Borussia M’Gladbach – FSV Mainz 05 2:0

Lucien Favre gegen Thomas Tuchel, ein wahres Fest für Fans des Rasenschachs. Allerdings an guten Tagen auch eines für den neutralen Fan, denn beide Mannschaften sind oftmals spektakulär im Umschaltspiel und intelligent in Aufbau- und Offensivspiel.

Gladbachs Abkehr von den Positionsorientierungen

In letzter Zeit fiel bereits auf, dass die Gladbacher von ihrer durchgängigen positionsorientierten Raumdeckung immer stärker abweichen. Sie nutzen nun auf den Außen und vereinzelt auf gegnerische Schlüsselspieler eine mannorientierte Raumdeckung, die im mannschaftlichen Kontext einer losen Mannorienterung ähnelt.

Grundformationen zu Beginn

In der Partie gegen den Mainzer erweiterten sie diese Spielweise auf Andreas Ivanschitz – der nominell höchste Mittelfeldspieler in der gegnerischen Rautenformation wurde immer wieder von einem freien Spieler im Defensivverbund, meistens natürlich einem der beiden Sechser, ins Sichtfeld und eine mannorientierte Raumdeckung übernommen.

Dadurch wollten sie das gegnerische Offensivspiel hemmen und die Verbindungen des zentralen Mittelfelds nach vorne kappen. Mainz sollte den Ball in der Tiefe zirkulieren lassen, bis sie ins Mittelfeld kommen und dann dort den Ball nach einem Fehler in einem überfallartigen Mittelfeldpressing verlieren. So weit, so gut. Doch Thomas Tuchel ließ sich hierbei etwas Interessantes einfallen, welches das klassische passive Gladbacher Pressing und ihr gefährliches Umschaltspiel einige Male präventiv neutralisierte.

Das Mainzer Aufbauspiel

Die Mainzer spielten nicht – wie viele andere Gegner – um den Gladbacher Defensivblock aus zwei Viererketten herum. Es ist eine jener kollektiven Pressingfallen im Gladbacher Spiel: im Angriffpressing stellen sie das defensive Mittelfeld mit den Stürmern zu, formieren sich (hier noch rein positionsorientiert) mit zwei Viererketten, wodurch sie horizontal wie vertikal extrem kompakt werden.

Auf den Außen sind scheinbar freie Räume offen, welche aber vor und während des Bespielens sofort durch das Herstellen der Mannorientierungen und intelligentes Verschieben des Kollektivs zugestellt werden. Mainz bespielte diese Räume aber im Aufbauspiel auffallend selten.

Oftmals schoben sie einfach mit den Aufbauspielern – die zwei Innenverteidiger und der unterstützende Sechser – schlicht so weit nach vorne wie möglich, ließen den Ball dann in dieser Kette zirkulieren. Die Außenverteidiger schoben hoch, blieben aber immer in sicherer Reichweite und konnten auch schwierige Anspiele mit einfachen Rückpässen aus einer etwaigen Bedrängnis wieder zurückpassen. Mainz bespielte die Außen somit nicht im Aufbauspiel, sondern suchte Lücken in der gegnerischen Formation. Diese sind bei den Gladbachern aber naturgemäß schwer zu finden, ebenso wie der Raum zwischen den Linien, welcher sich mit dem eigenen Angriffsvortrag immer mehr verkleinert.

Mainz versuchte deswegen mit einigen langen Bällen auf Adam Szalai oder hinter die – wegen der Vertikalkompaktheit hohen – Abwehrlinie der Gladbacher zu kommen. Szalai sollte die Bälle behaupten oder prallen lassen, desweiteren gab es mit Ivanschitz und Shawn Parker zwei Akteure in seiner Nähe für den Kampf um die zweiten Bälle.

Dadurch wollten die Mainzer möglichst schnell in Raum zwischen den Linien kommen und dann über die Dynamik ihrer Akteure die offenen Schnittstellen bespielen. Ziel war es etwas schneller in der Ballverarbeitung zu sein, als die Gladbacher im Zusammenziehen um den Ball herum. Dann sollen die sich beim Zusammenziehen öffnenden Räume bespielt werden und schnell vor das Tor gekommen werden – was zweimal auch sehr gut klappte. Alles in allem riskierten sie dadurch auch viele Ballverluste, hatten aber eine stabile Abwehr, die dagegen vorgehen konnte.

Mit fortschreitender Spieldauer zeigte sich auch, dass die Mainzer dann drei Arten für das Geben von Breite in der Extremformation Mittelfeldraute hatten.

Mainzer Formation im Aufbauspiel und die Gladbacher Pressingformation

Im Aufbauspiel nach vorne ohne langen Ball in den Raum oder auf Szalai, die ab Mitte der ersten Halbzeit deutlich seltener wurden, wurde kombiniert und die Halbspieler der Raute rückten aus den Halbräumen noch stärker nach Außen und erhielten hier Bälle, von wo sie aus die Außenverteidiger beim Aufrücken unterstützen konnten.

Im Angriffsspiel waren es ohnehin diese Außenverteidiger, die weit nach vorne schoben. Hatten die Mainzer den Ball weit vorne, durften sie aus ihrer relativ tiefen Position ausbrechen und mit nach vorne gehen – Pospech bspw. hatte einige Flanken aus solchen Situationen. Sie sollten auch dafür sorgen, dass die Außenmittelfeldspieler Gladbachs nach hinten arbeiten mussten und sollten gezielt jene Lücken neben den gegnerischen Außenverteidigern anvisieren, die durch die enge Spielweise der gegnerischen Abwehr entstanden.

Als letzter Aspekt kamen die breitegebenden Mittelstürmer ins Spiel, welche im Umschaltspiel bei langen Flachpässen auf die Seiten wichen und Schnittstellen öffneten. Dadurch sollte der aufrückende Ivanschitz in diese Schnittstellen gehen oder sie per Pässen für den zweiten Mittelstürmer bedienen können.

Veränderungen in der Gladbacher Spielweise

Mit fortschreitender Spieldauer passten sich die Borussen besser an den Gegner an und konnten sich mit einigen kleinen Anpassungen zur phasenweise überlegeneren Mannschaft aufschwingen.

Ein Aspekt betraf das Pressing – sowohl Juan Arango als auch Lukas Rupp positionierten sich etwas höher und verschoben diagonal. Sie versuchten nicht durchgehend auf derselben Linie wie die Sechser zu stehen, sondern der ballnahe Außen rückte etwas auf und versuchte den gegnerischen Innenverteidiger anzulaufen. Dabei verfuhr er auf eine solche Weise, dass er durch seinen diagonalen Laufweg den hohen Außenverteidiger im Deckungsschatten behielt und aus dem Spiel nahm.

Arango und Rupp standen höher, hatten den Raum hinter den Außenverteidigern im Deckungsschatten. Dann schoben sie leicht vertikal nach vorne, übernahmen die Außenverteidiger in den Deckungsschatten und konnten dann von dort diagonal die Stürmer im Pressing unterstützen

Nun waren die Vorteile der Mainzer Raute umgekehrt – anstatt dem Gegner zwei Spieler im Pressing zu entziehen, im Zentrum in Überzahl zu sein und Kommunikationsprobleme bei den Verantwortlichkeiten auf den Seiten zu erzeugen, entstand eine Patstellung.

Nach der Halbzeit gab es dann auch offensive Veränderungen im Spiel der Gladbacher. Die Borussen erhöhten die Bewegung im Pressing, die Aggressivität in der Arbeit gegen den Ball und dadurch auch ihre Ausrichtung im Offensivspiel. Dieses war vorher rein auf Konter ausgelegt, während es jetzt bewusst und freiwillig auch „längere“ Kurzpassstafetten ins Reportoire aufnahm.

Darum spielten sie mit mehr Fluidität in der Offensive – beim ersten Treffer war es Rechtsaußen Rupp, der auf links auftauchte und den Angriff dort ankurbelte. Die Mainzer ließen die ballferne Seite verwaisen, Gladbach bespielte sie intelligent und schnell, was in der Führung resultierte.

Die Gladbacher hatten auch deswegen Mike Hanke gebracht, um eine erhöhte Dynamik ins Spiel zu bringen – Igor de Camargo war zuvor ein starrer Referenzpunkt gewesen, um den herum Patrick Herrmann nach Räumen gesucht hatte.

Kurz nach dem Treffer Hankes fiel dann das zweite Tor für die höher pressenden Gladbacher, als Torwart Heinz Müller ein Ausflug missglückt war, den Juan Arango bestrafte. Dies sollte auch der Endstand bleiben: Gladbach positioniert sich tiefer, wechselte gelegentlich wieder zu einer höheren Anordnung und drängte Mainz zurück, während die Mainzer nicht zwingend wurden.

Mit Marcel Risse für Eugen Polanski und Nicolai Müller für Shawn Parker wollten sie ihrerseits wiederum die Bewegung erhöhen und stärkere rochieren, doch Gladbach konnte in der Tiefe besser verteidigen und kam trotz teilweise vier gegnerischer Stürmer kaum in größere Bedrängnis.

Fazit

Ein Spiel, dass in der ersten Spielhälfte interessanter war, aber in der zweiten Halbzeit wegen einer kurzen Drangphase der Gladbacher im Verbund mit der nötigen Effizienz ihre Entscheidung fand. Die vertikal wie horizontal kompakte Formation der Gladbacher scheint langsam zu alter Stärke zurückzufinden, auch wenn die Phasen in Ballbesitz noch ausbaufähig erscheinen. Mainz hingegen zeigte keine schwache Leistung, fand aber letztlich auch keine Patentlösung für die gegnerische Spielweise.

RobIn 17. Dezember 2012 um 16:28

Gute Analyse, mit eins, zwei Aspekten, die mir so deutlich gar nicht aufgefallen sind! So vor allem das leicht veränderte Verhalten von Arango und Rupp in der zweiten Halbzeit.

Auffällig fand ich, dass bei Gladbach in der ersten Halbzeit die meisten erfolgreichen Spieleröffnungen von Ter Stegen ausgingen, jeweils auf die Außenverteidiger. Entweder überspielte er mit einem Flugball auf Wendt die erste Mainzer Linie (die Stürmer) oder umspielte sie flach auf Jantschke, der die Linie entlang fortsetzte wo Gladbach dann oft mit Jantschke, Rupp und den dazu kommenden Herrmann und Marx/Nordtveit gegen Soto und Zabavnik Überzahl schaffte. Ein Problem von Gladbach war aber sicher die tiefe Position im Spielaufbau, wodurch diese Aktionen und auch lange Bälle bestenfalls zu Ballbesitz im Mittelfeld und noch recht großer Torentfernung führten. Die verbesserte Ausrichtung gegen den Ball sowie die hohe Effektivität nach der Pause reichten insgesamt dennoch zum Sieg. Ein generelles Problem sehe ich im Fehlen eines spiel- und ballstarken Sechsers, der wie bspweise Baumgartlinger bei Mainz tief kommt und so für mehr spielerische Lösungsmöglichkeiten im Spielaufbau sorgt.

Mainz hat wie oft ein taktisch sehr gutes Spiel gemacht, scheiterte aber (wie trotz guter Punktausbeute zu oft) an fehlenden Lösungen im Angriffsdrittel und fehlender Effektivität.

Zu der Jantschke-Thematik: Vom Gefühl her denke ich im Spiel auch manches Mal, er verteidigt zu passiv. Man muss aber auch sehen, dass Flanken für Gladbach bei Stranzl/Dominguez/Brouwers in der IV und Ter Stegen (sehr gute Strafraumbeherrschung) keine extrem große Bedrohung darstellen und es daher tatsächlich Priorität haben sollte Pässe in dem Rücken der Abwehr oder Tempodribblings in die Schnittstelle auf die großen Innenverteidiger zu vermeiden. Dass sich Wendt und Daems da deutlich anders verhalten ist mir ehrlich gesagt nicht aufgefallen, was aber nicht heißen soll, dass es nicht vielleicht tatsächlich so ist.

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AlanS 15. Dezember 2012 um 10:07

Dann siehst du es wie ich – oder ich wie du 😉
Ich verstehe ja, dass Favre mit Jantschke die Kompaktheit in der IV erhöhen möchte, aber Jantschke sieht das in meinen Augen zu oft zu dogmatisch und lässt es dann zu, dass der offensive Außen des Gegners Fahrt aufnehmen kann oder in Ruhe passen bzw. flanken kann. Auf der Gegenseite (Daems/Wendt) funktioniert es ja anders. Wendt hatte zwar in den ersten Spielen auch Probleme, Zugriff auf seinen Gegenspieler zu bekommen, aber inzwischen macht er es richtig gut und es kommt von seiner Seite nur sehr wenig ins eigene Zentrum.
Mich erstaunt daher die unterschiedliche Handhabe von Jantschke, weil es auf mich als eine Schwäche von ihm wirkt, er es aber so konsequent spielt, dass man darin eine Anweisung von Favre erkennen könnte – was aber nicht zum Abwehrerhalten auf der linken Seite passt, denn dort wird es anders praktiziert.

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Wolfsmond 15. Dezember 2012 um 10:42

Kann ja gut sein dass man dem Gegner bewusst die eine Seite anbietet und die andere dichtmacht um das Spiel dorthin zu lenken. Im Verlauf der 90 Minuten wird dies dann vom Gegner immer mehr bevorzugt und immer ausrechenbarer. Das gegnerische Aufbauspiel bewusst zu lenken passt ja zu Favre und es wäre nicht die einzige „Falle“ im Gladbacher Spiel (so wie man Mainz mehr oder weniger bewusst den Pass zwischen die Linien angeboten hat um dann sofort zu verengen und den Angriff abzuwürgen)
Schließe mich aber der allgemeinen Meinung hier an dass man nicht mit Gewissheit sagen kann ob Jantschkes verhalten von ihm oder von Favre ausgeht.

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AlanS 13. Dezember 2012 um 21:13

Super Analyse! Wie oft schaust du dir ein Spiel an, um die Einzelheiten zu erkennen?

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RM 13. Dezember 2012 um 22:28

Im Normalfall einmal, diese Analysen kam bspw. eine halbe Stunde nach Spiel online.

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AlanS 14. Dezember 2012 um 14:30

Respekt! Geschultes Auge.
Ich bin Gladbach-Fan und finde es sehr interessant, dass du gerade die erste Halbzeit als die interessantere einstufst. Im Borussen-Forum wird die erste HZ verteufelt, wie überhaupt die aktuelle Spielweise. Bei dir liest sich das deutlich positiver. Man macht anscheinend taktisch eine gute Arbeit.
Trotzdem habe auch ich den Eindruck, dass Gladbach bei dir etwas zu gut davon kommt. Man hat ja doch einige Chancen zugelassen, die leicht auch zu Toren hätten führen können.
Ein Frage zur Taktik habe ich auch noch. Mir fällt bei Jantschke auf, dass er sehr weit in die IV einrückt und seinen Aufgabenbereich außen verwaisen lässt. Bekommt dort ein Gegenspieler den Ball, greift Jantschke den auch nur sehr zögerlich an. Wie siehst du das?

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RM 14. Dezember 2012 um 14:34

Ist halt immer die Frage, was genau man will. Der Fan steht eher auf Spektakel, der Analytiker auf eine stabile Spielweise – ob defensiv oder offensiv, ist hierbei oftmals unerheblich. Die zweite Halbzeit fand ich aber auch „schöner“ und insbesondere die erhöhte Bewegung der Spieler im letzten Drittel hat mir doch imponiert.

Letzteres ist eben etwas Taktisches: will ich meine Außenverteidiger sehr aggressiv und hoch, will ich eine breite Viererkette, wo die Außen früh attackieren können oder will ich möglichst geringe Schnittstellen und dafür die ein oder andere Flanke oder weniger Ballbesitz in Kauf nehmen? Dennoch gibt es natürlich bei Jantschke auch Potenzial dafür, diese Dinge miteinander ideal zu verbinden. Inwieweit das von Jantschke abhängt und was genau Favre vorgibt, ist schwer zu unterscheiden. Früheres Herausschieben wäre aber natürlich eine Alternative, die Jantschke auch besser praktizieren können sollte.

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