Ajax – AZ Alkmaar 2:2

Ein Blick in die niederländische Eredivisie, wo der erste Spieltag anstand. Und es ging direkt mit einem Kracher los – der Titelverteidiger aus Amsterdam empfing mit AZ einen Kandidaten für die oberen Plätze, der in der Vorsaison lange Zeit die Tabelle angeführt hatte.

Beide Teams starteten mit einigen Veränderungen und konnten noch nicht auf ihre personellen Bestbesetzungen bauen, was unter anderem an Verletzungen, dem frühen Saisonzeitpunkt sowie den Nachwirkungen der Europameisterschaft lag – so spielte bei Ajax beispielsweise Dänemarks EM-Fahrer Eriksen noch nicht mit.

„Komischer Spielverlauf“

Beim ersten Spiel der Saison weht meist ein seltsames Gefühl mit, da beiden Teams noch wenig eingespielt und abgestimmt sind, weshalb viel Abtasten stattfinden kann. In dieser Partie kam zudem noch ein ungewöhnlicher Spielverlauf hinzu: Die beiden Tore für die Gäste fielen kurz nach Wiederbeginn und sorgten für zwei verschiedene Teile des Spiels, die deutlich unterschiedliche Anforderungen an die Teams mit sich brachten und die bisherigen Strategien auf den Kopf stellten.

Mit einem frühen Tor schon nach wenigen Minuten – einem satten Distanzschuss vom gewohnt angriffslustigen Rechtsverteidiger van der Wiel – startete der Meister in die Saison und nutzte danach seinen obligatorischen und sehr sicher ausgespielten Ballbesitzfußball, um zunächst einmal Ruhe ins Spiel zu bringen und den Vorsprung zu verwalten – getreu dem Motto: „Wenn wir den Ball haben, kann der Gegner kein Tor schießen.“ Hier wurde der Ballbesitz als eher passive und abwartende Defensivstrategie interpretiert, was im Grunde genommen auch funktionierte, denn zur Halbzeit hatte die eigene Führung immer noch Bestand. Eigentlich machte Ajax im Hinblick auf das Ergebnis also vieles richtig, fing sich dann allerdings zwei schnelle Gegentore innerhalb von drei Minuten und musste sich daher komplett umstellen und anders auftreten.

Diese notwendig gewordene sofortige Komplettumpolung des eigenen Stils von Abwarten auf Agieren war für die uneingespielte Mannschaft nicht einfach, so dass das Offensivspiel der Godenzonen in der zweiten Halbzeit zunächst etwas unrund lief. So sah es lange nach einer Heimpleite zum Auftakt für Ajax aus – es dauerte bis wenige Minuten vor Ende, ehe Sigthorsson den allerdings verdienten Ausgleich markieren konnte. Neben diesen allgemeinen Aspekten gab es weitere taktische Punkte, die dafür sorgten, dass Ajax eine über weite Strecken gute, aber insgesamt nicht immer durchschlagende Leistung zeigte und trotz jenes ordentlichen Spiels fast verloren hätte.

Aufrückende Innenverteidiger und freie Halbräume

Die Grundformationen

Nicht erst seit gestern ist die niederländische Liga für ihre vielen modernen Innenverteidiger bekannt – es tummeln sich bei den stärkeren Klubs nicht nur sehr spielstarke und technisch versierte, sondern vor allem aufrückende zentrale Defensivspieler, die immer wieder den Ball ins Mittelfeld tragen. Trotz des schmerzhaften Abgangs von Ajax-Kapitän Vertonghen zu den Spurs standen in dieser Partie gleich vier solcher Spieler auf dem Platz.

Weil beide Teams aus ihren jeweiligen 4-3-3-Grundformationen in der defensiven Phase in ein 4-1-4-1 (Ajax) bzw. ein 4-2-3-1 (AZ) umschalteten und nicht in die auch schon gespielten 4-4-2-Ordnungen (durch Aufrücken von Eriksen und Martens, die aber diesmal beide nicht im Zentrum spielten), ergaben sich in den Halbräumen neben dem jeweils einzigen Stürmer oft Räume für die gegnerischen Aufbauspieler und besonders die vertikalen Innenverteidiger.

Zunächst einmal führte dies dazu, dass für beide Mannschaften das Pressing erschwert wurde und die jeweils spielaufbauende Mannschaft in den defensiven Halbräumen viel Raum und Ruhe für die Angriffsvorbereitung fand, so dass sie daher leicht eine sehr weit greifende Kontrolle erringen konnte. Das wegen des frühen Saisonzeitpunkts ohnehin noch nicht auf vollem Niveau gespielte Match wirkte daher streckenweise sehr ruhig und unspektakulär, was eben auch durch den Spielverlauf noch einmal verstärkt wurde.

Ajax´ halblinke Seite im Spielaufbau

In besonderem Maße wurde das Aufrücken aus der zentralen Verteidigung von Ajax´ halblinkem Innenverteidiger Ricardo van Rhijn praktiziert. Der eigentliche Rechtsverteidiger gilt in manchen Ajax-Kreisen bereits als der bessere Spieler im Vergleich mit van der Wiel, wurde auch von Louis van Gaal zum ersten Mal in die Elftal berufen und übernahm in dieser Partie wegen seiner Flexibilität und Spielstärke die letztjährige sehr vertikale Rolle des abgewanderten Vertonghen.

Dafür rückte Linksverteidiger Daley Blind – ebenso wie es van der Wiel auf der anderen Seite tat – enorm weit nach vorne, überließ also aufgrund der freien Halbräume das Aufbauspiel sinnvollerweise eher den zentraleren Spielern und drückte stattdessen seinen Gegenspieler zurück. So konnte van Rhijn sich auf der Halbposition ausbreiten.

Unterstützt wurde er dabei nicht nur vom einzigen und sehr beweglichen Sechser Anita, der in seinem vielleicht letzten Spiel für Ajax – Newcastle lockt – leicht auf die linke Seite schob und dort um den sehr spielmachenden Innenverteidiger in fluider Manier herum kreiste, sondern auch vom linken Achter Serero sowie dem weit eingerückten Linksaußen Lasse Schöne. Der dänische Neuzugang, im Supercup noch als Ersatz für den noch im Aufbau befindlichen Eriksen eingewechselt, interpretierte die linke Seite entsprechend seines zentralen Naturells und zog immer wieder zusätzlich in die Mitte. Teilweise drängte er etwas zu stark zum Ort des Geschehens und zusammen mit Anita den eigentlichen Spielmacher Serero aus diesem heraus.

Der junge Südafrikaner Serero versuchte, die Rolle des unscheinbaren, dann aber blitzschnell kombinativ explodierenden Eriksen, so gut es ging zu füllen, doch funktionierte dies nur eingeschränkt. Er fand nicht die richtige Balance zwischen Spielmachen mit und Spielmachen ohne Ball, wobei er Letzeres ohnehin nicht so gut ausfüllen konnte wie der Stammspieler Eriksen. Zudem fehlte ihm das richtige Gespür, wie er sich in engen Räumen und zwischen den Mitspielern positionieren sollte – manchmal funktionierte es gut (wie beim 1:0) und manchmal eben nicht. In letzteren Fällen befand sich Serero dann zu weit außerhalb der geplanten lokalen Überzahlbildung auf halblinks.

Diese Verschiebung der Formation ließ auf halbrechts etwas Raum, den gelegentlich van der Wiel mit diagonalvertikalen Läufen füllte, hauptsächlich aber von Kapitän Siem de Jong bearbeitet werden musste. Allerdings hatte auch er im ersten Spiel noch nicht den richtigen Rhythmus, um immer die situativ passenden Räume abzudecken. Teilweise schien es gar so, als wolle er krampfhaft seine Mannschaft aus seiner etwas isolierten Position anführen, was dazu führte, dass seine Bewegungen nicht balanciert genug waren und ihm etwas der Blick für das Wesentliche abging.

Durch diese Reihe von Faktoren verlor die theoretisch gute mannschaftliche Aufstellung ihre Wirkung. Mit aufrückend spielmachendem Innenverteidiger, rochierend zuarbeitendem Sechser, falscher Neun und eng überladenden Flügeln fokussierte Ajax die Zentrumsüberzahl aus der Kontrolle der Halbräume. Die aufrückenden Außenverteidigern und die Überzahlbildung auf halblinks waren auf dem Papier unterstützende Faktoren. Dieses gute Gerüst kam jedoch durch Abstimmungsprobleme und kleinerer Defizite nicht in die Gänge. Es war zwar fluid, wurde dabei aber nicht vollends konsequent ausgespielt; beispielsweise passte sich Serero nicht an Siem de Jong an und umgekehrt.

AZs Offensive und Ajax´ Comeback

Auch defensiv war ersichtlich, dass den Amsterdamern noch die Abstimmung zwischen horizontaler und vertikaler Aufteilung fehlte, was allerdings auch aus dem Zusammenspiel der personellen Besetzung herrührte. Bei einem Vorstoß von AZs Innenverteidiger Nick Viergever hatten zum Beispiel Anita und Serero ihre Positionen getauscht – doch Letzterer verteidigte auch auf der Sechs mit einem Linksdrang und wollte mit Anita zurücktauschen, der darauf nicht reagierte, was zu einem enorm langen Kanal für Viergever führte, der ungestört bis etwa 25 m vor das Tor laufen konnte.

Neben diesen Vorstößen setzte AZ im ersten Durchgang besonders auf die Schnelligkeit ihrer Außenspieler. Weil Ajax durch viel Ballbesitz nach der frühen Führung die Anzahl der Chancen für AZ verringern wollte und daher das Leder laufen ließ, kam es für die Gäste trotz Rückstandes durchaus zu Konterchancen. Mit den weit vorschiebenden Außenverteidigern, auf deren Bewegungen die zentraleren Mittelfeldspieler meist nur offensiv gesehen reagierten, war Ajax auf den Außen verwundbar – und AZ setzte besonders den geradlinigen Beerens immer wieder ein.

Allerdings wurde das Spiel dadurch zu eindimensional und man verschwendete die spielerischen, kombinativen Fähigkeiten von Maher und Martens sowie die Fähigkeiten von Altidore, als Prellbock und Zielspieler zu agieren. Kurz nach Wiederbeginn setzte sich dieser dann aber zweimal im direkten Duell mit Alderwereild durch und drehte das Spiel. Bei beiden Treffern spielte Viergever zuvor einen recht unbedrängten langen Ball aus der Defensivzentrale in den Raum hinter den hohen van der Wiel – Viergever prägte das Spiel, Altidore, Maher und Martens deuteten ihr überladendes Potential auf halblinks an und Ajax hatte nicht nur hier große Probleme mit der defensiven Staffelung.

In der folgenden Phase kontrollierte Ajax das Spiel, kam aber immer wieder nur gelegentlich nach vorne durch, da sie ihr System weiterhin nur temporär gut genug ausspielten. Durch Neuzugang Sana, der zur Pause für Schöne gekommen war, wurde das Spiel allerdings etwas dynamischer, geradliniger und weniger überfluid. Der trickreiche Schwede bildete immer wieder ein Gegenwicht zu den Kombinationen der Kollegen und sorgte mit Einzelaktionen und Hackentricks für Aufsehen. Dass Blind weiterhin extrem offensiv spielte, schadete der Defensive, weil van Rhijn nur selten eine Absicherung für Alderwereild bilden konnte, doch offensiv konnte man einen aufblühenden Sana erleben.

Als im weiteren Verlauf nicht nur die Kombination mit Blind und Sigthorsson, sondern auch das unmittelbare Zusammenspiel mit dem ebenfalls aktiven Lukoki  immer besser klappte, war der Ausgleich nur noch eine Frage der Zeit. Weil Frank de Boer mit der Umstellung auf eine Dreierkette nicht nur den Druck erhöhte, sondern sich AZ verstärkt auf das Zentrum fokussieren musste und van Rhijn als Fake-Außenverteidiger auf links Beerens in tiefen Zonen okkupierte, entstand ein kleines Loch weiter vorne auf der Seite, in welches Lukoki nicht zum ersten Mal lief, einen langen Chip vom eingewechselten Janssen hervorragend verarbeitete und das 2:2 für Sigthorsson auflegte.

Fazit

Nach dem ersten Spiel – einem letztlich wohl im Großen und Ganzen gerechten Remis – lassen sich durchaus einige Schlüsse im Hinblick auf die Saison ziehen.

Die Gäste aus Alkmaar spielen ihr gewohntes System der vergangenen Saison, das sich besonders durch seine flexiblen Verteidiger auszeichnet, und vertrauen auf ihre Eingespieltheit. Im Zentrum soll ein enorm tiefer Sechser die spielmachenden Verteidiger unterstützen, während die Achter sich in Raumfüller (vormals Wernbloom, diesmal Falkenburg) und kombinativen Spielmacher (vormals Martens, jetzt Maher) aufteilen. Um den Abgang von Holman zu verkraften, wurde Martens auf die linke Seite gezogen, wo er zur Mitte drängt und sein letztjähriges Tandemspiel nun mit Maher statt mit Holman aufzieht, während Mittelstürmer Altidore als Prellbock und mitspielender Stürmer fungiert, der auf die Außen rochiert und Räume besetzt.

Auf der anderen Seite steht der Meister aus Amsterdam, der durch viele Abgänge (Vertonghen, Aissati, Özbiliz) sowie Verletzungen oder EM-Nachwirkungen (Eriksen, Boilesen, Boerrigter, Sulejmani) kurz- wie langfristig etwas geschwächt ist. Kompensiert werden soll dies nicht nur durch viele junge Spieler aus der Nachwuchsarbeit, sondern vor allem durch sehr fluides Spiel. In diesem Sinne ist deutlich zu erkennen, dass de Boer sein System aus der Endphase der vergangenen Saison, welches bereits den beweglichen Sechser, den zurückfallenden Stürmer, den aufrückenden Innenverteidiger sowie die asymmetrischen Seiten enthielt, weiterentwickeln möchte und für weitere sowie flexiblere Positionsverschiebungen sorgen möchte. Die Wechselwirkungen zwischen Innenverteidiger und Sechser, die inverse Rolle van der Wiels oder die Anpassung an die gegnerische Defensivformation waren diesmal bereits erste Ansätze. Dabei läuft noch nicht alles optimal, da das System erstens noch nicht eingespielt ist und zweitens vielleicht noch gar nicht das optimale System darstellt, sondern es kleinere Änderungen am Gerüst selbst bedarf – Dortmund beispielsweise erlebte so etwas letztes Jahr und könnte eine solche Situation dieses Jahr erneut erleben. In jedem Fall ist für Ajax aber eine gute Basis zur Weiterentwicklung vorhanden, die einige Spiele dauern und eventuell für eine mäßige Hinrunde sorgen könnte, in der es wie in dieser Partie wenig Konstanz, dafür Höhen und Tiefen geben könnte. Wenn man sich dann bis zur Rückserie gefunden hat, lief es für Ajax unter de Boer in der zweiten Saisonhälfte bisher immer hervorragend.

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