Benfica Lissabon – FC Porto 2:3
Im Topspiel der portugiesischen Liga trafen die beiden punktgleichen Tabellenführer Benfica Lissabon und FC Porto aufeinander.
Duelle zwischen diesen beiden absoluten Topklubs des Landes sind immer sehr intensiv, unterhaltsam und auch taktisch wie spielerisch interessant. So kam es in den vergangenen Jahren zu einigen spektakulären Spielen – oftmals sehr eng und gut anzusehen, aber manchmal auch mit deutlichen Resultaten und hervorragenden Trainerleistungen.
Die Hausherren traten in ihrem typischen 4-2-3-1-System mit offensiven Außenverteidigern, einem flexiblen Mittelfeld sowie zwei oftmals im Halbfeld agierenden Außenstürmern an, während Porto auf der Gegenseite wie seit Jahren üblich auf das 4-3-3 setzte, wobei es diesmal doch stark abgewandelt und oftmals ebenfalls in Richtung 4-4-1-1/4-2-1-3 tendierte mit Fernando und Joao Moutinho im defensiven Mittelfeld.
Nachhaltig geprägt wurde der Spielverlauf durch ein frühes Tor (6.) von Portos Superstar Hulk, der sehr breit stehend den Ball und gute Hilfe von seinem hinterlaufenden Außenverteidiger bekam, in typischer Manier nach innen zog und mit einem famosen Abschluss den Ball aus schwierigem Winkel versenkte. Zwar spielte dieses frühe Tor den Gästen stark in die Karten, doch hatten sie es sich durch konsequentes Spiel in Form einer breiten Fächerung und schneller Seitenverlagerungen bereits verdient.
Anschließend müsste Benfica das Zepter übernehmen, hatte gegen das starke Pressing Portos allerdings einige Probleme. Grundsätzlich agierte man ähnlich dem Konzept des HSV unter Thorsten Fink – Javi Garcia ließ sich zu den Innenverteidigern zurückfallen, während die Außenverteidiger enorm weit aufrücken.
Schwachstellen in Benficas Konzept und die richtige Reaktion von Porto
Was sich in der Theorie allerdings gut anhörte, hatte in der Praxis dagegen drei entscheidende Schwachstellen. Erstens blieb der Effekt der aufgerückten Außenverteidiger ziemlich gering, weil Porto nicht den Fehler machte, die eigenen Flügelstürmer von Maxi Pereira und Emerson nach hinten ziehen zu lassen, sondern Außenverteidiger sich mit Außenverteidiger duellieren ließ – so konnten die Flügelstürmer für Konter vorne bleiben und erfüllten defensiv die wertvolle Aufgabe, sich vor den Außenverteidigern zu postieren und die Passwege zu diesen komplett zu blockieren.
Zweitens war durch das Zurückfallen eines Mittelfeldspielers der Raum in der Zentrale zu wenig besetzt, da zudem Witsel oftmals weit mit aufrückte und sich dann höchstens Aimar alleine um diesen großen Bereich kümmern musste. So konnte Porto hier relativ einfach die Raumkontrolle erringen und Benficas Verbindung zur Offensive kappen, was in Kombination mit den gedeckten Außenverteidigern und dem bereits an vorderster Front von Janko und dem disziplinierten, arbeitsamen und robusten Lucho betriebenen Pressing kaum Chancen für eine vernünftige Spielentwicklung erlaubte.
Drittens ließen diese sich dadurch zur Nervosität verleiten, was in unsauberen Zuspielen und einigen weiteren Fehlern mündete, die wiederum Portos Pressing stärkten und zu aussichtsreichen Ballgewinnen für diese führte – insbesondere versuchte Zuspiele auf die Außenverteidiger Benficas sind in dieser erfolglosen Kategorie zu nennen.
Benfica findet einige Antworten
Zwar war die gesamte erste Halbzeit hiervon geprägt, doch nach sehr schwachen 20 Minuten zu Spielbeginn besserte sich die Lage für die Hausherren im zweiten Teil des ersten Durchgangs immerhin ein bisschen, was mit zwei Offensivmitteln zusammenhing, die Portos Defensive durchaus in Schwierigkeiten zu bringen vermochten.
Beide Wege liefen über die Außenspieler Gaítan und Nolito, die nun in den Mittelpunkt rückten. Sie wurden entweder mit langen Flugbällen gesucht, was mit einem aggressivem Nachrücken von Aimar und Witsel und Überlaufen Portos verbunden war und deren Pressing überspielen sollte, oder durch Vertikalpässe angespielt, welche sie – da in der vereinfachten Theorie ohne echten Hauptgegenspieler – zwischen den Linien in den Schnittstellen des äußeren Dreiecks in der gegnerischen Formation (AV-DM-AS) freibringen sollten, was auch durchaus gut gelang und mit dem Ausgleich belohnt wurde (42.).
Standards und Tempo im zweiten Durchgang
So entwickelte sich – auch unterstützt vom Pressing auf beiden Seiten – ein zunehmend schnelles und intensives Spiel mit vielen Unterbrechungen und Freistößen, die aufgrund ihrer Vielzahl dann auch tatsächlich eine entscheidende Rolle einnahmen, als Óscar Cardozo nach einem Freistoß sein zweites Tor erzielte und Benfica in Führung köpfte (48.).
Prägend für die zweite Halbzeit war außerdem eine fast schon ausartende Beschleunigung des Spielgeschehens, das nun nicht nur schnell, sondern auch total offen sich darstellte. Es entwickelte sich ein Fest der nicht richtig besetzten, offenen Räume (bei Porto mit bedingt durch eine Verwirrung über die Rollenverteilung und taktische Anordnung in jenem Bereich) und des dadurch fehlenden Gegenpressings im Mittelfeld, was von den nach innen kommenden Außenspielern gerne ausgenutzt wurde – der eingewechselte James Rodriguez erzielte mit einem Konter nach einem Konter durch die Mitte und per Dribbling das 2:2 (64.).
Es rächte sich, dass Benfica im ersten Durchgang Portos Pressing nicht gekontert bzw. nicht wenigstens an den Ursachen ihrer Probleme angesetzt hatte, sondern das Pressing sowie die Folgen – also die Probleme selbst – umgangen hatte durch Um- oder Überspielen des Pressings im Mittelfeld. Denn nun waren es diese offenen Räume, die Porto den Ausgleich ermöglichte und für folgende Situation sorgte.
Das Spiel wog hin und her, hätte also in beide Richtungen gehen können, doch letztlich war es eine Rote Karte für Emerson (77.), die die Weichen stellte – provoziert von Hulk, der damit seiner Schlüsselrolle als Topspieler gerecht wurde. Aufgrund der Überzahl übernahm dann Porto das Kommando und drängte mit mehr Dominanz auf den Sieg, was dann auch ausgerechnet durch einen Treffer nach einer Standardsituation samt Torwartfehler zur Realität wurde (87.).
Fazit
Ganz unverdient war der Sieg in der Nachbetrachtung allerdings nicht, denn wenn eine Mannschaft in dieser durchaus ausgeglichenen Partie mehr die Oberhand hatte, dann waren es die Blau-Weißen. Der Schlüssel hierzu könnte vielleicht Lucho gewesen sein, denn im Unterschied zu seinem Gegenüber Aimar musste er sich nicht immer wieder nach hinten fallen lassen, um die Angriffe einzuleiten, sondern konnte vorne die zugedachte sehr flexible Rolle als Kombinationshilfe für die Flügelspieler erfüllen und damit zu einem leichten spielerischen Übergewicht den genau entscheidenden Anteil liefern.
3 Kommentare Alle anzeigen
woody10 3. März 2012 um 10:55
Danke für die schnelle und aufschlussreiche Antwort 🙂
woody10 3. März 2012 um 09:42
vorweg mal ein Dankeschön für diese wie immer aufschlussreiche Analyse. Ich finde es lobenswert, dass bei euch auch Top-Spiele aus Ligen der 2. Kategorie (Frankreich, Niederlande, Türkei, Portugal)unter die Lupe genommen werden.
Leider konnte ich das Spiel nicht sehen, doch mithilfe dieses Textes kann ich mir den Verlauf gut vorstellen. Ich hätte aber noch eine Frage: im Artikel heißt es, dass bei Angriffen Benficas der AV Portos den AV Benficas übernahm. Gaitan und Nolito waren nun zwischen den Linien frei und wurden u.a. mit hohen Flugbällen angespielt. meine Frage: wohin wurden diese Flugbälle gespielt? Hinter die aufrückenden AV Portos (was mMn am logischsten und erfolgsversprechendsten wäre), in den Halbraum zwischen Portos AS,AV und ballseitigem Dm, oder komplett auf die Flügel auf breit postierte Außenspieler? ich hoffe, mich verständlich ausgedrückt zu haben.
und dann hätte ich noch eine Allgemein-taktische Frage:
denkt ihr, dass es gut ist gegen ein gutes, aggressives Pressing mit langen Flugbällen zu arbeiten?
zB: Real Madrids Pressing in den ersten 30 Minuten im Liga-Clasico im Dezember. Barca hat immer weiter gespielt (auch wenn natürlich auch ihnen Fehler passiert sind, die zu guten Tormöglichkeiten führten), sie haben versucht, die Pressingwege für Real sehr lange zu machen und sind insofern belohnt worden, dass Real in der zweiten HZ körperlich am Boden war und Barca das Spiel nach Hause schaukeln konnte. mMn ist die Verwendung von hohen Bällen in brenzligen Situationen natürlich notwendig, ist über das Spiel gesehen aber auch nur eine Verschiebung von Problemen. Denn so muss sich die pressende Mannschaft nicht lange aufreiben und kann somit den Druck wegen der noch vorhandenen körperlichen Möglichkeiten über 90min konstant hoch halten. (das hat man zB in den Copa-Clasicos gesehen, als sich Real geschickter verhielt im Pressing)
würde mich über eine Antwort sehr freuen, bin schon neugierig wie ihr darüber denkt. lg woody
TR 3. März 2012 um 10:17
Hi, woody!
Zu den Flugbällen: Im Gegensatz zu den flachen Vertikalpässen zwischen die Linien wurden die Flugbälle meistens nach außen gespielt, quasi „neben“ die Außenverteidiger Portos. Nolito und Gaitan rückten dann weit nach außen und zogen das Spiel breit, die AV ließen sich fallen, um die aggressiv nachrückenden Mittelfeldspieler zu sichern.
Ja, lange Bälle können gegen das Pressing eine Möglichkeit darstellen, ist allerdings kein Allheilmittel. Wichtig dürfte in diesen Situationen sein, dass man entweder genug individuelle Klasse hat, um die Bälle direkt hinter die Abwehr zu spielen, oder aber wenigstens bei den langen Bällen dafür sorgt, dass man den zweiten Ball gewinnt oder ins Gegenpressing gehen kann, was Leverkusen gegen Barca recht intelligent gemacht hat.