(Spiel-)Kreativität im Fußball

Die Kreativität wird im Fußball häufig als eine der Schlüsseleigenschaften gesehen. Im Trainingsbetrieb wird sie dennoch oftmals übersehen.

Kreativität im Spiel und in der Wissenschaft

Die Suche nach wissenschaftlicher Literatur zu diesem Thema gestaltet sich bereits äußert schwierig. In der Recherche finden sich nur wenige Studien, welche sich explizit mit diesem Aspekt beschäftigen und die meisten beziehen sich lediglich auf die Kreativität als Persönlichkeitseigenschaft, nicht als Fähigkeit eines Akteurs in Sportspielen. Allerdings gibt es zumindest im deutschen Sprachraum lesenswerte Literatur.

Besonders tat sich in den letzten Jahren Prof. Dr. Daniel Memmert hervor, der eine Koryphäe der Forschung im Fußball ist. Zur Info: Memmert ist Institutsleiter für Kognitions- und Spielsportforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln. Seine Arbeit ist in diesem Bereich wohl auch weltweit federführend.

So finden sich in seinem Artikel „Kreativität im Sportspiel“ aus dem Jahr 2012 interessante Punkte aus der (Spiel-)Kreativitätsforschung, in der Memmert eigene Forschung betreibt. Insgesamt unterscheidet Memmert fünf unterschiedliche Forschungsaspekte:

  • Eine grundlagenorientierte Forschung über die Wirkungsmechanismen der kreativen Entwicklung sowie den Zusammenhang kognitiver Leistungen und visueller Aufmerksamkeitsprozesse (z.B. über die Wirkeffekte der inattentional blindness in Sportspielkontexten)
  • Theorie-Praxis-Transfer, u.a. mithilfe von sportartspezifischen Kreativitätstests
  • Analyse von direkten und indirekten Umwelteinflüssen auf kreative Sportler, wo sich u.a. zeigte, dass Wahrnehmungsvielfalt einen positiven Effekt auf kreative Entwicklung hat. Hier sind das „deliberate play“ und „deliberate practice“ wichtig.
  • Die erwähnten neuronalen Netzwerke, welche eine prozessorientierte Perspektive wiedergeben
  • Möglichkeiten für die Umsetzung in der Sportwissenschaft mithilfe motivationaler Theorien

Als theoretisches Fundament für die Definition der Kreativität – und somit die Grundlage für die oben angeführte Basis – fungiert die klassische Kreativitätstheorie Sternbergs.

„Kreativität ist die Fähigkeit etwas zu vollbringen, dass sowohl neuartig (original, unerwartet) als auch adäquat ist (nützlich, passend, an die Einschränkungen der Aufgabe angepasst)“

Dies kann sich nach Sternberg auf acht unterschiedliche Arten äußern:

  • Replikation (replication)
  • Re-Definition (redefinition)
  • Weiteres Vorwärtsbringen im Sinne der aktuellen Richtung (forward incrementation)
  • Weiteres Vorwärtsbringen über den Punkt hinaus, wohin andere gehen würden (advance forward movement)
  • Re-Direktion (redirection)
  • Re-Direktion in die Vergangenheit (redirection from a point in the past)
  • Neustart / Re-Initiation (starting over / re-initation)
  • Integration zweier unterschiedlicher Ideen in eine (integration)

Basierend darauf entstand folgendes Modell, welches grundsätzlich das Konstrukt der Kreativität in seiner Gesamtheit abbilden soll und obige Definitionen beinhaltet:

Kreativität1

Die meiste Forschung konzentriert sich vorrangig auf die Interaktion von Ressourcen und die bereichsrelevanten Kreativitätsfähigkeiten. Für ersteres taugen – wenn auch nicht gänzlich perfekt – die Bücher „The Talent Code“ von Daniel Coyle und „The Gold Mine Effect“ von Rasmus Ankersen. Die taktische Analyse konzentriert sich auf die bereichsrelevanten Kreativitätsfähigkeiten und – teilweise – auf Entwürfe von kreativen Vorhaben, ebenso wie natürlich die Gehirnforschung (aus einer anderen Perspektive) dies deutlich tiefgreifender macht.  Die statistische Analyse bezieht sich vorrangig auf die Evaluation der kreativen Produkte. Memmerts Werke konzentrieren sich vorrangig, aber nicht nur, auf die ersten beiden Aspekte.

Aus diesem Modell Sternbergs (u.a.) wurde von Roth das sogenannte konvergente taktische Denken und divergente taktische Denken abgeleitet. Ersteres ist mit dem Begriff der Spielintelligenz gleichzusetzen; einem fast schon klischeehaft und inflationär gebrauchten Wort in der Bewertung und Ausbildung von Sportlern. Letzteres wird als Spielkreativität bezeichnet.

Grundsätzlich ist jedoch die Frage nach dem Sinn einer solchen Unterteilung zumindest kritisch zu stellen. Spielintelligente Bestlösungen gibt es nicht als objektive Bestlösungen. Sie müssen immer spezifisch zu einer bestimmten Strategie bzw. dem Spielmodell und besonderen Zielen zu sehen sein. Auch der Gegner und die Konkurrenz spielt hier eine Rolle. Diese Faktoren machen eine objektive Bestlösung zumindeset in dynamischen und komplexen Sportarten unmöglich, insbesondere weil die genaue Funktionsweise (zumindest in Teamsportarten) von Erfolg nicht eindeutig klärbar ist.

Notes Towards A Critique Of Twentieth-Century Psychological Play Theory von Brian Smith ging zumindest ansatzweise in eine solche Richtung. So kritisierte er die Segmentierung und isolierten Einzelbetrachtung von Spielen und Spielern, welches anhand der Teamsportarten ebenfalls passend ist; die kollektive, interagierende Natur ist entscheidend zum Erreichen der Ziele und insofern ist der jeweilige Gegenüber Mitgründer dafür, dies zu schaffen.

Dies ist auch der Hauptgrund, wieso Spielformen aller Art vermehrt im Training genutzt werden und sich als überaus effektiv zeigen. Charlotte Bühler prägte zum Beispiel den Begriff der „Funktionsspiele“, welches ich persönlich als Wort für die Methode der spielformorientierten technisch-taktisch-strategischen Spielerausbildung nahezu als ideal sehe.

Nichtsdestotrotz ist Roths Modell schon rein aus praktischen Gründen durchaus nützlich und haltbar. Dennoch sollte die genaue Art der Definition nochmals geprüft werden.

Der Schwelleneffekt mit Intelligenz und die Bedeutung für die Spielertypen

Wer sich näher mit Psychologie beschäftigt hat, dürfte vom Schwelleneffekt der Kreativität mit der Intelligenz gehört haben. Demzufolge können wenig intelligente Personen nicht wirklich kreativ sein, sehr intelligente Personen müssen aber nicht unbedingt kreativ sein, besitzen aber die kognitive Veranlagung dazu. Insofern können leicht überdurchschnittlich intelligente Personen auch extrem kreativ sein. Deswegen ist folgendes Schema Roths nicht haltbar:

Kreativität2

Der sogenannte „verrückte Spieler“ kann zwar in diesem Schema divergent denken, aber seine Aktionen sind letztlich oftmals zwar unorthodox, aber nicht konstant zielführend und strategisch effektiv. Ein „intelligenter Spieler“ verfügt nicht über das divergente Denken, während ein „kreativer Spieler“ alle Fähigkeiten besitzt. Diese Einteilung finde ich schlichtweg falsch, da ich den zugeschriebenen Attributen widersprechen würde.

Der verrückte Spieler kann meiner Meinung nach nicht kreativ agieren, weil ihm die intelligente Basis fehlt, um kreative (also auch effektive und nützliche Sachen) zu kreieren. Die Aktionen des „verrückten Spielers“ sind in der Regel nur zufällig effektiv, insofern sollte diese Bezeichnung überdacht werden. Sogar die Fähigkeiteneinteilung des intelligenten Spieler ist nicht optimal, auch wenn nicht grundsätzlich falsch. Für mich bietet sich darum ein anderes Schema an.

Kreativität3

Hier habe ich versucht die Funktionsweise in die Definition des Spielertyps zu integrieren. Der Spieler mit hoher Spielintelligenz, aber ohne Kreativität, ist schablonenorientiert. Er verfügt über erfolgsbringende Strategien, kann diese aber taktisch nicht effektiv anpassen oder unorthodox verändern, um zusätzlichen Erfolg zu bringen. Der musterorientierte Spielertyp besitzt diese strategisch wichtigen Schablonen, kann aber effektiv und nützlich aus diesen herausbrechen, um die richtige Lösung in unüblichen Situationen bzw. unübliche (und korrekte) Lösungen in typischen Situationen zu finden. Der orientierungslose Spieler kann zwar versehentlich ebenfalls unübliche Lösungen an den Tag legen, ihre Wirkung ist allerdings zufällig.

Anhand dessen wird auch klar, dass Spielintelligenz und Spielkreativität nicht voneinander isolierbar zu trainieren und betrachten sind. Vielmehr müssen sie im Trainingsbetrieb gemeinsam aufgebaut werden.

Spielkreativitätstraining und Spielintelligenztraining

Meistens werden im Training der Spielintelligenz Situationen kreiert, welche bestimmte taktische Probleme abbilden und die Spieler dahingehend schulen sollen, wie sie im Rahmen der Vorstellungen des Trainers bzw. dem Spielmodell der Mannschaft diese zu lösen haben. Viele Trainer generieren dabei sehr eindeutige, repetitive Situationen und/oder nutzen explizite Kommandos zur Ausbildung der Spielintelligenz. Dies ist ein Problem, da es sowohl Spielintelligenz- als auch Spielkreativitätstraining in der Effektivität eindämmt. Stattdessen müssen taktische Probleme kreiert werden, welche auf viele unterschiedliche Art und Weise bewältigt werden können.

So korreliert die Bewältigung unbewusster und unkontrollierbarer Situationen mit Kreativität und die sehr diffusen Situationen führen durch die Schemaverstöße zu Verbesserungen. Eine quasi-experimentelle Studie von Raab, Hamsen, Roth und Greco aus 2001 zeigte nach Memmert und Roth (2007) Folgendes:

In conclusion, however, the data tend to support the view that non-specific and specific concepts are similar in terms of creativity development. As the comparisons of the percentage increases of the treatment phases have shown, the non-specific approaches can be even more useful in the long term. A quasi-experimental study by Raab, Hamsen, Roth, and Greco (2001) indicated that Brazilian children – with broad and unguided stimuli and game experiences – showed greater improvements in creativity than German children who had received game-specific training and high-grade instruction in sports clubs. – Aus Memmert & Roth (2007): The effects of non-specific and specific concepts on tactical creativity in team ball sports.

Diese Studie untersuchte ebenfalls, wie sich unkontrollierte Situationen auswirken und dass die positiven Effekte auf die Kreativität – wider Erwarten der traditionellen Trainer! – vorhanden sind; und zwar in unterschiedlichen Sportarten. Allerdings zeigte sich auch, dass beim Fußball – durch die Raumdimensionen, die Spielerzahl und Regeln der komplexeste Spielsport – der Effekt zumindest etwas geringer ist. Eine Erklärung wäre natürlich, dass die Komplexität so hoch ist, dass ein unstrukturiertes Spiel nicht zu einem Lerneffekt mithilfe des impliziten Lernens führen kann. Allerdings geben Memmert und Roth eine Alternativerklärung:

A selection effect, which always needs to be taken into consideration in field studies, could have played a role in the good performance of the soccer-specific group, in comparison with the non-specific groups. In Europe, football is by far the most common sport first participated in, especially among boys. Good adult footballers, who often have talented children, tend to send their offspring to soccer-specific training at an early age. Previous experience has indicated that it is difficult to find and convince talented children (or rather the parents of talented children) to take part in nonspecific training.

Dennoch lässt sich konstatieren, dass ein Training in Spielformen, oft gänzlich ohne Instruktionen, deutlich effektiver ist als vielfach angenommen. Basierend auf diesen Erkenntnissen ergeben sich nach Memmert (2014) diese sechs Möglichkeiten zum Training taktischer Kreativität:

Kreativität4

Memmert (2014): Tactical Creativity in Team Sports

Dieses Schema mit sechs unterschiedlichen Aspekten des kreativen Trainings ist interessant und sportart- bzw. somit spielübergreifend anwendbar. Bei Lopes (2011) (Wirksamkeit von impliziten und expliziten Lernprozessen. Aneignung taktischer Kompetenzen und motorischer Fertigkeiten im Basketball) finden sich auch die drei grundlegenden Arten des Taktiklernens nach Roth übersichtlich wieder:

  • Das spielerische Lernen bezeichnet die Entwicklung des Spielverständnisses.
    • Hier geht es um die Suche nach Lösungen für ein taktisches Problem basierend auf einem konstruktivistischen Ansatz.
    • Durch die eigene Suche nach der Lösung können also unterschiedliche Lösungswege gefunden werden, die von der üblichen Norm abweichen können. Dennoch ist das Ziel weiterhin gegeben und die erfolgreiche oder erfolglose Lösung des Problems ist für Spieler sowie Trainer klar erkennbar.
    • Das Spielverständnis wird hierbei geschult und anhand dieses Spielverständnis sowie der impliziten Regeln bestimmter Aspekte des Spiels entstehen kreative und intelligente Handlungen.
  • Das unangeleitete Spiel stellt im Sinne des impliziten Lernens die Möglichkeit dar ohne Struktur ein Gefühl für das Spiel und die Lösungsideen zu entwickeln.
    • Der geweitete Aufmerksamkeitsfokus soll langfristig zur Spielkreativität führen.
    • Durch das unangeleitete Spiel gibt es keine Vorgaben, wodurch die Spieler immer wieder neue Situationen unterschiedlichster Natur lösen sollen.
    • Die geringere Struktur kann zwar zu einer (verzögerten) Entwicklung der Spielintelligenz führen, das variiert jedoch nach Sportart und Aufbau des „unangeleiteten Spiels“. Im Fußball können z.B. bestimmte Regeln oder Spielformen das Spielverständnis implizit schulen.
  • Das vielseitige Spiel ist im Sinne des differenziellen Lernens zu sehen, wo durch das Prinzip der Verfremdung einer Situation neue Lösungsideen generiert werden.
    • Dazu werden variable, veränderte Spielformen des Spiels mit unterschiedlicher Betonung der jeweiligen Aspekte genutzt.
    • Indem eine Situation immer wieder neu verändert und angepasst wird, erfahren die Spieler, dass es unterschiedliche Lösungen für prinzipiell ähnliche Probleme gibt.
    • Dadurch erweitern sie ihre Lösungs- und Situationskenntnisse, wodurch sie zwischen diesen flexibel Assoziationen bilden können.

In Memmerts oben angeführtem Schema könnte man zum Beispiel sagen, dass „Deliberate-Play“ und „Delibarate-Coaching“ unangeleitete Spiele darstellen, „1-Dimension-Games“ und „Deliberate Practice“ ins spielerische Lernen fallen und „Deliberate-Motivation“ sowie „Diversifications“ am ehesten zum vielseitigen Spiel gehören.

Auf höherem Niveau ist das instruktionsfreie Spiel allerdings nicht uneingeschränkt zu empfehlen. Insbesondere dynamische Teamsportarten sind so enorm komplex, dass ohne gewisse strategische Richtlinien Chaos ausbrechen würde; der pure Zufall würde vermeiden, dass bestimmte technische oder physische Fähigkeiten genutzt werden können, desweiteren wäre jegliches Interaktionsspiel innerhalb der Mannschaft nicht planbar und das Spielergebnis somit Glücksspiel. Besonders im Leistungssport kann sowas natürlich nicht praktiziert werden.

Hierbei ist wichtig, dass Spielintelligenz primär durch besondere, klare Regeln, Richtlinien und Vorgaben in den Spielkontexten des jeweiligen Sports vermittelt wird (aber natürlich weiterhin in Spielformen). Kreativität hingegen wird anders ausgebildet, nicht direkt vermittelt (beziehungsweise nur sehr ansatzweise), sondern über ein bestimmtes Umfeld kreiert. Der oben erwähnte Faktor der breiten Aufmerksamkeit ist hierbei entscheidend.

Indem es verstärkt „Schemaverstöße“ mit den bisherigen Erfahrungen und Strategien gibt, entsteht ein unerwarteter Verlauf im Spiel. Diese sorgten für einen größeren und breiteren Erfahrungsschatz. Die Erfahrungen wiederum können dann in anderen, „orthodoxeren“ Situationen genutzt werden. Insgesamt sind es also schlichtweg unkontrollierte und unstrukturierte Spielsituationen, die für mehr Kreativität sorgen. Das bedeutet auch, dass eine große Bandbreite an Informationen, die variabel und frei zugänglich ist, zwar für eine diffuse Aufmerksamkeit sorgt, diese aber eben vorteilhaft für die Entwicklung der Kreativität ist. Wie genau ist dies allerdings umzusetzen?

Spielkreativitätstraining in der Praxis

Insgesamt taugen Spielformen anstatt isolierter Übungen für beide Aspekte, Spielintelligenz und Spielkreativität; so wird auch die Funktionalität und Differenzialität der jeweiligen Sportart stärker betont, welche im aktuellen Coaching eine extrem wichtige Rolle einnehmen.

Beispielsweise ist im Handball ein Wurf aus einer bestimmten Distanz zwar eine gute Übung, doch ohne das Herausspielen dieser Situation, den Druck des Gegenspielers oder einen aktiven Torwart wird der Wurf nur ein Wurf sein und keinerlei taktischen Lerneffekt (sondern nur einen isoliert technischen) haben. Im Fußball ist dies ebenfalls der Fall. Dadurch kann man auch konstatieren, dass sich technische Aspekte nicht von taktischen Komponenten trennen lassen und verbunden zu betrachten sind.

Da Spielformen dynamisch sind und der Kontext immer variiert, gibt es somit die Möglichkeit sowohl die Spielkreativität als auch die Spielintelligenz zeitgleich und effizienter zu trainieren. Gleichzeitig wird damit schon ansatzweise das „vielseitige Spiel“ bei den Lerntypen erfüllt, weswegen es im letzten Teil des Portfolios schon mit dem differenziellen Lernen verglichen wurde. Basierend auf dieser Logik wäre es interessant, wenn man besondere Spielformen zu spezifischen taktischen Problemen der jeweiligen Sportart herstellt, um diese in weiterer Folge sowohl mit expliziten Inhalten zur Spielintelligenz als auch freien, impliziten Variationen zur Spielkreativität füllen zu können.

So könnte zum Beispiel im Fußball eine Übung kreiert werden, welche ein 5-gegen-5 darstellt und auf einem rautenförmigen Platz gespielt wird. Dieses Setting hat die Situation entfremdet (anstatt eines rechteckigen Spielfelds), wodurch die Spieler automatisch zu besonderen und unüblichen Aktionen gezwungen werden. Innerhalb dieser Spielform werden die Spieler also in der Spielkreativität geschult und können sich hier entwickeln; gleichzeitig ist es möglich bestimmte Aspekte eines taktischen Schemas zur Entwicklung der Spielintelligenz in diese Übung einzubauen.

Eine Möglichkeit wäre es, dass man jedem Spieler bestimmte Richtlinien gibt oder bestimmte Instruktionen vorgibt, welche die Komplexität einschränken und die Strategie des Teams widerspiegeln. Dadurch könnte man die Spielkreativität in besonderen Aspekten weiterentwickeln, während man das Gleiche bei der Spielintelligenz in anderen Aspekten oder gar überlappend ebenfalls praktiziert.

Allerdings ist nicht nur die Art der Übung wichtig, sondern auch die Periodisierung. Ein Faktor ist natürlich, in welchem Alter so etwas gemacht wird. Neueste Erkenntnisse in den Neurowissenschaften scheinen zu indizieren, dass Kreativität sich schon sehr früh im Leben entwickelt und ähnlich stabil wie die Intelligenz über die Jahre verläuft. Deswegen wäre es wichtig, dass in den frühesten Jahren Kinder ein sehr vielseitiges und variables Spiel verfolgen dürfen, um die Spielkreativität zu entwickeln. Hier wären instruktionsfreie Spielformen zu Beginn noch empfehlenswert.

Jedoch ist noch unklar, wie das genau aussehen soll. Die Ergebnisse zwischen eines unspezifischen (sportartübergreifenden) und sportartspezifischem Kreativitätstraining variieren; so sollen sich in vielen Sportarten keine wirklichen Unterschiede zeigen, wobei sich beide Gruppen besser entwickeln als die Kontrollgruppe mit einem klassischen Trainingsprogramm. Zusätzlich gab es Transfereffekte zu beobachten.

Desweiteren zeigten Studien, dass Trainingsprogramme zur Aufmerksamkeitserweiterung größere Verbesserung brachte, wenn die Übungen reicher an Komplexität waren. Und andere Untersuchungen legten näher, dass es signifikante Unterschiede zwischen Gruppen gibt, welche mehr Zeit in unstrukturierten Spielaktivitäten verbrachten; es gab nur einen marginal signifikanten Unterschied zur gesamten Trainingszeit!

Insofern wäre es empfehlenswert, wenn man jungen Spielern – welcher Sportart auch immer – in den ersten Jahren sehr wenig Instruktionen und Anleitungen gibt. Ideal wäre es, wenn Kinder in

  1. unterschiedlichen, restriktionsfreien Spielformen in ihrer Sportart
  2. unterschiedlichen, restriktionsfreien Spielformen anderer Sportarten

üben. Dies entspricht auch Erkenntnissen der Neuropsychologie in Bezug auf die Effektivität von implizitem und explizitem Lernen in Bezug auf das Alter. Besonders das sogenannte „entdeckende Lernen“ im Anfangsstadium des Erlernens einer Sportart und des Generieren eines „Sense of Play“ sorgt für die Entwicklung von Spielkreativität und Spielintelligenz. Zusätzlich gibt es zahlreiche positive motorische Effekte in der Bewegungserfahrung der Kinder, welche auch präventive und gesundheitliche Vorteile mittel- und langfristiger Natur haben.

Eine weitere Variante der Periodisierung des Spielkreativitätstrainings im Sport bezieht sich auf den genauen Einbau besonderer Übungen zur Kreativität in ein Training. Meistens gibt es in Teamsportarten eine warm-up-Phase, eine Trainingsphase mit unterschiedlichen Übungen unterschiedlicher Intensität unter einem großen technisch-taktischen Leitbild im Sinne der jeweiligen Teamstrategie sowie eine cool-down-Phase. Auch hier wäre es somit empfehlenswert, wenn man unterschiedliche Spielformen kreiert, welche sowohl Spielintelligenz als auch Spielkreativität trainieren können. Wie Ritter und Dijksterhuis z.B. zeigten, gibt es eine gewisse „Inkubationszeit“ beim Generieren von Kreativität.

Somit wäre es interessant, dass man Spielformen mit gewissen anderen Übungen dazwischen praktizieren lässt. Meist wird nämlich nicht direkt beim ersten Versuch eine kreative Lösung generiert; besonders nicht, wenn dazu keine Aufforderung besteht. Wenn jedoch dieses Ziel festgelegt wird und es eine Inkubationszeit nach der Erstanwendung gibt, so steigt die Wahrscheinlichkeit auf kreative Lösungen beim nächsten Mal.

Darum könnte man einen „undemanding task“ (z.B. ein bereits bekanntes Taktiktraining, ein Fokus auf die simple Repetition von Abläufen, eine weniger komplexe Passübung, etc.) zwischen zwei sehr komplexe und instruktionsfreie Spielformen, die dem Spielkreativitätstraining dienen, einbauen. In weiterer Folge wäre es auch möglich, dass man die Übung zwischen den zwei Spielkreativität-fokussierenden Übungen bewusst so baut, dass sie den Spielern neue, kreative Lösungen näherbringen kann.

Alternativ könnte auch getestet werden, ob dieser Ablauf effektiv ist beziehungsweise wie effektiv er ist, während eine Variation dieser Periodisierung sich nicht auf einen Trainingstag, sondern auf eine Trainingswoche bezieht.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass klare Hinweise auf

  • auf die Fähigkeit zur Steigerung der Spielkreativität
  • auf eine höhere Effektivität bei jungen Spielern

vorliegen. Die genaue Anwendung dieser Erkenntnisse – in Bezug auf Arten des Lernens, spezifische Übungen und Exekution dieser Übungen – ist jedoch noch unklar. In weiterer Folge wäre es primär interessant für bestimmte Sportarten Übungen zu kreieren, welche sowohl Spielkreativität als auch Spielintelligenz entwickeln können (inklusive Variationen davon), bevor die Effektivität davon getestet werden kann.

Ideen aus der Wissenschaft und Praxis

Im Leistungssport  entwickeln sich oftmals ganz eigene Ideen und Paradigmen, welche durch den Wettbewerb in sich und das enorme Geld im Sport teilweise Methoden entwickeln, die nicht publik oder offiziell wissenschaftlich getestet werden, den jeweiligen Vereinen oder individuellen Athleten Wettbewerbsvorteile bringen.

Um hier Informationen zu finden, recherchierte ich im Bereich Fußball sowie (in geringerem Ausmaß) in den großen US-Sportarten. Bei Letzterem konzentrierte ich mich primär auf Basketball und Eishockey, da American Football und Baseball durch ihre Strukturierung kaum die Möglichkeit zur kreativen Entfaltung haben und die mangelnde Dynamik (hauptsächlich American Football) sowie geringe Spielkomplexität (hauptsächlich Baseball) Kreativität kaum erfordern.

Im Buch „Athlete-centred Coaching: Developing Decision Makers“ von Lynn Kidman wird zum Beispiel Folgendes auf Seite 148 erwähnt:

Kreativität5

Insofern scheint es die Forderung nach der Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse durchaus im Praxisbereich zu geben. Einerseits kann man davon ausgehen, dass es sicher Vereine gibt, die das bereits anwenden. Dazu gibt es auch zahlreiche Artikel und Bücher, unter anderem von Launder (Launder, A.G. (2001). Play Practice: The Games approach to  reaching and coahcing sports. Champaign, IL: Human Kinetics).

Andererseits gäbe es diese oben zitierte Forderung Rick Fenoglios nicht, wenn viele es falsch machen würden. Bei genauerer Recherche findet sich z.B. enorme Kritik an der englischen Spielerausbildung (sportartübergreifend!) und großes Lob an der spanischen.

Generell finden sich in diesem Buch (bei Google Books finden sich viele Seiten einsehbar: https://books.google.at/books?id=27q3P4-EtIMC ) zahlreiche Informationen für eine praktische Anwendung. So wird erwähnt, dass es vielfach Ansätze „nonlinearer Pädagogik“ und solchen spielformorientierten Methodiken wie den „Teaching Games for Understanding (TGfU) gibt.

Teaching Games for Understanding hat übrigens ein sehr interessantes Video, die Heidelberger Ballschule hat hier einen Einblick in deren Konzept, dazu gibt es noch Methoden wie Game Sense, GCA, FUNino, Tactical Games Approach, Constraints-led Approach, etc.

Im Cricket wird zum Beispiel sogar der „Constraints-led Approach“ praktiziert, der allerdings vom Grundprinzip den Variationen Memmerts entspricht. Sh. hier:

Kreativität6

Hier zeigt sich, dass die Variation in puncto Regeln, Umständen und auch Instruktionen für eine positive Entwicklung in Spielintelligenz und Spielkreativität sorgen sollte. Ob die Methodik TGfU, „Deliberate Play“ oder sonst wie heißt, sollte unerheblich sein.

Im spanischen Jugendfußball wird das zum Beispiel nicht einmal bewusst berücksichtigt. Die ursprüngliche Methode des „FUNnino“ stammt von Horst Wein, dessen Buch „Spielintelligenz im Fußball – kindgemäß trainieren“ sich eigentlich nur auf Technik und Spielintelligenz fokussiert, diese aber ebenfalls durch implizites Lernen und Spielformen vermittelt, wodurch eben automatisch Freiheit im Spiel und Variationen gegeben sind, welche parallel die Kreativität weiterentwickeln. Bei Analyse des Konzepts ist eigentlich bei Wein nur auffällig, dass er fast ausschließlich auf Spiele setzt und diese altersgemäß periodisiert; der Rest (z.B. Art der Variation, Zeitpunkt, Periodisierung des Trainingsablaufs) wird nur gelegentlich genauer erklärt oder überhaupt berücksichtigt.

In Anbetracht weiterer Publikationen von Vereinen unterschiedlicher Sportarten über ihre Trainingsmodelle findet man, dass die Kreativität oftmals als untrainierbar oder von Natur aus gegeben betrachtet wird, viele andere dies zwar trainieren, es jedoch mit Spielintelligenz gleichsetzen oder es eben nur implizit und unbewusst trainieren. Vielfach sind Gegenbeispiele Individuen, die unter instruktionsfreien und schwierigen Bedingungen aufwuchsen oder ein eigenes Training durchliefen. Ein Beispiel für ersteres wären natürlich die brasilianischen Straßenfußballer aus den Armenvierteln oder die Straßenbasketballer in den USA, wie z.B. im legendären „Rucker Park“. Ein Beispiel für ein eigenes Training wären Wayne Gretzky und Michael Jordan; die jeweils besten Spieler in der Geschichte ihrer Sportart (Eishockey und Basketball).

Gretzky wurde von kleinauf von seinem Vater ausgebildet, der ihn nicht nur schon sehr jung ans Eis führte, sondern ihm auch viele kleine Tipps kreativer Natur in puncto Spielintelligenz mit auf dem Weg gab. Gretzky konnte sich dadurch und durch die spielformorientierten Übungen seines Vaters, die wohl auch die Anforderungen an ein „Constraints-led Approach“ erfüllen würden, früh auf ein höheres Niveau entwickeln. Durch diesen Entwicklungsvorteil und die größere Spielintelligenz konnte Gretzky bei erzielten Treffern und Vorlagen letztlich zum Abstand erfolgreichstem Spieler der NHL werden.

Bei Michael Jordan war es neben dem extremen Ehrgeiz auch der Umgang seiner Coaches mit ihm. Jordan spielte extrem viele „Pick-up Games“, also Straßenbasketballspiele, was er sich vertraglich sogar als Profi zusichern ließ. Desweiteren erhielt er im Training eine besondere Behandlung und agierte auch dort in vielen Spielformen in seiner Anfangszeit. Bei Trainingsspielen wurde Jordan nach Führung seiner Mannschaft in der Jugend und Anfangszeit seiner Karriere mitten im Spiel zur Mannschaft gewechselt, die gerade hinten lag. Jordan musste sich also immer wieder selbst einfallen lassen, wie er unter verschiedensten Bedingungen zum Erfolg kam. Jordan entwickelte sich auch deswegen im Laufe seiner Karriere zu einem besseren Distanzschützen, entwarf eine neue Spielweise im Mid-Range-Game und wurde zum wohl kreativsten Spieler in Nähe des Korbs, der jemals in der NBA spielte und ungefähr Jordans Größe hatte.

Fazit

Das Konzept der Spielkreativität wird im Fußball nicht nur oft unterschätzt, sondern auch falsch eingeschätzt. Spielkreativität ist – mithilfe der Spielintelligenz und des richtigen Trainings – durchaus trainierbar, um musterorientierte Spieler zu kreieren, welche strategischen Richtlinien folgen, aber situativ die „geniale Lösung“ finden können. Nur wenige Trainer fokussieren sich darauf; auch wenn manche interessante Konzepte nutzen, wie am Anfang dieses Videos zum Beispiel zu sehen ist.

Solche Variationen könnten mit der richtigen Periodisierung, mit dem richtigen Coaching und den passenden strategischen Vorgaben sowie Alternativen in weiteren Spielformen sowohl die Spielintelligenz als auch die Spielkreativität adäquat trainieren. Immer mehr Trainer steigen ohnehin auf diese Trainingsweise um. Sie dürfte in den nächsten Jahren zum Standard werden.

Adlerträger 1. August 2015 um 14:00

Aber hilft Kreativität den persé weiter? Wenn es heißt, dass Kreativität etwas völlig neue ist, wie kann ich dann dafür orgen, dass meine Mitspieler mich verstehen? Oder anders: Müsste nicht viel mehr die Kreativität der Gruppe, und nicht die des Individuums trainiert werden, wobei ersteres sicherlich irgendwie letzteres erst ermöglicht. Ich würde mal folgende These aufstellen: Es gibt verschiedene Typen von Kreativspielern, die vernünftig auf dem Platz aufeinander abgestimmt werden müssen. Sorry, ich kann es nicht besser formulieren.

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king_cesc 30. Juli 2015 um 16:32

http://www.zeit.de/sport/2015-07/thomas-tuchel-borussia-dortmund-trainer-methode

im rahmen der serie durchaus interessant

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Martin01 28. Juli 2015 um 19:41

Ich weiß nicht genau ob es direkt auf die (Spiel-)Kreativität zielt, aber Thomas Tuchel ließ in seinen bisherigen Trainingswochen in Dortmund häufig auf kleineren abgestecktecn Feldern (oftmals in der breite stark eingeschränkt) trainieren und gab nicht zu viele Vorgaben für die Testspiele, was das Spiel auf Außen und zur Grundlinie betraf:
Die Spieler im Training in ihrem Raum beschneiden, um ihnen dann im Ernstfall keine einstudierten Abläufe spielen zu lassen an den Außen, sondern ihrer Kreativität freien Lauf lassen zu können. Den (plötzlich) ungewohnt großen Raum ausnutzen zu können.
Zitat TT:“Keine latente Überforderung und Regeln, um im Spiel dann die Freiheit ausnutzen zu können.“

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Martin01 28. Juli 2015 um 19:54

In diesem Sinne wird ja die Kreativität nicht im Training gefordert oder gefördert, sondern im Spiel soll sie erst Einfluss haben.

Antworten

Lea 30. Juli 2015 um 12:13

Ja klar. Das ist eine gängige Praxis, nicht nur unter TT. Passqualität auf engem Raum ist einer der Schwerpunkte um unter anderem auch die Sicherheit im eigenen Ballbesitz wieder zu entdecken. Kreativität hängt dann immer noch von den jeweiligen Spielern ab, wie sie diesen gefühlt neuen Raum dann auch nutzen.

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HK 27. Juli 2015 um 12:15

Dabei fallen mir Kahnemann’s Ausführungen über „schnelles, langsames Denken“ ein.
Die im Bereich Fußball angesprochene Kreativität wäre dabei im schnellen, intuitiven, unterbewussten Denken anzusiedeln und zu trainieren.
Würde dazu gerne noch weitere Ausführungen machen, aber System 2 (nach Kahnemann) hat schon wieder keine Lust. Faules Miststück, das.

Antworten

king_cesc 26. Juli 2015 um 23:43

Was sind denn das im letzten Video für Bänder zum Felder markieren? Hat jemand Erfahrung damit? Sind die gut?

Antworten

Thomas Huck 27. Juli 2015 um 08:34

Ich glaube es ist das Produkt: https://www.kuebler-sport.de/markierband-fuer-sektorbegrenzung-weiss-l2953.html

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