Hamburger SV – 1899 Hoffenheim 2:0
Mit ruhigem und ansehnlichem Ballbesitzspiel umspielt der HSV die Hoffenheimer Defensivanordnung und kontrolliert fast nach Belieben. Über die rechte Seite fallen mit guter Chancenqualität und –verwertung auch zwei Tore.
Kramers Veränderungen
Nachdem Markus Babbel seinen Posten im Anschluss an die schwache Vorstellung gegen Werder Bremen hatte räumen müssen, waren die von Interimstrainer Frank Kramer vorgenommenen Änderungen mit Spannung erwartet worden. Dabei gab es so viel Neues gar nicht zu sehen bei den Kraichgauern.
Auffällig war besonders die neu gewählte Grundformation, welche einen zusätzlichen zentralen Mittelfeldspieler vorsah und sich als eine Mischung aus einem 4-3-3 und einem offensiv flachen 4-3-1-2 mit Raute präsentierte. Diese Verstärkung im Zentrum sollte vermutlich für mehr Balance in den Verbindungen zwischen defensivem und offensivem Mittelfeld sorgen, woran das Hoffenheimer zuletzt so dermaßen gekrankt hatte.
Interessant war zudem die von der formativen Veränderung ausgehende Defensivspielweise, mit der der Hamburger Raute beigekommen werde sollte. Vor dem teilweise durchaus mannorientiert agierenden Dreier-Mittelfeld bewegte sich der zentrale Spieler der offensiven Linie fast immer im Dunstkreis des dennoch überragenden Badelj, während die anderen beiden sich in einer eingerückten Halbposition genau im Passweg zwischen Innen- und Außenverteidiger befanden, womit Zuspiele von Mancienne und Westermann auf die Seiten unterbunden werden sollten.
Dabei befand sich Kevin Volland fast durchgängig in einer halbrechten Position, während Firmino und Derdiyok öfters die Positionen tauschten oder sogar dynamisch wechselten. So rochierte Firmino einige Male von der zentralen Stellung im Rücken von Derdiyok auf die Seite oder dieser ließ sich nach hinten fallen und bewachte Diekmeier, was eine schiefe 4-4-1-1-Formation entstehen ließ, die auf der anderen Seite gegen Lam kaum praktiziert wurde. Insgesamt stand auch die Hoffenheimer Viererkette ein ganzes Stückchen tiefer als noch unter Babbel – gegen Bremen hatten sie durch eine unglückliche Mischung von Positions- und Mannorientierung immer wieder zu simple Bälle in den Raum dahinter zugelassen.
In der Theorie war diese defensive Vorgehensweise ein gutes Gegenwicht, um die Räume für die Hamburger Mittelfeldraute zu verengen und gleichzeitig deren aufrückende Außenverteidiger ohne nominelle Gegenspieler aus dem Spiel zu nehmen – so ging diese Taktik auch in der Anfangsphase auf, doch mit zunehmender Spieldauer konnte sich der HSV mehr und mehr freischwimmen und mit ihrem neuen System das Spiel dominieren.
Die Raute im Herzen…
Zum ersten Mal in der Partie gegen Schalke eingesetzt, wird die Hamburger Mittelfeldraute – eine Formation, mit der Fink auch in Basel einige Zeit sehr gut fuhr – auf sehr fluide Weise interpretiert und lebt besonders von den guten Rollenverteilungen und Symbiosen der Mittelfeldspieler. Auf der Sechs kommen Badeljs ganze spielmachende und orchestrierende Fähigkeiten zum Vorschein, während der Zehner – in Abwesenheit van der Vaarts spielt hier Tolgay Arslan – mehr Verbindungen und Kombinationsoptionen vorfindet.
Die Fluidität findet man ganz besonders auf den Halbpositionen, wo Skjelbred es endlich in die HSV-Mannschaft geschafft hat und mit seinen guten spielerischen Fähigkeiten auch auf dem Platz zu überzeugen weiß. Ebenso blüht der als Linksverteidiger viel gescholtene Aogo auf der halblinken Acht auf und kann sich dort als Balancespieler hervorragend einbringen: Der ehemalige Nationalspieler ist eher ein bewegungsfreudiger und aktiver Spieler, dem daher in einer Viererkette das eine oder andere Mal Fehler im Stellungsspiel passieren, doch in einer derart vielseitigen Rolle kann er nicht nur seine Übersicht und intelligente Anpassungsfähigkeit nutzen, sondern seine manchmal etwas hyperaktive und wankelmütige Bewegungsweise wird hier sogar benötigt.
Gegen Schalke ging es für Aogo oftmals darum, für das halbrechte Überladen der Hamburger abzusichern und die richtigen Räume in der Beweglichkeit seiner Mannschaft zu besetzen. Diesmal konzentrierte er sich stärker auf die halblinke Seite, fiel zur Auflösung schwieriger Situationen manchmal tief nach hinten, schob aber auch in die vorderste Angriffsreihe, um das seitliche Zurückfallen Arslans und Sons zu ermöglichen, und gab für den recht invers agierenden Linksverteidiger Lam teilweise die Breite auf der Seite. Gerade die Wechselwirkungen zwischen Halbspielern im Mittelfeld und den Außenverteidigern sind bei den Hamburgern aufgrund der seitlich verschiebenden Spielertypen Skjelbred und Aogo interessant, da beide auch selbst als Außenverteidiger agieren können, aber eine Spielintelligenz und Anpassungsfähigkeit aus dem Mittelfeldbereich einbringen.
Hamburg maximiert die Kontrolle
Ausgehend von diesem System konnten die Hanseaten dann, wie bereits erwähnt, doch immer wieder die Außenverteidiger freispielen, über diese aus der Abwehrkette heraus kommen und den eigenen Spielschwerpunkt somit verstärkt ins zweite Drittel nach vorne verlagern. Dabei gab es eine Vielzahl an Gründen, die das Umspielen der Hoffenheimer Defensivstrukturen ermöglichten:
Verschiedenste Mittelfeldspieler ließen sich kurz explosiv zurückfallen, wurden von ihrem Gegenspieler verfolgt und verlagerten anschließend per Wechselpass auf den Außenverteidiger – wofür sie eine bessere Position hatten als Mancienne und Westermann. Hier muss auch noch Milan Badelj erneut erwähnt werden, der sehr balanciert zentral zurückfiel und dadurch ebenfalls viele Situationen mit sinnvollen Pässen, Entscheidungen und Verlagerungen auflöste. Hinzu kam, dass die Innen- und Außenverteidiger ein gutes Bewegungsspiel zeigten sowie innerhalb ihrer Räume sich geschickt und passend stellten und anboten. So erzeugten sie mit der Zeit immer größere vertikale Abstände zwischen den zentralen und den äußeren Mitgliedern der Abwehrreihe, was die abzudeckenden Räume und beim Überspielen die folgenden Pendelbewegungen der Hoffenheimer Halbstürmer enorm erschwerte. Dabei war natürlich auch noch zu beobachten, dass diese so eine Rolle nicht gewohnt waren und die Ausführung daher alles andere als konsequent und geschickt war. Mit viel Fluidität konnte der HSV somit das Mittelfeld komplett dominieren und mit voller Kontrolle den Ball über lange Phasen sehr seicht zirkulieren lassen.
Von Durchschlagskraft, Zerfahrenheit und Ruhe
Allerdings bekamen die Nordlichter aus diesen wunderbar anzuschauenden Ballbesitzphasen zunächst noch nicht genügend Torgefahr entwickelt, was auch durch das weite Zurückfallen vieler Mittelfeldspieler bedingt war. Zudem sind Skjelbred und Aogo auf den Achterpositionen sehr bewegliche, polyvalente und gern horizontal auf die Seiten rochierende Spieler, aber beide erzeugen wenig natürlichen Zug und sind nicht gerade die Durchbruchsspieler vor dem Herrn.
Weil auch Rudnevs und besonders Son lange Zeit Probleme hatten, ins Spiel zu finden, fehlte dem HSV etwas das Aktionsmoment im Zehnerraum, so dass gerade in der ersten halben Stunde das letzte Drittel trotz der enormen spielerischen Dominanz und Kontrolle immer wieder mit langen Pässen überbrückt werden musste, um in Tornähe zu kommen. Doch trotz quantitativ mehr Torabschlussversuchen wurden auch die Gäste wenig gefährlich, da sie im letzten Drittel zu individuell agierten und damit die ordentlichen Verbindungsansätze selbst zerstörten – so wurden sehr viele Angriffe unreflektiert mit einem Dribbling und anschließenden Abschluss vollendet.
Letztlich kommt es beim Duell zweier rautenförmiger Formationen oft zu zwei wichtigen Aspekten: Einmal kann durch die Enge in der Mitte und die direkten Zuordnungen sowie die daraus potentiell erwachsende Mannorientierung eine gewisse Zerfahrenheit im Spiel entstehen, wie es hier in der Anfangsminuten der Fall war. Danach dominierten allerdings die Hamburger mit einem Spielstil, der diese Zerfahrenheit verringerte und stattdessen eine gewisse Prise Entspannung und kontrollierte Ruhe in die Partie einbrachte.
Dies kam ihnen besonders zugute, als sie ihre aus einer der ersten Torchancen entstandene Führung verwalten und maßgeblich dazu beitragen konnten, dass das Spiel besonders nach dem Seitenwechsel praktisch nur noch ausplätscherte. Ihre Durchschlagskraft bei den beiden Treffern erzeugten sie letztlich über die rechte Seite – dies war der zweite wichtige Aspekt beim Duell zweier Rauten: Es ist entscheidend, wie gut man aus der Enge auf den Flügel wechseln kann, was dem Hamburger Ballbesitzspiel immer besser glückte. In Sachen Rochaden der zentralen Spieler auf die Seiten (Skjelbred und Aogo) sowie vorrückende Außenverteidiger waren sie den Hoffenheimern, bei denen dies lange Zeit nur die linke Außenbahn mit Johnson und Salihovic gelegentlich zeigte, klar überlegen und machten somit auch zwei Tore über den rechten Flügel. Diekmeiers Flanke besorgte das 1:0 (und außerdem noch Arslans Lattenschuss), ein Freistoß nach einer Kombination über rechts den zweiten Treffer.
Fazit
Zwar zeigte Hoffenheim in der Verteidigung des eigenen Tores eine verbesserte Leistung, doch nutzte ihnen dies nach dem Gegentreffer zum 0:1 alles nichts mehr – vorne fehlte fast jegliche Torgefahr, im Spiel gegen den Ball eine Umstellung der Defensivstrategie auf einen aggressiveren Ansatz, der möglicherweise mehr Zugriff hätte entwickeln und das Hamburger Ballbesitzspiel hätte stören können. So konnten diese recht ungestört ihre Zirkulationskunst durchspielen. In dieser Form und mit der nötigen Weiterentwicklung ihres Ansatzes sind die Hamburger nicht nur ein Sympathie erzeugendes Team, sondern auch ein ernster Kandidat für Europa.
1 Kommentar Alle anzeigen
geco87 9. Dezember 2012 um 15:43
Ich stimme TR zu, dass Aogo auf der Position des halblinken Achters gut aufgehoben ist, allerdings sehe ich ihn teilweise sogar etwas zu lethargisch (körperlich und mental) und antrittsschwach (weshalb ich auch nicht verstand, warum Löw so lange auf ihn baute). Ich dachte ja immer, gerade als AV sollte man „bewegungsfreudig und aktiv“ sein (gerade um sich offensiv einschalten zu können), habe aber dabei nicht berücksichtigt, dass das im Stellungsspiel gewisse Nachteile hat – interessanter Aspekt! Interessant wäre mal ein Vergleich mit Alaba, der ähnliche spielerische Stärken wie Aogo hat (Technik, Passspiel), aber bislang trotz des weitaus geringeren Alters und seiner „offensiven Herkunft“ nicht durch schwaches Defensivverhalten in der Viererkette aufgefallen ist.