Russland – Tschechien 4:1
Russland glänzt mit den typischen Schnellangriffen, Tschechien rochiert zu viel. Die Sieger nutzen die gegnerischen Lücken im Mittelfeld eiskalt, den Verlierern gelingt genau dies in nicht ausreichendem Maße.
Nach dem sehr spektakulären und unterhaltsamen, aber über weite Teile spielerisch doch eher mauen Eröffnungsspiel konnte man sich vom zweiten Spiel der Gruppe A zwischen den taktisch sehr interessanten Teams von Russland und Tschechien eine gute Partie erwarten. Diese Erwartungen wurden insgesamt erfüllt – besonders von den Russen, während die Tschechen doch in einigen Punkten enttäuschten. Insgesamt war es aber ein tolles Spiel.
Angesichts der Charakteristiken der beiden Mannschaften war von vornherein klar, dass es wohl ein hochinteressantes taktisches Duell werden würde, wenn die jeweiligen Ausrichtungen in ihren Wechselwirkungen aufeinander treffen würden. Es ließ sich vermuten, dass die Russen mit ihrer Gefahr zwischen den Linien die genau dort liegende Schwachstelle der Tschechen gut würden entblößen können, während die Tschechen mit ihrem rochierenden Mittelfeld und starkem Pressing die Russen aber ebenso vor Probleme stellen würden. Diese Vermutungen bestätigten sich im Laufe des Spiels teilweise.
Ausgangslage
Die Russen traten mit ihrer erwarteten Ausrichtung und ihrem erwarteten Personal an, sind sie doch sowieso eine Mannschaft mit starker Zenit- und ZSKA-Blockbildung. Einzig im Tor stand ein Fragezeichen hinter Igor Akinfeev, der als nominelle Nummer eins zwar am Abschlusstraining teilnahm, allerdings nicht in der Startformation stand – stattdessen spielte Zenit-Fänger Malafeev. Vorne im Sturm stellte sich die Frage nach dem Stürmer – der sehr bewegliche und auf die Flügel rochierende Kerzhakov war hier trotz einiger Spekulationen der wahrscheinlichste Starter und durfte in der Tat von Beginn an spielen.
Bei den Tschechen mussten da schon etwas mehr Fragen geklärt werden: So zum Beispiel ebenso im Sturmzentrum, wo Milan Baros rechtzeitig fit wurde und sich im Duell mit Pekhart und Necid den Platz im Sturmzentrum sichern konnte, sowie in der Defensive: Hier fiel die Entscheidung, dass Kadlec als Linksverteidiger spielen würde, womit in der Innenverteidigung der Herthaner Roman Hubník neben Sivok spielte. Im Mittelfeldzentrum konnte Trainer Michal Bílek auf seinen immens wichtigen Spielgestalter Tomas Rosický bauen, der nach Wadenproblemen für einen Einsatz bereit stand und zusammen mit Plasil und Jirácek ein flexibles und spielstarkes Mittelfeld bildete.
Tschechiens Pressing gegen russische Aufbau-Probleme
Zu Spielbeginn stellte dieses Mittelfeld mit seinem Pressing die Russen durchaus vor Probleme. Wie beim Team von Dick Advocaat üblich, standen gerade die beiden Innenverteidiger relativ tief, um sich zusätzlichen Raum im Aufbauspiel zu erarbeiten. Dadurch werden die Abstände zu den zentralen Mittelfeldspielern allerdings bisweilen zu groß – vor allem, da gerade die zwei Achter Zyryanov und Shirokov zwei sehr vertikal und fluid denkende Spieler sind, die sich immer wieder mit frühen Läufen nach vorne anbieten und damit dieses Problem der zu großen Abstände und der fehlenden Optionen für die Innenverteidiger durch Übermut vergrößern.
Auf diese Schwachstelle im russischen Spielaufbau waren die tschechischen Spieler gut vorbereitet. Entsprechend ihres Naturell ließen sie den russischen Innenverteidigern aber keine Zeit am Ball, sondern attackierten früh. Normalerweise verbuchen die Russen aufgrund ihrer Schwächen lange Phasen von Ballgeschiebe gegen die eher abwartenden Gegner, doch hier wurden sie sofort attackiert. Anspielstationen hatten sie ebenso wenig, da die Tschechen mit teilweise bis zu fünf Spielern den Raum zwischen den russischen Innenverteidigern und Mittelfeldspielern vollstellten – gerade in der Anfangsphase spielten die Russen daher enorm viele weite Bälle, die wenig einbrachten.
Folglich hatten die Tschechen zu Beginn die Spielkontrolle und unterbanden das Spiel der Russen weitgehend. Obwohl sie die Oberhand hatten, überlegen wirkten und einige Ansätze hatten, konnten sie sich daraus allerdings keine echten Chancen erarbeiten. Das lag besonders am Mittelfeld: Was man sich vorher von diesem Duell der fluiden und rochierenden Mittelfeldzentralen erwartet hatte, war nur angedeutet zu sehen: Es gelang den Tschechen dabei nicht, die recht offene Ausrichtung des russischen Mittelfeldes für sich zu nutzen.
Tschechien übertreibt die Rochaden und scheitert an russischer Passivität
Diese agierten deutlich passiver als sonst und machten es den beweglichen Tschechen damit auch schwerer, mit ihren immer wechselnden Mittelfeld-Formationen die Löcher in der russischen Formation intuitiv auszuspähen. Wenn die Russen aggressiver gepresst hätten, wäre dies möglicherweise für die zudem ballsicheren Tschechen einfacher gewesen, doch so waren die Russen zwar von ihrer Positionsanordnung recht wild, aber standen passiv und fanden durch diese Passivität ein sehr gutes Gegenmittel gegen die Tschechen, die sich das Leben selbst schwer machten.
Gegen die russische Passivität war das fluide Mittelfeld der Tschechen genau eine der unpassendsten Ausrichtungen. Zum einen spielten die Tschechen zu schnell und zu ungeduldig, zum anderen agierte ihr Mittelfeld gar zu fluid und rochierte zu viel.
Wenn der Gegner viele Räume offen lässt, also positionell nicht ideal aufgeteilt arbeitet, dabei aber recht abwartend agiert, braucht es mehr Geduld, da man genug Zeit hat, die entsprechenden Räume anzuspielen. Die Tschechen aber waren zu ungeduldig und agierten zu schnell – dass dies ausgerechnet den Tschechen mit ihrer stark an Arsenal orientierten Mittelfeld-Ausrichtung und der dominanten Persönlichkeit Tomás Rosický passierte, verwundert nicht, wenn man sich anschaut, dass auf Vereinsebene genau jenes Arsenal das Paradebeispiel für eine solche Problematik ist, wie man herausragend an ihrem diesjährigen Spiel gegen Manchester City erkennen konnte.
Rosickýs „Ballgier“ zu groß, das tschechische Mittelfeld zu fluid
Nicht nur vom gesamten Tempo hatten die Tschechen die falsche Balance, auch das Mittelfeld als solches übertrieb seine Wechselspielchen, rochierte also zu stark. Der eigentliche Zehner Rosický war immer wieder enorm weit hinten zu finden, während der tiefliegende Spielmacher Plasil oftmals sehr weit vorne auftauchte. Grundsätzlich bringen diese Rochaden viele Vorteile, doch hier entfernten sich die beiden genannten Spieler aufgrund der übertriebenen Rochade-Ausführungen zu stark aus ihren eigentlichen Aufgabenbereichen. Normalerweise soll Plasil eigentlich verhindern, dass Rosický sich zu tief fallen lässt, während Rosický dafür sorgen soll, dass Plasil auf die Herstellung von Struktur und Ordnung konzentrieren kann und nicht immer selbst den tödlichen Pass spielen muss. So befruchten sich die beiden kreativsten Tschechen eigentlich am besten, doch in dieser Partie spielten sie aufgrund übertriebener Fluidität völlig aneinander vorbei.
Hinzu kam, dass Rosický sich immer viel zu stark zum Ball orientierte und das Spiel dadurch hemmte. Es gab keine Variationen und die Vorteile der Rochaden verpufften durch den übertriebenen Ball-Bezug des Kapitäns, der sich ständig am Leder ausrichtete – dieses zu ballbezogene Spiel Rosickýs trug nämlich ebenso zu der Desbalance im Verhältnis zu Plasil bei, da sich der Spielführer zu früh nach hinten fallen lassen. Bezeichnenderweise fiel der einzige Treffer für die Tschechen, als Rosický einmal völlig ballfern postiert war.
In Verbindung mit den übertriebenen Rochaden entfaltete die unpassende Spielweise Rosickýs noch eine weitere Wechselwirkung: Der ehemalige Dortmunder ließ sich vom Ball auch immer wieder stark auf die Außenbahnen ziehen, was dadurch verstärkt wurde, dass Tschechiens Außenverteidiger einige Offensivfreiheiten genossen und der Ball daher oft zu ihnen gespielt wurde. Somit veränderten sich durch Rosickýs zu starken Flügeldrang auch die Rochaden in ihrer Richtung und verloren ihren Zug zum Tor. Das Mittelfeld bewegte sich aus dem Zentrum immer wieder zu stark auf die Außen, testete das russische Zentrum (Probleme in der Kompaktheit, potentiell anfällige Innenverteidiger) zu wenig und verlor auch die Verbindungen untereinander, da die Abstände zwischen den zentralen Akteuren durch die Ausflüge nach außen bisweilen zu groß wurden.
Wenn die Tschechen dann doch einmal durch die Mitte kamen, präsentierten sich die zentralen russischen Spieler sehr aufmerksam – Denisov lief wie gewohnt viel Raum zu, während gerade die beiden Innenverteidiger überraschend stark agierten. Allerdings muss auch angemerkt werden, dass die schwache Leistung Baros´ ihre gute Performance begünstigte: Der einstige Weltklasse-Stürmer, der wie in seinen besten Zeiten eigentlich lieber mit einem Partner zusammenspielt, zeigte als alleinige Spitze immer wieder die falschen Laufwege und verstärkte damit die fehlende Durchschlagskraft bei den Tschechen weiter.
Obwohl die Russen defensiv also nicht ideal postiert waren und obwohl die Tschechen anfangs überlegen wirkten, konnten sie nach vorne nicht zwingend gefährlich werden. Mit der Zeit wurden die Russen, die zunächst mit dem tschechischen Pressing Probleme gehabt hatten, dann offensiv besser: Einmal bekamen sie das Pressing etwas besser umspielt, da man die Außenverteidiger besser einbezog, die Spieler eine größere Kompaktheit zueinander hielten und man die Tschechen durch den abwechselnd nach vorne und hinten gespielte Vertikalpässe besser öffnete – gerade als diese nach dem Seitenwechsel ermüdeten, funktionierte dies immer besser. Zum anderen nutzten die Russen die fehlende Durchschlagskraft der Tschechen und die offensiven Ballverluste, die durch deren ungeduldiges Spiel nun mehr und mehr entstanden, immer wieder zu gefährlichen Schnellangriffen aus.
Russland entblößt Tschechiens Schwäche zwischen den Linien
Sowohl aus dem Spielaufbau als auch durch Konter wurden die Russen nun mit Tempofußball gefährlich, wobei entgegen ihres üblichen Stils diesmal erstere Angriffe das bestimmende Element bei der „Sbornaja“ waren. Ganz entscheidend bei den schnellen Angriffen der Russen – egal, ob aus dem Aufbau oder nach einem Konter – war, dass die größte Schwäche der eigentlich starken tschechischen Mannschaft den Russen genau in die Hände spielte.
Wie in unserem EM-Heft ausführlich nachzulesen, verfügen die Tschechen zwar über ein starkes Pressing, doch lässt ihr aggressives Mittelfeld oftmals viel zu große Abstände zur Viererkette entstehen. Auf der anderen Seite haben die Russen zwar Probleme im Aufbau, wo sie lange brauchen, den Ball nach vorne zu spielen, doch wenn sie es erst einmal geschafft haben, die gewünschten Zielräume zu erreichen, gehen sie mit Tempo nach vorne ab und sind schwer zu stoppen. Im Raum zwischen den Linien sind die Russen, wenn sie dorthin kommen, Spezialisten – und genau dieser Raum ist bei den Tschechen besonders groß.
Immer wieder war also hinter dem tschechischen Mittelfeld alles offen für die Russen, die die großen Räume dankend nutzten. In solchen Situationen fehlt der tschechischen Verteidigung zudem noch die Klasse, was sich insbesondere an der haarsträubenden Leistung Hubníks zeigte. Es war kein Wunder, dass die ersten beiden russischen Treffer ebenso wie viele weitere Chancen durch schnelle Angriffe und durch diesen Raum zwischen den Linien eingeleitet wurden.
Die Russen waren prädestiniert, gegen die Tschechen Tore zu machen, während die Tschechen prädestiniert waren, die russischen Defensivprobleme aufzuzeigen, doch nur die erste Mannschaft konnte dies im Spiel auch wirklich umsetzen.
Die russischen Achter, Kerzhakov und Arshavin
Eine Schlüsselrolle bei den Russen nahmen die beiden zentralen Mittelfeldspieler Zyryanov und Shirokov ein, die in typischer Manier immer wieder nach vorne marschierten, sich aktiv in die schnellen Spielzüge mit einschalteten und für große Gefahr sorgten. Zyryanov bewegte sich immer wieder auf die Außen und besetzte mit Spielintelligenz die richtigen Positionen, während Shirokov als aggressiverer Akteur seinen unwiderstehlichen Zug zum Tor und seine von Zenit bekannten hervorragenden Laufwege zeigte, die ihm auch einen Treffer einbrachten. Beim ersten Tor war mit Zyryanov einer der Achter ebenfalls unmittelbar als intelligenter Raumfüller und Flankengeber beteiligt.
Weiterhin enorm wichtig war die Rolle von Aleksandr Kerzhakov, der zwar viele Chancen liegen ließ, aber einmal mehr unter Beweis stellte, wieso er für die Mannschaft eine derart großen Bedeutung hat, indem er unauffällig für die Kollegen arbeitet. Seine Aufgabe ist es, sowohl für die nachstoßenden Mittelfeldspieler als auch die nach innen kommenden Außenstürmer durch geschickte Läufe Räume in der Spielfeldmitte zu eröffnen, indem er fortwährend auf die Flanken rochiert und ausweicht, wo er zudem als sichere Anspielstation dienen kann. Einmal mehr zeigte Kerzhakov eine taktisch sehr starke Leistung und demonstrierte seinen Wert für das Team.
Einen besonderen Wert hat auch Andrey Arshavin, der Kapitän und Superstar. In der Vergangenheit hatte er stark abgebaut und bei sporadischen Einsätzen für Arsenal kaum noch überzeugen können, doch pünktlich zur EM präsentierte er sich in bestechender Verfassung. Mit starken Zuspielen, technischer Finesse und Spielintelligenz glänzte der mittlerweile 31-Jährige in diversen Szenen und bot eine hervorragende Leistung als verkappter Spielmacher, der vom linken Flügel immer wieder in die Mitte kam.
Nach dem Seitenwechsel
Zur zweiten Halbzeit brachte Michal Bílek bei den Tschechen für Jan Rezek mit Tomás Hübschman einen Sechser ins Spiel – dafür rückte Jirácek aus dem Mittelfeld auf die rechte Seite. Die Idee dahinter war zum einen, durch den defensiven Hübschman eine Absicherung zwischen den Linien gegen die russischen Angriffe zu installieren, was allerdings nur teilweise gelang. Offensiv gesehen war es positiv, dass übertriebene Wechsel von Rosický und Plasil sich nun nicht mehr so stark auswirkten, da sie ohnehin näher aneinander agierten und Hübschman sich gelegentlich, als absichernder Fixpunkt agierend, zurückhielt. Weiterhin sorgte Jirácek, indem er Bälle hielt, für Spielberuhigung auf dem Flügel, so dass die Tschechen mehr Kontrolle bekamen und weniger hektisch spielten. Allerdings konnte Jirácek als Außenspieler für keinerlei Gefahr sorgen, so dass die Tschechen aufgrund des schwachen Baros und des immer noch zu „ballgierigen“ Rosický einzig durch Pilar für Zug zum Tor und offensive Effektivität sorgen konnten – dieser Pilar machte das 2:1-Anschlusstor.
Im Großen und Ganzen blieb das Spiel nach dem Seitenwechsel relativ ähnlich wie vor der Pause – es war allerdings deutlich weniger intensiv, die genannten taktischen Aspekte waren weniger extrem und die Tschechen waren überlegen, wenn auch weiterhin harmlos. Allerdings wurde das Spiel auch immer offener, zerfahrener und geteilter – die Offensivspieler gingen nicht mehr konsequent zurück, die Defensivspieler rückten nicht mehr konsequent nach, sondern blieben eher tief, so dass das Mittelfeld offener wurde. Dies hing auch damit zusammen, dass beide Teams in einigen Phasen enorme fitnesstechnische Einbrüche zeigten – bei den Russen ob des Alters und ihrer erhöhten Belastung durch die Umstellung der Liga noch etwas verständlicher.
Dass die Tschechen am Ende keine Kraft mehr hatten und das Spiel sich öffnete, kam den schnellen Angriffen der Russen mehr zugute, die zwischenzeitlich einige Probleme hatten, dann aber am Ende noch einmal zulegen konnten. Gerade die Außenverteidiger marschierten nun wie üblich mit nach vorne und waren gegen die nicht mehr konsequent nachsetzenden tschechischen Offensivspieler eine leichte, aber zugleich sehr gefährliche Anspieloption, wie Anyukov bewies. In der Schlussphase lag das 3:1 aufgrund des immer mehr werdenden Platzes für die Russen in der Luft – Dzagoev erzielte es dann schließlich, ehe sein Vorbereiter Pavlyuchenko umgehend erhöhte.
Zusammenfassung
- Zu Beginn können die Tschechen mit ihrem Pressing die russischen Probleme im Aufbauspiel aufzeigen, indem sie die weit auseinander stehenden Innenverteidiger und Mittelfeldspieler isolieren –> lange Bälle der Russen mangels Anspielstationen
- Mit der Zeit können sich die Russen daraus besser befreien, ziehen die Tschechen auseinander und finden Lücken in ihrem Verbund –> Tschechien verliert mehr und mehr die Spielkontrolle
- Russland findet immer wieder viel zu viel Platz zwischen der tschechischen Viererkette und ihrem Mittelfeld –> tödlicher Raum für die schnellen russischen Angriffe und ihre flexiblen Offensivspieler
- Tschechien spielt gegen die defensiv nicht ideal aufgeteilten Russen zu ungeduldig, das Mittelfeld-Trio übertreibt die Rochaden –> Rosický und Plasil spielen aneinander vorbei, die Verbindungen gehen durch Rosickýs zu starke „Ballgier“ und die vielen Bewegungen der Mittelfeld-Spieler auf den Flügel verloren
- Zudem Baros mit schwachen Laufwegen, Rezek zur Pause ausgewechselt und Jirácek als Außenspieler –> endgültig keine Durchschlagskraft
- In der zweiten Halbzeit beide Mannschaft mit großen Defiziten in Sachen Fitness –> Spiel wird offener, unstrukturierter und weniger diszipliniert –> Russland macht den Sack zu, weil sie die immer größeren Räume effektiver nutzen
Fazit
Am Ende war das 4:1 wohl zu hoch, doch der Sieg einfach verdient – die Tschechen machten viel zu viele Dinge falsch, die Russen spielten stark und wussten, wo man den Gegner verwunden musste. Im Gegensatz zu den Tschechen verstanden es die Russen viel besser, Räume im gegnerischen Mittelfeld auszunutzen – dieser Unterschied war entscheidend und drückte sich im Ergebnis aus.
Die Russen dürften sich nun endgültig als Gruppenfavorit etabliert haben und besitzen sehr gute Chancen auf ein Weiterkommen, da man den vermeintlich stärksten Gruppengegner mit einem hohen Resultat besiegte. Dass sie taktisch zu den besten und modernsten Teams des Turniers gehören, konnten die Russen im ersten Spiel durchaus bestätigen.
Als Geheimfavorit und durchaus heißer Kandidat für das Viertelfinale wurden redaktionsintern auch die Tschechen gehandelt. Zweifellos wäre das Potential dafür eigentlich vorhanden, doch die Mannschaft von Michal Bílek konnte diesmal bei weitem nicht ihre beste Leistung abrufen und scheiterte an einer schwachen Ausführung des Systems. Weil umgekehrt die Russen die tschechischen Schwächen genauestens ausnutzen konnten, steht letztlich diese hohe Niederlage. Davon sollten sich die Nachbarn des Co-Gastgebers aber nicht entmutigen lassen. Griechenland wird man wohl besiegen, so dass die Partie gegen Polen um das Ticket für die K.O.-Runde entscheidet – wenn das Mittelfeld dann besser abgestimmt agiert und die beiden Spielmacher sich fangen, sollten die Tschechen etwas stärker einzuschätzen sein als Polen.
Für Spannung in diesen sicherlich erneut interessanten Duellen ist gesorgt. Bis zu den nächsten Partien der Gruppe A kann man sich über diese tolle Partie des ersten Spieltags und auf die Begegnungen der anderen Gruppen freuen.
8 Kommentare Alle anzeigen
Christian 9. Juni 2012 um 14:56
schön finde ich, dass auf den Wert von Kerzhakov hingewiesen wird. habe viel darüber gelesen, dass er ein Schwachpunkt gewesen wäre (was ja auch Scholl nach dem Spiel so gesagt hat), aber er hat einfach nur seine Chancen nicht verwertet – seine Laufwege fand ich dagegen elementar für die Offensive der Russen. Ich sehe das eh so, dass der vordere Stürmer bei Russland nicht notwendigerweise dafür „da“ ist, die Tore zu machen, sondern eher die Räume für Arshavin, Dzagoev, Shirokov schafft, die selbst genug Zug zum Tor haben.
Das russische Spiel ist mit einem wie Kerzhakov viel unberechenbarer als zum Beispiel mit Progrebnyak.
Mr. D 9. Juni 2012 um 14:19
Für jedes „fluid“ bitte 50 Cent in die Kaffeekasse. Man hätte für Rosickys tiefes Fallenlassen auch einfach Igor Denisovs gute Arbeit gegen ihn als Erklärung aufführen können.
Taktikneuling 9. Juni 2012 um 10:31
Ich bin mal gespannt wie das Duell Russland gegen Polen ausgehen wird. Ich könnte mir vorstellen das die polnische Doppel-6 die Räume etwas enger bekommt als den Tschechen. Auf der anderen Seite wird es spannend zu beobachten wie die Russen sich auf die Dortmunder Achse einstellen. Sollte diese nämlich komplett aus dem Spiel genommen werden sehe ich keine richtige Durchschlagskraft mehr bei den Polen.
Die Gruppe wird auf alle Fälle noch sehr spannend!
Wigger 9. Juni 2012 um 08:45
Wenig eingegangen wird hier auf das Tempo des Spieles, was aus meiner Sicht ein entschiedender Faktor ist. Daher wuerde ich dieses Spiel keineswegs aks gutklassig bezeichnen. Es wirkte extrem langsam. Wenig aggressiv, da kann man verstaendlicher Weise gefaellig kombinieren. Fuer die Russen vermutlich ein Graus so hoch gewonnen zu haben. In meiner Wahrnehmung gibt es kein Team welches so unterschiedliche Leistungen bei Turnieren abliefert. Eventuell Menatlitatessache dass man sich jetzt schon feiert. Sonst meist andersherum, nach verlorenen Spielen gewinnt man erst wenn es um nichts mehr geht.
LW 9. Juni 2012 um 02:16
Schöne Analyse, das mit der Zusammenfassung gefällt mir gut, dabei wird nochmal alles schön rekapituliert!
Allerdings sah ich nicht das Problem darin, dass die Innenverteidiger zu tief standen, sondern eher das Mittelfeld zu hoch. Im Normalfall wär es meiner Meinung nach schlauer, wenn sich alle tiefer, aber breiter positionieren, um für Anspielstationen zu sorgen. Dadurch, dass das Mittelfeld aber abgetrennt wurde von der Verteidigung, mussten die Verteidiger automatisch mit dem Ball nachrücken, sie hatten aber keinen Platz aufgrund des Pressings der Tschechen und waren dann vollkommen hektisch geworden..
Ansonsten bei jedem Punkt 100%ige Zustimmung.
Arshavin hat mir heute extremst gut gefallen, schönes Spiel von ihm, hoffentlich sieht man solche Spiele von ihm öfters diese EM
Tank 9. Juni 2012 um 02:13
Finde die Spielweise der Russen ebenfalls sehr gefällig, glaube aber nicht, dass sie insgesamt oder auch „nur“ taktisch zu den stärksten Mannschaften des Turniers gehören. Ich beziehe mich im Folgenden aber nur auf den taktischen Aspekt.
1. Russland reagiert allergisch auf frühes Pressing
Wurde im Artikel schon besprochen.
2. Russlands Kombinationen brauchen Raum
Immer dann, wenn Russland es mal nicht geschafft hat das Loch zwischen Mittelfeld und Abwehr auszunutzen und Tempo aufzunehmen, wirkten sie ungleich ungefährlicher. Gegen tiefstehende Gegner wird dies jedoch der Standard sein und Russland Probleme bekommen.
3. Russlands Verteidigung ist nicht polyvalent genug
Spielt man sie frontal an, sei es durch Läufe oder versuchte Schnittstellenpässe, dann ist meistens alles in Ordnung. Zieht man sie jedoch in Duelle mit flinken Offensivspielern, dann begehen sie schnell ungeschickte Fouls. Dies kann ausgenutzt werden.
4. Nicht nur Tschechien hat ein Loch vor der Abwehr…
…Russland ebenfalls. Besonders wenn es dem Gegner gelingt den Sechser aus dem Zentrum zu ziehen, dann ergeben sich Räume für nachrückende Spieler, um frontal auf die Abwehr zuzulaufen. Hier müssten die Offensiven Russlands mehr aushelfen.
Zusätzlich kam es mir in einigen Momenten so vor, als würden die sehr starken Offensivspieler Russlands, z.B. Dzagoev, innerhalb ihrer teils sehr gelungen Aktionen die letzte Schnelligkeit vermissen lassen. So wurde der Moment nachdem man einen Gegner ausgespielt hatte etwas zu lange ausgekostet, anstatt sofort weiter zu machen. Mag ne Kleinigkeit sein, aber moderner Fußball ist ein Spiel der Kleinigkeiten.
Alles in allem: Ich mag Russlands Spielweise sehr, aber wenn sie sich nicht steigern, werden sie gegen den ersten starken Gegner in Schönheit sterben.
TR 9. Juni 2012 um 11:48
Schrieb ich, dass sie taktisch eines der Topteams sind? Hmm, vielleicht etwas übertrieben, taktisch modern müsste es natürlich eigentlich heißen und sollte so auch im Artikel stehen. Ihre Offensive zum Beispiel ist ja von den taktischen Abläufen hervorragend und defensiv versucht man eben halbwegs die Schwächen zu kaschieren, teilweise, indem man sich auf den Gegner einstellt und die Schwächen so präsentiert, dass der Gegner sie eher schwer ausnutzen kann. Absichtlich passiv stehen, die Räume offen lassen und dann bisschen zocken – das ist doch ein typischer Advocaat und es funktioniert ganz gut. Mal sehen, ob die fehlende Kompaktheit als Provokation sich in den nächsten Spielen beweisen kann. Die Sache mit der Passivität hat ja bei Chelsea auch hervorragend funktioniert.
Und gehört das DFB-Team nicht zu den Top-Teams aus taktischer Sicht, weil man die Räume zwischen den Linien auch teilweise sperrangelweit offen lässt? 😉
Rayson 9. Juni 2012 um 01:33
Also weitgehend halte ich das für eine ebenso interessante wie treffende Analyse. Aus meiner Sicht war bei den Tschechen nach vorne zu viel durch den Zufall bestimmt, und das läuft bei euch dann unter „übertriebene Fluidität“ – es ging irgendwie alles und nichts.
Auch die Lücke zwischen Mittelfeld und letzter Viererkette war offensichtlich.
Ich würde nur gerne eine Lanze für Hubnik brechen wollen. Da ich Herthaner bin (von Beileidsbekundungen bitte ich abzusehen ;-)), habe ich mir seine Leistung etwas genauer angeschaut. Sicher, der Mann ist kein Weltklasse-Verteidiger, und bestimmt auch nicht einer der besten Europas, aber eigentlich doch ganz solide. Aber wenn die Russen gleich mehrere Anspielstationen im tschechischen Strafraum (oder in dessen unmittelbaren Umfeld) haben, ist das nicht der Fehler nur eines Abwehrspielers. Vor dem 3:1 z.B. sah Hubnik sich vor die Alternative gestellt, entweder den ballführenden Spieler anzugreifen oder den in die Tiefe startenden zu decken. Beides ging nicht. Und dass eine Mannschaft zusieht, wie einer ihrer Verteidiger gefühlt minutenlang gegen einen der besten Stürmer Europas sein Bestes gibt (was dann nicht gereicht hat und zum 4:1 führte), ist eigentlich auch nicht der Normalfall.
Das Problem aus meiner Sicht waren eher nicht die Szenen, in denen Hubnik schlecht aussah, sondern die vielen Szenen, die er überhaupt hatte (und von denen er viele klärte). Niemand kann erwarten, dass die 1:1-Situationen immer nur zugunsten des Verteidigers ausgehen.
Arshavin hingegen hat wieder eine der Klasse-Leistungen hingelegt, die man von ihm eigentlich verlangen muss. Unverständlich, dass er bei Arsenal nicht weiter eine prägende Rolle spielen konnte.