Deutschland U17 – England U17 3:2

Auch im Viertelfinale der U17-WM kann die deutsche Mannschaft gewinnen, obwohl sie ein souverän wirkendes 3:0 fast noch aus der Hand gegeben hätte.

Im Vergleich zum 4:0-Achtelfinalsieg gegen die USA kam bei der DFB-Auswahl Korzowski für den verletzten Günter in die Innenverteidigung, während die Engländer bei ihrer Aufstellung zweimal tauschten: Für Powell und Targott, die in der vorigen Runde gegen Argentinien noch dabei gewesen waren, kamen Lundstram und Henshall.

Startphase aus taktischer Sicht

Die Formationen in der 1. Halbzeit

Anfangs sah es für die deutschen Junioren noch nicht so gut aus. Die Engländer standen mit ihrer Abwehr hoch und konnten so in einem 4-1-4-1-System mit dem Mittelfeld die deutschen Mittelfeldspieler gut abdecken. Mittelstürmer Hope unterband geschickt Querpässe zwischen Perrey und Korzowski, so dass man den Umweg über den Keeper machen musste, was das deutsche Spiel verlangsamte.

Den beiden Innenverteidigern blieben somit wenig Optionen, um das Aufbauspiel voranzubringen. Einige Male wagten sie eigene Vorstöße, bei denen England sie zunächst gewähren ließ, was aber sehr riskant war – zum einen, weil sie frontal auf eine Viererwand zuliefen, und zum anderen, weil ein Ballverlust extrem verheerend gewesen wäre. Dies passierte einmal und führte nach wenigen Minuten zu einer guten Chance für die „Young Lions“. Die zweite Option für die Innenverteidigung war wegen der fehlenden Anspielstationen ein längerer Ball.

Da die Engländer nur einen echten Spieler vor der Abwehr hatten, bestand hier die Gefahr, dass jener in dieser Zone überladen werden würde, was Deutschland auszunutzen versuchte. Die Strategie hatte auch ihre Risiken, es kam zunächst zu einigen unsauberen Zuspielen, aber dann konnte der bewegliche Aycicek Englands Sechser Caskey leicht nach außen locken – Weiser nutzte die Räume, England  in dieser Zone zu überladen, und spielte auf Yesil, der die hohe Abwehrlinie entblößte und im zweiten Schussversuch den Ball versenkte – das frühe Tor nach nur sieben Minuten.

 England kommt selten durch

Mit der Führung im Rücken überließen die Deutschen zunächst einmal ihren Gegnern den Ballbesitz und nahmen eine  vorsichtige und reagierende Rolle ein, in der sie sich dann auch wohl fühlten. Die gesamte Mannschaft arbeitete defensiv gut gegen den Ball, schon Yesil lief die gegnerischen Verteidiger an.

Man ließ Caskey recht viel Zeit, ließ ihn den Aufbau machen, aber stellte seine Passwege ins Mittelfeld sehr gut zu – eine deutsche Stärke, die bei diesem Turnier schon häufig zu sehen war. Ab der Mittellinie fiel den Engländern nichts mehr ein, die nun entweder ihrerseits auf – allerdings von deutscher Seite sehr gut verteidigte – lange Bälle setzten oder, wenn sie es eher mit Passspiel versuchten, deren Angriffe immer wieder an Kapitän Emre Can hängenblieben, der sich fast immer dahin verschob, wo der Ball war: England kam nicht durch.

Gefährlich wurde es nur über zwei Wege. Der eine hieß – wie vorher beim DFB-Team – Vorstöße der Innenverteidigung. Jeder Innenverteidiger konnte mit einem seiner Vorstöße jeweils eine Chance der Engländer initiieren – es waren ihre beiden besten in Durchgang eins. Hier fiel ebenfalls auf, dass die beiden zentralen englischen Mittelfeldspieler gut Räume schufen – wenn sie ihre Gegner vertikal wegzogen entstand im Zentrum Platz und die deutsche Ordnung wurde außerdem aufgebrochen, so kam es zu einer weiteren guten Szene und auch für die beiden Außenspieler, die allerdings wenig beitrugen, arbeiteten die beiden Achter gut.

Die deutsche Mannschaft konzentrierte sich in dieser Phase auf schnelle Gegenstöße und profitierte hier sowohl von jenem Spiel der beiden Achter als auch von den Räumen, die die offensiven englischen Außenverteidiger hinterließen. Mit dem Spiel über außen, dem Überladen des Mittelfeldes durch den vorstoßenden Can, Bällen hinter die Abwehr auf den schnellen Yesil und mit dem Einbinden vom wendigen Aycicek, der mit seinem Linksdrang dort entweder Überzahlen oder im Zentrum Freiräume für Can und Yesil schaffen konnte, kamen die DFB-Junioren nach Gegenstößen zu vielen guten Chancen – eine führte zu einem Eckstoß, aus dem das zweite Tor Deutschlands durch Ayhan (24.) resultierte.

Die hohe Abwehr schien zum Alptraum für die Engländer zu werden, die daher nicht nur jene, sondern auch ihr Mittelfeld weiter zurück ziehen mussten, um die Abstände zu halten. Zudem darf auch die psychologische Wirkung des zweiten Tores auf beide Mannschaften nicht vergessen werden. Diese Situation führte dazu, dass die Engländer wegen der Isolierung Hopes weiterhin wenige Chancen verbuchen konnten und Deutschland wieder mehr Ballbesitz, Eigeninitiative und Kontrolle übernahm.

Yalcin hatte im Mittelfeld nun mehr Zeit und konnte leichter angespielt, denn die Engländer konnten mit ihrer ersten Viererreihe nicht so weit vorrücken, da sonst der Raum zu Caskey zu groß, sie zu einfach zu überspielen und damit die Gefahr, überladen zu werden, noch extremer gewesen wäre.

Zweite Halbzeit

Nach der Einwechslung Mendes für Aycicek

Mit Signalwirkung wollten die Engländer mit dem Wiederanpfiff der Partie die Deutschen – noch nicht wieder im Rhythmus – verstärkt unter Druck setzen, was ihnen auch gelang. Ein früheres Attackieren seitens der Engländer führte zu mehr Umschaltphasen, mehr Risiko für beide Teams, ein schnelleres und hektischeres Spiel an sich und ein gestreckteres Feld – das nahmen die Engländer in Kauf, es nützte ihnen mehr als Deutschland.

Der Plan ging auf und die Engländer konnten die Kontrolle an sich reißen. Indem die Außenverteidiger noch höher standen und vor allem auch bei gegnerischem Ballbesitz, drückte man Deutschland nach hinten und konnte sich durch konsequenteres Flügelspiel (die Achter öffneten geschickt die Schnittstellen für die Außenverteidiger) eine Reihe an guten Chancen erspielen – doch im Gegenzug nutzte Deutschland wieder die Schwachstelle Englands und erhöhte mitten in deren Drangperiode hinein nach 53 Minuten auf 3:0.

Die Einwechslung von Sven Mende bereits wenige Minuten vor der Pause für den angeschlagenen Aycicek hatte eine Umpositionierung im Mittelfeld zur Folge gehabt. Der offensivste Mittelfeldspieler agierte nun eher rechts. Bei einem Gegenstoß sorgte Can erneut für einen Ballgewinn und ein Überladen und aufgrund der Umgestaltung im Mittelfeld sowie der Tatsache, dass Englands Linksverteidiger Smith deutlich offensiver geworden war, konnte Mende mit einem tollen Pass und Weiser mit tollem Laufweg die Schnittstelle nutzten – ein Querpass per Hacke und Yesil musste nur noch einschieben.

Gerade als das Spiel mehr und mehr ruhiger wurde,  sorgte ein typisch englisch erscheinender Vorstoß eines ihrer Mittelfeldspieler für einen Strafstoß, der von Magri verwandelt wurde und noch einmal für englische Hoffnung und allgemeine Spannung sorgte. Deutschland beschränkte sich für die Schlussphase primär auf Defensive, hätte aber kurze Zeit später in Person von Duksch bei einer tollen Konterchance alles klar machen müssen – dies geschah nicht und das Zittern begann.

In Folger einiger Wechsel brachten die Engländer neue Kräfte und ließen ihre Spieler oft Positionen tauschen, gingen für die letzten Minuten auf eine Art offensives 4-4-1-1. In der 83. Minute versuchte Duksch nahe der eigenen Eckfahne unbedrängt einen Hackentrick, England nahm das Geschenk dankend an – zunächst konnte Vlachodimos noch parieren, aber Hope staubte ab – Hope brachte den Engländern sogar mehr als Hoffnung. Diese erfüllte sich aber nicht, denn Deutschland überstand die heikle Schlussoffensive des Gegners mit viel Zittern.

Fazit

Es war ein verdienter Sieg für das Team von Steffen Freund, welches sich vor allem bei gegnerischem Ballbesitz – abgesehen von der hektischen Schlussphase – besser anstellte.

Die Engländer wirkten effektiver und besser, wenn sie bei deutschem Ballbesitz sich nicht zurückzogen und abwarteten, sondern attackierten oder schon die Mittelfeldspieler abdeckten.

Man muss der deutschen Auswahl ein Kompliment für die Defensivstärke und auch ihre individuell und gruppentaktisch insgesamt starke Leistung machen, darf aber auch nicht vergessen, dass man jeweils zu Beginn einer Halbzeit seine erste Chance eiskalt nutzte, als der Gegner seine beste Phase hatte. Deutschland wurde vom Spielverlauf begünstigt.

Aber was ganz sicher auch zu sagen ist: Es zeugt einfach von Klasse und zeichnet eine Spitzenmannschaft aus, dass man in diesen Situationen da war, die Chancen effektiv verwertete und exakt die Schwachstellen des Gegners suchen, finden und gnadenlos ausnutzen konnte – und deshalb geht die deutsche U17  durchaus als größter Favorit von allen ins Halbfinale, wo man auf Gastgeber Mexiko treffen wird.

Zehner 5. Juli 2011 um 19:06

Geniale Analyse, danke!

Kleine (pingelige) Anmerkung meinerseits: Der Pass vor dem 3:0 auf Weiser kam von Can.

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