Kurz ausgeführt: Vor- und Nachteile des Duos Gerrard-Lampard
Roy Hodgson begann die Qualifikation wie erwartet im 4-4-1-1. Überraschend war jedoch, dass er die beiden Altstars und das schon mehrfach gescheiterte (Alb-?)Traumduo Lampard-Gerrard von Beginn an einsetzte.
Wieso funktionierte es nicht?
Das Problem der beiden englischen Mittelfeldstars war früher, dass sie oftmals gezwungen wurden, auf einer Höhe zu agieren. Im Idealfall hätten sie sich mit ihren Offensivausflügeln abwechseln und ihre unterschiedlichen Fähigkeiten ins Spiel einbringen sollen. Lampard war der etwas ruhigere Spieler mit mehr Effizienz in seinen Aktionen und Stärken im kurzen Kombinationsspiel sowie dem Auftauchen in den richtigen Räumen. Gerrard hingegen war der dynamischere und weitreichendere Akteur, der seinen Radius auf den gesamten Platz zu erstrecken schien und insbesondere über seine Schusskraft Torgefahr versprühte.
Das englische Kollektivspiel entsprach aber eigentlich keinem von beiden. Gerrards lange Bälle benötigten keine starren Zielspieler, sondern eine bewegliche Spitze, welche diese Pässe trotz ihrer Schnelligkeit und Geradlinigkeit verarbeiten konnte. Lampards strategisches Spiel verlangte nach einer Abstimmung, welche ihm Lücken im Rücken der Abwehr öffnen würde sowie eine Mannschaft, welche den Ball nach vorne tragen oder in der Kombination geschlossen aufrücken kann. Außerdem waren beide Akteure eine gewisse Ausrichtung des Spiels auf sich sowie eine defensive Absicherung gewohnt. Ohne diese ließen sie zu große Räume offen, die ihr Partner nicht schließen konnte.
Darum gab es im Laufe der Jahre die unterschiedlichsten Anpassungsversuche. Bei der EM 2004 spielten sie noch nicht nebeneinander, sondern da organisierte Scholes das Spiel, Lampard wurde auf die Außenbahn verschoben. Zwei Jahre später wollten sie mit einer strikteren Aufteilung und einem rautenähnlichen System die Unausgewogenheit bekämpfen, was ebenso scheiterte. Man wechselte noch im Turnierverlauf auf ein 4-1-4-1, doch weder Carrick noch Hargreaves konnten die nötige Absicherung und Balance ins Spiel bringen. Das Projekt mit Lampard und Gerrard auf der Doppelacht statt der Doppelsechs scheiterte.
Die nachfolgenden Jahre schoben Gerrard statt wie vorher Lampard auf den Flügel, zentral rückte Hargreaves als Stammspieler ins Team, der von Gareth Barry abgelöst wurde. Ein paar Experimente und Wechsel, beispielsweise die Fünferkette im Hinspiel gegen Kroatien oder Gerrards aufrückende Achterposition im Rückspiel, waren ebenfalls erfolglos. Mit Capellos Amtsantritt schien sich das schrittweise zu ändern. Gerrard wurde weiterhin auf dem Flügel aufgeboten, doch Rooneys Fähigkeiten wurden in einem 4-2-3-1 zum Einsatz gebracht. Defensiv sollte Barry für Lampard absichern und eine hervorragende Qualifikation ließ einige Experten vor der Weltmeisterschaft in Südafrika von der besten englischen Nationalmannschaft seit 1990 schwärmen. Mit dem ersten Titel seit 1966 wurde es aber nichts. Spätestens dort wurde Gerrard und Lampard nicht nur gemeinsam im Zentrum, sondern überhaupt in der Mannschaft medial das Todesurteil ausgestellt.
Zukunftspläne trotz schlechter Vergangenheit
Roy Hodgson will davon aber anscheinend nichts wissen. Bei der Europameisterschaft ließ er Gerrard wieder im Zentrum auflaufen, nun kehrte auch Lampard nach überstandener Verletzung an seine Seite zurück. Bei der EM war es noch Parker, der neben Gerrard auflief, doch gegen Moldawien begann Lampard. Links lief Oxlade-Chamberlain in einer leichten Freirolle auf, rechts war es James Milner und zentraloffensiv überraschend Tom Cleverley, der für Unruhe sorgen sollte.
Diese Wahl Hodgsons ist auch auf das Pärchen Gerrard und Lampard in der Mitte zurückzuführen. Mit Milner agiert weder der geeignetste Flügelspieler noch das größte Talent auf der Seite, sondern ein intelligenter und kompletter Akteur, der bei Bedarf in die Mitte rücken kann. Tom Cleverley ist mehr ein Mittelfeldspieler, gar ein Achter, als ein Trequartista oder hängender Stürmer. Dadurch soll die Kompaktheit erhöht werden und mit Defoe davor gibt es sowohl zwei Abnehmer für Gerrards Bälle als auch Anspielpartner für Frank Lampard. Besonders interessant wird es bei Rückkehr von Wayne Rooney in den Kader – wird er eher als Spieler für die Cleverley-Position oder jene für die von Defoe gesehen?
Links gibt es mit Oxlade-Chamberlain eine Akteur, der jung und unbekümmert aufspielt, sich taktisch von der linken Seite ins Zentrum und als hängender Stürmer bewegen kann. Mit Milner rechts kann sich eine Dreierkette zur Absicherung und ein flexibles 4-3-2-1 ergeben, in welchem sich einer der zentralen Spieler nach vorne miteinschalten kann. Passend dazu entspricht auch Baines dem Idealbild des aggressiven und weit aufrückenden linken Außenverteidigers, der in den kommenden Jahren den alternden Ashley Cole ablösen könnte.
„Alter schützt vor Torheit nicht“ – oder doch?
Alles in allem dürfte Roy Hodgson – trotz der teilweise trägen Partie gegen sehr defensivschwache Moldawier – auf einer taktisch interessanten Spur sein. Womöglich wird sogar in Zukunft ein 4-3-2-1 gespielt werden, in welchem sowohl Cleverley, Oxlade-Chamberlain als auch Wayne Rooney auf einer passenden Position eingesetzt werden könnten. Das Mittelfeldtrio könnte sich dann situativ an dies Begebenheiten anpassen und sich in die Offensive miteinschalten. Dennoch scheint es unwahrscheinlich, dass Hodgson vom 4-4-1-1 abrückt. Unter Umständen wäre eine solche Aufstellung dennoch praktikabel, auch mit Gerrard und Lampard im Rücken.
Diese beiden sind durch ihre nun höhere Erfahrung, veränderte Umstände in der eigenen Mannschaft und spielerische Reife andere Akteure als noch vor einigen Jahren. Beide haben körperlich abgebaut, sind weder so dynamisch noch so präsent oder ausdauernd wie in der vergangenen Dekade. Doch Lampard hat sein strategisches Spiel auf das moderne Defensivspiel und die Einflussnahme des Kollektivs ausgeweitet. Gerrard fehlt die dynamische Raumüberbrückung von früher, zurzeit zeigt er sich gemäßigter und konzentriert sich stärker auf das Verteilen von langen Bällen von hinten statt zu Beginn des letzten Spielfelddrittels.
Aber genau diese Mischung könnte ausschlaggebend für ein besseres Koexistieren nebeneinander sein. Sie werden bei einer solchen Spielweise seltener Lücken aufreißen, könnten defensiv präsenter sein und mit ihrer Erfahrung gemeinsam die Stärken des jeweils anderen ergänzen. Im Verbund mit Milner könnten sie die defensiven Außen im Vorwärtsgang absichern, ihre Vordermänner zentraler hereinschieben lassen und eine veränderte Spielweise zur englischen Nationalmannschaft bringen.
Die offensiven Flügel könnten stärker invers und weniger flankengebend auftreten, die Außenverteidiger eine modernere Rolle spielen und sich im Verbund mit der Offensive sich neu einfinden. Hinzu käme mit dem spielintelligenten Milner eine interessante und flexible Asymmetrie, wobei es ganz klar von Hodgson abhängt, ob die Ansätze und die Theorie hinter den Namen sich in den nächsten Jahren durchsetzen wird. Alternativ könnten Gerrard und Lampard nur erfahrene Platzhalter für talentierte Spielgestalter wie Wilshere und Co. sein, die noch Zeit brauchen, um zu reifen.
Zusammenfassung
Die Nachteile sind wie bereits erwähnt die unterschiedlichen Spielanlagen sowie die Einschränkungen in der restlichen Spielerwahl. Besonders in der Vergangenheit konnten diese Nachteile besonders gut beobachtet werden, es fehlte oftmals an Synergien und der nötigen Spielbalance.
Die Vorteile sind die Erfahrung, ihre Reife auf der Position und die charakterliche Anpassung an die „zweite Geige“ sowie ihre mögliche Funktion als Platzhalter für nachrückende Jungspieler. Taktisch besitzen sie weitere Vorteile, welche insbesondere im letzten Kapitel erläutert wurden. Hier sieht man auch die Wandlung der Spielweisen, welche trotz individuell wohl geringerer Stärke als Mitte des letzten Jahrzehnts für größeren Nutzwert im Konstrukt Nationalmannschaft sorgen. Allerdings darf dennoch nicht auf das fortschreitende Alter und die damit einhergehenden Probleme vergessen werden: eine Position als box-to-box-Akteur, alleinige Sechs oder Halbstürmer kommt für keinen der beiden mehr auf höchstem Niveau in Frage.
13 Kommentare Alle anzeigen
Doc 11. September 2012 um 14:27
Es gab zwei-drei solche Artikeln in letzten Wochen – auf Guardian, ZonalMarking, und Who Scored (von Michael Cox).
Schreibst du da was neues, oder schreibst du es nur ab?
RM 11. September 2012 um 15:10
Abschreiben von denen? Nie im Leben. Habe diese Artikel bislang noch nicht gelesen, werde sie mir mal zu Gemüte führen.
Edit:
Auf Whoscored finde ich keinen Blog dazu von Cox:
http://www.whoscored.com/Blog?author=Michael%20Cox
nur folgenden von Laurence, welcher jedoch zwei Tage nach meinem Artikel erschien.
Dieser Artikel im Guardian von Cox erschien ebenso zwei Tage nach meinem Artikel auf Spielverlagerung.
Edit #2:
Habe den letzten gerade überflogen.
Er arbeitet nicht die gemeinsame Vergangenheit in der Nationalmannschaft auf, sondern ihre jeweiligen Veränderungen im Laufe der Jahre im Verein. In weiterer Folge führt er dies genauer aus und erklärt damit Hodgsons Meinung über die beiden, beschreibt aber keine taktischen Möglichkeiten in der Nationalmannschaft.
Falls ich irgendwelche Artikel, die sich mit dieser Thematik taktisch auseinandersetzen, übersehen habe, dann bitte ich darum. Abschreiben tue ich nicht, würde ich auch nie, weil sich keiner mit dem Thema Taktik wie wir auseinandersetzt, es würde also auch doch relativ wenig Sinn ergeben …
Mondkuppel 9. September 2012 um 11:19
Man kan für die Briten nur hoffen, dass die beiden, insbesondere Gerrard, Platzhalter sind. Gerrard hat seine Stärken in der Offensive und ist im zentralen Mittelfeld eher eine Gefahr. Ein Michael Carrick kann genauso die Rolle des tiefen Spielmachers ausfüllen, ist aber defensivstärker und taktische disziplinierter. Ob man in Wilshere so große Hoffnung setzen sollte, wie es getan wird, ist fraglich.
Bazinga 10. September 2012 um 10:33
Was spricht denn gegen Wilshere? Seine Anlagen sind doch vielversprechend und A.Wenger ist sein Vereinstrainer… das verspricht einiges 🙂 Wenn der Junge in Zunkunft von größeren Verletzungen verschont bleibt, dann kann ich mir gut vorstellen, dass er bei der WM in Brasilien eine wichtige Rolle im englischen System spielen wird.
Mondkuppel 10. September 2012 um 13:02
Er ist kein Schlechter, aber nach einem Jahr Verletzungspause und einer Saison, in der er nicht die Liga dominiert hat, sondern ordentlich war und einige gute Spiele, z.B. gegen Barca, abgeliefert hat, muss man abwarten, wie er sich entwickelt
Bazinga 10. September 2012 um 13:51
Das stimmt natürlich – keine Frage. Es klang zunächst so, als würdest du Wilshere als nicht gut genug ansehen.
LS 9. September 2012 um 11:08
Richtig Interessant wird ja erst die Zeit nach Lampard und Gerrard werden. Beide haben mittlerweile ihren Zenit überschritten und bewegen sich schon Richtung Fußballerpension. Ein Rücktritt von der Nationalmannschaft nach der WM 2014 steht ja bei beiden im Raum.
Da wird dann interessant wie sich die Jungen (Wilshire, Shelvey, Cleverly, McEachran, Powell) bis dahin schlagen.
Das Parker und Barry das Duo Gerrard und Lampard ersetzen, gilt wohl auch eher als unwahrscheinlich. Das wäre wohl Gift für das Offensivspiel aus der Mitte heraus.
Rein von dem was man gegen Moldawien gesehen hat, ist England auf keinem schlechten Weg, auch wenn ich persöhnlich kein Fan von Hodgson bin. Bis jetzt bin ich absolut positiv überrascht. Ich hatte mir eigentlich ein ziemlich starres Kick’n’Rush erwartet. Im schlimmsten Fall mit Heskey und Crouch als Doppelspitze. 😉
mischl 8. September 2012 um 23:32
Und danke für die neuen Bilder 🙂 und fürs umschieben
RM 8. September 2012 um 23:49
gerne! 🙂
firedo 8. September 2012 um 22:28
dafür, dass der Artikel nur „kurz ausgeführt“ ist, habe ich ganzschöne Probleme rauszufinden, was nun die Vor- und Nachteile sind.
Kommt mir eher wie eine nacherzählung ihrer gemeinsamen Nationalmannschaftsgeschichte vor.
RM 8. September 2012 um 22:43
Ich habe einen zusammenfassenden Kommentar am Ende hinein editiert, damit die nötigen Informationen nicht aus dem Artikel gefiltert werden müssen.
Häschber 9. September 2012 um 13:55
Will ich mal loben, dass man so auf Userkommentare eingeht und wirklich nochmal am Artikel schraubt.
Und sowieso, das Bild ist zu genial, um den Artikel zu kritisieren!
mischl 8. September 2012 um 21:26
Dein Bild kommt sehr spät, am Handy dachte ich gerade, es komme gar keines. Stört bischen wenn man die genau beschriebene Aufstellung von dir liest aber es visuell fehlt. Würde ich höher rücken. Ist aber auch die einzige Kritik und wird interessant, was da bei England passiert. Vielleicht werden die ja mal wieder was 🙂