Die Manndeckung
Die zwei hauptsächlich genutzten Deckungsarten im Fußball sind die Manndeckung und die Raumdeckung. In diesem Artikel erklären wir die unterschiedlichen Varianten und Ausprägungen der Manndeckung, inkl. ihrer Vor- und Nachteile.
Allgemeines zur Manndeckung
Die Manndeckung – wo man bekanntlich elf Esel auf dem Platz hat, Zitat Ernst Happel – war zwischen den 20er- und späten 50er-Jahren die mit Abstand am öftesten praktizierte Spielweise. Auch darüber hinaus und in den 70ern wurde sie noch teilweise genutzt, danach erlebte sie ab den 80ern eine Wiedergeburt. Die chronologischen Anfänge der jeweiligen Phasen waren natürlich in den jeweiligen Ländern unterschiedlich und auch ihr zeitliches Ende sollte ganz verschieden sein. So war es in Deutschland noch bis in die späten 90er und länger der Standard, seine Gegner in Manndeckung zu nehmen. Der BVB bekam beispielsweise auch deswegen im Jahre 2001 gegen die Bayern ziemlich eines auf die Nüsse, der deutsche Fußball sollte ab den frühen 2000er-Jahren generell eine Krise erleben.
Doch es gab früher und gibt in der aktuellen Zeit immer wieder Bestrebungen, die eigene Mannschaft stärker mit einer Manndeckung agieren zu lassen. Wie wir noch sehen werden, gibt es sogar viele Varianten der Manndeckung, die noch zum Standard gehören.
Bevor man darüber in eine taktische oder gar fußballphilosophische Debatte gehen kann, sollte man sich deswegen zuerst mit den unterschiedlichen Varianten der umstrittenen und als veraltet geltenden Manndeckung vertraut machen.
Die Manndeckung im Kollektiv
Zuerst erklären wir die Manndeckungsspielweise, welche im gesamten Kollektiv praktiziert wird sowie ihre Varianten.
Variante 1: Die strikte Manndeckung / Nummerndeckung
Die strikte Manndeckung, von mir gerne auch als klassische oder rigide Manndeckung bezeichnet, dürfte wohl die bekannteste sein. Sollte der Gegenspieler am Vorabend zu viel getrunken haben, dann bekommt man es wegen der Nähe durch seine Fahne mit – manchmal kann man ihm auch die Haare halten. Ob das Wissen über das genaue Befinden des Gegners inklusiver dessen Ausdünstungen (Lilian Thuram soll sich im Vorfeld von Spielen mit Zwiebeln eingerieben haben, um seine Gegenspieler zu verwirren) einen taktischen Vorteil herstellen, wollten wir aber nicht erörtern.
Im Endeffekt geht es bei der Manndeckung um eines: Jeder Akteur erhält einen fixen Gegenspieler, der mehr oder minder für neunzig Minuten verfolgt wird. Der Spruch: „wenn er aufs Klo geht, dann verfolgst du ihn“ oder „er muss deinen Atem spüren“ stammt aus eben diesen Unzeiten des Fußballs. Diese bezeichnen die aggressive Variante dieser Spielweise, während Herbert Chapman als „Erfinder der Manndeckung“ beim Arsenal FC Mitte der 20er-Jahre eine lose Manndeckung installierte. Es reichte, wenn man seinen Gegner im Auge und in seiner Nähe behielt, wodurch man jederzeit Zugriff herstellen konnte.
Aus taktischer Sicht ist die Umsetzung der Manndeckung simpel: das tägliche Brot des Kreisklassenverteidigers besteht dank dieser simplen Anweisung lediglich aus einer disziplinierten und körperlich betonten Verfolgung.
Fußballprofessor Ralf Rangnick bezeichnete diese Spielweise als „Nummerndeckung“, weil hier zumeist der auf dem Papier direkte Gegenspieler entsprechend seiner Rückennummer übernommen und quer über den Platz verfolgt wurde.
Mit der Zeit und Situation (bei guten Trainern oder intelligenten Spielern) wurde dies natürlich angepasst, im Finale des europäischen Supercupfinales 1975 zwischen dem FC Bayern und Dynamo Kyiv stellte Dettmar Cramer seine Manndecker entsprechend den Veränderungen Kyivs um; der Rechtsverteidiger, der Sechser und der Linksverteidiger tauschten, der defensivstarke Joseph Weiß deckte nun Rechtsaußen Slobodyan, im Landesmeisterpokalfinale hatte er zuvor den zentraleren Billy Bremner aus dem Spiel genommen. Es wurde nun nicht mehr rigoros nach den gegenüberliegenden Positionen eingeteilt, sondern für die Schlüsselspieler des Gegners ein geeigneter Manndecker (auf Kosten des eigenen Offensivspiels) gesucht.
Die Vorteile der starren Manndeckung sind ebenfalls klar: einfache Spielweise, keine Kommunikationsprobleme beim Übergeben und Verschieben, kein besonderes taktisches Training, das Ausspielen der im Idealfall überlegenen Athletik und ein durchgehendes Augenmerk auf gegnerische Schlüsselspieler.
Die taktischen Schwächen wiederum liegen ebenso auf der Hand. Besonders gut vorgeführt wurden sie von fluiden und flexiblen Angriffsreihen, insbesondere natürlich der goldenen Mannschaft der Ungarn in den frühen 50ern, auf Ungarisch auch „Aranycsapat“ genannt.
Als Schlüsselspiel wird hier oftmals das Spiel gegen die individuell keineswegs drastisch unterlegenen Engländer im Wembley-Stadion 1953 genannt, wo der Gastgeber gegen den vermeintlichen Außenseiter vom Kontinent mit 3:6 unterging.
Das Problem war gar nicht das naheliegende, nämlich die Verfolgung des Gegenspielers und eine Raumöffnung dadurch, sondern ein anderes. Jimmy Johnston verfolgte Nandor Hidegkuti nämlich gar nicht, sondern blieb auf seiner Position.
Die Gegner kamen letztlich viel über rechts, was womöglich damit zu tun hatte, dass Winterbottom und Johnston vor dem Spiel über Hidegkuti diskutiert hatten – mit folgender Auswirkung: nach der Unterhaltung beschlossen sie, dass Johnston ihn nicht verfolgen sollte, wie es die Schweden davor erfolgreich praktiziert hatten, sondern einer aus dem Mittelfeld dies übernehmen sollte, wohl der linke Halbspieler im 3-2-2-3. – RM
Die Engländer waren also weder großartig überrascht noch ratlos – sie waren schlicht machtlos. Hidegkuti hatte keinen Verfolger und stellte Überzahlen sowie Verbindungen her; England wurde abgeschossen. Am 23. Mai 1954 gab es übrigens ein Rückspiel, gut möglich, dass man hier nicht den „Fehler“ machen wollte und der Mittelläufer dann Hidegkuti verfolgte. Das Ergebnis spricht zumindest für diese Variante: England verlor mit 1:7 noch höher.
Spielt man mit kollektiver Nummerndeckung / strikter Manndeckung, dann gibt es relativ viele und relativ einfach herzustellende Probleme. Der Gegner kann seinen Gegenspieler wegziehen und Räume öffnen. Er kann Positionen wechseln und für Verwirrung sorgen, er kann sich zurückfallen lassen und dann die gegnerische Formation zerstören, damit ein Loch entstehen lassen oder à la Hidegkuti seinen Gegenspieler verlieren und gekonnt in gezielten Räumen Überzahlen herstellen.
Ein guter individualtaktischer Spieler könnte beispielsweise auch seinen Gegenspieler zu einem anderen Verteidiger mitführen, dazwischen Raum öffnen, sich mit einer Drehung um seinen Gegenspieler in den Raum winden und mit Raum- sowie Geschwindigkeitsvorteil direkt die Schnittstelle infiltrieren. Selbst mit einem freien raumdeckenden Verteidiger hinter einer manndeckenden Abwehrreihe wäre dies möglich, wenn auch nur indirekt: hier öffnet man einfach auf einer Seite Raum für die Mitspieler durch die Bewegung zum Libero, was einen Angriff ermöglicht. Danach zieht der Angreifer mit einer Drehung nach innen und kann ins Angriffsspiel kombinativ eingreifen.
Man sieht: Das Ausspielen dieser Eselei ist sowohl kollektiv als auch individuell unbegrenzt. Dennoch gab es – neben dem freien Mann dahinter – weitere Lösungsansätze, welche zu einer zweiten großen Variante der Manndeckung führten.
Variante 2: Die flexible Manndeckung
Die flexible oder von mir auch gerne übergebende Manndeckung genannte Spielweise bezeichnet eine Abart der Nummerndeckung. Hierbei wird der Gegenspieler zwar verfolgt, aber bei Möglichkeit an einen anderen Mitspieler übergeben. Dadurch können Rochaden zweier gegnerischer Spieler oder das Kreuzen zweier Stürmer besser abgefangen werden, allerdings können kommunikative Probleme entstehen.
In den Niederungen des Amateurfußballs ist zum Beispiel zu beobachten, dass es nicht kommuniziert wird, wenn ein Außenspieler in die Mitte rückt und dadurch ist er plötzlich ohne Gegenspieler. In seltenen Fällen kann es auch passieren, dass der eine Akteur seinen Gegenspieler verfolgt und der andere diese übernehmen wollte; dann sind zwei bei einem Spieler und der Sturmpartner des gedoppelten Akteurs lacht sich einen.
Alles in allem ist diese Spielweise die heute am öftesten praktizierte Variante der kollektiven Manndeckung und stellt eine logische Weiterentwicklung dar. Die Gegenspieler können nicht nur an Mitspieler übergeben werden, sondern auch einfach in den Raum.
Dies wurde unter anderem von den Münchnern in den frühen 70ern unter Dettmar Cramer praktiziert. Wichen gegnerische Spieler in die Tiefe, um Überzahlen zu erzeugen, wurden sie verfolgt und dann an einen Gegenspieler übergeben. Dieser wiederum konnte seinen Gegenspieler nach vorne in den Raum übergeben.
Dadurch wurden die Bayern tiefer und kompakter, während der freie Mann des Gegners hinter einen dichten Abwehrblock gestellt wurde, was das Erzeugen von Überzahlen zumindest ansatzweise schwieriger machte.
Mit dieser Spielweise ist auch in gewisser Weise eine Art Pressing möglich. Die Abwehrspieler des Gegners werden nicht manngedeckt und die raumdeckenden Offensivakteure der eigenen Mannschaft spielen tiefer. Sie unterstützen dann vereinzelt ballorientiert den Manndecker beim Attackieren seines Gegners oder können einen Mann übernehmen, was die defensiveren Manndecker befreit.
Wirklich durchgehend und organisiert praktiziert wurde dies allerdings nie. Normalerweise wurden die Offensivspieler von Defensivaufgaben befreit, die Defensivspieler spielten in Manndeckung und gegnerische Verteidiger wurden nur beim Aufrücken von den Offensiven verfolgt.
Heutzutage wird diese übergebende Manndeckung allerdings situativ sehr häufig genutzt. Vorrangig bei gegnerischen Kontern wird in Strafraumnähe auf die Stürmer eine Manndeckung übernommen. Die Logik dahinter ist, dass die Räume bereits offen sind und der Gegner nur noch den Vorwärtsgang ohne viel Raumspiel sucht und deswegen diese situative Manndeckung die einzige effektive Vorgehensweise ist.
Ansonsten ist diese kollektive Manndeckungsvariante weitestgehend ausgestorben und wird nur noch individuell genutzt, wozu wir noch kommen werden. Vorher schließen wir das Kapitel der kollektiven Manndeckungen noch mit der dritten Variante ab.
Variante 3: Die raumorientierte Manndeckung
Diese letzte geschilderte Alternative, die raum- oder zonenorientierte Manndeckung wird sogar in der Bundesliga noch vereinzelt genutzt, unter anderem von Dieter Hecking bei seinem Ex-Verein, dem 1. FC Nürnberg.
Hier steht die Mannschaft zumeist in ihrer positionsorientierten Raumdeckung da, wozu wir in einem anderen Artikel noch kommen werden. Aus ihren Positionen haben sie einen gewissen abzudeckenden Raum vor und um sich. Verirrt sich ein gegnerischer Spieler in diesen Raum, dann wird er in eine Manndeckung übernommen.
Verlässt der Gegner den Raum ohne Ball, dann bewegt sich der eigene Spieler wieder zurück auf seine Position in der Grundformation. Dies ist in gewisser Weise eine Kompromisslösung zwischen Mann- und Raumdeckung. Das Kollektiv steht in einer kompakten raumdeckenden Anordnung da und stellt daraus gezielt Manndeckungen her. Somit wird Bewegung ins Spiel gebracht, der Gegner soll bei der Ballannahme eng gedeckt und damit bedrängt sein, während das Kollektiv keine Räume öffnen soll.
Dabei kann diese Spielweise so praktiziert werden, dass die Position schlichtweg offen bleibt oder dass das Loch durch kollektives Verschieben beziehungsweise einen ersetzenden Spieler gefüllt wird. Dadurch bleibt die Formation kompakt, aber eventuell entstehen in anderen Räumen Löcher und insbesondere bei schnellen Doppelpässen können diese fehlenden Spieler anvisiert werden.
Ein Vorteil ist aber wiederum, dass Probleme beim Verschieben und räumlichen Übergeben oftmals nicht auffallen, weil sie seltener werden und schwieriger bespielt werden können. Das Momentum aus der gegnerischen Aktion kann durch eine intelligente Attackierung zerstört werden und daraus der Angriff verzögert, abgeleitet oder unterbrochen werden.
Generell ist es eine manchmal mehr, manchmal weniger schwierige Spielweise mit vielen komplexen und intensiven Bewegungen, die einen interessanten Kompromiss, aber wohl keine Dauerlösung darstellt.
Variante 4: Die situative Manndeckung
Während die dritte Variante eine Mischung aus Raumdeckung und Manndeckung gehört, aber noch zu der Manndeckung gehört, ist bei der situativen Manndeckung eher eine Raumdeckung das oberste Prinzip. Dennoch zähle ich sie zu den Manndeckungen, weil bei starker Intensität und Umsetzung sie das auffälligste Merkmal der jeweiligen Mannschaft sind.
Zur Erklärung dieser Spielweise: Aus einer Raumdeckung heraus werden bei dieser Mischvariante ebenfalls oft Manndeckungen hergestellt. Ein Beispiel gibt es im Pressing, wo zum Beispiel der SC Freiburg mit den Mittelstürmern die Passwege zustellt, also raumdeckend und optionsorientiert agieren, während die Sechser die gegnerischen Sechser in Manndeckung übernehmen, um sie sofort attackieren zu können. Allerdings spreche ich hier natürlich nicht von einer kollektiven Manndeckung der Freiburger, sondern von einem situativ angewandten taktischen Mittel.
Alternativ und viel stärker können bei gegnerischen Kurzpassstafetten auch im Mittelfeld auf sich freilaufende Spieler kurzzeitig Manndeckungen hergestellt werden, welche dann nicht anspielbereit sind – der Gegner muss zurückspielen und der Manndecker wird wieder zu einem Raumdecker. Diese Variante als eigene zu bezeichnen, reicht beispielsweise beim Spiel von Rayo Vallecano gegen den FC Barcelona oder bei der Spielweise Swanseas nicht. Gleichwohl wird dies von diesen beiden Teams gespielt und gehört zu den interessanten Eigenschaften einer optionsorientierten Raumdeckung. Auch die Bayern mit ihrem intelligentem Pressing dieser Rückrunde zeigen oftmals situative Manndeckungen.
Keine Mannschaft spielt diese Spielweise aber durchgehend, obwohl sie eine interessante und sehr risikoreiche Variante wäre. Eine noch flexiblere Variante der Spielweise Bilbaos würde dieses taktische Mittel wohl am ehesten verkörpern.
Die Manndeckung bei Individuen
Aktuell wird die Manndeckung jedoch vorrangig bei einzelnen Spielern genutzt. Man möchte damit bestimmte Gefahren einschränken oder die Abstimmung in der eigenen Mannschaft erleichtern, weswegen man die Manndeckung vereinzelt wieder aufleben lässt. Hier gibt es zwei große Varianten, die wir kurz anreißen.
Variante 1: Manndeckung auf Schlüsselspieler
Die am weitesten verbreitete und noch sehr oft genutzte Manndeckungsspielweise dürfte der Kettenhund auf einzelne strategisch wichtige Spieler des Gegners sein. So gab es in der Bundesliga einen Manndecker auf Mats Hummels beim BVB oder im El Clásico von Sami Khedira auf Andrés Iniesta. Die Unterschiede liegen auf der Hand: beim BVB wollte man den spielgestalterischen Innenverteidiger und somit das Aufbauspiel aus der Tiefe heraus ersticken, bei Barcelona sollte der Nadelspieler abgedeckt werden und dadurch das gegnerische Ballbesitzspiel ohne Raumgewinn und Stabilität bleiben.
In dieser Spielweise ist das raumdeckende Grundgerüst gegeben und es werden nur einzelne Spieler aus der Grundformation heraus isoliert. Sie übernehmen dann eine Manndeckung, können aber oftmals wieder zurück in die Grundformation eingehen. Je nach Aggressivität der Spielweise wechselt man also zwischen einer fixen und einer situativen Manndeckung. Dieses taktische Mittel wird auch die nächsten Jahre überdauern und ist bei intelligenter Nutzung grundsätzlich durchaus eine gute Idee und keine Eselei.
Variante 2: Manndeckung auf bestimmte Positionen oder in bestimmten Zonen
Als zweite Variante können nicht einzelne Spieler manngedeckt werden, sondern nur in einer bestimmten Zone oder auf einer Position. Ein gutes Beispiel wäre das Spiel gegen die falsche Neun: diese wird von einem Innenverteidiger manngedeckt, dann an einen Mittelfeldspieler übergeben oder gar fix manngedeckt. In diesem Fall geht es nicht um den Spieler und seine individualtaktischen Fähigkeiten, sondern seine Bedeutung für die Bewegung in der Gruppen- und Mannschaftstaktik, die unterbunden werden soll. Alternativ kann auch bei situativer Sturmbesetzung immer der jeweilige wechselnde Mittelstürmer gedeckt werden, um ein besseres Beispiel zu geben.
Die Standardnutzung dieser Spielweise befindet sich auf Außen. Hier wird den jeweiligen Außenstürmern der gegnerische Außenverteidiger zugeordnet und dem Außenverteidiger der Außenstürmer. Dadurch soll verhindert werden, dass der Gegner durch das Hinterlaufen frei wird oder die dribbelstarken Flügel des Gegners ihr Sichtfeld einfach zum Tor drehen können. Oftmals wird mit dieser Spielweise das gegnerische Aufbauspiel in die Mitte zurückgelenkt oder es wird mit Pressingfallen gearbeitet.
Dabei formierten sich die Bremer einmal mehr in ihrer 4-1-4-1-Formation, die passend zur Leverkusener Spielweise adjustiert wurde.
Auf den Flügeln orientierten sich die Außenstürmer sehr mannorientiert und ließen sich weit nach hinten fallen, wenn sie den Ball nicht hatten. Dadurch konnte Leverkusen die hohen und breiten Außenverteidiger nicht ideal nutzen, sondern musste stärker über die Mitte kommen. – RM
Noch was?
Langfristig könnte die Manndeckung zurückkehren; doch nicht in altem Gewand, denn die Spieler sind in puncto Athletik wohl zu sehr auf einem ähnlichen Niveau, die Trainer sind zu ausgefuchst und nur vereinzelt könnte eine klassische Manndeckung durch das Kollektiv noch erfolgreich sein.
Aber eine moderne Variante könnte eventuell für eine Renaissance sorgen: die raumverknappende Manndeckung oder eventuell eine kollektiv und aggressiv durchgesetzte situative Manndeckung. Bei Ersterem würde zum Beispiel Arrigo Sacchis Dogma der Kompaktheit und den vier Referenzpunkten mit einer Mann- statt einer Raumdeckung beachtet werden. Anstatt in einer raumdeckenden Formation vereinzelte Manndecker einzubauen, wie es aktuell gemacht wird, könnte es dann in einer manndeckenden Mannschaft „Raumdecker“ geben, welche Löcher schließen und situativ Pressingfallen aufbauen.
Die Raumdecker müssen dabei keine fix eingeteilten Akteure sein, sondern können aus dem verknappten ballfernen Raum gezogen werden. Die ballfernen Manndecker übernehmen in eingerückter Position einen Mann, wodurch ein Dominoeffekt entsteht und die vielen Raumdecker befreit. Im Grunde wurde dies mit dem Libero als freiem Mann und Raumdecker bereits in einer Einzelvariante gespielt.
Mit fortschreitender Dynamik und Spielintelligenz könnte diese Spielweise – welche wie erwähnt ansatzweise in den 70ern von den Bayern gespielt wurde – für neue Wege in der Fußballtaktik sorgen. Hier wird aber nicht nur eine Dimension, die Länge des Platzes, „verknappt“, sondern auch die Breite, der Faktor Raum als solcher und der Faktor Zeit / Stress. Ob und wann es soweit ist, werden wir noch sehen (oder eben nicht).
Es gäbe weitere Konstrukts und Verfeinerungen der klassischen Manndeckung; beispielsweise durch Doppeldeckungen im Zuge einer kompakten Grundformation oder noch einige weitere skurrile Ideen, auf die wegen mangelnder Referenzen im Leistungssport in diesem erklärenden und taktiktheoretischen Artikel nicht weiter eingegangen wird.
Spielverlagerung wünscht ein frohes neues Jahr!
P.S.: Auf Leserwunsch noch meine Idee der raumverknappenden Manndeckung:
11 Kommentare Alle anzeigen
Anders Limpar 23. Januar 2013 um 17:29
Danke für den Artikel! Hat Spaß gemacht.
In den Niederungen des Amateurfußballs ist ja zumindest die situative Manndeckung noch gang und gäbe. Du hast ja schon ein paar Möglichkeiten genannt wie eine solche Manndeckung zum eigenen Vorteil ausgetrickst werden kann. Die Überladung eines Raumes führt bei der Manndeckung ja zwangsläufig zu großen Freiräumen in anderen Spielzonen, in die dann nach Möglichkeit schnell vorgestoßen werden kann.
Nur sieht es etwas „unorthodox“ aus wenn sich beispielsweise plötzlich zwei Stürmer auf einen Flügel verlargern. In einem eurer Podcast habt ihr mal beschrieben, dass man Manndeckung bekämpft in dem man sich vom Ball „wegorientiert“ und den Gegenspieler mitzieht.
So wie ich es in deinem Artikel verstanden habe, ist das Gegenmittel also hohe Variabilität, schnelle Positionswechsel und die teilweise mutwillige nich-Teilnahme an einer Spielsituation, um den Raum für andere zu öffnen.
Das „auf den Libero stellen“ eines Stürmers ist wohl ein Beispiel für einen taktischen Kniff der wahrscheinlich schon von den ersten Menschen genutzt wurde.
Wie lässt sich dieses Chaos denn planen? Vielleicht hast du ja noch kurz Zeit zu beschreiben wie eine situative Manndeckung am besten und „planbar“ zu knacken ist.
daniel-rws 2. Januar 2013 um 19:13
@RM: könntest du, falls möglich, folgenden Abschnitt nochmal genauer erläutern bzw. eventuell mit einer Grafik veranschaulichen, da ich mir nicht ganz sicher bin, ob ich verstanden habe, was du damit aussagen willst:
Anstatt in einer raumdeckenden Formation vereinzelte Manndecker einzubauen, wie es aktuell gemacht wird, könnte es dann in einer manndeckenden Mannschaft „Raumdecker“ geben, welche Löcher schließen und situativ Pressingfallen aufbauen.
Die Raumdecker müssen dabei keine fix eingeteilten Akteure sein, sondern können aus dem verknappten ballfernen Raum gezogen werden. Die ballfernen Manndecker übernehmen in eingerückter Position einen Mann, wodurch ein Dominoeffekt entsteht und die vielen Raumdecker befreit. Im Grunde wurde dies mit dem Libero als freiem Mann und Raumdecker bereits in einer Einzelvariante gespielt.
RM 2. Januar 2013 um 20:04
Hallo!
Habe es grafisch anhand eines Beispiels dargestellt. Gut so?
daniel-rws 2. Januar 2013 um 20:39
Top! Die Grafiken sind optimal. Ich finde es generell gut, wenn zusätzlich zur Beschreibung von Sacherverhalten noch Grafiken beigefügt werden, um das Ganze zu veranschaulichen, denn oftmals hilft eine Grafik mehr als tausend Worte 😉
Vielen Dank dafür!
mischl 1. Januar 2013 um 20:05
klasse Artikel und verlinkt noch euren FreiburgArtikel an passender Stelle. freu mich schon auf raumdeckung. bekommt solbakken und seine spiele gegen barca bzw sein System nen schwerpunkt ?
RM 1. Januar 2013 um 20:17
Danke! Verlinkt habe ich gerade, hätte ich glatt vergessen.
Nein, bekommen keinen Schwerpunkt, weil wir keine Analyse auf unserer Seite dazu haben.
Max 5. Januar 2013 um 09:56
Ja, Solbakken.
Als Kölner habe ich seine Zeit in der Bundesliga aufmerksam verfolgt. Aber es war wie so oft (z.B. auch bei Dutt in Leverkusen): es wurde ein Trainer mit einer Spielphilosophie verpflichtet der mit dem vorhandenen Spielermaterial diese nicht optimal umsetzen konnte…
Ich halte seinen Ansatz trotzdem nach wie vor für sehr vielversprechend.
Max 1. Januar 2013 um 12:17
Sehr interessanter Artikel. Ich finde solche Grundlagen auch sehr wichtig, wenn man wirklich auf hohem Niveau diskutieren möchte.
Wie seht ihr eigentlich das Pressing? Kann man hier von einer Variante der Manndeckung sprechen? Letztlich einer „aktiven“ Variante, da der ballführende gegnerische Spieler gezielt attackiert wird? Im Gegensatz zur „passiven“ Variante der kollektiven Manndeckung bei der der gegnerische Spieler auch ohne dass er den Ball hält gedeckt wird?
RM 1. Januar 2013 um 20:17
Nein, das Pressing ist ja etwas eigenes, wo der Fokus nicht auf dem Mann liegt, sondern auf dem Ball bzw. der Balleroberung. Man muss zwar zwecks Balleroberung mannorientiert werden, also Zugriff erhalten, doch das Pressing wird im Normalfall ja aus einer Raumdeckung heraus gespielt. Richtig ist aber natürlich, dass man mannorientiert wird, was wir im Raumdeckungsartikel aufgreifen werden.
Max 5. Januar 2013 um 09:53
Klingt logisch. Danke.
Halfarsen 1. Januar 2013 um 09:48
Danke für den erfüllten Wunsch! Habt ihr gut gemacht.