Frankreich – Serbien 2:0
In einem hervorragenden Spiel besiegte Frankreich überaus souverän eine schwache serbische Mannschaft. Die Franzosen zeigten sich spiel- und lauffreudig, was dieses Testspiel überraschend ansehnlich machte. Besonders die vielen Rochaden der Blanc-Elf waren ein wahrer Augenschmaus für Fußballfans und Taktikinteressierte. Neben vielen Toren konnten auch zahlreiche interessante Spielzüge beobachtet werden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der anstehenden Europameisterschaft ebenfalls eine Rolle spielen werden.
Serbiens Probleme mit den Franzosen
Die Serben begannen mit einer Mischung aus einem 3-4-2-1 als Variation des 3-4-3 und einem 3-4-2-1 als Variation des 3-6-1. Dieses System wandelte sich im Verlauf der gegnerischen Spielzüge jedoch sehr stark, teilweise wirkte es wie ein 5-4-1. Ivanovic und Rajkovic hätten jeweils die Flügel absichern sollen und Maksimovic fungierte als weitere Absicherung. Davor agierte eine Doppelsechs, welche von zwei höheren und offensivausgerichteten Spielern flankiert wurde. In einigen Momenten wurde deswegen eine Art Quadrat im Mittelfeld sichtbar, welches sich zum Ball verschob und dann wieder flacher wurde. Die Folge: defensive wie offensive Ineffektivität. Die Idee dahinter war wohl, dass das Zentrum versperrt wurde und der Ball durch eine resultierende Verlagerung auf die Außen mit folgender Verengung erobert wurde. Vorne gäbe es dann jeweils zwei Spieler, die beim Umschalten einen Partner hätten und sich für Konter anbieten könnten. Die Flügelverteidiger hätten dynamisch in die Lücken kommen können, doch dazu kam es gar nicht.
Es entstand durch die gegnerischen Rochaden, ihre Formation mit zwei Sechsern und die generelle technische Stärke ein Problem für Serbien. Sie waren im Mittelfeld und zwischen den Linien numerisch unterlegen und konnten den Raum nicht ausreichend genug verengen. Frankreichs Rochaden mit Horizontal- und Diagonalläufen sämtlicher Offensivspieler sorgte dafür, dass sie entweder breit zum Außenverteidiger spielen, miteinander kombinieren oder einen Lochpass zwischen den zwei attackierenden Gegnern spielen konnten. Durch die Nähe und Pärchenbildungen der vier Angreifer ließen sie sich schlicht nicht auf die Außen abdrängen und spielten sich kurze Pässe zu. Teilweise waren die Abstände so kurz, dass keine Pässe gespielt wurden, sondern der Ball schlicht für den heranlaufenden Mitspieler abgelegt werden musste.
Besonders problematisch war dies natürlich für Scepovic ganz vorne. Er erhielt keine Bälle, hatte keine Bindung zum Spiel und sah sich bei Befreiungsschlägen zwei Mann gegenüber. Koscielny presste dann auf ihn, Mexes sicherte ab, falls die Serben nicht schnell genug umschalteten. Wenn sie umschalteten, dann blieb er auf seiner Position und Koscielny agierte etwas vorsichtiger. Dadurch konnten die beiden Sechser zurückkommen und ihn unterstützen, einzige Gefahr ging in der ersten Halbzeit bei Vorstößen über die Flanken aus. Diese Gefahr sah jedoch größer aus, als sie war. Frankreich ließ aufgrund der eigenen Asymmetrie auf der einen Seite Ninkov und auf der anderen Jankovic bewusst etwas aufrücken, um sich mehr Sicherheit und Zeit beim eigenen Umschaltspiel in die Defensive zu geben. Vor dem Strafraum wurde der Ballführende dann gestellt und Frankreichs dynamisches Ballbesitzspiel mit deutlich über 65% bis zum Seitenwechsel begann von neuem. Serbien fehlte die Kompaktheit und ihr Aufbauspiel war mit Ninkov fast isoliert alleine auf rechts zu asymmetrisch und einseitig, um mit Organisation und Struktur das Pressing der Franzosen zu umgehen.
„Liberté, Égalité, Fraternité“ im Fußball
Es sind Ideale der französischen Revolution gewesen, doch sie beschreiben passend die Spielweise des Offensivquartetts der Blues. Alle vier Spieler durften sich frei bewegen, hatten jedoch die gleichen Aufgaben und unterstützten ihre Mannschaft mit viel Laufarbeit und aggressivem Pressing. Nasri und Benzema übernahmen dabei die raumfüllenden Aufgaben, wobei dies letztlich Auslegungssache war: eigentlich waren die Raumfüller immer die zentralen Spieler, welche aufgrund der Rochaden selten dieselben waren. Die Flügelspieler kamen aus einer Halbposition oder gar von ganz außen nach innen, sobald die Außenverteidiger aufrückten. Da Ribéry der präsentere Taktgeber sowie Clichy der offensivere defensive Flügel ist, kamen die meisten Angriffe über links. Ribéry schob nach innen, Malouda ebenfalls und Nasri füllte dann den Raum auf rechts oder halblinks. Bei letzterem wurde er zum Mittelstürmer, Benzema wich dann auf den rechten Flügel und Ribéry suchte nach der Lücke, welche durch das zahlreiche Übergeben entstanden. Wenn diese nicht gefunden wurde, bot sich einer der herumlaufenden Spieler an oder der Ball ging an einen der beiden Sechser. Im Normalfall an Cabaye, der mehr spielgestalterische Aufgaben übernahm und lange Bälle ins Spiel einstreute.
Ribéry würde sich dann oftmals nicht zurück-, sondern weiter bewegen. Er ging auf den rechten Flügel, Nasri kam wieder zurück oder Benzema ließ sich fallen. Gelegentlich ging Malouda in die Mitte und Nasri ging auf den linken Flügel, was sämtliche manndeckenden Aufgaben des Gegners zunichte machte. Dieses Rotationsspiel beruhte vorrangig auf der Dynamik der Spieler und ihrer technischen Stärke sowie Polyvalenz. Sowohl Malouda, als auch Ribéry und Nasri können die beiden Flügel besetzen oder im Zentrum als sichere Anspielstation fungieren. Mit dem spielstarken Benzema, der diese Rolle in ähnlicher Ausführung bei Real Madrid spielt, haben sie einen weiteren perfekten Partner. Wichtig hierbei ist, dass der ballführende Akteur diagonal vorderlaufen wird. Dadurch werden nahe Gegenspieler weggezogen und ihm Platz gemacht, wodurch er zum Abschluss kommen oder zumindest den Ball einfacher behaupten kann.
Ein weiterer interessanter Punkt war die Doppelsechs. Sie hielt sich tief auf, aber verschob immer als Pärchen zum Ball. Sie boten sich als Anspielstation an und Cabaye schlug dann die langen Bälle, um gegnerische Pressingansätze auszuhebeln. Leider musste M’Vila verletzungsbedingt vom Platz gehen, was eine weitere Dimension und geringere Abhängigkeit von Cabaye bedeutet hätte. Diarra nahm seinen Platz aber zumindest defensiv sehr gut ein. Die Wechsel mit Martin, Ben Arfa, Menez und Giroud passten ebenfalls in diese flexible Offensivschablone. Ein Tor konnten sie jedoch nicht mehr erzielen, es fehlte nach dem Seitenwechsel die Dynamik im Spiel.
Relativierung
In der ersten Halbzeit wirkte Frankreich herausragend, kein Zweifel. Sie bewegten sich viel, zeigten sich spielintelligent und im Kombinationsspiel unglaublich stark, allerdings sollten sie deswegen nicht (zu sehr) in den Himmel gehoben werden. Zweifelsohne war es eine wunderbare Spielweise, wie aus dem Lehrbuch, jedoch spielte Serbien defensiv nur halbherzig. Zwischen den Linien und in der Horizontale beim Mittelfeld fehlte es an jeglicher Kompaktheit, die Laufarbeit stimmte nicht und selten zeigten sie sich so intensiv und aggressiv wie ihr Gegner. Nach der Halbzeit erhielten sie mehr Raum und spielten besser. Ihre Aufstellung war jedoch von einer unterlegenen und nicht eingespielten Formation geprägt, desweiteren war die Mannschaftsauswahl klar als Experiment zu bezeichnen. Inwiefern Frankreich solche Leistungen gegen bessere Teams zeigen kann, ist somit unbeantwortet geblieben. Ihre Siegessträhne unter Laurent Blanc ist jedoch ein Indiz, dass sie es womöglich schaffen könnten.
Eine genauere und aussagekräftigere Analyse der Franzosen sowie vielen Hintergrundinfos findet sich in unserem EM-Heft. strong
6 Kommentare Alle anzeigen
vastel 2. Juni 2012 um 15:04
Danke für die Analyse.
Ich hätte eine Frage, da ich weder die französische NM noch die PL/Serie A regelmäßig verfolge:
Wie stark seht ihr die französische Defensive für das Turnier? Wer ist der dominierende der beiden IV: Mexes oder Koscielny? Und wo liegen ihre individuellen Stärken bzw. was sind sie für (Innen-)Verteidiger-Typen?
Debuchy wurde schon angesprochen. Wie hoch sehr ihr die Wahrscheinlichkeit, dass er als RV aufläuft und was würde es für das Spiel der Franzosen bewirken?
Danke im Voraus! 🙂
Goldi 5. Juni 2012 um 17:44
Naja, also ich denke das Mexes ggf für Adil Rami von Valencia weichen muss, da dieser offensiv stark, sowie dynamischer und jünger ist, weswegen er glaube ich bei spielerisch starken gegnerischen Stürmern spielen könnte, denke hier jetzt an Spieler wie Torres und RvP, wobei Mexes dann bei den physisch starken Spielern aufgeboten wird, z.B. Gomez, Llorente, Giroud.
Koscielny ist denke ich auf jedenfall gesetzt, spielt eine starke Saison bei Arsenal, und es fehlt auch irgendwie an einem gleichwertigen Ersatzmann, verstehe hier immernoch nicht wieso Sakho zuhause geblieben ist.
Innenverteidigertypen wären dass adäquat vielleicht Puyol/Pique, nur dass Pique aktiver in die Spieleröffnung eingreift als Koscielny.
Goldi 5. Juni 2012 um 17:50
Hm Debuchy hab ich ganz vergessen.Ich denke wieder dass das abhängig ist vom Gegner, evtl.will Blanc nicht viel Risiko bezüglich hinterlassener Räume auf der rechten Seite eingehen und gegen bestimmte Gegner dann lieber Revelleire spielen lässt.
Debuchy ist halt sehr offensiv und erinnert mich immer an den jungen Sergio Ramos und Schuster und Pellegrini, immer voller Tatendrang, aber oftmal zu unbekümmert und ungestüm.
Denke auch dass Sagna hier 1.oder 2. Wahl gewesen wäre, aber wird halt nix mehr.
Redondo 1. Juni 2012 um 13:50
Zwei Fragen hätte ich zu dem Spiel:
1.) Das Spiel war in der Offensive durchaus linkslastig und Ribery nahm eine entscheidende Rolle in den letzten Testspielen ein. Wird Ribery das Spiel der Franzosen bei der EM mehr prägen als in den letzten Jahren?
2.) Könnte Malouda eine ernsthafte (torgefährliche) Alternative für rechts sein oder wird er zugunsten eines offensiven Debuchys wieder als erster Ribery-Ersatz fungieren?
RM 1. Juni 2012 um 18:01
1) wenn man es schafft, seine spielgestalterischen Fähigkeiten sowie seine taktik-anarchischen Bewegungen in ein solides Fundament zu packen, dann ja.
2) schwer zu sagen. Gut möglich, dass Debuchy als rechter Verteidiger aufläuft, oder nicht?
Redondo 2. Juni 2012 um 15:04
Ich meinte mal gelesen zu haben, dass man Malouda in Kombination mit Debuchy als zu offensiv befunden hat. Debuchy ist aber ein integraler Bestandteil der Taktik Blancs, so wird Malouda nur als Backup für links dienen müssen.