1899 Hoffenheim – Greuther Fürth 3:3
Ein verrücktes Freitagsspiel in Sinsheim: Interessante taktische Aspekte, Tore gegen den Spielverlauf und eine turbulente Schlussphase.
Hoffenheim unglücklich gegen die Mannorientierung
Es ist eines der zentralen Merkmale der Fürther in dieser Saison: Ihre stark mannorientierte Raumdeckung im Defensivspiel – auch in dieser Partie war dieser Ansatz gerade in der ersten Halbzeit erneut erkennbar. Bis auf Fürstner, der in der neuerdings gespielten 4-4-2/4-1-3-2-Formation raumorientiert in seinem Bereich vor der Abwehr blieb, hatten alle Fürther einen direkten Gegenspieler, den sie auch ziemlich weit verfolgten. So wurde Kleine durch Joselus Ausweichen auf die linke Seite weit über das Feld gezogen, während der sehr bewegliche, dabei mal in die Spitze gehende und mal nach hinten in den Halbraum abkippende Firmino seinen Bewacher Schmidtgal oft aus der Abwehr herauszog.
Aus dieser entstehenden Unordnung und den sich öffnenden Räumen durch die sinnvollen Bewegungen einiger ihrer Offensivspieler konnten die Hoffenheimer allerdings viel zu wenig Kapital schlagen – und das, obwohl sie sogar verhältnismäßig häufig aus dem zuletzt manchmal problematischen Aufbau in die höheren Zonen hineinkamen, was dadurch begünstigt wurde, dass Edu und Asamoah gelegentlich einige Passwege offen oder zu einfach kurze Vorstöße der TSG-Innenverteidiger zuließen. Rudy, der durch die absichernde Rolle Fürstners ungedeckt blieb und immer wieder als Anspieloption verfügbar war, kurbelte das Spiel zwar flexibel an und verteilte die Bälle, konnte aber seine Rolle als „freier Mann“ nicht entscheidend nutzen und die zielführenden Spielzüge starten.
So gelang den Hausherren das Spiel in die freien Räume, welches gegen einen sehr mannorientierten Gegner wie die Fürther wichtig ist, nur ansatzweise – lange Zeit fehlte es völlig an den entscheidenden Läufen, die die beispielsweise von Joselu oder auch Firmino geschaffenen Lücken hätten nutzen können. Stattdessen hielten die Hoffenheimer zu stur an ihrem typischen Kombinationsspiel mit viel Nähe zur kurzen Interaktion fest, wodurch sie zwar einige ansehnliche Ansätze in den Halbräumen neben Fürstner hatten, ihren Gegnern durch die recht elaborierten und auf engem Raum gespielten Angriffe aber genug Zeit gaben, um am Ende der Interaktion den entscheidenden Pass oder Lauf noch zu blocken – notfalls per Foulspiel, dessen sich die Gäste oftmals bedienten. Am Ende hatte Fürth dabei etwas Glück, denn mehrere Spieler ihres komplett gelbverwarnten Mittelfelds wandelten nahe am Platzverweis. Auch wenn ein derart entstandener Freistoß zum 1:0 durch Firmino führte, machten die Hoffenheimer letztlich doch viel zu wenig aus ihren guten Ansätzen der Lücken reißenden Bewegungen von beispielsweise Joselu. Sie wurden weder kollektiv genug durchgeführt, noch wurde kollektiv genug auf die derartigen Aktionen einzelner Spieler reagiert. Im entscheidenden Moment wählten die Kraichgauer meist einmal zu oft den Weg des engen Überladens als den Weg des abgestimmten Auseinanderdriftens. In einer ersten Halbzeit mit wenigen Torchancen für 1899 sorgte eher noch das starke Dribbelspiel ihrer Offensivkräfte für die meiste Gefahr.
Fürther Verbindungsprobleme im Spielaufbau
Allerdings hatten auch die Fürther Schwierigkeiten, ein konstruktives Offensivspiel aufzuziehen – gerade aus eigenen Aufbausituationen heraus, von denen sie angesichts 54 % Ballbesitz vor dem Seitenwechsel durchaus einige hatten. Ihr Kernproblem waren dabei die fehlenden Verbindungen zwischen den tieferen Spielern und der ziemlich hoch stehenden Offensivreihe um die beiden Sturmspitzen. Angesichts weniger Anspielstationen provozierte das insgesamt disziplinierte 4-4-2-Pressing der Hoffenheimer besonders gegen Kleine und Torhüter Grün eine ganze Reihe an weit geschlagenen Bällen.
Im weiteren Spielverlauf konnten die Gäste durch das Zurückfallen von Fürstner zwischen die beiden Innenverteidiger sowie das gelegentliche Abkippen von Prip auf halblinks hinter den weit vorschiebenden Schmidtgal (bei dem er meist diszipliniert von Streker verfolgt wurde) zwar den Zugriff des Hoffenheimer Pressings verringern und im Gegenzug die eigene Kontrolle und Ruhe erhöhen. Doch änderte dies nichts am Grund des Übels – durch das Zurückfallen der zentralen Mittelfeldspieler wurde dieser Bereich noch weniger besetzt und die Verbindungen aus der Abwehr in den Angriff noch mehr geschwächt. Daher war man weiterhin gezwungen schwierigere vertikale oder hohe Bälle zu spielen oder hätte – ähnlich wie der VfB Stuttgart gegen die TSG – brenzlige Situationen im Sechserraum in Kauf nehmen müssen. Letztlich gingen die Fürther nur geringes Risiko, kamen dementsprechend aber kaum zu hochwertigen Chancen. In den wenigen Szenen, in denen Bälle zur Offensive durchkamen und die in jenen Zonen vorhandene hohe Präsenz hätte genutzt werden können, wurden die guten Situationen allerdings – abgesehen von Edus dicker Chance unmittelbar nach Anpfiff – nicht gut ausgespielt.
Fürth findet mehr Balance
Nach etwa 25 Minuten kamen die Fürther dann wieder besser in die Partie hinein und wurde bis zum Ende der ersten Halbzeit stärker und stärker, was sich dann auch im Ausgleichstreffer durch Stieber wenige Minuten vor der Pause niederschlug. Weil Edu sich tiefer fallen ließ, was auch defensiv gegen die Freiheiten Rudys nützlich war, und nicht mehr ständig in vorderster Linie mit Asamoah agierte, verbesserte sich die Balance der Fürther in Sachen Raumaufteilung. Auch Sercan Sararer hatte daran seinen Anteil – der invers dribbelnde Flügelspieler schob nun öfters ins Zentrum hinein und stärkte zusätzlich das Mittelfeld, während gelegentlich gar Edu dafür auf den Flügel rochierte.
Insgesamt führte dies zu höherer Kompaktheit und mehr Verbindungen im Teamkonstrukt der Fürther, gerade im Mittelfeld, so dass man nicht nur dem Hoffenheimer Pressing die Luft nehmen konnte, sondern es zudem einfacher wurde, dieses auch einmal weitergehend zu umschiffen. Daraus resultierten einige nette Kombinationsansätze, wenngleich das Tor selbst nach einem Einwurf entstand und eher von den Schwächen der sehr engen Hoffenheimer Viererkette profitierte. Wichtig für die Entstehung des Treffers war darüber hinaus, dass Fürstner und der Vorbereiter Prib mit ihrem Seitentausch die Fürther Verbesserungen weiter anschoben und auch ganz konkret jene Situation in besonderem Maße ermöglichten. Weil Fürstner nun eher halblinks spielte, konnte er auch die bis dahin von Prib praktizierte Abkippform mit übernehmen, so dass dieser sich wieder verstärkt nach vorne einschalten, Kombinationen einleiten oder wie beim Tor zwischen die Linien vorstoßen konnte.
Turbulente zweite Halbzeit
Nach dem Seitenwechsel war bei den Hoffenheimern vermehrt das Bemühen erkennbar, freie Räume aufzuziehen und anschließend dort hinein zu spielen. Allerdings fehlte es oft am richtigen Timing, den richtigen Entscheidungen und der nötigen Schnörkellosigkeit in diesen Situationen. Dass die Fürther wohl aus Vorsicht ohnehin mehr in Richtung Raumorientierung wechselten, machte Hoffenheims Versuche nicht effektiver. Weil die TSG zudem durch eine Häufung an Ungenauigkeiten in der Phase nach Wiederbeginn viele Bälle verschenkte, während sich das „Up-Hold“-Spiel der Fürther Stürmer deutlich verbesserte, so dass sie eine höhere Quote an langen Bällen aus der Luft pflücken und ablegen konnten, bekamen die Gäste immer mehr Kontrolle in ihr Spiel, ohne allerdings wirklich gefährlich zu werden.
Ziemlich überraschend fiel in diese Phase dann der Treffer für die Hoffenheimer mit ihrer ersten wirklichen Chance der zweiten Halbzeit. Völlig aus dem Nichts kam das Tor aber doch nicht, denn die Gastgeber waren wieder stärker zu ihrem überladenden Spiel zurückgekehrt, womit sie die Fürther etwas mehr in Gefahr bringen konnten als noch in Halbzeit eins. Dies zeigte sich nicht nur in der angedeuteten engen Gegenpressing-Situation vor dem 2:1, sondern sollte sich auch in der Folgezeit bewahrheiten. Nach ihrer Führung gehörte das Spiel nämlich fast ausschließlich den Hoffenheimern, die auch das 3:1 hätten nachlegen können.
Stattdessen fiel aber ein weiteres überraschendes Tor gegen den Spielverlauf: Sechs Minuten vor Abpfiff erzielte Prib mit einem satten Distanzschuss den Ausgleich. In dieser Szene machte sich die verbesserte Effektivität der Stürmer im Ablegen der Bälle sowie die eher rechtsseitige und offensivere Rolle Pribs bezahlt – im Raum hinter Rudy konnte er in diesen zu offen gelassenen Bereich vor der Hoffenheimer Abwehr hinein starten und war dann dank seines Bewegungsvorsprungs von Streker nicht mehr am Abschluss zu hindern.
Nun überschlugen sich beinahe die Ereignisse: Keine fünf Minuten hatte der Ausgleich gehalten, da erzielte erneut Joselu einen weiteren Treffer nach demselben Muster wie bei seinem ersten Streich. Wieder war Volland der Vorbereiter – er fand nach einer Kombination Freiheiten im Halbraum vor und zog Mavraj aus der Innenverteidigung auf sich, was die Lücke für den Lochpass auf Joselu öffnete. Was das 2:1 bereits angedeutet hatte, wurde hier endgültig – Hoffenheim nutzte die Mannorientierung der Fürther Abwehrspieler doch noch aus und spielte in die freien Räume hinein. Weil analog dazu allerdings Sobiech, der eigentlich als großer Innenverteidiger das 2:2 hatte verteidigen sollen, stattdessen das 3:3 in der Nachspielzeit köpfte und damit doch noch für den Punkt sorgte, für dessen Erreichen er eingewechselt worden war, genügte das dennoch nicht zum Sieg.
Fazit
Ein turbulentes und unterhaltsames Spiel mit verschiedenen Phasen, Wechseln im Spielrhythmus und Toren gegen den Spielverlauf – dies alles macht eine Bewertung schwierig. Insgesamt hielten sich beide Teams wohl die Waage, wobei das Übergewicht in Richtung Hoffenheim tendierte. Den Fürthern fehlten zu lange die Durchschlagskraft und vor allem – ein grundlegender Punkt – die nötigen Verbindungen in der Offensive, während Hoffenheim die reifere Spielanlage zeigte und von dieser besseren Basis ausgehend nur an eher feineren Aspekten scheiterte. Genau dies machten die Fürther allerdings gut, was sich besonders an den sinnvollen Reaktionen und ihren Verbesserungen im Laufe des Spiels zeigte, wohingegen die Hoffenheimer zu stark Überzahl-bezogen spielten, wenn eher ein Raumbezug vonnöten war, und zu stark Raum-bezogen spielten, wenn eher der Überzahlbezug angebracht gewesen wäre. Aus diesem Blickwinkel also ein nicht unverdienter Punktgewinn für die Fürther. Zumal sie es waren, die die wohl wichtigste Erkenntnis des Tages formulierten: Seien es die besser gewordenen Verbindungen im Laufe des Spiels, seien es Ansätze von kombinativen Überladungen oder sei es die Tatsache, dass Prib auch einfach mal ein Tor mit Gewalt erzwingen kann – offensive Verbesserungen sind festzustellen.
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David Klein 21. Oktober 2012 um 00:32
Vielen Dank für die Analyse. Fande es ein interessantes Spiel auf durchaus ansprechendem Niveau.