinweg täuschen.

Während das dynamische Umschalt- und Konterspiel mit starken Einzelspielern, die von einer stabilen Defensive abgesichert und befreit werden, schon in seiner Zeit bei Milan zu den großen Stärken seiner Truppe zählte und dank der Zusammenarbeit des Sturmduos Menez-Ibrahimovic auch in dieser Begegnung gegen Bordeaux den entscheidenden Siegtreffer brachte, gibt es im Spielaufbau und im kollektiven Angriffsvorgang noch einige Defizite. Daher hatten sie auch mit nur 6 Abschlussversuchen deutlich weniger Szenen als die Südwestfranzosen.

Die sehr klare Trennung zwischen recht freien Offensivspielern und vielen eher defensiven, absichernden Akteuren, die gemeinhin gar als Klavierträger für die Stars bezeichnet werden könnten, kann effektiv sein, birgt aber auch Risiken. Besonders durch das zögerliche Aufrücken von Außenverteidigern und Sechsern fehlen vorne die Präsenz und Optionen, während die Angriffsspieler nicht immer nah und strukturiert genug zusammen agieren – dies ist dann aber essentiell, wenn man schon eine solche, etwas zweigeteilte Angriffsstrategie fährt.

Die Methode ebenso wie die Probleme lassen sich in der folgenden beispielhaften Szene erkennen:

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Das geringe Aufrücken der Außenverteidiger und Sechser nimmt Lavezzi die Optionen, der nur noch 3 Kollegen vor der gestrichelten Ballinie hat, von denen mit Ibrahimovic (im Abseits) und Lucas aber gleich zwei nicht anspielbar sind. Einzig Menez (der in dieser Szene mit Lucas getauscht hat) wäre eine wirkliche Option, ist aber sehr weit entfernt und kann daher auch nicht für das nötige effektive Zusammenspiel bereit stehen. So wird der Zehnerraum (rot) überhaupt nicht besetzt und Lavezzi gegen drei Gegenspieler (blauer Kasten) komplett isoliert. Der Angriff ist zum Scheitern verurteilt, was auch durch eine individuelle Glanzaktion kaum aufgelöst werden könnte. Ein kompletter Neuaufbau, ein erzwungener Rückpass oder im schlimmsten Fall gar ein Ballverlust von Lavezzi könnten die Folgen sein.

Es liegt noch Arbeit hinsichtlich des kollektiven Zusammenspiels vor dem teilweise als klassisch bezeichneten Trainer Carlo Ancelotti, wenn seine Mannschaft beim engen Kampf um die Meisterschaft sich nicht nur auf individuelle Klasse und Konterangriffe verlassen möchte. Auch für die K.O.-Phase in der Champions League wäre eine Weiterentwicklung der Mannschaft eine deutliche Stärkung – denn mit Situationen wie oben und einer Offensivleistung gegen Bordeaux kann man in der Königsklasse nicht mehr als das Viertelfinale erreichen. Dass das Potential vorhanden und Ancelotti ein sehr erfahrener, wie gewiefter Trainer ist, steht allerdings außer Frage. Veränderungen aufstellungstechnischer, taktischer und formativer Art hat es unter seiner Führung bei den Parisern schon einige Male gegeben: Ob in der zweiten Saisonhälfte noch der benötigte Schub im modernen Kollektivspiel folgt?

Taisumi 22. Januar 2013 um 09:28

Schön mal wieder etwas aus der Ligue 1 zu lesen. Wofür ich euch sehr dankbar wäre, wäre ein Text über Stade Rennes. Für mich so bisschen der SC Freiburg aus der Bretagne, die seit Petr Cech immer wieder richtig gute Spieler hervorbringen. So bisschen das gallische Dorf der Ligue 1, das immer wieder an der Euro-League kratzt. Vllt ist das ja im Rahmen der Blick über denTellerrand-Reihe möglich.

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fluxkompensator 21. Januar 2013 um 22:53

Ah, endlich wieder einmal ein Topspiel aus der Ligue 1. Vielen Dank dafür! Leider kommt die französische Liga seit dem Kaufrausch PSGs etwas zu kurz, weil ohnehin von einem Pariser Durchmarsch ausgegangen wird – zumindest medial habe ich den Eindruck oft.

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Rasengrün 22. Januar 2013 um 01:01

Falls dieses Spiel ein repräsentatives Beispiel und der Bericht hier zutreffend war, dann könnte es auch einfach daran liegen, dass die Liga trotz der Millioneninvestitionen von PSG (oder vielleicht sogar deswegen? Irgendwie scheinen Investorenklubs eine gewisse inhärente Tendenz zum Heroenfußball zu haben…) taktisch eher mäßig interessant ist.

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suedviertelzidane 24. Januar 2013 um 22:05

Das kann ich bestätigen. Das liegt mitunter aber auch an dem -aus meiner Sicht – allgemein relativ geringem Spieltempo der Liga zusammen.
Die Qualität, die Paris sich mit enormen finanziellen Aufwand eingekauft hat, müsste an sich locker für den Titel reichen. Von einem „Durchmarsch“ kann man aber momentan definitiv nicht sprechen. Für viele Experten in Frankreich liegt das vor allem an Ancelotti. Trotz Variation der Systeme, der Aufstellungen und der Taktiken scheint er noch nicht die richtige Spielidee für seine Mannschaft gefunden zu haben. Für die Ligue 1 scheint es zu reichen, für die CL schätzungsweise nicht.

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