U.S. Palermo – Inter 4:3

Das Topspiel der Serie A am Sonntag Abend hielt die Partie zwischen Palermo und Inter bereit – Letzere wollten mit ihrem neuen Trainer Gasperini einen guten Start in die Saison feiern, was aber vor allem aufgrund der teilweise hanebüchenen Defensivschwächen nicht gelang.

Gasperini wählte vor der Partie das aus Genua mitgebrachte und recht kontrovers diskutierte 3-4-3 als Formation aus, während der Gastgeber aus Palermo auf ein nominelles, aber in Wahrheit sehr flexibles 4-4-2 setzten.

System und Spieler komplett entblößt

Formationen bis zur 34. Minute

Sie waren es auch, die von Beginn an mit vollem Einsatz die Partie bestimmten. Man presste sehr früh, aggressiv und dynamisch, was den Spielaufbau für Inter sehr erschwerte und sie wenigstens hinten hielt, häufig aber auch Ballverluste erzielte. Der Erfolg des Pressing machte sich erstens an der hervorragenden Grundstruktur sowie der geschickten Positionierungen der Spieler fest, zweitens daran, dass die Wing-Backs recht tief bleiben mussten, um als Anspielstation zu dienen, und wurde drittens durch das Hochstehen der drei Offensivakteure Inters begünstigt.

Inter dominierte zwar den Ballbesitz und stand recht hoch, doch man hatte dennoch eben einige Ballverluste und kam sehr selten weit genug in die gegnerische Hälfte. Interessant war, dass man bisweilen bei tieferem Pressing besser spielte, da man so bei Kontern mehr Räume zu bespielen hatte, dafür aber Inter nicht so weit zurückdrängen konnte – vielleicht war dies der Grund, warum man aus der Überlegenheit heraus ohne Tor bis zur Pause blieb.

Denn defensiv hatte Inter große Probleme und wurde bei den Kontern immer wieder anfällig, wofür es ebenfalls mehrere Gründe gab. Die Innenverteidiger waren noch nicht richtig eingestellt auf die neue Art des Verteidigens mit Dreierkette, zudem fiel mehrere Male ihre fehlende Schnelligkeit ins Auge. Weil Cambiasso im zentralen Mittelfeld die offensivere Rolle einnahm, ließ man mit dem offensiv denken Stankovic als tiefstem Mittelfeldspieler weiterhin zu viele Räume zwischen den Linien für den Gegner, in den sich besonders die beiden Flügelspieler immer wieder hineinbewegten.

Besonderen Fokus legte das Spiel Palermos aber auf die linke Seite (48 % der Angriffe kamen über links, 32 % durch die Mitte, 20 % über rechts, bei Inter waren es 43 % durch die Mitte), wo nicht nur Ilicic als inverser Winger spielte und gelegentlich auch Álvarez bis auf diese Seite herüberwechselte, sondern auch Balzaretti sehr offensiv agierte und damit die schwache Defensivarbeit Zárates offen legte sowie Miccoli sich vom Sturmzentrum immer wieder fallen ließ. Dies war der Schlüsselaspekt, da Miccoli aufgrund seiner guten Bewegungen und seiner Dynamik die Schnittstellen bearbeiten oder eine Überzahlsituation kreieren konnte, was die ohnehin schon unsichere Abwehr Inters noch mehr durcheinander brachte – Jonathan wurde zurückgedrängt, aber musste als generell weiter zurück gehender Wing-Back als Teilzeit-RV auf Balzaretti herausrücken, was zwischen ihm und Lucio oder zwischen jenem und Samuel die Schnittstelle öffnete.

Aus den vielen Chancen konnte Palermo allerdings keinen Treffer erzielen, viel zu leichtfertig war man mit den eigenen Gelegenheiten, wobei es sogar noch viele mehr gewesen wäre, wenn Inter durch taktische Fouls zahlreiche Konter nicht in letzter Not gestoppt hätte. Ironischerweise wurden ihnen dies am Ende zum Verhängnis, da es ein solcher Freistoß war, der kurz vor Spielende die 3:2-Führung für die Gastgeber besorgte.

Zwei Einschnitte

Lange bevor es dazu kam, gab es einen kleinen und dann einen großen Einschnitt Mitte der ersten Halbzeit: Zunächst gelang es Inter, durch einige kleine Veränderungen, das Spiel besser unter Kontrolle zu halten. Man stand einfach ein wenig disziplinierter und enger zusammen, während man defensiv – durch  die bessere Abstimmung von Lucio und Jonathan – wie vorne eine bessere Balance herstellte.

War Milito bisher, wenn Forlán in die Mitte ging, weiter nach außen abgekippt, wurde dies nun unterbunden, womit Milito bei den gefährlichen Vorwärts-Durchbrüchen von Cambiasso nicht mehr diesem den Raum wegnahm. Auch wenn man wegen den engen Außenstürmern und dem engen Nagatomo immer noch zu viel durch die Mitte spielte, spiegeln sich die wechselnden Kräfteverhältnisse recht klar in der Statistik wieder: In den ersten 22 Minuten lautete die Schuss-Statistik 7:1, in den folgenden 23 Minuten 1:8.

So war die Führung von Milito (33.) im Anschluss an eine Ecke durchaus einer Entwicklung folgend, wenn auch nicht unbedingt verdient.

Torreiche zweite Halbzeit, weil beide Teams Überzahlsituationen herstellen

Der zweite und große Einschnitt war der unmittelbar nach dem Tor vollzogene Wechsel bei Inter, das für Zárate Sneijder ins Spiel brachte. Bereits in der verbliebenen Zeit des ersten Durchgangs zeigte dieser Effekt, entfaltete seine volle Wirkung aber erst in der zweiten Halbzeit.

Nach der Einwechslung Sneijders für Zárate

Während Forlán auf halbrechts gegen Balzaretti deutlich besser gegenhalten konnte, sorgte Sneijder für die eminent wichtige Anbindung vom Mittelfeld an den Angriff und vermochte zusammen mit Stankovic und Cambiasso bei eigenem Ballbesitz gegen die beiden Mittelfeldspieler Palermos eine Überzahl zu schaffen, was mehr Ballbesitz (60 % am Ende), mehr Dominanz und Kontrolle einbrachte und auch zu vielen Angriffen und daraus resultierenden Chancen führte.

Nichtsdestotrotz waren es zunächst die Gastgeber, die trafen – Miccoli eröffnete den zweiten Spielabschnitt schon in der 48. Minute fulminant, als er ein über links eingeleitetes Tor erzielte. Zwar war es nur indirekt ein Spielzug durch Inters Problembereich, doch es zeigte erneut die Verwundbarkeit der hohen Abwehr – und ebenfalls, wohin die Reise gehen würde, dass nicht nur Inter offensiv einiges zu bieten hatte.

Nachdem diese durch einen Elfmeter (vor dessen Entstehung man eine von Sneijder eingeleitete Großchance hatte) drei Minuten später die erneute Führung gelungen war, untermauerten die Insulaner dies weitere drei Minuten später auch sofort, als man auf die erhöhte Absicherung Inters gegen die eigene starke linke Seite reagierte, indem man das Zentrum überlud, den Raum zwischen den Linien und die guten Bewegungen einzelner Spieler für eine schöne Kombination zum Ausgleich nutzte – also: indem man die Tandem- und Pärchenbildung, das schnelle Verbinden nach Kontern einfach in andere Räume (diesmal auf halbrechts) verlegte. Bei diesem Tor war einmal mehr die fehlende Gewöhnung der zentralen Verteidiger an ihre Rolle zu sehen, da sie meistens nie bzw. wie in diesem Fall zu spät herausrückten, falls jemand zwischen den Linien frei kam. Letzteres passierte dem nicht gerade beweglichen Samuel hier nicht zum ersten Mal, ist aber das größere Übel als gar nicht herauszurücken, da man in diesem Fall sowohl aus dem Spiel ist als auch den Raum hinter sich öffnet.

Im weiteren Verlauf ließ Palermo mehr und mehr nach, wodurch sich das Spiel beruhigte. Doch mit komplett unnötigen Fehlpässen und Missverständnissen im Mittelfeld lud Inter den selbst eher unambitionierten Gegner zum Kontern ein, der mehrfach auf die Abwehr zulief, daraus aber nichts machte. Mit 86 % war die Passgenauigkeit Inters für eigene Verhältnisse eher gering, weiterhin waren die Ballverluste und Fehler, die man hatte, in ihrer Qualität besonders schmerzhaft.

Gerade als man die Partie mehr und mehr in den Griff zu bekommen schien – wozu auch die eingewechselten Ricky Alvarez mit einer auch unter Druck sehr agilen und umsichtigen Leistung (in 19 Minuten 35 Ballkontakte, 27 Pässe bei 85 % Genauigkeit und 2 gewonnene Tacklings) sowie Obi mit neuer Durchschlagskraft und Power auf der Außenbahn (30 Ballkontakte in 28 Minuten, Nagatomo hatte 34 in 62; trotz nur 28 Minuten Spielzeit die meisten erfolgreichen Dribblings aller Spieler) beitrugen – bekam man doch noch einen Konter, den man nur mit einem Foul stoppen konnte, welches man mit einem Freistoß-Tor von Miccoli (85.) bezahlte. Man stürmte nach vorne, doch die Räume auf links rächten sich, mit dem eingewechselten Pinilla fand dort sogar der zentrale Stürmer Platz, um einen Sonntagsschuss zu versenken. Forláns Treffer in der Nachspielzeit blieb nur Kosmetik, obwohl beide Seiten auch danach noch je eine gute Chance hatten.

Fazit

Die erste Halbzeit ging lange Zeit klar an Palermo, welches Inter aufgrund vielschichtiger Gründe häufig entblößte, defensiv sehr gut stand gegen den CL-Sieger von 2010, der sich mit Desbalance das Leben auch selbst schwermachte – doch nach einigen wirkungsvollen Umstellungen etwas schmeichelhaft führte.

Im zweiten Abschnitt konnten beide Teams Überzahlsituationen herstellen, was zu vielen Flanken und Toren und einem tollen und dramatischen Spiel führte, indem sich Palermo für eine couragierte Leistung belohnte, während Gasperini sein System einmal mehr bezüglich der defensiven Stabilität hinterfragen muss.

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