PSV Eindhoven – Ajax 2:2
Topspiel in der holländischen Eredivisie zwischen der PSV Eindhoven und Tabellenführer und Titelverteidiger Ajax Amsterdam. Zu sagen, dass es kein alltägliches Spiel war, ist beileibe keine Übertreibung.
Beide Mannschaften hatten unter der Woche noch international gespielt, PSV in der Europa League mit etwas Mühe gegen Legia 1:0 gewonnen, während Ajax gegen Lyon zwar dominiert hatte, aber die gegnerische Defensive nicht zu knacken vermochte. Die Gastgeber vertrauten auf das zuletzt so erfolgreiche 4-3-3 inklusive eingespieltem Personal (einzig Derijck kam in der Innenverteidigung für Bouma ins Team), doch Ajax musste einige Verletzungen kompensieren und ging etwas geschwächt in dieses Duell.
Pressing zum Auftakt
Nach nicht einmal 2 Minuten spiegelte sich diese Tatsache, dann auch im Vergleich mit der Situation beim Gegner, im Ergebnis wieder, denn Mittelstürmer Tim Matavz brachte die Hausherren früh in Führung.
Dabei stand die Entstehung des Treffers sinnbildlich für die taktische Lage in der Anfangsphase: Das Zentrum geschickt verengend lenkte PSV den Gegner auf die Außenbahnen, um dort zu pressen, den betreffenden Akteur zu isolieren und mit schnellen und dynamischen Kurzpass-Stafetten über die trickreichen Flügelstürmer und die intelligenten Offensivkollegen zu einem Konter zu kommen – wie man es eben in jener Situation tat, als man van der Wiel isolierte, ihm den Ball abnahm und nach mehreren Doppelpässen Matavz die Chance nutzte.
Mittelfeldspiegelung und Diagonalbälle
Ajax hatte, nachdem man sich in unmittelbarem Anschluss an jene Szene etwas übermannen ließ, zwar meistens mehr vom Ball, doch konnte sich nicht entscheidend nach vorne arbeiten, da das Pressing – auch wenn es sich mehr und mehr nach hinten verlegte und immer gemäßigter wurde – durch die Spiegelung des Mittelfeldes gestützt wurde. Mit Toivonen gegen Anita, Wijnaldum gegen Janssen und Strootman gegen Eriksen bzw. de Jong hatte jeder Spieler von Ajax einen festen Gegenspieler und Probleme, sich effektiv zu lösen.
Da man nicht durch kam, rückte die gestalterische Stärke der beiden Ajax-Innenverteidiger nicht zum ersten Mal weiter in den Vordergrund, welche diese auch erneut bewiesen und in Form von einigen langen Diagonalbällen, auf die man sich verstärkt auf den zentralen oder die einlaufenden äußeren Stürmer zu spielen verlegte, demonstrierten – und in der Tat sprangen auch einige brenzlige Aktionen für die Gäste heraus.
Strootmans Einfluss auf die Formationen
Auch wenn die Mittelfeldspiegelung zu mehrheitlichen Teilen doch ihren Dienst erfüllte, musste man sich gezwungenermaßen mit ihrer Kehrseite befassen. Immer wieder hat man gesehen, dass das Team, welches dieses taktische Mittel in der Defensivarbeit erfolgreich verwandte, im Offensivspiel eigene Probleme bekam, da die Spiegelung als Bumerang zurückkahm und man immer einen Gegner in der Nähe hatte.
Um dies zu verhindern und den für das Team extrem wichtigen Motor Strootman, der in der Tiefe auch in der Praxis sich nicht entfalten konnte, in den freien Raum zu bekommen, bediente man sich der Stärken der beiden Spieler vor ihm – Toivonen und Wijnaldum. Ersterer sollte nach vorne stoßen, Letzterer nach rechts abdriften, doch was als Unterstützung für den Stoßstürmer bzw. den rechten und teils etwas isolierten Flügel Lens klingt, war primär dazu gedacht, im Mittelfeldzentrum Raum für Strootman aufzumachen, welchen dieser oder gelegentlich jemand anderes mit langen Schritten nutzen konnte.
Generell waren beide Teams im Mittelfeld sehr offensiv ausgerichtet und man hielt sich in der Defensivarbeit bisweilen zurück, so dass nicht nur Ajax, sondern nach kurzer Zeit auch PSV, die theoretische Kompaktheit nicht halten konnten – allerdings trugen die offene und vor allem auf Gegenseitigkeit beruhende Spielführung dieser Art wie auch die Unterbrechungen – dazu später mehr – ihren Teil dazu bei, dass es zwar ein offenes und unterhaltsames Spiel war, aber keines, wo sich Großchance an Großchance reihte.
Veränderte Ausrichtung für Ajax
Nach etwa 20 Minuten vergrößerten sich die Verletzungssorgen des Hauptstadt-Klubs, als der junge Linksverteidiger Boilesen das Spielfeld verlassen musste. Die daraus resultierende Umstellung in Kombination mit einem Trend, der schon in den Minuten davor immer deutlicher gewesen war, konnten Ajax aber viel neuen Schub geben.
Eriksen war aus dem zentralen Mittelfeld auf die rechte Seite gewechselt, Siem de Jong aus dem Sturmzentrum ins zentrale Mittelfeld zurückgerutscht und Sigthorsson folglich von rechts in die Mitte der vordersten Reihe eingerückt. Durch die Auswechslung Boilesens übernahm Anita dessen Position und wurde auf der Sechs vom eingewechselten Enoh ersetzt.
Hinter dieser doch recht komplexen Umstellung stand die Idee, das Spielfeld durch die Positionierung des begabten Individualisten Eriksen auf der Außenbahn in Zusammenarbeit mit der vermehrten Offensivarbeit van der Wiels mehr zu öffnen, wodurch man zum einen über rechts mehr Druck machen, zum anderen Boerrigter auf links – ebenso wie durch die Libero-Vorstöße Vertonghens sowie der Aufstellung des gerne ballverteilenden Anitas hinter ihm – mehr Raum geben wollte, während Sigthorsson und de Jong zusammen das Zentrum stärker unter Druck setzen sollten.
Zwar war das Aufrücken immer noch ein wenig schwer, da der Gegner sich als, teils mehr, teils weniger, engmaschiger Block bewegte und fallen ließ, aber der konkrete Druck war deutlich schwächer, so dass man ruhiger aufbauen, auch mehr Einfluss auf den Außenbahnen erzielen und nicht zuletzt dank der taktischen Anpassungen das Spiel klar dominieren konnte.
Die Rolle der Spielunterbrechungen an einem seiner extremsten Beispiele
Um noch mehr Chancen kreieren zu können, wurde auch Eriksen wieder stärker ins Zentrum gezogen, um den Gegner zu überladen. Auch spielte eine der zahlreichen Unterbrechungen eine große Rolle. Doch anders als die für eine derart brisante Partie typischen Fouls oder auch Abseitsentscheidungen, war es erneut eine lange Verletzungsunterbrechung, die dem Spiel komplett den Rhythmus nahm.
PSV-Keeper Tyton wurde anscheinend im Gesicht getroffen und für fast 15 Minuten behandelt, ebenso viel wurde anschließend in der ersten Halbzeit nachgespielt und es war kein Wunder, dass die Gastgeber auch durch den Schock komplett den Faden verloren hatten, während Ajax nun auch im Spiel ohne Ball aggressiver wurde, um genau dies zu nutzen.
Worüber so mancher Philosoph unter moralischen Gesichtspunkten eventuell diskutieren wollen dürfte, war dann aber der entscheidende Faktor, der die lange schwelende Überlegenheit Ajax´ letztlich zum Zünden brachte, als Sigthorsson nach einem Angriff durch die Mitte inklusive guten Pressings und etwas Glück den Ausgleich markierte (45.+5) und Boerrigter nur zwei Minuten später denkbar knapp am nächsten Tor vorbeischrammte.
Van der Wiel´scher Fixpunkt
Doch die immer asymmetrischer werdende Formation brachte Ajax nicht nur Vorteile. Gelegentlich stand man sich in Person von Eriksen und de Jong selbst im Weg anstatt eine effektive Überzahl zu schaffen, während die Offensivfreude von van der Weil so manchen Raum hinter ihm ließ.
Schon beim 0:1 war er durch den gegnerischen Linksverteidiger Pieters gepresst worden und häufig duellierte sich im Angriffsspiel mit diesem, was den extrem gefährlichen Linksaußen Mertens dann frei ließ. Über diese Seite zeigte sich Ajax sehr anfällig, da man viel Platz für einen derartig gefährlichen Spieler ließ und auch noch auf die Vorstöße Pieters´ gefasst sein musste, der seinerseits die Seite überladen wollte.
In der zweiten Halbzeit wurde dies noch offensichtlicher als vorher schon, zudem pressten die Eindhovener nun wieder aggressiver und es dauerte nur 10 Minuten, ehe einer der wackeligen Defensiv-Auftritte van der Wiels gegen die Dribbling-Skills von Mertens mit einem Elfmeter bestraft wurde, den Wijnaldum verwertete.
Ajax musste dann wieder die Kontrolle übernehmen, baute das Spiel aber aufgrund der Einwechslung des physisch starken Bulykin mehr um Flanken auf – eine davon konnte er etwa 10 Minuten vor dem Ende ins Netz bringen. Passgeber war van der Wiel, der hinten enorme Probleme hatte, aber vorne existenziell wichtiger Träger des Offensivspiels war.
Die Schlussphase wurde offen, leicht chaotisch, und emotional – eine perfekte Zusammenfassung. Die Gastgeber versuchten etwas stärker, noch den entscheidenden Schlag zu setzen, doch ein Tor lag nicht in der Luft und gelang auch nicht.
Fazit
PSV war es auch gewesen, die in einem sehr interessanten und außergewöhnlichen Spiel das kleine Bisschen besser war als Ajax, doch letztlich ging ein 2:2 als Ergebnis in Ordnung.
Interessant war, dass es immer wieder Änderungen gab, wie sich das Spiel entwickelte, und dass es erneut sehr, sehr viele verschiedene Aspekte gab, die wechselseitig zueinander standen, und dass zu diesen Aspekten wieder zahlreiche Ursachen wie Folgen kamen, die in unterschiedliche Richtungen verliefen. Gerade aufgrund dieser Komplexität sind die Topspiele der Liga immer so extrem unvorhersehbar und offen, was einen gewissen Charme versprüht. Diesen Charme haben wir hier bei spielverlagerung.de schon häufiger zu transportieren versucht, sei es im Supercup-Finale oder am Beispiel von AZ Alkmaar – und auch dieses Spiel war wieder von hoher Qualität geprägt.
Keine Kommentare vorhanden Alle anzeigen