Bayern München – Borussia Dortmund 6:2 | 04-11-2000

Es wurde zum Topspiel der Hinrunde der Saison 2000/01 erklärt, doch das Ergebnis sollte dies nicht widerspiegeln.Das Trainerduell hieß Ottmar Hitzfeld gegen Matthias Sammer – und wer hätte bei dieser Paarung daran gedacht, dass es die torreichste Partie der Saison werden sollte, als der Zweitplatzierten und spätere Champions-League-Sieger den Sechstplatzierten aus Dortmund besiegen sollte?

Bei den Bayern fehlten in dieser Partie Thomas Linke, Bixente Lizarazu und Stefan Effenberg, während die Dortmunder auf Fredi Bobic, Sunday Oliseh, Stefan Reuter und den noch nicht fitten Jürgen Kohler verzichten mussten.

Dennoch waren die Aufstellungen mit einigen klangvollen Namen besetzt, insbesondere im Tor. Jens Lehmann stand im Kasten der Dortmunder, während Oliver Kahn das Tor bei den Bayern hütete.

Matthias Sammers Aufstellung und formativer Matchplan

Interessant waren die jeweiligen Aufstellungen. Die Dortmunder Formation wirkte beim Blick auf das Papier eher wie eine Dreierkette – Christoph Metzelder, Christian Wörns und Alfred Njihuis schienen nach einer passablen Abwehr zu klingen.

Auf dem Platz sah dies aber anders aus, denn Matthias Sammer hatte sich etwas sehr Rigides einfallen lassen. Metzelder spielte vor der Abwehr und sollte Mehmet Scholl in Manndeckung nehmen, während Wörns sich auf der Position des Außenverteidigers wieder fand. Dafür rückte Evanilson nach vorne und spielte als defensivstarker Außenstürmer in einem asymmetrischen 4-3-3-System.

Grundformationen zu Spielbeginn

Die Viererkette wurde durch Dedé auf links komplettiert, der wie auch Wörns eine Manndeckung auf den jeweiligen gegnerischen Außenstürmer übernahm. Dadurch entstand auch die leichte Asymmetrie: Evanilson spielte defensiver als sein Pendant Giuseppe Reina, während Dedé sich offensiver zeigte als Wörns. Interessant war die Spielweise in der Abwehr: Njihuis war nämlich ebenfalls ein Manndecker.

Er übernahm Giovane Elber, der sich sehr beweglich zeigte. Um dies zu kompensieren, schob Sammer Jörg Heinrich in die Abwehr, der nominell als zweiter Innenverteidiger spielte, aber oftmals wie ein defensiver Lückenfüller agierte, indem er vereinzelt nach vorne rückte und Pässe abfing oder sich als quasi-Ausputzer positionierte. Dabei half ihm Wörns, der stärker einrückte und selten vorne war.

Ottmar Hitzfelds Mannschaftswahl

Die Münchner spielten mit einem 4-3-3-System, welches Sammer mit den Manndeckungen aushebeln wollte. Dabei schienen die Zuordnungen relativ passend: der offensivere und spielgestalterische Paulo Sergio spielte gegen Wörns, gegenüber traf Duracellhase Hasan Salihamidzic auf den offensivgefährlichen Dedé.

Dass solche Zuordnungen aber ein zweischneidiges Schwert sind, mussten die Dortmunder dadurch erfahren, dass Salihamidzic seine enormen Stärken im Umschaltspiel nutzte und oftmals die Löcher hinter Dedé bespielte. Hinter diesem Dreimannsturm lief Mehmet Scholl als zentraler Spielgestalter. Nominell wurde dieses System als 4-1-2-3 als Variante des 4-3-3 angegeben, doch es entsprach eher einem 4-2-3-1 als Variante des 4-3-3.

Scholl zockte öfters, beteiligte sich nur sporadisch an der Defensivarbeit, während Thorsten Fink als Effenberg-Ersatz eine Art Doppelsechs mit dem dauermobilen Jens Jeremies bildete. Dieser war klar als alleiniger „Sechser“ aufgestellt, bewegte sich aber oft weit mit nach vorne, attackierte früh und kam insbesondere über seine Laufarbeit.

Dahinter spielten die Bayern mit einer Viererkette, in der Michael Tarnat und Willy Sagnol viel über die Außen kamen und dabei ziemlich unterschiedlich agierten. Sagnol spielte – ähnlich wie Lahm  – öfters als diagonaler Außenverteidiger, nutzte seine technische Stärke für das Kombinationsspiel, gab situativ aber auch die Breite und streute immer wieder seine unter Bayernfans legendären Halbfeldflanken ein, die sogar zu einem Tor führte. Zwischen diesen beiden bildete Patrik Andersson mit Ciriaco Sforza die Innenverteidigung.

Bayerns Spielaufbau und die Rolle von Ciriaco Sforza

Ein sehr interessanter Aspekt war das Aufbauspiel der Münchner, welches ziemlich modern und stabil erschien. Die Viererkette fächerte relativ breit auf, blieb aber beinahe auf einer Linie. Die Außenverteidiger schoben nicht nach vorne, was aber auch am gegnerischen Pressing lag, wozu wir jedoch später kommen werden.

Bayerns Aufbauspiel strotzte nur so vor Bewegung

Sowohl Sagnol als auch Tarnat blieben tief und halfen den Innenverteidigern, welche das Spiel organisierten und primär aufbauten. Das Überraschend war jedoch, wie stark sie miteinbezogen wurden und wie „modern“ sie spielten.

Sie zeigten sich ball- und passsicher und rückten sogar mit nach vorne auf. Besonders Sforza schob oft mit nach vorne und spielte als aufrückender Innenverteidiger. Für ihn sicherte dann einer aus dem Mittelfeld ab, gelegentlich schob er aber auch ohne gesonderte Absicherung und ohne Ball am Fuß nach vorne.

Er diente dann vorne als Anspielstation im Rückraum, die versuchte, Pässe in freie Räume zu spielen und die Ballverteilung strategisch zu verbessern. Hierbei stellt sich die Frage, ob Sforza nicht auf dieser Position sein Glück bei den Münchner hätte finden können.

Dazu sei gesagt, dass er sich defensiv zwar solide agierte, aber sich mit einigen kleinen Unkonzentriertheiten wohl nie als langfristige Alternative ins Spiel gebracht hätte. In diesem Spiel stand er einige Male falsch, rückte nicht immer mit dem richtigen Timing nach vorne auf und war defensiv etwas nachlässig, was einmal auch bestraft wurde. Desweiteren wurden ihm viele Defensivaufgaben schon von den Vordermännern abgenommen.

Die Rollenverteilung im Mittelfeld

Zentraler Punkt in diesem Spiel war das bayrische Mittelfeld, wo Fink und Scholl sich zumeist stärker in den Spielaufbau miteinbezogen als Jeremies. Dieser stand zumeist zentral und tief, wurde abgedeckt und suchte auch nicht den Ball – stattdessen versuchte er mit einer vertikalen Bewegung in die Spitze Räume für diagonale Pässe oder seine Partner zu öffnen. Scholl holte sich gelegentlich die Bälle ab, ebenso wie auch Salihamidzic und Sergio sich situativ in die Halbräume fallen ließen.

Zumeist war es aber Fink, der die Innenverteidiger als pressingresistente Anspielstation unterstützte, die den Ball selten lange hielt und um den einfachen Pass bedacht war. Er versuchte auch das Spiel zu verlagern und die Außen mit Kurzpässen einzusetzen, wenn Tarnat und Sagnol starteten. Diese kamen nämlich mit gutem Timing und schnellen Sprints in die Tiefe, wodurch sie mit viel Geschwindigkeit den Ball erhielten und prompt Angriffe kreieren konnten. Dabei bedienten sie sich auch einem der Faktoren im gegnerischen Pressing.

Dortmunder Pressing

Die Gäste versuchten mit einem kompakten Mittelfeldpressing das Aufbauspiel der Münchner lahm zu legen. Dabei wurden die Innenverteidiger nicht bedrängt oder angelaufen, sondern man formierte sich in einem außerordentlich engen 4-3-3, in dem Reina und Evanilson einrückten und Heiko Herrlich sich an Jeremies orientierte.

in Extremfällen konnte Dortmunds Pressing so aussehen, wegen der Manndeckungseselei und der guten Bewegung der Bayern

Im Pressing gab es ebenfalls viele Mannorientierungen: die Flügelstürmer orientierten sich an den Münchner Außenverteidigern, die „Achter“ Otto Addo und Lars Ricken gingen mit Scholl und Fink mit, wobei Metzelder sich ebenfalls mit Scholl mitbewegte.

Um Salihamidzics und Sergios Unterstützung für die Innenverteidiger zu verringern, wurden sogar diese von ihren respektiven Gegenspielern weit nach hinten verfolgt. Problematisch war dabei, dass die Münchner über die individuelle Klasse und ein ausreichend schnelles Kombinationsspiel verfügten, um die zwei freien Spieler Metzelder und Heinrich nicht effektiv werden zu lassen.

Wenn sich der ballferne Flügelstürmer mittig orientierte und verschob, rückten Tarnat oder Sagnol auf und forderten den Ball, wodurch sie Räume überbrückten und dann möglichst schnell ins Kombinationsspiel kommen wollten. Damit hatten die Dortmunder ihre Probleme, wobei auch gesagt werden muss, dass sie ihre Gegentore nicht aus längeren Kurzpassstafetten der Münchner bekamen.

Die Rolle Giovane Elbers

Dennoch war das Kombinationsspiel der Münchner ansehnlich, was insbesondere an ihrem Brasilianer lag, der auch dabei half, dass man die freien Männer der Dortmunder effektiv umspielte. Er ließ sich oft fallen, war (wie auch Paulo Sergio) herausragend im Öffnen von Räumen und verband die einzelnen Mannschaftsteile, wenn Scholl von Metzelder abgedeckt wurde.

Dadurch waren die Bayern sehr stark im Umschaltspiel und konnten das ein oder andere Mal auch einen gefährlichen Konter fahren. Durch Elbers Zurückfallen und seine technischen Fähigkeiten zog er Njihuis immer wieder aus der Kette heraus und es gab breitere Schnittstellen in der Abwehr der Dortmunder.

In gewisser Weise war Elber somit eine ausweichende und eine umschaltende Neun, die sehr komplett agierte – Kombinationsspiel, Ballbehauptung, Kopfballspiel oder Torgefahr, Elber verband alles in einem. In Verbund mit den intelligenten und spielstarken Paulo Sergio und Mehmet Scholl sowie dem nimmermüden Salihamidzic, die gelegentlich auch rochierten, wurden die Mannorientierungen zunichte und ineffektiv gemacht.

Bayerns Flankenspiel

Trotz dieser passenden Bewegungen war der auffälligste Aspekt dennoch das starke Spiel über die Flügel. Mit Sagnol und Tarnat hatte man zwei offensivstarke Außenverteidiger, die sowohl auf hohem Niveau kombinieren als auch flanken konnten. Ähnliches traf auf Weltklasseverteidiger Bixente Lizarazu zu, der in diesem Spiel leider fehlte.

Dennoch war die Flügelzange über alle Zweifel erhaben, sie stand defensiv sicher, machte nach vorne situativ auf unterschiedlichste Weise Betrieb. Nahezu alle Tore fielen in gewisser Weise durch die Stärke durch Hereingaben oder von ruhenden Bällen. Beim Ausgleich zum 1:1 köpfte Elber nach innen und Salihamidzic verwandelte. Es könnte gemutmaßt werden, dass dies bewusst so praktiziert wurde: Scholl trat die Ecke an den kurzen Pfosten, der Ball drehte sich vom Tor weg (dadurch keine Chance für einen möglichen Ausflug Lehmanns) und Salihamidzic rannte in exakt jenes Loch, welches Elber hinterließ und in welches der Brasilianer den Ball hinein leitete.

Das zweite Tor fiel dann, als der BVB sich in einer Viererkette positioniert hatte – Jeremies zog ab, der Ball prallte ab und Salihamidzic eroberte ihn sich. Er setzte sich auf dem Flügel durch und flankte in die Mitte hinein, wo Elber per Kopf traf.

wenn man Sagnol hat, kann man sogar schönes Flankenspiel betreiben – insbesondere dann, wenn man sich an den richtigen Positionen Raum öffnet

Kurz darauf traf Scholl, der wohl einzige Weltklassespieler, der mit Geheimratsecken wie ein niedliches Kind aussehen kann, ebenfalls per Kopf. Beim dritten Tor schob Salihamidzic nach innen und Sagnol war frei auf dem Flügel. Er flankte perfekt ins Loch, wo Scholl seinem Gegenspieler Metzelder davon geeilt war, der mit dessen Beschleunigung schlichtweg nicht mithalten konnten.

Das stand auch exemplarisch für die Stärke der Bayern – durch die intelligenten Bewegungen (Elber hatte den freien Sagnol intelligent aus der Mitte angespielt), die gegnerischen Fehler wegen der Manndeckung (in Raumdeckung wäre der Raum wohl verschlossen gewesen und Elber hatte Njihuis falsch positioniert) und die herausragenden Flankengeber mussten sie nicht quantitativ über Flanken kommen, sondern schafften auch mit relativ wenig Versuchen etwas Zählbares zustande zu bringen, was die Schönheit des Flankenspiels auch erhöhte.

Danach kamen die Bayern über zwei weitere längst vergessene Tugenden: ein wunderbarer Scholl-Freistoß, ein Abpraller von Salihamidzic zu Torschütze Sergio nach gutem Freistoß Tarnats und ein Kopfballtor nach Ecke machen die aktuellen Bayern in diesem Aspekt zu einer kleinen Parodie ihrer historischen Vorgänger.

Auffälligkeiten im Angriff der Dortmunder

Zum Abschluss kommen wir noch einmal zu den Dortmundern. Der Matchplan wurde bereits beschrieben, in den jeweiligen Abschnitten zu den Bayern bin ich auch bewusst darauf eingegangen, wie die Dortmunder Defensive zerspielt und auseinandergenommen wurde. Neben der Defensive, dem Pressing und der Tagesform war es natürlich auch die Ausrichtung der Offensive, die unter ihren Möglichkeiten blieb; was wir kurz erörtern werden. Wichtig war, dass ihnen trotz zweier Flügelläufer und dem offensiven Dedé die Breite fehlte.

Evanilson ging weit mit nach innen, Dedé hatte viele defensive Aufgaben und Reina suchte oftmals nach freien Räumen, weswegen er defensiv und offensiv nicht immer auf seiner Position war. Zentral waren Addo und Ricken sehr beweglich, auch Metzelder ging weit mit nach vorne, aber ihnen fehlte die Ballbehauptung unter Druck und das Bespielen der wenigen offenen Räume.

Ohne diese Kreativität, die lediglich Ricken gelegentlich zu geben vermochte, konnten die Bayern entweder Bälle abfangen und das Spiel beruhigen oder ins Kontern übergehen. Auch Heinrichs freie Position als Innenverteidiger brachte nur wenig – das ein oder andere Mal wich er sogar aus der Kette und half im Mittelfeld, doch es war ohne Effekt und zu selten, ebenso wie Reinas Beweglichkeit, die allerdings zumindest eine Großchance erzwang.

Fazit

Die Bayern gewannen trotz frühem Rückstand nach einem Fehler Finks klar und verdient. Es sollte eine der erfolgreichsten und vielleicht sogar die denkwürdigste Saison der Vereinsgeschichte werden, während Dortmund Dritter wurde und in der Folgesaison den Meistertitel unter Matthias Sammer holen konnte – jenem Mann, der aktuell beim FC Bayern als Sportdirektor tätig ist. Sein Nachnachfolger beim BVB heißt Jürgen Klopp und so viel sei verraten: mit Manndeckungen wird er wohl nicht spielen.

Bei der Recherche der genauen Rückennummern fand ich übrigens einen relativ interessanten Link – der Kicker gab damals eine taktische Minianalyse zum Spiel ab, die ich amüsiert überraschend passend und prägnant fand.

geco87 2. Dezember 2012 um 18:27

Ich habe das Spiel in guter Erinnerung – für mich als Bayernfan war es damals ein herrlicher Abend. Einerseits überrascht mich selbst, wie modern Bayern „damals“ (immerhin war es schon fast in diesem Jahrtausend 😉 ) nach vorne gespielt hat. Andererseits verstehe ich nicht, warum immer davon ausgegangen wird, dass damals taktisch noch Steinzeitfußball gespielt wurde.

Manndeckung war wohl noch weit verbreitet in der BL, andererseits zeigt die Aufstellung des FCB mit einer modernen Viererkette Hitzfelds Fortschrittlichkeit. Hat er damals aber nicht noch öfter auf eine Dreierkette umgestellt? Im CL-Finale gegen Valencia war das zumindest der Fall. Warum? Außerdem: Inwiefern kann man das System in diesem Spiel als modernes 4-2-3-1 begreifen? Ich stimme dem Autor zu, wenn man es so sieht und sehe keine großen Unterschiede zu heute.

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nougat 1. Dezember 2012 um 20:47

so ein mutmacher können die armen bayern schon gebrauchen, gell 😉 !?

na ja, wieder nix, aber hat mich auch nicht gewundert – mit schweini wird das spiel so furchtbar lahm.

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CJ 1. Dezember 2012 um 00:09

Mein Gott wie die Zeit vergeht!! Sforza in der Innenverteidigung und bei Dortmund Spieler wie Otto Addo und Evanilson, die ich ehrlich gesagt schon längst vergessen hatte. Gerade in Anbetracht solcher nostalgischen Rückblicke wird mir bewusst, wie gut den Bayern morgen ein Sieg tun würde. Ohne einen Sieg gegen Dortmund wäre auch eine Meisterschaft irgendwie nur die Hälfte wert.

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fcb 30. November 2012 um 13:02

Ist eigentlich eine Vorschau zu dem Spiel morgen geplant?

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Körperklaus 30. November 2012 um 11:48

der holländer heisst nIJhuis!

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